TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/24 90/11/0219

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Veröffentlicht am 24.09.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §75 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des A S in G, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Oktober 1990, Zl. 11-39 Ste 3-90, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 1. Februar 1990 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, D, E, F und G entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, daß ihm vor Wiedererlangung der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen keine Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe. Gemäß § 64 Abs. 2 AVG 1950 wurde die aufschiebende Wirkung einer Berufung ausgeschlossen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung des Beschwerdeführers wies der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 15. Oktober 1990 ab. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde ging gestützt auf das Gutachten des ärztlichen Amtssachverständigen vom 13. August 1990 davon aus, daß der Beschwerdeführer zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen B, F und G geistig und körperlich nicht geeignet sei. Daher sei die Entziehung der ihm für diese Gruppen von Kraftfahrzeugen erteilten Lenkerberechtigung auszusprechen. Im übrigen sei der erstinstanzliche Entziehungsbescheid hinsichtlich der Gruppen A, C, D und E unbekämpft geblieben, er sei daher insoweit in Rechtskraft erwachsen.

1. Soweit sich die Beschwerde gegen diese letztere Annahme wendet, ist sie im Recht. In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid bemängelte der (damals noch nicht rechtsfreundlich vertretene) Beschwerdeführer, daß das ärztliche Gutachten seine Nichteignung für sämtliche Gruppen angenommen habe, obwohl er in dem zugrundeliegenden verkehrspsychologischen Befund nur als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen A, C, D und E derzeit nicht geeignet beurteilt worden sei. Er lebe "im Bezug auf Alkohol völlig abstinent" und fühle sich "durchaus so gesund", daß er sich "das Autofahren ohne weiteres zutraue". Abschließend heißt es: "Aus diesen Gründen bin ich der Meinung, daß die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Weiz zu weit geht, und beantrage eine Aufhebung des Bescheides zumindest hinsichtlich des Entzuges der Lenkerberechtigung für die Gruppen B und F sowie G. Eine für mich noch günstigere Entscheidung würde ich natürlich erst recht begrüßen."

Diese Berufung enthält keine ausdrückliche Einschränkung dahin, daß der erstinstanzliche Bescheid nur zum Teil bekämpft werde. Die Hinweise auf die "völlige Abstinenz" und seine ausreichende Gesundheit lassen erkennen, daß der Beschwerdeführer die Annahme seiner gesundheitlichen Nichteignung zum Lenken der im Spruch genannten Gruppen von Kraftfahrzeugen ohne Einschränkung bekämpft. Auch das Aufhebungsbegehren "ZUMINDEST hinsichtlich ... der Gruppen B und F sowie G" zeigt sein Bestreben nach gänzlicher Beseitigung des erstinstanzlichen Bescheides. Verdeutlicht wird dies durch den oben wiedergegebenen letzten Satz seiner Berufung.

Der Beschwerdeführer bringt weiters zu Recht vor, die belangte Behörde habe über die Entziehung seiner Lenkerberechtigung hinsichtlich der Gruppen A, C, D und E nicht entschieden, sondern sich mit dem Hinweis begnügt, der Beschwerdeführer habe insoweit keine Berufung eingebracht, die erstinstanzliche Entscheidung sei daher in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen. Mangels näherer Präzisierung im Spruch des angefochtenen Bescheides ist zur Ermittlung seines Inhaltes auch die Begründung heranzuziehen. Sie zeigt, daß Gegenstand des angefochtenen Bescheides nur die Entziehung der Lenkerberechtigung hinsichtlich der Gruppen B, F und G ist. Mangels eines Abspruches über den erstinstanzlichen Bescheid hinsichtlich der Gruppen A, C, D und E kann der Beschwerdeführer insoweit durch den angefochtenen Bescheid in seinen Rechten nicht verletzt sein. Dies führt gleichwohl nicht zur teilweisen Zurückweisung der Beschwerde, weil sie sich insoweit mit dem Hinweis auf das Fehlen einer Entscheidung über die Berufung begnügt; der Beschwerdepunkt umfaßt nicht auch die genannten Gruppen.

2. Der Beschwerdeführer bemängelt, daß für die Erstbehörde offensichtlich eine "Vorverurteilung" aus dem Jahre 1984 wegen eines Alkoholdeliktes in Verbindung mit einem Verkehrsunfall eine entscheidende Rolle gespielt habe. Die damalige Bestrafung hätte aber, weil sie bereits mehr als fünf Jahre zurückgelegen und daher gemäß § 55 Abs. 1 VStG 1950 als getilgt anzusehen sei, nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Da sich der angefochtene Bescheid mit dieser Problematik nicht befaßt habe, sei er insoweit mangelhaft.

