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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des Kemal S in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 5. März 1991, Zl. III 7-2/91, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 5. März 1991 wurde gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 sowie § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 in der Fassung BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) ein auf zwei Jahre befristetes Aufenthaltsverbot für das gesamte Bundesgebiet erlassen.
Begründend wies die belangte Behörde zunächst darauf hin, daß die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 FrPolG aufgrund der rechtskräftigen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Übertretung des Paßgesetzes, des Fremdenpolizeigesetzes und des Meldegesetzes (Strafverfügung der Bezirkshaupmannschaft Innsbruck vom 9. Juli 1990) erfüllt seien. Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 FrPolG führte die belangte Behörde aus, daß sich der Beschwerdeführer seit zwei Jahren im Bundesgebiet aufhalte und seine Integration aufgrund der Kürze dieses Aufenthaltes nicht allzu groß sein könne. Es möge zutreffen, daß sich Verwandte des Beschwerdeführers (Cousins und deren Familien) im Bundesgebiet aufhielten, mit denen er in intensiver Verbindung stehe; allerdings falle zu ungunsten des Beschwerdeführers ins Gewicht, daß sich seine Familie (Gattin und Kinder) in der Türkei aufhalte. Es könne nicht geleugnet werden, daß das Aufenthaltsverbot dennoch einen Eingriff in das Leben des Beschwerdeführers und - bedingt durch die wirtschaftlichen Auswirkungen seiner Rückkehr in die Türkei - höchstwahrscheinlich auch in jenes seines Familie darstelle, wobei aber eine Vernichtung der Existenz des Beschwerdeführers und seiner Familie mit Sicherheit nicht eintreten werde, da das Aufenthaltsverbot relativ kurz befristet sei und der Beschwerdeführer in Österreich keine qualifizierte Tätigkeit ausgeübt habe, sondern eine solche (Hilfskraft im Gastgewerbe), die jedenfalls auch in der Türkei ausgeübt werden könne. Insgesamt sei das Aufenthaltsverbot zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen des Beschwerdeführers unbedingt geboten, weil die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von dieser Maßnahme als unverhältnismäßig schwerer einzustufen seien als die nachteiligen Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner in der Türkei lebenden Familie.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung der Verfahrensvorschriften behauptende Beschwerde mit dem Begehren, aus diesen Gründen den angefochtenen Bescheid aufzuheben.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die im Beschwerdefall relevanten Abs. 1, Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 des § 3 FrPolG lauten:
"(1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder andere im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
(2) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder
2. im Inland mehr als einmal wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen oder mehrmals wegen Übertretungen des Fremdenpolizeigesetzes, des Paßgesetzes, des Grenzkontrollgesetzes oder des Meldegesetzes rechtskräftig bestraft worden ist.
(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
3.
die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen."
2. Die belangte Behörde hat die nach der Aktenlage rechtskräftige Bestrafung des Beschwerdeführers wegen erstens Übertretung des § 23 Abs. 1 in Verbindung mit § 40 Abs. 2 und 3 des Paßgesetzes 1969, zweitens Übertretung des § 2 Abs. 2 in Verbindung mit § 14b Abs. 1 Z. 4 FrPolG und drittens Übertretung des § 6 Abs. 1 und § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 16 des Meldegesetzes (Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 9. Juli 1990) im Wege des § 3 Abs. 2 Z. 2 FrPolG als "bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1" gewertet. Dagegen bestehen - unter Zugrundelegung der Auslegung, welche die Norm des § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall FrPolG in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfahren hat (vgl. die Erkenntnisse vom 12. März 1990, Zl. 90/19/0161, und vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0307) - keine rechtlichen Bedenken. Damit ist davon auszugehen, daß die Annahme gerechtfertigt ist, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (§ 3 Abs. 1 FrPolG).
3. Zu prüfen bleibt somit noch, ob die belangte Behörde eine den Anforderungen des § 3 Abs. 3 FrPolG gerecht werdende Interessenabwägung vorgenommen hat.
