TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/18 91/03/0059

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Veröffentlicht am 18.09.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §45 Abs2;
AVG §46;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §20 Abs2;
VStG §44a lita;
VStG §44a Z1 impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Weiss und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde des Georg L in G, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 14. Februar 1991, Zl. 11-75 La 14-90, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer im Verwaltungsrechtszug schuldig erkannt, er habe am 19. März 1989 um 14.30 Uhr an einer bestimmten Straßenstelle innerhalb des bezeichneten Ortsgebietes als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten PKW im Ortsgebiet die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um ca. 30 km/h überschritten. Er habe dadurch die Rechtsvorschrift des § 20 Abs. 2 StVO verletzt. Gemäß § 99 Abs. 3 lit.a StVO wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 36 Stunden) verhängt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher der Antrag gestellt wurde, "die Kosten des Aufwandersatzes zuzuerkennen".

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 20 Abs. 2 StVO darf, sofern die Behörde nicht eine geringere Höchtsgeschwindigkeit erläßt (§ 43 Abs. 2) oder eine höhere Geschwindigkeit erlaubt (§ 43 Abs. 4), der Lenker eines Fahrzeuges im Ortsgebiet nicht schneller als 50 km/h ... fahren.

Das Tatbild einer unzulässigen Geschwindigkeitsüberschreitung ist bei jeder noch so geringfügigen Überschreitung erfüllt, der Angabe des Ausmaßes einer Überschreitung im Spruch eines wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 20 Abs. 2 StVO gefällten Straferkenntnisses kommt somit keine rechtserhebliche Bedeutung zu (vgl. hiezu u.a. das hg. Erkenntnis vom 10. April 1991, Zl. 91/03/0015).

Verkehrstechnisch geschulten Organen der Straßenaufsicht ist ein wenn auch nur im Schätzungsweg gewonnenes Urteil darüber zuzubilligen, ob ein vorbeifahrendes Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit in erheblichem Ausmaß, also mit mehr als einem Drittel der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, überschritten hat oder nicht, wobei bereits eine Beobachtungsstrecke von rund hundert Metern ausreicht, entsprechende Sicht- und Beleuchtungsverhältnisse vorausgesetzt (siehe u.a. die hg. Erkenntnisse vom 9. Juli 1987, Zl. 87/02/0015, und vom 23. September 1988, Zl. 88/02/0015).

Im vorliegenden Fall finden sich in der gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeige insbesondere u.a. folgende Ausführungen:

"Um 14.30 Uhr stellte der Beamte fest, daß der Lenker des PKW, Mazda 121, ..., sich mit einer geschätzten Geschwindigkeit von ca. 80 km/h aus Richtung Süden dem Standort des Beamten näherte. Der erste Sichtkontakt zum herannahenden Fahrzeug erfolgte in einer Entfernung von 80 Metern. Auf Grund der hohen Fahrgeschwindigkeit des Lenkers befand sich dieser bereits kurz vor dem Standort des Beamten, als dieser das Haltezeichen gab und auch vom Lenker bemerkt wurde. Der Lenker kam mit seinem Fahrzeug 47 Meter nach dem Standort des Beamten zum Stillstand.

Die Schätzung der Fahrgeschwindigkeit erfolgte in der

Annäherung des Fahrzeuges auf einer Strecke von 80 Metern und

an der Vorbeifahrt am Standort des Beamten. Das Fahrzeug war

deutlich schneller als die in den vergangenen 15 Minuten am

Standort des Beamten vorbeigefahrenen Fahrzeuge ... . Zur Zeit

der Beanstandung herrschten schönes, trockenes Wetter und sehr

gute Sichtverhältnisse."

    Ferner führte der Meldungsleger in seiner Zeugenaussage vom

3. August 1989 folgendes aus:

    "Am 19.3.1989 um 14.30 Uhr versah ich im Ortsgebiet ...

