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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §48 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Herberth, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über die Beschwerde des Ali V in W, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Jänner 1991, Zl. 4.214.532/2-III/13/86, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Jänner 1986 abgewiesen. Mit diesem wurde festgestellt, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Konvention ist.
In der Begründung des angefochtenen Bescheides wurde zunächst festgestellt, daß der Beschwerdeführer, ein iranischer Staatsangehöriger, am 12. November 1985 in das Bundesgebiet eingereist sei und am 13. November 1985 Asylantrag gestellt habe. Der Beschwerdeführer habe bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 21. November 1985 angegeben, wegen Verteilens von Flugblättern für die "ARA" im Iran Verfolgungen befürchten zu müssen. Im Berufungsverfahren sei er am 9. Dezember 1986 und am 20. Dezember 1990 einvernommen worden. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, als glaubwürdig könnten Fluchtgründe im allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder gar widersprüchlich darstelle, wenn seine Angaben mit der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erschienen und wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringe. Die Behörde könne einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubwürdig anerkennen, wenn der Asylwerber während des Asylverfahrens im wesentlichen gleichbleibende Angaben mache, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erschienen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluß aufdrängten, daß sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprächen. Die belangte Behörde verkenne nicht den sachtypischen Beweisnotstand im Asylverfahren, da in vielen Fällen außer der Beteiligtenvernehmung kein Beweismittel zur Verfügung stehe. Dennoch dürfe nicht übersehen werden, daß die Beteiligtenvernehmung als solche, besonders jedoch im Asylverfahren wegen des gravierenden Interesses des Asylwerbers an einer Stattgebung seines Asylantrages ein im Hinblick auf die Beweiskraft problematisches Beweismittel sei. Keinesfalls könne daher die bloße Behauptung asylbegründender Tatsachen als ausreichend angesehen werden. Würde bereits genügen, wenn das Vorliegen der asylbegründenden Tatsachen abstrakt möglich, also nicht mit Sicherheit ausgeschlossen sei, so könnte von Beweiswürdigung im eigentlichen Sinne wohl kaum mehr gesprochen werden. Als "wesentlichste Plausibilitätslücke" sei der Umstand zu werten, daß der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, eindeutige Angaben über die Dauer der behaupteten Widerstandstätigkeit zu machen. Bei der Einvernahme am 9. Dezember 1986 habe der Beschwerdeführer angegeben, der ARA im März 1984 beigetreten zu sein, bei der am 20. Dezember 1990 hingegen, seine Gesinnungsgenossin "XY" habe er im Jahre 1983 kennengelernt, als er die vierte Klasse Mittelschule besucht habe. Er sei mit ihr 5 - 6 Monate zusammen gewesen. Den Widerspruch, daß sich aus der zeitlichen Abfolge eine Zusammenarbeit von mehr als zwei Jahren ergeben müsse, habe der Beschwerdeführer nicht zu klären vermocht. Entweder sei unzutreffend, daß der Beschwerdeführer P. während seiner Mittelschulzeit kennengelernt habe. Dies würde bedeuten, daß er in einem Punkt, der für sein Motiv, Widerstand zu leisten, von entscheidender Bedeutung sei, unrichtige Angaben gemacht habe oder seine Widerstandstätigkeit habe länger gedauert als von ihm angegeben: Dem müsse aber entgegen gehalten werden, daß diesfalls seine völlige Unkenntnis über Struktur und Arbeitsweise der Widerstandsgruppe, der er angehört habe, nicht erklärlich sei. Der Beschwerdeführer habe die Familiennamen seiner Gesinnungsgenossen oder deren genaue Zahl nicht angeben können. Der Familienname von "A" sei von ihm erstmals bei seiner Vernehmung vom 20. Dezember 1990 angegeben worden. Er wisse nichts darüber, wie der Kontakt zur ARA gehalten worden sei. Er habe keine Angaben über die verteilten Fotos und den Inhalt der vervielfältigten Kassetten zu machen vermocht bzw. an welchem Ort diese vervielfältigt worden seien. Bei der Vernehmung am 21. November 1985 habe der Beschwerdeführer angegeben, die Tonbänder "unter die Leute" verteilt zu haben. Bei seiner Vernehmung am 20. Dezember 1990 habe er hingegen angegeben, das Material Kontaktleuten übergeben, also nicht selbst verteilt zu haben. Es entspräche der Lebenserfahrung, daß ein Mitglied einer Widerstandsgruppe, die enttarnt worden sei, zumindest nach dem Verlassen des Landes Erkundigungen über das Schicksal der Gesinnungsgenossen einhole bzw. mit diesen in zumindest losem Kontakt bleibe. Bei all dem sei zu berücksichtigen gewesen, daß Widerstandstätigkeit, die mit Lebensgefahr verbunden sei, einen besonders prägenden Eindruck auf die Betroffenen auslöse und sich diese oft jahrelang nicht vom Erlebten lösen könnten. Mitglieder solcher Widerstandsgruppen lernten einander jedoch regelmäßig nicht als Straßenbekanntschaften kennen; ihrem politischen Widerstand liege regelmäßig ein sich aus der eigenen Geschichte ergebendes politisches Motiv zugrunde. Der Beschwerdeführer habe angegeben, P. nicht nach ihren Motiven gefragt zu haben. Dies sei schon bei einer mehrmonatigen gemeinsamen Widerstandstätigkeit nicht plausibel, umso weniger, je länger diese Tätigkeit gedauert habe. Angehörige solcher Widerstandsgruppen würden keinesfalls die gemeinsame Sache dadurch aufs Spiel setzen, daß sie Bilder des Schah, die sie von Verwandten erhalten hätten, bei sich zu Hause aufbewahrten. Der Tod des Bruders des Beschwerdeführers mag ein plausibles Motiv für Regimefeindlichkeit darstellen. Träfe dies jedoch zu, so hätte es keiner Politisierung durch P. bedurft, um den Beschwerdeführer zu politischen Aktivitäten zu motivieren. Dieser Grund für seine politische Tätigkeit sei überdies erst in der Berufung nachgeschoben worden. Bei der Frage, wann der Bruder des Beschwerdeführers gestorben sei, habe sich der Beschwerdeführer in Widersprüche verwickelt. Während er zunächst angegeben habe, sein Bruder sei sechs Monate vor seiner Ausreise (somit im Frühjahr 1985) getötet worden, habe er später angegeben, sein Bruder sei 18 Monate nach Ausbruch des Golfkrieges getötet worden. Der Golfkrieg sei am 22. September 1980 ausgebrochen. Sein Bruder habe demgemäß im Frühjahr 1982 ums Leben kommen müssen; auch diese Divergenz von drei Jahren sei rational nicht nachvollziehbar. Bei der Vernehmung vom 9. Dezember 1986 habe der Beschwerdeführer angegeben, daß sich sein Vater zum Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich bei seinem Bruder in Wien aufgehalten habe. Er sei am 12. November 1985 nach Österreich eingereist. Bei der Vernehmung am 20. Dezember 1990 habe der Beschwerdeführer angegeben, als er sich vor seiner Ausreise in Sari aufgehalten habe, seien seine Eltern stellvertretend für ihn festgenommen worden. Auch in der Berufung vom 16. Februar 1986 sei angegeben worden, seine Eltern seien eine Woche festgenommen worden. Die Hausdurchsuchung in seiner Wohnung habe etwa einen Monat vor seiner Ausreise stattgefunden (somit im September 1985). Es sei unglaubwürdig, daß dem Vater des Beschwerdeführers als Angehörigen eines Regimegegners wenige Wochen nach seiner Inhaftierung als Geisel die legale Ausreise aus dem Iran gestattet worden sei. Ein weiterer Widerspruch beträfe die Umstände, wie der Beschwerdeführer den gefälschten iranischen Paß erlangt haben wolle. Bei seiner Vernehmung am 21. November 1985 habe er angegeben, bereits im Jahre 1984 einen gefälschten Reisepaß bekommen zu haben. Bei der Vernehmung am 9. Dezember 1986 habe er angegeben, seinen Reisepaß nach der Hausdurchsuchung in seiner Wohnung durch Vermittlung eines Dritten in Teheran gekauft zu haben. Bei der Vernehmung am 20. Dezember 1990 habe der Beschwerdeführer angegeben, den Reisepaß durch seinen Onkel erhalten zu haben. Was die vorgelegte Bestätigung der Iranian Liberation Army betreffe, so werde schon aus der Art und Weise der Beschaffung deutlich, daß ihr nur geringe Beweiskraft zukomme. Der Beschwerdeführer wisse nämlich nicht wer die Bestätigung ausgestellt habe. Der Beschwerdeführer sei somit nicht in der Lage gewesen, in bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erkenntnisse eine Schilderung zu geben, die geeignet sei, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Die erforderliche Prüfung und Würdigung des Einzelfalles dürfe nicht allein durch den Hinweis auf typische Erscheinungsformen totalitärer Systeme ersetzt werden. Es habe somit kein