TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/18 91/01/0009

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmannm Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über die Beschwerde des Celal S in L, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. November 1990, Zl. 4.284.913/3-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 23. September 1989 in das Bundesgebiet ein und stellte bei der Bundespolizeidirektion Linz einen mit 2. Oktober 1989 datierten schriftlichen Antrag auf Asylgewährung. Diesen begründete er damit, daß er wegen der politischen Aktivitäten seines Bruders, der Vorstandsmitglied eines 1980 verbotenen kulturellen Vereines gewesen und nach politischer Verfolgung "untergetaucht" sei, wiederholt verhaftet, geschlagen, verhört, inhaftiert und wieder freigelassen worden sei. Seit einem Jahr sei der Beschwerdeführer selbst Mitglied eines mit politischen Gefangenen solidarischen Vereins, weshalb er neuerlich in der beschriebenen Art politisch verfolgt worden sei. Mit Hilfe eines Fluchthelfers sei dem Beschwerdeführer gemeinsam mit seinem Brunder die Flucht gelungen. Zum Beweis für sein Vorbringen führte der Beschwerdeführer seinen sich in Österreich aufhaltenden Bruder als Zeugen an und verwies auf seinen Vereinsausweis. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die angeführte Behörde wies der Beschwerdeführer neuerlich auf die gegen ihn gerichtete, auf die politische Tätigkeit seines Bruders zurückzuführende Verfolgung hin.

Mit Bescheid vom 14. Februar 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, die Behörde erster Instanz sei auf sein Vorbringen, auf welches er vollinhaltlich verweise, in keiner Weise eingegangen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die belangte Behörde sei nach Prüfung der Angaben des Beschwerdeführers zu der Auffassung gelangt, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beim Beschwerdeführer nicht vorlägen. Die Angaben des Beschwerdeführers seien unglaubwürdig, weil er trotz ausdrücklicher Aufforderung durch die Behörde erster Instanz nicht im Stande gewesen sei, konkrete gravierende Nachteile für seine Person darzutun. Auch in seiner Berufung habe der Beschwerdeführer auf keine konkreten Vorfälle Bezug genommen, weshalb eine Einvernahme seines Bruders nicht erforderlich gewesen sei, wobei der Beschwerdeführer auch nicht angegeben habe, welche Vorfälle sein Bruder bezeugen könnte. Die mehrfachen Befragungen des Beschwerdeführers nach dem Aufenthaltsort seines Bruders könnten nicht als gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen gewertet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft und auf ein gesetzmäßiges Asylverfahren verletzt. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, sich mit seinem Vorbringen ausreichend auseinanderzusetzen. Die Feststellung des angefochtenen Bescheides, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, eine konkrete Verfolgung seiner Person nachzuweisen, sei angesichts seines unwiderlegt gebliebenen Vorbringens aktenwidrig. Die unterbliebene Einvernahme seines als Zeuge angebotenen Bruders stelle sich als mangelhafte Sachverhaltsfeststellung dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde hat die Auffassung vertreten, die Befragungen des Beschwerdeführers über den Aufenthaltsort seines Bruders könnten nicht als gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungshandlungen gewertet werden. Abgesehen davon, daß behördlichen Befragungen über den Aufenthaltsort eines Familienmitgliedes, die nach Darstellung des Beschwerdeführers unter Inhaftierung und Schlägen vor sich gingen, nicht ohne weiteres der Charakter von gegen den Befragten gerichteten Verfolgungshandlungen abgesprochen werden kann - dies insbesondere dann nicht, wenn sich solche Vorgänge wiederholen -, hat es die belangte Behörde unterlassen, auf das im schriftlichen Asylantrag des Beschwerdeführers enthaltene Vorbringen, er sei wegen seiner seit einem Jahr bestehenden Mitgliedschaft bei einem mit Häftlingen solidarischen Verein ebenfalls inhaftiert, gefoltert und verhört worden, einzugehen. Schon allein aus diesem Grund ist der angefochtene Bescheid mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet.

Darüber hinaus kann der belangten Behörde auch nicht darin gefolgt werden, daß der Beschwerdeführer trotz "ausdrücklicher Aufforderung durch die Behörde erster Instanz" keine konkreten gravierenden Nachteile für seine Person habe darlegen können. In den Verwaltungsakten findet sich in der von der belangten Behörde angedeuteten Richtung lediglich ein an den Vertreter des Beschwerdeführers gerichtetes, mit 19. Jänner 1990 datiertes Schreiben, in dem dieser über die mündliche Einvernahme des Beschwerdeführers informiert und ihm die Gelegenheit zu einer ergänzenden Stellungnahme sowie zur Akteneinsicht eröffnet wird. Davon, daß die Behörde noch eine weitere Konkretisierung des Vorbringens des Beschwerdeführers für erforderlich erachtet hätte, bietet weder dieses Schreiben noch der in der Folge erlassene erstinstanzliche Bescheid vom 14. Februar 1990 einen Anhaltspunkt.

Der belangten Behörde ist beizupflichten, daß Beweisanträge auch das Beweisthema zu benennen haben (vgl. hg. Erkenntnisse vom 28. Jänner 1970, Zl. 1853/68, und vom 22. Oktober 1984, Zl. 83/10/0112). Allerdings kann dieser Grundsatz die Behörde nicht berechtigen, die Einvernahme eines angebotenen Zeugen mit der Begründung, das Beweisthema wäre nicht angegeben worden, abzulehnen, wenn wie im Beschwerdefall die einzige im Verwaltungsverfahren zu klärende Frage darin besteht, ob der Beschwerdeführer in seinem Heimatland politischer Verfolgung ausgesetzt war und damit das Beweisthema von vornherein klar auf der Hand liegt.

Da somit die belangte Behörde in mehrfacher Hinsicht Verfahrensvorschriften außer acht gelassen hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Ablehnung eines Beweismittels Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991010009.X00

Im RIS seit

18.09.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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