Verkehrsüberwachung. Dabei bemerkte ich einen ... Mazda, der

sich mit wesentlich überhöhter Geschwindigkeit meinem Standort

näherte. Ich gab dem Lenker kurz vor meinem Standort ein

Haltezeichen, welches dieser auch wahrnahm. Der Lenker des

PKW's ... verringerte jedoch seine Geschwindigkeit kaum und kam

erst ca. 47 Meter nach meinem Standort zu stehen. Ich konnte daher die Geschwindigkeit im Herannahen (eingesehene Wegstrecke ca. 80 Meter), Vorbeifahren und Nachschauen (eingesehene Wegstrecke ca. 47 Meter) schätzen. Dabei wurde die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h wesentlich überschritten (ca. 30 km/h)."

Der in der vorliegenden Beschwerde zitierten Abhandlung von Adolf Lammer "Hinweise zu Beschleunigungs- und Verzögerungsvorgängen" in ZVR 1979, S. 97 ff, ist u.a. folgendes zu entnehmen (S. 101):

"Vielfach interessiert die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt der sogenannten Reaktionseinleitung (etwa zum Zeitpunkt des Bremsentschlusses). Dabei ist auf folgendes Problem hinzuweisen:

Vom Bremsentschluß bis zum vollen Wirksamwerden der Bremsung verstreicht - etwas vereinfacht dargestellt - zunächst die Reaktions- und Bremsansprechzeit, während der eine Bremswirkung praktisch nicht eintritt. An den Bremsansprechvorgang schließt sich der sogenannte Bremsschwellvorgang, während dessen der Verzögerungswert von 0 annähernd linerar auf den vollen Wert ansteigt. Je nach Bremsanlage ist die Dauer des Bremsschwellvorganges verschieden lang. ..."

(Siehe hiezu entsprechende weitere Ausführungen auch in Benes-Messiner, Straßenverkehrsordnung, 8. Auflage, Seite 356 ff.)

Im vorliegenden Fall hatte sich der Meldungsleger darauf berufen, die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Beschwerdeführers während der Annäherung auf einer Strecke von 80 Metern und im Vorbeifahren geschätzt zu haben. Ferner hatte der Meldungsleger angegeben, daß er das Haltezeichen gegeben habe, als sich der Beschwerdeführer kurz vor seinem Standort befunden habe; 47 Meter nach dem Standort des Beamten sei das Fahrzeug des Beschwerdeführers zum Stillstand gekommen; zur Zeit der Beanstandung hätten sehr gute Sichtverhältnisse und schönes, trockenes Wetter geherrscht.

Dem Meldungsleger stand somit zunächst bis zu seinem Standort eine Fahrstrecke des Beschwerdeführers von 80 Metern und weiters noch eine darüber hinausreichende vom Beschwerdeführer zurückgelegte Fahrstrecke als Beobachtungsstrecke, d.h. eine ausreichende Beobachtungsstrecke von rund 100 Metern zur Verfügung. Ferner handelte es sich um eine eingehaltene Fahrgeschwindigkeit, die nach den Angaben des Meldungslegers - die dieser auch als Zeuge bestätigte - mehr als ein Drittel über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegen war. Schließlich hatten für den Meldungsleger "sehr gute Sichtverhältnisse" bestanden.

Mit dem Vorbringen in der vorliegenden Beschwerde vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, daß die belangte Behörde an die Geschwindigkeitsschätzung des Meldungslegers nicht hätte anknüpfen dürfen. Zunächst ist dem Beschwerdevorbringen entgegenzuhalten, daß die Geschwindigkeitsverminderung nach den Angaben des Meldungslegers zwar erst nach dem gegebenen Anhaltzeichen eingetreten war, was aber nicht ausschließt, daß der Beschwerdeführer bereits vorher, etwa schon im Hinblick auf das bloße Erblicken des Meldungslegers, in jene Phase eintrat, in welcher der Reaktions- und Bremsansprechvorgang stattfand. Unter diesem Gesichtspunkt war es nach der Aktenlage nicht ausgeschlossen, daß dem Beschwerdeführer insgesamt ein längerer Anhalteweg (Summe von Reaktionsweg und Bremsweg) als die Strecke von 47 Metern zwischen dem Standort des Beamten und dem Punkt, an dem das Fahrzeug des Beschwerdeführers zum Stillstand gekommen war, zur Verfügung gestanden hatte. Dazu kommt, daß im Hinblick auf das schöne, trockene Wetter von einer verhältnismäßig raschen Bremswirkung ausgegangen werden konnte.