Dieses Vorbringen ist nicht berechtigt. Es kann dahinstehen, ob sich die Erstbehörde tatsächlich auch entscheidend auf das besagte Alkoholdelikt gestützt oder darauf nur bei der Darlegung der Vorgeschichte Bezug genommen hat. Zu beurteilen ist nämlich nur der vorliegend angefochtene Bescheid. Dieser jedenfalls beruht nicht auf strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers und deren Wertung im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967 - darauf wäre es bei der Beurteilung seiner Verkehrszuverlässigkeit, also seiner charakterlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Mai 1989, Zl. 89/11/0053), angekommen -, sondern auf der Annahme des Mangels der geistigen und körperlichen Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Dabei ging die belangte Behörde zu Recht vom Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen einschließlich des ihm zugrundeliegenden Befundes einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle aus.

3. Im Gutachten vom 13. August 1990 heißt es eingangs, aus der Vorgeschichte des Beschwerdeführers seien Alkoholmißbrauch und rezidivierende Depression bekannt. Als Ergebnis einer Untersuchung des Beschwerdeführers hielt der Sachverständige in "neurologisch-psychischer" Hinsicht folgendes fest: "Auffällige Unruhe, ausweichend, das Problem verniedlichend, realitätsfremd und uneinsichtig, Fingerzeigeversuche gelingen nur unsicher und tremorbetont, auffällig erscheinen Liderzittern, Conjunctivitis, subikterische Skleren. Weiters Handschweiß und feinschlägiger Fingerspitzentremor. Barany-Bewegungsablauf erscheint ausfahrend und schwankend". Die vorgelegten Leberbefunde seien für den 21. Mai 1990 normgerecht. Im vorgelegten nervenfachärztlichen Befund sei die Rede von rezidivierender Depression mit Affektstörung und kompensatorischem Alkoholüberkonsum. Warum aber die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen "nicht wesentlich beeinträchtigt" wäre, werde darin nicht geklärt. Doch werde einschränkend festgestellt, daß regelmäßige neuropsychiatrische Kontrollen angezeigt wären. Unter Bezugnahme auf die Untersuchung des Beschwerdeführers durch eine verkehrspsychologische Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit am 19. Dezember 1989 heißt es im amtsärztlichen Befund über die dabei erzielten Ergebnisse hinsichtlich der kraftfahrspezifischen Leistungsfunktionen des Beschwerdeführers: "Der Labyrinth-Test zeigt zwar normgerechte Sorgfaltsleistung, aber nur bei reduzierter Bearbeitungsmenge. Während die Ergebnisse für Überblicksgewinnung, Reaktionszeit und Reaktionssicherheit im Normbereich liegen, zeigt das Muster des Belastbarkeitstests in Phase 2 nur mehr 28 richtige Reaktionen bei 94 verzögerten, 10 falschen und 53 ausgelassenen Reaktionen. In Phase 1 und 3 zeigen sich vermehrt verzögerte Reaktionen, die Zahl der ausgelassenen sinkt nicht unter 14 ab. Nach dem Meili-Test findet sich normgerechte Sorgfaltsleistung nur bei reduziertem Arbeitstempo, so auch im Q1-Test. Beim Koordinationstest für Muskelbewegungen fällt verlangsamtes selbstgewähltes Fahrtempo auf."

Das abschließende "Gutachten" des Amtssachverständigen lautet:

"Zustand nach Alkoholmißbrauch und wenig erfolgreichen Abstinenzbemühungen. Neben einer Bluthochdruckkrankheit und Herzjagen sind derzeit Discopathie, Zervicalsyndrom und rezidivierende Depression aktuell, sodaß im Verein mit dem derzeitigen Untersuchungsbefund unter Berücksichtigung von Teilergebnissen der verkehrspsychologischen Untersuchung vom 19.12.1989 hinsichtlich visueller Auffassung, Belastbarkeit, Konzentrationsfähigkeit und Muskelkoordination eine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht zu erkennen ist. Demnach erscheint der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen B, F und G körperlich und geistig derzeit nicht geeignet."

Die belangte Behörde schloß sich diesem Gutachten voll an und bemerkte dazu, es sei einem amtsärztlichen Sachverständigen durchaus zuzumuten festzustellen, ob ein Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig und körperlich geeignet sei. Dieses Gutachten kann jedoch - wie auch der Beschwerdeführer bei seinen Verfahrensrügen im Ergebnis zutreffend erkennt - nicht als ausreichende Grundlage für die Beurteilung seiner geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen angesehen werden.

