TE Vfgh Erkenntnis 1988/12/12 B351/87

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Veröffentlicht am 12.12.1988
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb
B-VG Art144 Abs3
StGG Art8 / Allg
StGG Art12 / Versammlungsrecht
MRK Art3
MRK Art11
MRK Art11 Abs2
VersammlungsG §13 Abs2
VersammlungsG §14 Abs1
VStG 1950 §35 litc
VStG 1950 §36 Abs1
VersammlungsG §14, §19

Leitsatz

Art144 Abs1 B-VG zweiter Satz; Festnehmung, anschließende Verwahrung, zwangsweise Entfernung aus einem bestimmten Straßenbereich außerhalb des Versammlungsgebietes - Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit; §§19, 14 Abs1 VersammlungsG iVm. §35 litc VStG; rechtmäßige Auflösung einer Versammlung; gegen den Widerstand des Bf.durchgesetzte Entfernung aus dem Versammlungsgebiet zwangsläufige Begleiterscheinung der Amtshandlung - keine "Verhaftung"; rechtmäßige Festnahme infolge vertretbarer Annahme einer Verwaltungsübertretung nach §19 iVm. §14 Abs1 VersammlungsG; Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch unzulässig lange Anhaltung nach Beendigung der Versammlungsauflösung - keine Wiederholungsgefahr Art12 StGG; Art11 MRK; VersammlungsG; kein Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit durch die nach rechtmäßiger Auflösung der Versammlung verfügte Festnahme und Anhaltung

Spruch

I. Der Bf. ist dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Wien am 26. Feber 1987 a) gegen 21 Uhr 20 in Wien 1., Opernring, unter Anwendung von Körperkraft am Überqueren der Ringstraße (in Richtung Operngebäude) gehindert und bis zur Opernpassage (zurück-)geleitet sowie b) um 22 Uhr 15 festgenommen und bis 02 Uhr 30 des nächsten Tages in Haft gehalten wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

II. Hingegen ist der Bf. durch seine der Bundespolizeidirektion Wien zuzurechnende (weitere) Anhaltung in Haft, und zwar am 27. Feber 1987 in der Zeit von 02 Uhr 30 bis 05 Uhr 00, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

III. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

IV. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird abgewiesen.

V. Die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. A St begehrte in seiner mit Berufung auf Art144 (Abs1) B-VG an den VfGH gerichteten Beschwerde der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, nachts zum 27. Feber 1987 in Wien dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Wien ihn im Bereich der Staatsoper a) gegen 21 Uhr 20 festnahmen, b) nach Freilassung abermals festnahmen (und mehrere Stunden lang in Haft hielten), ferner c) mit Gummiknüppeln schlugen sowie an den Hoden ergriffen und drückten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, nämlich (zu a) und b)) auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art5 EMRK) und auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG iVm Art11 EMRK), ferner (zu c)) auf Unterlassung erniedrigender Behandlung (Art3 EMRK), verletzt worden zu sein. Hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt.

1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Wien als bel. Beh. legte die Administrativakten vor und erstattete eine Gegenschrift; darin trat sie dafür ein, die Beschwerde teils als unzulässig zurückzuweisen (Beschwerdepunkt c)), teils als unbegründet abzuweisen (Beschwerdepunkte a) und b)) und den Bf. zum Ersatz der Verfahrenskosten zu verpflichten.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Der VfGH stellte - gestützt auf die Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens, so auf Grund der Aussagen der Polizeibeamten Mag. G Z, Dr. W N, Obstlt. G N, Hptm. D W, Oblt. C K, BzI P B, RvI F A und der weiteren Zeugen H H, E Sch, H W, H M, F H, E W, H B, H St, M K und der Angaben des Bf. als Partei, sowie des Inhalts der Verwaltungsakten - zunächst folgenden entscheidungswichtigen Sachverhalt als erwiesen fest:

