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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §13a;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde 1. des Mihaly G,
2. des Istvan F, 3. des Kalman S, 4. des Vilmos P, 5. des Laszlo X, 6. des György K und 7. des Gusztav N, alle in B, alle vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 4. Oktober 1990, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Sachen Aufforderung zum Verlassen des Bundesgebietes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.780,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind ungarische Staatsangehörige. Die Bezirkshauptmannschaft Mistelbach richtete an sie am 7. Februar 1990 unter der Zl. 11-F/90 Schreiben mit folgendem Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr ...Ü
Wie bei einer Überprüfung des Arbeitsamtes Mistelbach am 6.2.1990 festgestellt werden konnte, sind Sie mit Bauarbeiten der Firma J im Werk P beschäftigt.
Laut Mitteilung des Arbeitsamtes ist für diese Tätigkeit eine Bewilligung nach § 3 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes erforderlich, über welche weder Ihr Arbeit-/Auftraggeber noch Sie selbst verfügen.
Nach Artikel 1 Abs. 1 des Abkommens zwischen der österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Ungarischen Volksrepublik über die Aufhebung der Sichtvermerkspflicht, BGBl. Nr. 481/1978, dürfen Staatsbürger der Vertragsstaaten, die Inhaber eines gültigen gewöhnlichen Reisepasses sind, OHNE SICHTVERMERK in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates einreisen und sich dort bis zu 30 Tagen aufhalten.
Nach Absatz 3 der zitierten Gesetzesstelle gilt diese Berechtigung nicht für Staatsbürger, die sich in das Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates begeben wollen, um dort ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder dauernden Aufenthalt zu nehmen.
Da ohne Beschäftigungsbewilligung ein Antrag auf Sichtvermerkserteilung abgewiesen wird, liegt, da Sie dem zitierten Abkommen zuwiderhandeln, eine Übertretung des Paßgesetzes vor.
SIE WERDEN DAHER AUFGEFORDERT, um weitere fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu vermeiden, DAS BUNDESGEBIET INNERHALB EINER WOCHE,
AB ERHALT DIESES SCHREIBENS ZU VERLASSEN.
Eine weitere Arbeitsaufnahme bis zur Ausreise ist untersagt. Das beiliegende Formular über die Wahrnehmung der Ausreise ist bei der Ausreise den österreichischen Grenzorganen zu übergeben.
Für den Bezirkshauptmann (Dr. S)."
Die Beschwerdeführer erhoben dagegen jeweils Berufung, in der sie unter anderem ausführten, im Hinblick darauf, daß die Schreiben vom 7. Februar 1990 den Befehl, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche ab Zustellung des Schreibens zu verlassen, enthielten, komme ihnen Bescheidqualität zu, auch wenn sie nicht ausdrücklich als Bescheide bezeichnet seien.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich wies mit den Bescheiden vom 14. März 1990 die Berufungen zurück und führte begründend aus, die Aufforderung zum Verlassen des Bundesgebietes und die Untersagung der weiteren Arbeitsaufnahme seien mit keiner konkreten Sanktionsdrohung für den Fall der Nichteinhaltung verbunden. Ferner fehlten wesentliche Bescheidelemente sowie der Bescheidwille, sodaß die Schreiben vom 7. Februar 1990 nicht als Bescheide anzusehen seien. Die Berufungen seien daher zurückzuweisen gewesen.
Den dagegen erhobenen Berufungen der Beschwerdeführer gab der Bundesminister für Inneres mit den Bescheiden vom 4. Oktober 1990 nicht Folge und bestätigte die zurückweisenden Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich.
Gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 4. Oktober 1990 richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Maßgebend für die Entscheidung des vorliegenden Beschwerdefalles ist allein die Frage, ob den eingangs wörtlich wiedergegebenen Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach Bescheidqualität zukommt oder nicht. Gemäß § 58 Abs. 1 AVG ist jeder Bescheid ausdrücklich als solcher zu bezeichnen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid jedoch nicht um eine unverzichtbare Voraussetzung für das Vorliegen eines Bescheides. Das Fehlen dieser Bezeichnung ist für den Bescheidcharakter einer Erledigung dann unerheblich, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, daß die Behörde normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muß sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung ergeben. Ist dies der Fall, d.h. ist aus dem Spruch erkennbar, daß ein rechtsverbindlicher Abspruch vorliegt, dann ist ungeachtet des Fehlens der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid ein solcher als gegeben anzunehmen. Bleiben jedoch nach der inhaltlichen Prüfung des Bescheidspruches Zweifel bestehen, ob ein normativer Abspruch vorliegt, dann ist die ausdrückliche Bezeichnung für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell (siehe den Beschluß eines verstärkten Senates vom 15. Dezember 1977, Slg. Nr 9458/A).
Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, erweist sich die Beschwerde als berechtigt. Die in den Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Mistelbach vom 7. Februar 1991 enthaltene Aufforderung, das Bundesgebiet innerhalb einer Woche zu verlassen, ist ein konkreter Leistungsbefehl, dem normative Wirkung zukommt. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde handelt es sich dabei nicht um eine bloße Belehrung über die bestehende Rechtslage. Die Aufforderung zu bestimmtem Handeln unterscheidet sich wesentlich von einer Rechtsbelehrung, die sich in der wörtlichen oder sinngemäßen Wiedergabe von Rechtsvorschriften und deren Auslegung erschöpft.
Entgegen der Begründung des angefochtenen Bescheides stellt auch der der Aufforderung zum Verlassen des Bundesgebietes beigefügte Nebensatz "um weitere fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu vermeiden" nicht klar, daß der Aufforderung selbst keine normative Wirkung zukommen soll. Wäre dies von der erstinstanzlichen Behörde beabsichtigt gewesen, hätte sie sich anderer Formulierungen bedient. Der zitierte Nebensatz läßt für den Empfänger lediglich erkennen, daß die Behörde - ob zu Recht oder zu Unrecht, kann hier dahingestellt bleiben - keine WEITEREN fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu ergreifen beabsichtigt, falls er der Aufforderung zum Verlassen des Bundesgebietes nachkommt. Keinesfalls aber kann er daraus entnehmen, daß das Leistungsgebot nicht verbindlich sein und nicht vollstreckt werden soll, falls er ihm nicht innerhalb der gesetzten Leistungsfrist nachkommt.
Da die belangte Behörde die Rechtslage verkannt hat, hat sie die Zurückweisung der Berufungen durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich bestätigt. Sie hat damit ihre Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes belastet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Belehrungen Mitteilungen Bescheidcharakter Bescheidbegriff Einhaltung der Formvorschriften Inhalt des Spruches Diverses Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990190559.X00Im RIS seit
25.01.2001