TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/24 90/11/0232

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Veröffentlicht am 24.09.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

EGVG Art2 Abs6 Z5;
KFG 1967 §44 Abs4;
KFG 1967 §61 Abs4;
KFG 1967 §61 Abs5;
VVG §10;
VVG §12;
VVG §4;
VVG §5;
VVG §7;
ZustG §17;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Gottfried N in R, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in I, gegen die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gegen die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Abnahme von Kennzeichentafeln, zu Recht erkannt:

Spruch

Die am 16. November 1990 durch ein Organ des Gendarmeriepostens R vorgenommene Abnahme der Kennzeichentafeln vom Pkw des Beschwerdeführers wird für rechtswidrig erklärt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.050,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren für Schriftsatzaufwand wird abgewiesen.

Begründung

Die vorliegende Beschwerde gemäß Art. 131a B-VG in der Fassung vor der BVG-Novelle BGBl. Nr. 685/1988 richtet sich gegen die am 16. November 1990 in R vorgenommene zwangsweise Abnahme der Kennzeichentafeln vom Pkw des Beschwerdeführers.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Vorauszuschicken ist, daß die bekämpfte Maßnahme nach der Aktenlage der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck zuzurechnen ist (belangte Behörde im Sinne des § 28 Abs. 1 Z. 2 VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 330/1990). Sie hat nämlich - von der Bezirkshauptmannschaft Lienz nach Beendigung des Verfahrens betreffend Aufhebung der Zulassung des Pkws des Beschwerdeführers zum Verkehr darum ersucht - als die hiefür örtlich zuständige Behörde mit Verfügung vom 9. November 1990 dem Gendarmerieposten R als ihrem Hilfsorgan den Auftrag zur Abnahme der Kennzeichentafeln vom Pkw des Beschwerdeführers erteilt. Dementsprechend hat der Verwaltungsgerichtshof der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die Beschwerde mit der Aufforderung zur Erstattung einer Gegenschrift und Vorlage der Verwaltungsakten übermittelt. An ihrer Eigenschaft als belangte Behörde vermag der Umstand nichts zu ändern, daß die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck in der Folge (mit dem Hinweis, nur dort seien Aktenunterlagen vorhanden) die Bezirkshauptmannschaft Lienz um die Erstellung einer Gegenschrift und um die Vorlage der dort geführten Akten ersuchte.

Zur Rechtfertigung der bekämpften Maßnahme wird in der (über ausdrückliches Ersuchen der belangten Behörde) von der Bezirkshauptmannschaft Lienz erstatteten schriftlichen Äußerung ausgeführt, mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. September 1990 sei die (von der BH Lienz erteilte) Zulassung des Pkws des Beschwerdeführers zum Verkehr aufgehoben und der Beschwerdeführer gemäß § 44 Abs. 4 KFG 1967 verpflichtet worden, den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich der Bezirkshauptmannschaft Lienz abzuliefern. Da der Beschwerdeführer dieser Verpflichtung nicht entsprochen habe, sei die Einziehung der Kennzeichentafeln und des Zulassungsscheines veranlaßt worden.

Der Beschwerdeführer hält die Abnahme der Kennzeichentafeln in erster Linie deshalb für rechtswidrig, weil ihm der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. September 1990 infolge Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtswirksam zugestellt worden sei. Der Beschwerdeführer sei Polizeibeamter und habe seit 8. Oktober 1990 einen Ausbildungskurs in Wien besucht. Er habe sich dort seit 6. Oktober 1990 aufgehalten und sei daher seit dieser Zeit nicht ständig in seiner Wohnung in R anwesend gewesen. Erst am 30. Oktober 1990 sei er wieder in seine Wohnung zurückgekehrt und habe er dort eine Hinterlegungsanzeige über eine RSb-Sendung vorgefunden. Vom Zustellpostamt habe er erfahren, daß die Sendung nach Ablauf der Hinterlegungsfrist angeblich am 22. Oktober 1990 der Bezirkshauptmannschaft Lienz retourniert worden sei. Seine Gattin habe ihm die Hinterlegungsanzeige nicht nach Wien nachgeschickt und ihn hierüber auch nicht informiert. Die betreffende RSb-Sendung sei ihm bisher nicht zugestellt worden. Somit sei die Abnahme der Kennzeichentafeln ohne rechtliche Grundlage erfolgt.