3.1. Entgegen der in der Beschwerde geäußerten Ansicht kann keine Rede davon sein, daß im bekämpften Bescheid eine Interessenabwägung "oder überhaupt nur Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse" nicht vorgenommen worden sei. Die belangte Behörde hat vielmehr sämtliche vom Beschwerdeführer in seiner Berufung geltend gemachten (und nunmehr in der Beschwerde wiederholten) privaten (familiären), gegen ein Aufenthaltsverbot sprechenden Interessen in ihre Abwägung einbezogen. Wenn sie ungeachtet der von ihr durchaus eingeräumten Beeinträchtigung der Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie zu einem für den Beschwerdeführer negativen Abwägungsergebnis gelangt ist, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Ansicht der belangten Behörde, die Kürze des bisherigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich (zwei Jahre) in Verbindung mit der Tatsache, daß die Gattin und die Kinder des Beschwerdeführers noch in der Türkei aufhältig seien, berechtige zu dem Schluß auf eine nicht allzu große Integration des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, ist durchaus nachvollziehbar. An der prinzipiellen Schlüssigkeit dieser Annahme ändert auch nichts, daß der Beschwerdeführer nach seiner Darstellung in den Kreis Verwandter (Cousin und Cousine und deren jeweilige Familien) und Bekannter, die bereits seit Jahren in Österreich aufhältig seien, integriert ist. In diesem Zusammenhang von einer "aktenwidrigen Sachverhaltsdarstellung", wie dies die Beschwerde tut, zu sprechen, ist rechtlich verfehlt, handelt es sich doch bei der dargestellten Schlußfolgerung nicht um eine Tatsachenfeststellung, sondern um eine auf unbestritten gebliebenen Tatsachen gründende Wertung eines im Rahmen der Interessenabwägung nach dem Gesetz zu berücksichtigenden Gesichtspunktes (vgl. § 3 Abs. 3 Z. 1 FrPolG). Daß mit der Verhängung des Aufenthaltsverbotes bzw. der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei für ihn und auch seine Familie nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen verbunden seien, wurde von der belangten Behörde anerkannt, gleichzeitig aber betont, daß im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer in Österreich ausgeübte (Hilfs-)Tätigkeit, die überall anders, so auch in der Türkei, ausgeübt werden könne, eine "Vernichtung der Existenz" nicht eintreten werde. Die in dieser behördlichen Aussage vor allem zum Ausdruck gebrachte Beurteilung dahin, daß der Verlust des Arbeitsplatzes in Österreich den Beschwerdeführer nicht außerstande setze, durch eine andere berufliche Tätigkeit (in der Türkei) auch künftig seinen und seiner Familie Lebensunterhalt zu sichern, ist in der Beschwerde nicht auf Widerspruch gestoßen.
Nicht zu Unrecht hat die belangte Behörde auf der anderen Seite dem öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer beträchtliches Gewicht beigemessen. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerde, wonach die mit der Strafverfügung vom 9. Juli 1990 inkriminierten Verstöße des Beschwerdeführers "Gesetzesverletzungen von natürlich geringerem Unrechtsgehalt" seien, mißt die Rechtsordnung der Beachtung der zwischenstaatlichen Regelungen über die Einhaltung paßrechtlicher Vorschriften ein solches Gewicht bei, daß selbst bei Einmaligkeit von Verfehlungen gegen diese Normen ein schwerwiegender Verstoß gegen erhebliche öffentliche Interessen des österreichischen Staates vorliegt (so die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes; vgl. jüngst das Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0068). Dazu kommt im vorliegenden Fall, daß der Beschwerdeführer - wie seine in den Akten erliegende Eingabe an das Bundesministerium für Inneres vom 3. Dezember 1990 zeigt - die ihm angelasteten Gesetzesverstöße bedacht und wohl erwogen hat.
3.2. Da nach dem Gesagten die belangte Behörde dem für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer sprechenden Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung rechtlich einwandfrei erheblich größeres Gewicht als dem privaten Interesse des Beschwerdeführers, in Österreich zu bleiben, beigemessen hat, haftet ihrer Interessenabwägung die in der Beschwerde behauptete Rechtswidrigkeit nicht an.
4. Schließlich erweist sich auch die Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte "zur Abklärung des soziokulturellen Hintergrundes" ein völkerkundliches Gutachten über "Wertvorstellungen, Ideale und Sittenvorstellungen" der, wie der Beschwerdeführer, in der Türkei im ländlichen Raum wohnenden "Angehörigen der kurdischen und moslemischen Minderheit" einholen müssen, als unberechtigt. Denn ein derartiges Gutachten hätte die belangte Behörde weder hinsichtlich des Vorliegens einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 1 FrPolG noch in Ansehung der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit., in deren Rahmen eine Bedachtnahme auf den "soziokulturellen Hintergrund" des betreffenden Fremden nicht vorgesehen ist, somit insgesamt nicht zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis gelangen lassen.
5. Die Beschwerde war demnach gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Besonderes Fachgebiet freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190103.X00Im RIS seit
06.08.2001