Weiters ist dem Beschwerdevorbringen entgegenzuhalten, daß der belangten Behörde zwar die Länge der Beobachtungsstrecke des Meldungslegers, im übrigen jedoch weder das genaue Ausmaß der Anhaltestrecke, noch die Zeitdauer des Anhaltevorgangs, noch das Ausmaß der Verzögerung bekannt war, sodaß mangels entsprechender Ausgangsdaten eine Berechnung der Geschwindigkeit des Beschwerdeführers kein geeignetes Mittel zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes darstellen konnte. Es ist im gegebenen Zusammenhang - insbesondere unter Bedachtnahme darauf, daß sich für eine Feststellung des Beginns des Reaktions- und des Bremsansprechvorganges keine eindeutigen Anhaltspunkte ergaben, und ferner unter Bedachtnahme auf die optimale Bremswirkung bei schönem, trockenen Wetter - auch nicht zu erkennen, daß es die in den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens enthaltenen Ausgangsdaten hätten ausgeschlossen erscheinen lassen, daß der Beschwerdeführer schätzungsweise eine viel höhere Geschwindigkeit als die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten habe.

Insoweit sich der Beschwerdeführer auf das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 15. März 1979, 8 Ob 6/79 (ZVR 1980, Spruchbeilage Nr. 138) beruft, ist ihm entgegenzuhalten, daß der dortige Sachverhalt ein Herabsetzen der Fahrgeschwindigkeit von 50 bis 60 km/h auf rund 40 km/h mit einer Verzögerung von durchschnittlich 3 Meter/sec2 betraf, ein Fahrmanöver, welches nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes nicht als jähes Bremsen im Sinne des § 21 Abs. 1 StVO zu qualifizieren war. Im Hinblick auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die der belangten Behörde im vorliegenden Fall zur Verfügung gestanden waren, und im Hinblick auf die vorstehenden Erwägungen ergibt sich aus der Verzögerung, von der der Oberste Gerichtshof im Fall seines in der Beschwerde zitierten Urteils sachverhaltsmäßig ausgegangen war, nichts, was auf eine Rechtswidrigkeit des im vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren angefochtenen Bescheides hinweisen würde.

Aus den dargelegten Erwägungen war es auch nicht rechtswidrig, wenn es die belangte Behörde unterließ, das Gutachten eines kraftfahrtechnischen Sachverständigen einzuholen. In der Art, in der die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf die vom Meldungsleger vorgelegte Übersichtsskizze bezug nahm, ist im Hinblick auf die vorstehend dargelegten Ergebnisse des verwaltungsgerichtlichen Prüfungsverfahrens kein wesentlicher Verfahrensmangel zu erblicken.

Schließlich vermag der Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu erkennen, daß die von den Beifahrern des Beschwerdeführers abgelegten Zeugenaussagen Beweismittel dargestellt hätten, die der aus der Schätzung des Meldungslegers abgeleiteten Feststellung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h entgegengestanden wären.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich somit zur Gänze als unbegründet. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Grundsatz der GleichwertigkeitBeweismittel Zeugenbeweis Zeugenaussagen von AmtspersonenFeststellen der GeschwindigkeitÜberschreiten der GeschwindigkeitBeweiswürdigung Wertung der BeweismittelBeweismittel Amtspersonen Meldungsleger Anzeigen Berichte Zeugenaussagen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991030059.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

05.08.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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