Diese Ansicht ist nicht berechtigt. Wie sich aus dem im Akt erliegenden Kuvert samt Rückschein ergibt, erfolgte die Zustellung des Bescheides vom 17. September 1990 mittels RSb-Briefes. Die Sendung wurde am 5. Oktober 1990 (Freitag) nach einem erfolglosen Zustellversuch in der Wohnung des Beschwerdeführers in Rum beim Zustellpostamt hinterlegt und ab 8. Oktober 1990 (Montag) zur Abholung bereitgehalten. Die schriftliche Verständigung hievon wurde in den Briefkasten des Beschwerdeführers eingelegt. Nach Ablauf der Abholfrist wurde die Sendung der Behörde retourniert. Gemäß § 17 Abs. 1 des Zustellgesetzes ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Zufolge des dritten Satzes des § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes gilt eine hinterlegte Sendung mit dem ersten Tag, an dem sie erstmals zur Abholung bereitgehalten wird, als zugestellt. Nach der unbedenklichen Aktenlage ist davon auszugehen, daß die Sendung mit dem Bescheid vom 17. September 1990 am 5. Oktober 1990 nach einem vergeblichen Zustellversuch in der Wohnung des Beschwerdeführers beim Zustellpostamt hinterlegt und dort ab 8. Oktober 1990 zur Abholung bereitgehalten wurde. Unter Zugrundelegung des Vorbringens des Beschwerdeführers, er sei "seit dieser Zeit" (d.h. seit 6. Oktober 1990, dem Beginn seines Aufenthaltes in Wien) "nicht ständig in seiner Wohnung in R anwesend gewesen", ist in Anwendung des dritten Satzes des § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes die Zustellung des Bescheides vom 17. September 1990 mit 8. Oktober 1990 als bewirkt anzusehen. Der vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte vierte Satz des § 17 Abs. 3 des Zustellgesetzes, wonach hinterlegte Sendungen nicht als zugestellt gelten, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, kommt hier nicht zum Tragen. Denn die Abwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle begann erst am Tag nach dem Zustellversuch und der Hinterlegung der Sendung sowie der Verständigung hievon, er konnte also rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen. Auf die tatsächliche Kenntnisnahme kommt es hiebei nicht an (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum vierten Satz des § 17 Abs. 3 Zustellgesetz das Erkenntnis vom 25. Juni 1986, Zl. 85/11/0245, und den Beschluß vom 21. Februar 1990, Zl. 89/02/0209). Die durch die Abwesenheit des Beschwerdeführers von seiner Wohnung ab 6. Oktober 1990 bewirkte Unmöglichkeit, die Sendung selbst abzuholen, ist für die Rechtswirksamkeit der Zustellung ohne Bedeutung. § 17 des Zustellgesetzes stellt nämlich - außer in seinem hier nicht zum Tragen kommenden Satz 4 (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 12. September 1985, Zl. 85/07/0144, und vom 2. März 1988, Zl. 87/01/0345) - nicht darauf ab, ob einem Empfänger die Abholung einer hinterlegten Sendung möglich ist oder nicht. Da demnach der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. September 1990 dem Beschwerdeführer am 8. Oktober 1990 rechtswirksam zugestellt wurde, lag ein gültiger Titelbescheid für die Abnahme der Kennzeichentafeln vor.

Berechtigt ist allerdings das Vorbringen des Beschwerdeführers, diese Maßnahme sei ohne Vollstreckungsverfügung nach dem VVG und daher rechtswidrig erfolgt. Jeder Vollstreckungsmaßnahme hat eine entsprechende Vollstreckungsverfügung voranzugehen, ihr Fehlen hat die Rechtswidrigkeit der betreffenden Zwangsmaßnahme zur Folge (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. September 1987, Zl. 87/11/0044, und vom 16. Jänner 1990, Zl. 89/11/0084; vgl. zum Begriff "Vollstreckungsverfügung" das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 6. Juni 1989, Zl. 84/05/0035). In der Äußerung der Bezirkshauptmannschaft Lienz wird das Fehlen einer Vollstreckungsverfügung gar nicht in Abrede gestellt, sondern vielmehr damit zu rechtfertigen versucht, daß "die Einleitung eines langwierigen Vollstreckungsverfahrens mit der Androhung gemäß § 4 VVG bzw. der Verhängung von Zwangsstrafen gemäß § 5 VVG kein taugliches Instrument (sei), um der Behörde mögliche amtshaftungsrechtliche Folgen zu ersparen". Es werde aber "gerade in den Fällen der Aufhebung von Zulassungen in Verbindung mit den versicherungsrechtlichen Konsequenzen gemäß § 61 Abs. 4 und 5 KFG vom Gesetzgeber erwartet, daß die Behörde unverzüglich tätig wird und die Kennzeichentafeln und den Zulassungsschein einzieht". Die diesem Vorbringen zugrundeliegende Annahme der Nichtanwendbarkeit des VVG wäre berechtigt, wenn ein Fall des § 61 Abs. 5 KFG 1967 vorläge. Nach dieser Bestimmung sind, wenn zu erwarten ist, daß der Versicherer in Ansehung des Dritten von der Verpflichtung zur Leistung frei wird (§ 158c Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes 1958), bei Gefahr im Verzug, unbeschadet der Bestimmungen des § 44 Abs. 1 lit. c über die Aufhebung der Zulassung, der Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln unverzüglich abzunehmen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine in einer Verwaltungsvorschrift eingeräumte besondere Zwangsbefugnis, auf die die Bestimmungen des VVG nicht anzuwenden sind (Art. II Abs. 6 Z. 5 EGVG, § 12 VVG). In diesem Fall kommt schon begrifflich eine Vollstreckungsverfügung nach dem VVG nicht in Betracht. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor, da die Aufhebung der Zulassung des Pkws des Beschwerdeführers nicht wegen zu erwartender Leistungsfreiheit des Versicherers in Ansehung des Dritten, sondern wegen Verlegung des Wohnsitzes des Beschwerdeführers aus dem Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Lienz ausgesprochen worden ist. Da dieser Bescheid nach den Bestimmungen des VVG zu vollstrecken war, bedurfte es für die zwangsweise Abnahme der Kennzeichentafeln einer Vollstreckungsverfügung. Ihr Fehlen belastet die angefochtene Maßnahme mit Rechtswidrigkeit. Sie war daher gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 330/1990 für rechtswidrig zu erklären.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in der genannten Fassung in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war im Hinblick auf die Begrenzung des Anspruches auf Ersatz des Schriftsatzaufwandes durch die zitierte Verordnung mit S 11.120,-- abzuweisen. Die Umsatzsteuer ist in diesem Pauschalbetrag enthalten.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110232.X00

Im RIS seit

19.03.2001

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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