Gemäß § 30 Abs. 1 KDV 1967 gilt als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Gruppe geistig und körperlich geeignet, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. ausreichend frei von psychischen Krankheiten und geistigen Behinderungen ist,

2. die nötige

a)

Körpergröße,

b)

Körperkraft und

c)

Gesundheit besitzt und

              3.              ausreichend frei von Gebrechen ist.

Darüber hinaus müssen die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung gegeben sein.

Nähere Bestimmungen in Ansehung der einzelnen in Abs. 1 dieser Verordnungsstelle aufgezählten Komponenten der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen sind in den §§ 31 bis 35 KDV 1967 enthalten.

Die Aufzählung der für die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen maßgebenden Merkmale in § 30 Abs. 1 KDV 1967 erfordert in jedem Einzelfall eine Prüfung sämtlicher dieser Merkmale. Ist auch nur ein Merkmal nicht gegeben, bewirkt dies die Verneinung der geistigen oder körperlichen Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Hingegen kann die geistige und körperliche Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen auch in Ansehung mehrerer dieser Merkmale, deren Fehlen für sich allein aber nicht die Nichteignung bewirkt, nicht verneint werden. Wird die geistige und körperliche Eignung einer Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen verneint, genügt es demnach nicht - so wie hier - pauschal auszuführen, es sei "eine Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht zu erkennen". Vielmehr ist jenes Merkmal anzuführen, dessen Fehlen den Sachverständigen zur Verneinung der geistigen und körperlichen Eignung der betreffenden Person zum Lenken von Kraftfahrzeugen bestimmt hat. Erst dies ermöglicht es der Behörde zu prüfen, ob die medizinischen Beurteilungsgrundlagen ausreichend sind (die KDV 1967 sieht hinsichtlich einzelner Merkmale der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausdrücklich besondere Untersuchungen bzw. Befunde vor - §§ 31, 31a, 34 Abs. 3, 35 Absätze 3, 3a, 5 bis 7), weiters den ermittelten Sachverhalt rechtlich zuzuordnen und schließlich den Bescheid entsprechend dem § 60 AVG ausreichend zu begründen. Die dargelegte Notwendigkeit der Bezeichnung jenes Merkmals im Sinne des § 30 Abs. 1 KDV 1967, dessen Fehlen die Verneinung der geistigen oder körperlichen Eignung des Betreffenden zum Lenken von Kraftfahrzeugen zur Folge hat, schließt freilich die Mitberücksichtigung von Mängeln bei anderen Merkmalen keineswegs aus. Nur bedarf es auch in einem solchen Fall der Benennung jenes Merkmals, das als nicht bzw. nicht in ausreichendem Ausmaß gegeben erachtet wird. Weiters sind in diesem Fall nachvollziehbare Ausführungen über den relevanten Zusammenhang zwischen den betreffenden Mängeln erforderlich.

Wie bereits erwähnt, fehlt im vorliegenden Fall eine Konkretisierung in dem aufgezeigten Sinn. Damit ist nicht ersichtlich, ob beim Beschwerdeführer die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen wegen nicht ausreichenden Freiseins von psychischen Krankheiten (§ 30 Abs. 1 Z. 1, § 31 KDV 1967), wegen Fehlens der nötigen Gesundheit (§ 30 Abs. 1 Z. 2 lit. c, § 34 KDV 1967) oder mangels der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit (§ 30 Abs. 1 zweiter Satz, § 31a KDV 1967) verneint wurde. Dazu kommt, daß angesichts der vom Sachverständigen hergestellten Verklammerung der aufgezählten Krankheiten und Mängel ("sodaß im Verein mit" - "unter Berücksichtigung von") unklar ist, ob der Sachverständige überhaupt eines der in § 30 Abs. 1 KDV 1967 aufgezählten Elemente der geistigen und körperlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen beim Beschwerdeführer als nicht gegeben ansieht. Das gilt insbesondere auch in Ansehung des Merkmals der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit. Der Umstand, daß der Amtssachverständige die Eignung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht schon allein mangels der nötigen kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit verneint hat, steht insofern mit der Aktenlage im Einklang, als der Beschwerdeführer im Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 20. Dezember 1989 aus verkehrspsychologischer Sicht ausdrücklich als zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B "noch geeignet" beurteilt wurde.

Infolge der aufgezeigten Mängel ist der maßgebende Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben. Da die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110219.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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