Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Dr. Anton M in B, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. August 1990, Zl. 11-75 Ma 26-90, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 16. Jänner 1991, Zl. 11-75 Ma 26-90, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit damit der Beschwerdeführer wegen der Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO bestraft wurde, einschließlich des damit verbundenen Kostenausspruches wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. August 1990 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 26. Jänner 1988 um 1.00 Uhr einen dem Kennzeichen bestimmten Pkw auf der Hebalm-Landesstraße (L 606) in Fahrtrichtung Deutschlandsberg gelenkt und, obgleich sein Verhalten nächst dem Strkm 24,9 in ursächlichem Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall mit Personenschaden gestanden sei, 1. nicht sofort angehalten und
2. nicht sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt. Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO und zu 2. § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO begangen. Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a leg. cit. wurden über den Beschwerdeführer Geldstrafen von zu 1. S 1.500,- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage) und zu 2. S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstraße drei Tage und 18 Stunden) verhängt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer zur Tatzeit am Tatort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand, bei dem zwei Personen verletzt wurden. Fest steht ferner auf Grund der Aktenlage, daß es zur Tatzeit heftig schneite und die Straße mit ca. 15 cm Schnee bedeckt war. Alle Unfallsbeteiligten hatten kurz vor dem Vorfall alkoholische Getränke konsumiert. Bestritten wird vom Beschwerdeführer die Annahme der belangten Behörde, er habe nicht sofort angehalten und nicht sofort die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle verständigt.
1. ZUR ÜBERTRETUNG DES § 4 ABS. 1 LIT. A STVO:
Gemäß § 4 Abs. 1 lit. a StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.
Der Beschwerdeführer wendet ein, daß er "bei erster technischer Möglichkeit" sein Fahrzeug angehalten habe und eine "raschere Anhaltung des Fahrzeuges auf der schneeglatten Fahrbahn überhaupt nicht möglich" gewesen sei, wobei er in diesem Zusammenhang als Mangel rügte, daß die belangte Behörde nicht das von ihm beantragte Gutachten eines kraftfahrtechnischen Sachverständigen über die Länge des Anhalteweges eingeholt habe.
Der Anhalteweg ist die Summe von Reaktionsweg und Bremsweg. Beide (Reaktionsweg und Bremsweg) sind u.a. von der gefahrenen Geschwindigkeit abhängig, der Reaktionsweg darüberhinaus von der Reaktionszeit, die sich etwa durch Ermüdung, durch den Genuß von Alkohol oder durch eine unberechenbare Verkehrssituation verlängert, der Bremsweg desweiteren etwa von der Beschaffenheit der Fahrbahn oder von witterungsbedingten Fahrbahnverhältnissen, z.B. Schneelage, die zu einer Verlängerung des Bremsweges führen können (vgl. dazu Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung, Manz, Wien 1989,
8. Auflage, S. 357 f).
Die belangte Behörde billigt nach der Begründung des angefochtenen Bescheides dem Lenker eines Fahrzeuges nach einem Verkehrsunfall nicht die allgemeine Reaktionszeit von einer Sekunde zu, ohne für ihre Ansicht, ein Fahrzeuglenker müsse in diesem Fall "rascher reagieren" eine Begründung zu geben, geschweige denn sich mit der konkreten Situation im Beschwerdefall - der Unfall ereignete sich um 1.00 Uhr nachts bei starkem Schneetreiben, Alkoholbeeinträchtigung der am Unfall Beteiligten - auseinanderzusetzen. Dazu kommt, daß die Frage, ob einem Fahrzeuglenker bei einem Verkehrsunfall, insbesondere mit Personenschaden, die allgemeine Reaktionszeit oder in Hinsicht auf die konkreten Umstände des Einzelfalles eine kürzere oder längere Reaktionszeit zugebilligt werden kann und muß, wohl nur unter Beiziehung eines kraftfahrtechnischen, erforderlichenfalls auch eines medizinischen Sachverständigen zu lösen ist.
Die belangte Behörde gründete die Annahme, daß der Beschwerdeführer sein Fahrzeug nicht sofort angehalten habe, desweiteren einerseits auf die Angaben des Beschwerdeführers selbst, der eingeräumt habe, eine Fahrgeschwindigkeit von kaum 20 km/h eingehalten, den Pkw nur gebremst, aber nicht sofort angehalten und erst abseits der Straße abgestellt zu haben, wobei er vor der Behörde nicht habe erklären können, warum er den Pkw nicht sofort nach Wahrnehmung des Unfalles angehalten hätte. Andererseits ging sie auf Grund der Aussagen "zahlreicher Belastungszeugen" davon aus, daß der Beschwerdeführer die Fahrt nach dem Verkehrsunfall noch etwa 20 bis 30 m fortgesetzt habe. Bei diesem Sachverhalt habe sich ihrer Meinung nach die Einholung des vom Beschwerdeführer beantragten Sachverständigengutachtens erübrigt, "da ein Anhalteweg von 20 bis 30 m bei einer Fahrgeschwindigkeit von kaum 20 km/h bei der dargestellten Fahrbahnbeschaffenheit (es lagen ca 15 cm Schnee) auch bei teilweiser Schneeglätte und Winterbereifung zweifellos viel zu lang" sei.