asylbegründender Sachverhalt festgestellt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Anerkennung als Flüchtling verletzt. Die belangte Behörde habe in wesentlichen Punkten den Sachverhalt aktenwidrig angenommen und keine dem § 58 Abs. 2 AVG in Verbindung mit § 67 AVG entsprechende Begründung gegeben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968 über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 126, in der Fassung der Novelle vom 27. November 1974, BGBl. Nr. 796, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F der Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Punkt 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne des Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Die eingangs im angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, der Beschwerdeführer habe bei seiner Vernehmung am 21. November 1985 angegeben, er habe Flugblätter verteilt und müsse daher Verfolgungen in seinem Heimatland befürchten, ist aktenwidrig. Die belangte Behörde erblickt in den Angaben des Beschwerdeführers über den Zeitpunkt der Bekanntschaft mit seiner Gesinnungsgenossin P. im Jahre 1983 einerseits und seinen Beitritt zur Widerstandsgruppe (ARA) im März 1984 und seine Zusammenarbeit mit P. in der Dauer von nur 5 - 6 Monaten einen unlösbaren Wiederspruch, der "wesentlichst" die Unglaubhaftigkeit der Angaben des Beschwerdeführers begründe. Dem ist entgegenzuhalten, daß aus dem Beitritt des Beschwerdeführers zur ARA noch nicht zwingend eine sofortige gemeinsame Tätigkeit mit P. in der ARA sich entwickelt haben muß und der Beschwerdeführer selbst in der Berufung angab, wegen seiner Arbeit - er sei Tischler - in die "Bundesländer" habe reisen müssen, sodaß durchaus einsichtig ist, daß eine gemeinsame Tätigkeit des Beschwerdeführers in der ARA mit P. sich auf 5 - 6 Monate trotz zweijähriger Bekanntschaft beschränken konnte. Die weitere Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe über den Inhalt und den Ort der Vervielfältigung der Tonbänder keine Angaben machen können, ist aktenwidrig, da der Beschwerdeführer bei seiner ersten Vernehmung am 21. November 1985 bereits angegeben hat, daß die Tonbänder Reden des jungen Schah enthielten. In der Berufung wie auch in der Niederschrift vom 20. Oktober 1990 hat der Beschwerdeführer vorgebracht, daß die Vervielfältigung in einem vom Beschwerdeführer näher bezeichneten Bezirk im Norden Teherans erfolgt sei. Aber auch ein wesentlicher Widerspruch über die Angaben des Todes des Brudes des Beschwerdeführers liegt nicht vor. Hat doch der Beschwerdeführer in der Berufung ausgeführt, daß er beim Tod des Bruders noch die Schule besucht habe, und bei der Vernehmung am 20. Dezember 1990, daß sein Bruder 18 Monate nach Ausbruch des Golfkrieges gestorben sei. Auf die Frage bei dieser Vernehmung, ob es NACH der Ausreise des Beschwerdeführers Hausdurchsuchungen bei seinen Eltern gegeben habe und ob diese einmal verhaftet worden seien, wurde folgende Antwort protokolliert: "Beim Tod meines Bruders, wurde mein Vater festgenommen, weil er sich aufgeregt hat. Das war sechs Monate vor meiner Ausreise." Die schon sprachlich mißglückt formulierte Antwort des Beschwerdeführers bezieht sich auf Ereignisse VOR der Ausreise, wobei nach dem Zeitpunkt des Todes des Bruders zuvor nicht gefragt wurde, sodaß hier die Annahme eines Übersetzungsfehlers oder eines Mißverständnisses naheliegend ist.
Im übrigen erschöpft sich im wesentlichen die Begründung des angefochtenen Bescheides auf nicht nachvollziehbare Lebenserfahrungen der belangten Behörde und allgemeine Rechtsausführungen, läßt aber die zentrale Frage unbeantwortet, ob auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers glaubhaft eine Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen anzunehmen ist oder nicht.
Da bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler nicht auszuschließen ist, daß die Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren für Stempelmarken war abzuweisen, da dem Beschwerdeführer im Rahmen der Verfahrenshilfe die Befreiung von der Entrichtung der Stempelgebühren gewährt worden ist.
Schlagworte
Stempelgebühren Kommissionsgebühren Barauslagen des Verwaltungsgerichtshofes Gebührenfreiheit der Beschwerde Ersatz bei GebührenfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991010087.X00Im RIS seit
18.09.1991