TE Vfgh Erkenntnis 1988/12/13 G169/88, V120/88

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Veröffentlicht am 13.12.1988
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Index

21 Handels- und Wertpapierrecht
21/05 Börse

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art139 Abs3 zweiter Satz lita
BörseO (Statut Wr Börse)
BörseG §2

Leitsatz

BörseG, RGBl. 67/1875; Börsen sind öffentlich-rechtlich eingerichtete Institutionen; Aufhebung der Z2 und 5 des §2 wegen nicht ausreichender gesetzlicher Determinierung des Verordnungsinhalts im Hinblick auf Art18 B-VG BörseO(Statut für die Wr. Börse, I. Teil), kundgemacht im Verordnungsblatt der Wr. Börsekammer Teil I Nr. 550/1984; Verordnung - Aufhebung zur Gänze gem. Art139 Abs3 B-VG wegen der rein formalgesetzlichen Delegation des §2 BörseG

Spruch

1. Die Ziffern 2 und 5 des §2 des Gesetzes vom 1. April 1875 betreffend die Organisierung der Börsen, RGBl. Nr. 67/1875, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1989 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

2. Die Börseordnung (Statut für die Wiener Börse, I. Teil), beschlossen von der Vollversammlung der Wiener Börsekammer am 30. Oktober 1984, kundgemacht im Verordnungsblatt der Wiener Börsekammer Teil I Nr. 550/1984, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. November 1989 in Kraft.

Der Bundesminister für Finanzen ist zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Beim VfGH ist ein (zu B385/87 protokolliertes) Verfahren zur Prüfung eines im Instanzenzug ergangenen Bescheides der Vollversammlung der Wiener Börsekammer anhängig, mit dem einem Antrag auf "Zulassung als Mitglied der Wiener Wertpapierbörse und die Ausstellung einer Börsekarte als Freier Makler" nicht stattgegeben wurde.

2. Bei Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde sind beim VfGH Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Ziffern 2 und 5 des §2 des - durch das Börseüberleitungsgesetz BGBl. 160/1948 wieder in Kraft gesetzten und teilweise novellierten - Gesetzes vom 1. April 1875, RGBl. 67/1875, betreffend die Organisierung der Börsen (im folgenden: BörseG) und der Gesetzmäßigkeit verschiedener Bestimmungen des von der Vollversammlung der Wiener Börsekammer am 30. Oktober 1984 beschlossenen Statuts - I. Teil - Börseordnung (im folgenden: BörseO) entstanden, das vom Bundesminister für Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Handel, Gewerbe und Industrie und dem Bundesminister für Justiz mit Erlaß vom 12. November 1984, Z242001/5-V/4/84, genehmigt, im Verordnungsblatt der Wiener Börsekammer Teil I Nr. 550/1984 kundgemacht und vom VfGH vorläufig als V qualifiziert wurde.

Der VfGH beschloß daher, von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Z2 und 5 des §2 BörseG und ein Verordnungsprüfungsverfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Abs1 bis 3 des §12, des 1. Satzes des §15 Abs1, der Worte "über die Zulassung als Mitglied sowie" und der Zahl "15," in §36 Abs2 Z13, der Zitierung ", 48 Abs3" in §38 Z2, der Z1 des §48 Abs1 sowie des Abs3 des §48 der BörseO einzuleiten.

3. Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen stehen in folgendem Zusammenhang:

a) Nach §1 BörseG (und den zum Zeitpunkt der Erlassung der BörseO geltenden Bestimmungen des Bundesministeriengesetzes 1973 idF BGBl. 617/1983) können mit Bewilligung des Bundesministers für Finanzen und des Bundesministers für Handel, Gewerbe und Industrie (nunmehr Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) Börsen errichtet werden. Für jede Börse muß gemäß §2 BörseG ein Statut festgestellt werden, das der Genehmigung der beiden genannten Bundesminister bedarf. §2 BörseG bestimmt überdies, daß das Statut Bestimmungen über verschiedene, im Gesetz ausdrücklich genannte Angelegenheiten enthalten muß. Die diesbezügliche Bestimmung, die noch in der Stammfassung in Geltung steht, lautet auszugsweise:

"Das Statut muß insbesondere bestimmen:

1.

Die Geschäftszweige, auf welche sich der Börseverkehr zu erstrecken hat;

2.

die Bedingungen für die Mitgliedschaft, sowie für den Besuch der Börse;

3.

die Rechte und Pflichten der Mitglieder und Besucher der Börse;

4. die Art der Aufbringung der Mittel zur Erhaltung der Börse

   . . .;

5. die Börseleitung und ihre Organe, die Art ihrer Bestellung

   und den Umfang ihrer Rechte und Pflichten;

6. die Erfordernisse zu gültigen Beschlußfassungen,

   Ausfertigungen und Bekanntmachungen der Börseleitung . . .;

. . ."

(Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen sind hervorgehoben.)

Weitere Bestimmungen des BörseG handeln von den Aufgaben der Börseleitung zur Regelung des Börseverkehrs (§3), von der Staatsaufsicht über Börsen (§4), vom Ausschluß bestimmter Personen vom Börsenbesuch (§5), vom Schiedsgericht (§6) und von den Börsegeschäften (§§7 - 16). §17 enthält Strafbestimmungen.

b) Die von der Vollversammlung der Wiener Börsekammer für die Wiener Börse erlassene BörseO enthält Regelungen über die Geschäftszweige der Wiener Börse (I. Abschnitt), die Verkehrsgegenstände der Wiener Börse und den Börsehandel (II. Abschnitt), Börsemitglieder (III. Abschnitt) und Börsebesucher (IV. Abschnitt), die Berechtigung zum Geschäftsabschluß (V. Abschnitt), die Börseleitung und die Börseräte (VI. und VII. Abschnitt), die Finanzierung der Tätigkeit (VIII. Abschnitt), Bekanntmachungen und Ausfertigungen (IX. und X. Abschnitt), Börsesensale (XI. Abschnitt) sowie Bestimmungen über die Staatsaufsicht (XII. Abschnitt), die Auflösung der Börse (XIII. Abschnitt) und Übergangs- und Schlußbestimmungen (XIV. Abschnitt).

Der von den Börsemitgliedern handelnde Abschnitt III der BörseO enthält Regelungen über die Zulassungsvoraussetzungen (§12), über Antrag, Verfahren und Entscheidung über die Zulassung (§§13 - 15), über die Rechte und Pflichten der Mitglieder (§§16, 17), über das Erlöschen der Mitgliedschaft (§18) und deren Ruhen (§19) sowie über die Führung eines Mitgliederverzeichnisses (§20).

Die im vorliegenden Zusammenhang relevanten und in Prüfung gezogenen Absätze 1 bis 3 des §12 BörseO lauten:

"(1) Börsemitglied kann nur werden, wessen geschäftliche Vertrauenswürdigkeit unzweifelhaft ist und wer in seiner Verfügungsfähigkeit nicht durch Ausgleich, Geschäftsaufsicht oder sonst wie beschränkt ist.

(2) Mitglieder der Wertpapierbörse können nur solche protokollierte Einzelkaufleute, offene Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften sowie solche juristische Personen (des öffentlichen oder privaten Rechtes) werden, die entweder zur

1.

gewerblichen Ausübung des Effektengeschäftes oder zur

2.

gewerblichen Ausübung des Wertpapieremissionsgeschäftes oder zur

3.

Ausübung des Gewerbes des Freien Maklers berechtigt

sind; Freien Maklern kann für die Protokollierung eine Frist von maximal zwei Jahren ab dem Tage der Zulassung eingeräumt werden.

(3) Für die Zulassung eines Freien Maklers ist ein entsprechender Bedarf der Börse nach zusätzlichen Freien Maklern erforderlich."

Gemäß §15 Abs1 erster Satz BörseO, den der VfGH ebenfalls in Prüfung gezogen hat, hat die Entscheidung über den Zulassungsantrag mit Bescheid zu erfolgen.

Die weiteren in Prüfung gezogenen Bestimmungen finden sich im VI. Abschnitt über die Börseleitung und stehen in folgendem Zusammenhang:

Die Leitung der Wiener Börse führt den Titel "Wiener Börsekammer" (§34 BörseO); ihr obliegt gemäß §36 Abs2 Z13 BörseO u.a. die Entscheidung über die Zulassung als Mitglied der Börse. Diese Bestimmung lautet auszugsweise (die in Prüfung gezogenen Teile sind hervorgehoben):

"(1) Die Obliegenheiten der Börsekammer sind durch die Gesetze und das Statut bestimmt.

(2) Insbesondere hat die Börsekammer folgende Aufgaben:

. . .  13. sie entscheidet über die Zulassung als Mitglied sowie

über das Ruhen und das Erlöschen der Mitgliedschaft (§§15, 18

und 19); . . ."

