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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde
1.) der Zehra B und 2.) des mj. Arif B, beide in der Türkei, beide vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 14. März 1991, Zl. 3.32.45/1/91, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe an die Österreichische Botschaft in Ankara (die belangte Behörde) vom 19. Dezember 1990 stellten die nunmehrigen Beschwerdeführer, türkische Staatsangehörige, einen Antrag auf Erteilung eines "befristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes (Vorschlag: 2 Jahre)". Begründend führten die Beschwerdeführer aus, Mustafa B, der Gatte der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers, sei seit vielen Jahren in Österreich aufenthaltsberechtigt und beschäftigt, sämtliche Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung (Unterkunft, Einkommen usw.) seien gegeben. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn habe allerdings die Ausstellung von "Sichtvermerksbescheinigungen" abgelehnt, weil zwei (weitere) Kinder in der Türkei verbleiben würden, wofür es jedoch - so die Beschwerdeführer - gewichtige Gründe gebe.
Mit Schreiben vom 6. März 1991 teilte die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn der belangten Behörde unter Bezugnahme auf ein entsprechendes Ersuchen mit, daß die Wohnung des Mustafa B zu klein sei, um "einer wirklichen Familienzusammenführung Rechnung zu tragen". Ein späterer Zuzug der beiden noch in der Türkei verbleibenden Kinder müsse aus Platzmangel von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn abgelehnt werden. Bei Zuzug von Kindern würde auch darauf Bedacht genommen, daß Kinder zur Zeit der Antragstellung das 10. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Diese Begrenzung sei erforderlich, da eine Beschäftigungsbewilligung nur dann zu erlangen sei, wenn das Kind zumindest die Hälfte der Pflichtschule im Bundesgebiet absolviert habe. Des weiteren sei eine Altersgrenze erwünscht, um dem Kind eine spätere Integration (durch Erlernen der Sprache und der Lebensgewohnheiten im Bundesgebiet) zu erleichtern. Daher sei nur ein Zuzug der gesamten Familie zu befürworten. Weiters weise die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn darauf hin, daß für neu zugezogene Ausländer (wie den Sohn Arif) vom Arbeitsamt nur mehr in Ausnahmefällen Beschäftigungsbewilligungen erteilt würden und eine bereits einsetzende wirtschaftliche Rezession eine große Zahl von arbeitslosen Ausländern zur Folge habe. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn ersuche daher, den Anträgen auf Ausstellung von Wiedereinreise-Sichtvermerken nicht stattzugeben.
In der Folge richtete die belangte Behörde unter dem Datum 14. März 1991 an den Vertreter der Beschwerdeführer ein Schreiben folgenden Wortlautes:
"Sehr geehrter Herr Dr. WÜ
Zu Ihrem Antrag betreffend die Ausstellung von Sichtvermerken für Zehra und Arif B vom 19. Dezember 1990 wird mitgeteilt, daß nach Einsicht in die von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zur Verfügung gestellten Erhebungsergebnisse der zuständigen Behörden dem Antrag nicht stattgegeben wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Friedrich Z ao. u. bev. Botschafter"
Durch dieses von den Beschwerdeführern als Bescheid gewertete Schreiben erachten sie sich in der an den Verwaltungsgerichtshof dagegen gerichteten Beschwerde in "ihrem Recht verletzt, eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Sichtvermerk) für Österreich zu bekommen". Sie begehren die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten (in Ablichtung) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Was zunächst die rechtliche Qualifizierung der angefochtenen Erledigung anlangt, so pflichtet der Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführern bei, daß mit dieser in normativer Weise über den von ihnen gestellten Antrag vom 19. Dezember 1990 auf Ausstellung von befristeten Sichtvermerken abgesprochen worden ist, die besagte Erledigung der belangten Behörde somit als Bescheid i.S. des Art. 131 Abs. 1 Z. 1 B-VG zu werten ist (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067, und die dort zitierte Rechtsprechung). Die vorliegende Beschwerde ist demnach zulässig.