Am 26. Feber 1987 abends fand vor der Wiener Staatsoper aus Anlaß des Opernballs eine von der politischen Partei "Die Grüne Alternative (Grüne) - Liste Freda Meissner-Blau" ordnungsgemäß angezeigte Kundgebung zahlreicher Personen (mit Versammlungsort:

"Wien 1., Nebenfahrbahn und Gehsteig des Ringes vor dem Opernringhof (nicht im Haltestellenbereich der Straßenbahnschutzinsel)") statt, als deren Organisator (auch) der Bf. auftrat. Als Vertreter der Bundespolizeidirektion Wien schritt Oberrat Mag. G Z, als polizeilicher Einsatzleiter Oberstleutnant G N ein. Schon in den Nachmittagsstunden hatte die Behörde am Opernring entlang der vorstadtseitig gelegenen Schutzinsel auf der Höhe des Opernringhofes Tretgitter aufstellen lassen; diese Stahlrohrabsperrungen erhalten ihre Standfestigkeit, indem ihre Tretflächen so weit in den Stauraum zurückreichen, daß sie etwa zwei Reihen Menschen aufnehmen können. Der Veranstaltungsort, namentlich die Nebenfahrbahn, war solcherart von der Straßenbahnhaltestelle auf der Schutzinsel akzentuiert getrennt. Als sich gegen 20 Uhr 25 immer mehr Demonstranten und Passanten im Bereich der Haltestelleninsel vor den Tretgittern (also außerhalb des Veranstaltungsortes) einfanden und der aus Sicherheitsgründen entlang der Schutzinsel (Gehsteigkante) postierte Polizeikordon zunehmend auf das Straßenbahngleis abgedrängt wurde, entschloß sich die Einsatzleitung zur Räumung dieses Straßenstückes. Oberstleutnant N beorderte eine aus Wachleuten bestehende Räumkette quer zur Haltestelleninsel und ließ die Beamten langsam vorrücken, doch führte dieser Einsatz infolge der beharrenden Haltung der Manifestanten nicht zum gewünschten Erfolg. Schließlich ließ Oberstleutnant N den Opernring kurzfristig für den gesamten Verkehr sperren und Sicherheitswachebeamte in Kettenformation von der Kreuzung Opernring-Kärntner Straße aus in Richtung Operngasse vorgehen, sodaß die Schutzinsel geräumt werden konnte. Inzwischen war die Zufahrt zum Opernball voll angelaufen. Die Verkehrsinsel vor der Staatsoper war ebenso von Sicherheitswachebeamten besetzt wie der Zugang von der Opern- und Albertinapassage. Der Aufenthalt im gesperrten Bereich war nur für Ballgäste gestattet: Als daher der Bf. gegen 21 Uhr 20, aus dem vorstadtseitig gelegenen Aufgang der Opernpassage kommend, die Ringfahrbahn überquerte, um (nicht zum Versammlungsort (d.i. die Nebenfahrbahn samt Gehsteig des Rings vor dem Opernringhof, ausgenommen der Haltestellenbereich der Straßenbahnschutzinsel), sondern) in die Sperrzone zu gelangen, wurde er auf Anordnung von Oberstleutnant N von Sicherheitswachebeamten zurückgebracht und bis zur Opernpassage geleitet (: Beschwerdefaktum Punkt 1.1. lita)).