Dazu ist zu bemerken, daß der Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren auch wiederholt einwendete, er habe sein Fahrzeug, so schnell dies in Anbetracht der Schneelage und der Straßenverhältnisse möglich gewesen sei, zum Stillstand gebracht und zu dieser Behauptung u.a. auch eine Berechnung für die Länge des Anhalteweges vorgenommen, der bei "Optimalreaktion" rund 16 m betrage. Er behauptete ferner, daß er etwas verspätet auf das "Hineintorkeln" der Betrunkenen reagiert habe. In Hinsicht auf die im Beschwerdefall vorgelegenen Umstände, auf die nach dem Vorgesagten bei der Berechnung des Anhalteweges Bedacht zu nehmen ist, hätte es einer Auseinandersetzung mit diesen Berechnungen des Beschwerdeführers bedurft, zumindest aber hätte die belangte Behörde - gegebenenfalls unter Beiziehung eines Sachverständigen, wie dies vom Beschwerdeführer beantragt wurde - eigene Berechnungen anstellen müssen, wann der Beschwerdeführer mit seinem Fahrzeug frühestens anhalten hätte können, um mit einer für das Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit beurteilen zu können, ob der Beschwerdeführer der Verpflichtung zum sofortigen Anhalten nachkam. Die Annahme der belangten Behörde, daß "ein Anhalteweg vom 20 bis 30 m bei einer Fahrgeschwindigkeit von kaum 20 km/h" im Beschwerdefall "zweifellos viel zu lang" sei, bleibt solcherart eine nicht näher begründete und sohin nicht nachprüfbare Behauptung. Der Tatsache, daß der Beschwerdeführer einräumte, er habe den Pkw nur gebremst, aber nicht sofort angehalten, und daß er vor der Behörde erklärte, er wisse nicht, warum er den Pkw nicht sofort nach Wahrnehmung des Unfalles angehalten hätte, kommt im Beschwerdefall das diesen Äußerungen von der belangten Behörde beigemessene Gewicht deswegen nicht zu, weil immerhin feststeht, daß der Beschwerdeführer sofort bremste und das nicht sofortige Stehenbleiben seine Ursachen in den konkreten Umständen, wie sich der Beschwerdeführer später rechtfertige, gehabt haben kann.
In Ansehung der Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO blieb demnach nicht nur der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkte ergänzungsbedürftig, sondern kam die belangte Behörde auch ihrer Begründungspflicht nicht hinreichend nach, weshalb der angefochtene Bescheid insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.
2. ZUR ÜBERTRETUNG DES § 4 ABS. 2 ZWEITER SATZ STVO:
Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben gemäß § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO die im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.
Der Beschwerdeführer bemängelt, daß die belangte Behörde nicht den von ihm beantragten Zeugen einvernommen hat. Aus dessen Aussagen hätte sich ergeben können, daß der Beschwerdeführer eine verläßliche Person mit der sofortigen Verständigung der Gendarmerie beauftragt habe und deshalb exkulpiert sei. Auf dieses Vorbringen sei die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen.
Es ist zwar richtig, daß sich die belangte Behörde mit diesem Einwand des Beschwerdeführers in der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht ausdrücklich auseinandersetzte. Dieser Mangel ist aber nicht wesentlich, weil die belangte Behörde selbst bei seiner Vermeidung zu keinem anderen Bescheid hätte kommen können. Der Beschwerdeführer irrt nämlich, wenn er meint, daß er schon deswegen, weil er eine verläßliche Person mit der sofortigen Verständigung der Gendarmerie beauftragt habe, exkulpiert sei. Wohl kann die vorgeschriebene sofortige Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle von einem Verkehrsunfall mit Personenschaden auch durch einen Boten erfolgen. Die Bestellung eines Boten zur Erfüllung der Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO stellt aber für sich allein noch nicht die Erfüllung der sofortigen Verständigung dar. Der Verständigungspflichtige hat vielmehr weitere Maßnahmen zu ergreifen und es fällt ihm zur Last, wenn er sich nicht überzeugt, ob der von ihm Beauftragte auch den Auftrag im Sinne des Gesetzes befolgt hat. Daß vom Beschwerdeführer solche Maßnahmen ergriffen wurden, wird nicht einmal von ihm selbst behauptet. Dadurch daß die Gendarmierie von den Verletzten - übrigens erst etwa 13 Stunden nach dem Verkehrsunfall - verständigt wurde, wurde der Beschwerdeführer nicht von der ihm nach § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO obliegenden sofortigen Verständigungspflicht enthoben.
In Ansehung der Übertretung des § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO erweist sich die Beschwerde sohin nicht als begründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Begehren auf Ersatz der Kosten für Kopien war im Hinblick auf die Pauschalierung des Schriftsatzaufwandes abzuweisen. Ferner hatte die Abweisung des Mehrbegehrens nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand (die Beschwerde war bloß in zweifacher Ausfertigung einzubringen und pro Ausfertigung mit S 120,-- zu vergebühren, der angefochtene Bescheid war lediglich in einfacher Ausfertigung beizubringen und mit S 60,-- zu vergebühren) zum Gegenstand.
Schlagworte
Beweismittel Sachverständigengutachten Meldepflicht Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker KraftfahrzeugtechnikerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990030254.X00Im RIS seit
12.06.2001