Gemäß § 23 Abs. 1 Paßgesetz, BGBl. Nr. 422/1969, (PaßG 1969), bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes; dies gilt nicht, wenn durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird oder wenn der Fremde während einer Zwischenlandung auf einem österreichischen Flugplatz dessen Transitraum nicht verläßt (Transitreisender).
Im Beschwerdefall bedurften die Beschwerdeführer eines Sichtvermerkes (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067).
Nach § 25 Abs. 1 PaßG 1969 kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt. Zufolge Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Volksgesundheit Bedacht zu nehmen. Im § 25 Abs. 3 leg. cit. sind jene Fälle angeführt, in denen die Erteilung des Sichtvermerkes zu versagen ist.
Die Beschwerdeführer machen geltend, die belangte Behörde habe die Anträge der Beschwerdeführer ausschließlich auf die "Einsicht in die von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zur Verfügung gestellten Ergebnisse" gestützt, wobei diese Ergebnisse den Beschwerdeführern nie zur Kenntnis gebracht worden seien. Wäre Parteiengehör gewährt worden, so hätten die Beschwerdeführer zu den angeblichen Erhebungsergebnissen der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn Stellung nehmen und diese allenfalls entkräften können. Damit habe die belangte Behörde einen gravierenden Verfahrensmangel begangen. Dazu komme weiters, daß die Entscheidung der belangen Behörde "äußerst mangelhaft" begründet sei, weil sich aus dieser nicht entnehmen lasse, aus welchen konkreten Gründen die Ablehnung erfolgt sei.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland in Sichtvermerksangelegenheiten zwar nicht das AVG, wohl aber die in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens anzuwenden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0068). Zu diesen Verfahrensgrundsätzen gehören unter anderem die Gewährung des Parteiengehörs und die Verpflichtung der Behörde, ihren Bescheid zu begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 1991, Zl. 91/19/0096), wobei diese Begründungspflicht so weit reicht, daß die Partei nicht an der zweckmäßigen Verfolgung ihrer Rechte vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes und diese nicht an der Überprüfung der von der beschwerdeführenden Partei geltend gemachten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides gehindert sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 1975, Zl. 1932/74).
Schon die Verletzung dieses von der Rechtsprechung als erforderlich erachteten Ausmaßes der Begründungspflicht durch die belangte Behörde führt zum Erfolg der Beschwerde, kann doch dem erwähnten, im Sinne des oben Gesagten als Bescheid zu wertenden Schreiben vom 14. März 1991 nicht entnommen werden, welchen Inhalt die den Beschwerdeführers nach der Aktenlage nicht bekannten, "von der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zur Verfügung gestellten Erhebungsergebnisse der zuständigen Behörden" haben, die die Verweigerung der Sichtvermerke stützen sollen. Die in der Gegenschrift nunmehr vorgenommene Begründung kann die fehlenden Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht ersetzen (vgl. hiezu die bei Dolp,
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 607, zitierte hg. Judikatur).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Für das fortgesetzte Verfahren erachtet es der Gerichtshof für zweckmäßig, auf folgendes hinzuweisen: Es ist nicht erkennbar, welche Bestimmungen des PaßG 1969 die Verweigerung eines Sichtvermerkes deshalb stützen könnten, weil derzeit nicht die GESAMTE Familie eine Einreise nach Österreich anstrebt. Insbesondere kann hier der Gedanke der "Familieneinheit", der im Rahmen einer Ermessensentscheidung gemäß § 25 Abs. 1 und 2 PaßG 1969 zu berücksichtigen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juli 1991, Zl. 91/19/0092), nicht zum Tragen kommen, kann doch dieser Aspekt nur FÜR eine angestrebte Erteilung eines Sichtvermerkes ins Treffen geführt werden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Ermessen besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190074.X00Im RIS seit
06.08.2001