In der Folge kam es zu zahlreichen Ausschreitungen der Versammlungsteilnehmer. So wurden Pyrotechnika (Raketen) abgeschossen, die unmittelbar vor den Arkaden der Staatsoper, teilweise aber auch in ihnen, explodierten. Um 21 Uhr 30 entzündeten die Demonstranten eine Flagge. Sicherheitswachebeamte wurden bespuckt, mit Geldstücken und Knallkörpern beworfen, einige Glasflaschen wurden auf die Fahrbahn des Opernringes geschleudert und zerbrachen dort; außerdem wurden Tretgitter umgeworfen. Einige Demonstranten versuchten, die Fahrbahn des Ringes in Richtung Oper zu überqueren. Dem Polizeispalier, inzwischen durch Kräfte der Alarmabteilung verstärkt, gelang es jedoch, ein Vordringen der Demonstranten zur Staatsoper zu verhindern. Daraufhin wurde das Operngebäude in vermehrtem Maß mit Feuerwerkskörpern beschossen. Ferner wurden Flaschen geworfen, die unmittelbar neben dem Spalier aus Sicherheitswachebeamten zersplitterten. Auf Ballbesucher, die dem Eingang des Opernhauses zuströmten, wurden Leuchtraketen abgefeuert. Als die Demonstranten auch Tränengas einsetzten, löste Mag. Z als Behördenvertreter (gegen 22 Uhr 00) die Versammlung auf. Oberstleutnant N gab diese Maßnahme mehrmals laut und deutlich vernehmbar über Megaphon bekannt. Dabei wurde erklärt, daß die Manifestanten - darunter der wiedererschienene Bf.

- die Straße sofort zu räumen hätten.

Der Bf. wurde von Oberstleutnant N persönlich einige Male zum Verlassen des Kundgebungsortes aufgefordert, leistete dieser Anordnung aber trotz Abmahnung nicht Folge. Er wurde daraufhin gegen 22 Uhr 15 auf Initiative dieses Polizeioffiziers von Sicherheitswachebeamten unter Anwendung von Körperkraft wegen des Verdachts der Verwaltungsübertretung nach §19 (iVm §14 Abs 1) VersammlungsG gemäß §35 litc VStG 1950 festgenommen, in das Polizeigefangenenhaus überstellt und um 05 Uhr 00 früh des nächsten Tages wieder entlassen (Beschwerdefaktum Punkt 1.1. lit. b)).

2.2. Zur Ausübung von Polizeizwang (: Beschwerdefakten Punkt 1.1. lita) und b))

2.2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) anfechtbar waren, wie dies für die hier zu Punkt 1.1. litb) bekämpfte Festnehmung und anschließende Verwahrung (zB VfSlg. 7252/1974, 7829/1976, 8145/1977), aber auch für die zu Punkt 1.1. lita) gerügte zwangsweise Verbringung an einen anderen Ort zutrifft (VfSlg. 9983/1984).

2.2.1.2. Demgemäß ist festzuhalten, daß sich die Beschwerde - soweit sie diese Maßnahmen anficht - gegen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iS des Art144 Abs1 B-VG wendet.

2.2.1.3. Da hier ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde im dargelegten Umfang zulässig.

2.2.2.1. Nach der Bestimmung des Art8 StGG, auf die sich der Bf. in erster Linie beruft, ist die Freiheit der Person gewährleistet. Diese Verfassungsnorm und das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, schützen jedoch - ebenso wie Art5 EMRK - nicht vor jeglicher Beschränkung der Bewegungsfreiheit schlechthin, sondern nur vor willkürlicher Verhaftung, rechtswidriger Inverwahrnahme sowie rechtswidriger Internierung und Konfinierung (VfSlg. 8815/1980, 9983/1984, 10378/1985; vgl. auch VfSlg. 11397/1987). Eine - nach der konkreten Fallkonstellation allein in Betracht zu ziehende "Verhaftung" liegt aber nur dann vor, wenn Amtsorgane im Zuge einer Amtshandlung unter Anwendung physischen Zwanges persönliche Ortsveränderungen entweder überhaupt unterbinden oder auf bestimmte, nach allen Seiten hin begrenzte Örtlichkeiten oder Gebiete, die nicht verlassen werden dürfen, einschränken (VfSlg. 3447/1958, 7149/1973, 9983/1984, 10378/1985).

