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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmann und Dr. Herberth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pichler, über den Antrag des V N in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Dezember 1990, Zl. 4 294.409/2-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag nicht stattgegeben.
Begründung
Mit hg. Beschluß vom 5. Juni 1991, Zl. 91/01/0055, wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 10. Dezember 1990 wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 1991 beantragte der Beschwerdeführer, ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist zu bewilligen und brachte dazu vor:
Die Kanzleileiterin des Rechtsvertreters habe es sich in ihrer bisherigen Tätigkeit zur Angewohnheit gemacht, die Beschwerde- und Rechtsmittelfristen stets um einen Tag kürzer einzutragen, das heiße also immer am Tage, bevor die entsprechende Frist ablaufe. Sie habe nach Diktat des Verfahrenshelfers die Beschwerde geschrieben, wobei dieser jedoch das Zustellungsdatum nicht ausdrücklich angegeben habe, sondern sie angewiesen habe, das Zustellungsdatum selbst festzustellen. Sie habe daraufhin ausgehend von dem eingetragenen Datum 18. April das Zustelldatum zurückgerechnet und dieses Datum in die Beschwerde eingesetzt. Der Beschwerdevertreter habe dann die Beschwerde am 17. April korrigiert und sie an seine Kanzleileiterin zurückgegeben mit dem Auftrag, die Reinschrift ihm zur Unterschrift zeitgerecht vorzulegen. Er habe dies tun können, weil einerseits der Kanzleileiterin eine Fristversäumnis bisher nicht zur Last gefallen sei und andererseits auf Grund ihrer langjährigen und unbeanstandeten Tätigkeit anzunehmen gewesen sei, daß es zu einer rechtzeitigen Vorlage zur Unterschrift kommen werde. Am 18. April habe der Beschwerdevertreter wegen anderer Verpflichtungen größtenteils außer Haus geweilt und sei lediglich gegen 16.30 Uhr in die Kanzlei gekommen, um die erforderlichen Unterschriften zu leisten, und habe sich anschließend wieder zu einer ärztlichen Untersuchung wegbegeben. Es seien ihm zwar einige Schriftstücke vorgelegt worden, aber die Beschwerde noch nicht, weil die Kanzleileiterin von ihrer Gewohnheit ausgehend angenommen habe, daß sie die kleine Änderung, die noch in der Reinschrift erforderlich gewesen sei, vornehmen könne und ihrem sich wegen der ärztlichen Untersuchung in Eile befindlichen Chef die Angelegenheit noch am nächsten Tage werde vorlegen können. Am nächsten Tag habe der Beschwerdeführervertreter die an sich nach dem Wortlaut der Beschwerde fristgerecht an diesem Tag einzubringende Beschwerde unterschrieben.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Nach der zu dieser Gesetzesstelle ergangenen ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein Irrtum des Beschwerdeführers oder seines Vertreters über das Ausmaß der gesetzlichen Beschwerdefrist kein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dar, das seine Wiedereinsetzung rechtfertigt (vgl. die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1948, Slg. NF Nr. 307/A, vom 16. Dezember 1955, Slg. NF Nr. 3381/F und bereits nach der neuen Rechtslage vom 20. Juli 1988, Zlen. 88/01/0184, 0185).
In der nach Änderung der Gesetzeslage zu dieser Gesetzesstelle ergangenen Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen sei. Der Wiedereinsetzungswerber oder sein Vertreter dürfen sohin nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Sie dürfen die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihnen nach den persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht außer acht lassen (vgl. Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 1986, Zl. 85/02/0258 und vom 11. Juni 1986, Zlen. 86/11/0050, 0051).
Eine Überprüfung des gegenständlichen Wiedereinsetzungsantrages unter den durch den Gesetzeswortlaut und die dazu ergangene Judikatur gegebenen Kriterien ergibt, daß der der Kanzleiangestellten des Rechtsanwaltes unterlaufene behauptete Irrtum über das vorgemerkte Datum des Endes der Beschwerdefrist nicht als auf einen lediglich minderen Grad des Versehens beruht. Denn es wäre der Kanzleikraft oblegen, das Ende der Beschwerdefrist vom Tage der Zustellung an (also vom Beginn des Laufes der Frist) zu berechnen, das durch die Eingangsstampiglie der Kanzlei leicht feststellbar gewesen wäre; außerdem ist nach dem Auftrag des Beschwerdevertreters an die Kanzleikraft eine Kontrolle zur Wahrung des bereits bekannten baldigen Ablaufes der Frist zur Erhebung der Beschwerde nicht mehr vorgenommen worden.
Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof einzuhalten. Dem Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand konnte daher nicht stattgegeben werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991010116.X00Im RIS seit
18.09.1991