2.2.2.2. Davon kann hier - soweit es um das Beschwerdefaktum Punkt 1.1. lita) geht - nicht gesprochen werden, weil die in Beschwerde gezogene Maßregel der Sicherheitswachebeamten - nach den einleitend (im Abschnitt 2.1.) getroffenen Sachverhaltsfeststellungen - nur darauf abzielte, den Bf. aus einem bestimmten Straßenbereich außerhalb des Versammlungsgebiets zu entfernen. Dementsprechend wurde der Bf. zwar am Verbleiben an Ort und Stelle (zwangsweise) gehindert, aber darüberhinaus in seiner Bewegungsfreiheit keineswegs eingeschränkt. Die Bewegungsbehinderung, die für die kurze Zeit der (allein beabsichtigten) Fortbeförderung - angesichts des Widerstrebens des Bf. - zwangsläufig eintrat, erweist sich bei all dem bloß als notwendige und unvermeidbare (sekundäre) Begleiterscheinung der Amtshandlung, die (primär) lediglich auf ein Fernhalten von der Ringfahrbahn gerichtet war und darum schon von ihrer Zielsetzung her nicht einer "Verhaftung" gleichgesetzt werden kann (vgl. dazu VfSlg. 8815/1980, 9983/1984, 10378/1985; s. auch VfSlg. 11397/1987).

2.2.2.3. Zusammenfassend ergibt sich, daß der Bf. durch dieses (den Gegenstand des Beschwerdefaktums Punkt 1.1. lita) bildende) Verwaltungshandeln entgegen seiner in der Beschwerdeschrift verfochtenen Rechtsauffassung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art5 EMRK) nicht verletzt wurde.

2.2.3.1. Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 EMRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (zB VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine Verwaltungsstraftat begehen und bei Verübung dieser strafbaren Handlung betreten werden. Dabei ist die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann erfüllt, wenn das Organ die Begehung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974).

Gemäß §35 litc VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann erlaubt, wenn der ("auf frischer Tat") Betretene trotz Abmahnung in der Fortsetzung der strafbaren Handlung verharrt oder sie zu wiederholen sucht.

2.2.3.2. Demgemäß war zunächst zu prüfen, ob das hier einschreitende Sicherheitsorgan mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen durfte, daß der Bf. sich die Übertretung nach §19 iVm §14 Abs1 VersammlungsG, BGBl. 98/1953, zu Schulden kommen ließ (s. Punkt 2.1.).

Nach §13 Abs2 VersammlungsG "ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten Versammlung vom Abgeordneten der Behörde . . . zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmmt". Es kann nun nicht zweifelhaft sein, daß es hier im Zuge der Veranstaltung zu einer Reihe von gesetzwidrigen ("die Rechte anderer" (iS des Art11 Abs2 EMRK - s. auch VfSlg. 10443/1985) beeinträchtigenden) Zwischenfällen kam, welche die behördliche Auflösungsverfügung rechtfertigten: Die wiederholte Verwendung von Raketen und Wurfgeschoßsurrogaten gefährdete nämlich den Umständen nach die körperliche Sicherheit von Ballbesuchern, Passanten und Sicherheitswachebeamten. Die (im Zeitpunkt der Festnehmung drohende) Fortsetzung dieser gesetzwidrigen Handlungen konnte keinesfalls einzig und allein zum Nachteil des gefährdeten Personenkreises hingenommen und geduldet werden. Angesichts der rechtmäßigen Versammlungsauflösung, die, lautstark verkündet, naturgemäß (auch) dem Bf. zur Kenntnis gelangte, waren alle Anwesenden nach §14 Abs1 VersammlungsG verhalten und verpflichtet, "den Versammlungsort sogleich zu verlassen und auseinanderzugehen": Im Fall des Ungehorsams kann eine derartige (Versammlungs-)Auflösung durch Anwendung von Zwangsmitteln in Vollzug gesetzt werden (§14 Abs2 VersammlungsG). Übertretungen des VersammlungsG - so auch des §14 Abs1 - sind von der Verwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu ahnden (§19 VersammlungsG).

2.2.3.3. Angesichts der obwaltenden Sach- und Rechtslage durfte der die Festnahme aussprechende Sicherheitswachebeamte mit gutem Grund annehmen, daß der Bf. eine Verwaltungsübertretung nach §19 (iVm §14 Abs1) VersammlungsG begangen habe. War aber die Beurteilung des Verhaltens des Bf. als Verwaltungsübertretung vertretbar und lag - wie hier - infolge Betretung auf frischer Tat und Beharrens in der Tatfortsetzung trotz Abmahnung der Festnehmungsgrund des §35 litc VStG 1950 vor, entsprach die bekämpfte Festnehmung dem Gesetz.

2.2.3.4. Demgemäß wurde der Bf. auch durch seine polizeiliche Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

2.2.4.1. Der Bf. rügt aber auch, daß er - selbst wenn sich seine Festnahme als rechtmäßig erweisen sollte - unzulässig lange in (Polizei-)Haft angehalten worden sei. Dem ist aus folgenden Überlegungen zuzustimmen:

Die bel. Beh. brachte in ihrer Gegenschrift (S 22, 23) vor, es sei erst in den frühen Morgenstunden des 27. Feber 1987 deutlich geworden, daß der Bf. im Fall der Freilassung sein strafbares Verhalten - im Zusammenhang mit der Opernballdemonstration - nicht fortsetzen werde. Wie der VfGH schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 9368/1982 aussprach, ist ein Festgenommener dem Sinn des §36 Abs1 VStG 1950 entsprechend (nur) dann vorzeitig, d.h. noch vor seiner Übergabe an die zuständige Behörde (zur Einvernahme) zu enthaften, wenn auf Grund besonderer Umstände augenfällig wird, daß er, freigelassen, das strafbare Tun nicht wieder aufnehmen werde (s. auch VfSlg. 11371/1987). Da hier die Versammlung am 26. Feber 1987 gegen 22 Uhr 00 aufgelöst wurde und die Polizeimaßnahmen im Opernumfeld laut Funkprotokoll gegen 02 Uhr 00 früh des folgenden Tages (vollkommen und endgültig) abgeschlossen waren, hätte der Bf. auch auf dem Boden der Argumentation der bel. Beh. - die ja selbst einräumt, daß die Haftanhaltung nur solange gerechtfertigt war, als die Gefahr einer Tatfortsetzung bestand - der gegebenen Situation nach nicht später als eine halbe Stunde nach Abzug der Polizei, d.i. um 02 Uhr 30, freigelassen werden dürfen. Die bel. Beh. brachte nichts vor, das darauf schließen ließe, es hätte nach Beendigung des gesamten Polizeieinsatzes vor dem Operngebäude noch konkrete Gefahr bestanden, daß der Bf. sich mit anderen (wieder) zu ungesetzlichen Manifestationen versammeln würde. Keinesfalls war es gesetzlich zulässig, den Bf. mit der (einzigen) Begründung, es drohe Wiederholungsgefahr, bis 05 Uhr 00 in Haft zu belassen, ohne ihn - er wurde von Sicherheitswachebeamten in das Polizeigefangenenhaus eingeliefert - der zuständigen Behörde vorzuführen, wie es §36 Abs1 VStG 1950 zwingend vorschreibt.

2.2.4.2. Es ist somit festzuhalten, daß der Bf. im Grundrecht auf persönliche Freiheit zwar nicht durch seine (Festnahme (s. Punkt 2.2.3.4.) und) Verwahrung bis 27. Feber 1987, 02 Uhr 30, wohl aber durch die (weitere) Anhaltung bis 05 Uhr 00 desselben Tages verletzt wurde (s. Punkt I. und II. des Spruches).

2.2.5.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH ist jede Verletzung des VersammlungsG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Grundrechts zu werten (zB VfSlg. 7762/1976, 9103/1981, 9783/1983).

2.2.5.2. Ausgehend von den einleitenden Sachverhaltsfeststellungen ließ sich eine derartige Verletzung in Beziehung auf den Bf. (im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren) aber nicht feststellen: Denn weder das (den Gegenstand des Beschwerdefaktums Punkt 1.1. lita) bildende) außerhalb des (genehmigten) Versammlungsortes gelegene und den Bf. an der V

ersammlungsteilnahme selbst nicht hindernde Vorgehen der Polizeiorgane noch die erst nach der rechtmäßigen Versammlungsauflösung verfügte Festnahme und Haftanhaltung vermochten - nach Lage des Falles - in sein verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit einzugreifen. A St wurde folglich auch nicht in seinen Rechten nach Art12 StGG und Art11 EMRK verletzt.

2.2.6. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde in den Punkten 1.1. lita) und b) (mit Ausnahme der Anhaltung in Haft am 27. Feber 1987 in der Zeit von 02 Uhr 30 bis 05 Uhr 00) - da die Verletzung anderer als der bereits behandelten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte weder behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsmaßnahmen zugrundeliegenden Rechtsvorschriften nicht entstanden - als unbegründet abzuweisen (Punkt I. des Spruchs).

2.3. Zu den (behaupteten) Mißhandlungen (: Beschwerdefaktum Punkt 1.1. litc))

2.3.1. Was das weitere Beschwerdevorbringen zum Grundrecht nach Art3 EMRK (ungerechtfertigte Schläge mit dem Gummiknüppel, Ergreifen und Drücken der Hoden im Verlauf der exekutiven Amtshandlungen) anlangt, so sieht sich der VfGH in sorgfältiger Prüfung und Wägung der Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens außerstande, den entsprechenden Schilderungen des Bf. uneingeschränkt zu folgen und die in der Beschwerdeschrift angeführten (vorsätzlichen) Mißhandlungen als erwiesen anzunehmen. Es stehen hier Aussagen gegen Aussagen: Auf der einen Seite vor allem die Parteiaussage des Bf. und die seine Darstellung - teilweise - stützenden Aussagen zweier Zeugen (H, St), auf der anderen Seite die Angaben der Polizeiorgane (Z, N, B), die jede Mißhandlung teils ausdrücklich, teils der Sache nach in Abrede stellen.

2.3.2. Da demgemäß ein Nachweis für die behaupteten Zwangsakte nicht erbracht wurde, fehlt es hier an einem geeigneten Beschwerdegegenstand. Die Beschwerde war darum in dieser Richtung schon allein aus den eben dargelegten Überlegungen als unzulässig zurückzuweisen (Punkt III. des Spruches).

2.4. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH war aus folgenden Erwägungen abzuweisen (s. Punkt IV. des Spruches):

2.4.1. Der VfGH hat die Rechtmäßigkeit einer Verhaftung und Haftanhaltung schlechthin zu untersuchen und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken (VfSlg. 8076/1977), sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger einfachgesetzlich garantierter - Rechte kein Raum bleibt. Dies gilt auch für das Versammlungswesen, das seine Regelung im gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz geltenden Art12 StGG findet (VfSlg. 2244/1951, 9783/1983), weil jede in die Versammlungsfreiheit eingreifende rechtswidrige Maßnahme unmittelbar die Verfassung trifft und verletzt.

2.4.2. Ferner ist die begehrte Abtretung nur für den zu Punkt 2.3. nicht gegebenen - Fall einer abweisenden Sachentscheidung oder einer Ablehnung der Behandlung einer Beschwerde vorgesehen, nicht auch bei Zurückweisung einer unzulässigen Beschwerde.

2.5. Die Kostenentscheidung (Punkt V. des Spruches) fußt auf §88 VerfGG 1953 iVm §43 Abs1 ZPO. Angesichts der Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens (teils Ab- und Zurückweisung, teils Stattgebung der Beschwerde) waren die Verfahrenskosten gegeneinander aufzuheben.

2.6. Diese Entscheidungen konnte der VfGH gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in einer der Norm des §7 Abs2 litc VerfGG 1953 genügenden Zusammensetzung treffen.

Schlagworte

Versammlungsrecht, VfGH / Abtretung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:B351.1987

Dokumentnummer

JFT_10118788_87B00351_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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