Die Börsekammer wird durch ihre Organe tätig (§37): dem Organ "Kartenausschuß der Wertpapierbörse" obliegt u.a. die Zulassung von Mitgliedern zur Wertpapierbörse gemäß §15 Abs1 BörseO (§48 Abs1 Z1 BörseO); gegen einen Bescheid des Kartenausschusses kann gemäß §48 Abs3 BörseO der Antragsteller Berufung an die Vollversammlung erheben. (Beide Regelungen wurden vom VfGH ebenfalls in Prüfung gezogen.) §38 BörseO handelt von der Zuständigkeit des Organs "Vollversammlung" und lautet im hier relevanten Teil:

         "Die Vollversammlung der Börsekammer ist ausschließlich

zuständig für:  . . .

         2. Entscheidung über die in diesem Statut vorgesehenen

Rechtsmittel (§§47 Abs3, 48 Abs3 und 50 Abs3);  . . .

(Der in Prüfung gezogene Teil der Bestimmung ist hervorgehoben).

4.a) Der VfGH ging bei seinem Prüfungsbeschluß davon aus, daß die Beschwerde zulässig sein und der angefochtene Bescheid seine Rechtsgrundlage in formeller und materieller Hinsicht in den in Prüfung gezogenen Bestimmungen der BörseO haben dürfte. Da der Gerichtshof angesichts des Erkenntnisses VfSlg. 3576/1959 die BörseO vorläufig als V qualifizierte, sah er die Prozeßvoraussetzungen für das Verordnungsprüfungsverfahren als gegeben an.

Er nahm weiters an, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der BörseO ihre gesetzliche Grundlage in den Z2 und 5 des §2 BörseG haben dürften, der eine verordnungsmäßige Festlegung des Börsestatuts anzuordnen scheine. Einer Deutung des Statuts als eines privatautonom erzeugten, lediglich einer staatlichen Aufsicht unterworfenen Aktes scheine entgegenzustehen, daß das Statut formal- und materiellrechtliche Grundlage für ein hoheitliches Tätigwerden der Organe der Börsekammer ist. Der Gerichtshof nahm daher an, daß er die genannten Gesetzesbestimmungen bei der Beurteilung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen der BörseO anzuwenden haben werde und erachtete dementsprechend auch die Prozeßvoraussetzungen für das Gesetzesprüfungsverfahren als gegeben.

b) Von diesen Annahmen ausgehend hatte der Gerichtshof das Bedenken, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des BörseG in Widerspruch zu Art18 Abs1 und 2 B-VG stünden und legte dieses Bedenken wie folgt dar:

"Das in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommende Legalitätsprinzip verlangt u.a. eine ausreichende Determinierung des Verordnungsinhalts durch das Gesetz. Damit eine V als ausreichend gesetzlich determiniert angesehen werden kann, muß ihr Inhalt im Gesetz hinreichend bestimmt sein, dh. es müssen schon aus dem Gesetz selbst alle wesentlichen Merkmale der Verordnungs-Regelung ersehen werden können (vgl. zB VfSlg. 2294/1952, 4662/1964, 7945/1976 ua); eine V hat nur zu präzisieren, was in den wesentlichen Konturen bereits im Gesetz selbst vorgezeichnet wurde .

Selbst wenn man ins Kalkül zieht, daß es sich im vorliegenden Fall um Regelungen im Bereich des Wirtschaftlichen handelt, für die der VfGH keine so weitgehende gesetzliche Vorherbestimmung als erforderlich ansieht, wie in Bereichen, in denen der Sache nach eine gesetzliche Regelung den Verordnungsinhalt exakter zu determinieren vermag oder in denen das Rechtsschutzbedürfnis (wie etwa im Strafrecht, im Sozialversicherungsrecht oder im Steuerrecht) eine besonders genaue gesetzliche Determinierung verlangt (vgl. die Darstellung und Systematisierung der Judikatur bei Neisser-Welan, ÖJZ 1968, 60 ff und Winkler, Gesetzgebung und Verwaltung im Wirtschaftsrecht, 1970, 56 ff, insb. 58 ff (mwH) sowie aus der Judikatur etwa VfSlg. 8203/1977, 8212/1977, 8813/1980, 9227/1981), dürfte die gesetzliche Regelung, auf die sich die in Prüfung gezogenen Bestimmungen stützen, doch nicht geeignet sein, diese inhaltlich zu tragen. Denn der . . . §2 des BörseG bestimmt in Z2 lediglich, daß das Statut die Bedingungen für die Mitgliedschaft festzulegen hat, ohne an dieser oder auch an einer anderen Stelle des Gesetzes irgendwelche Bestimmungen über den Inhalt dieser Bedingungen zu enthalten. Auf eine solche vage gesetzliche Grundlage, die geradezu das Musterbeispiel einer formalgesetzlichen Delegation zu sein scheint, Bestimmungen über die geschäftliche Vertrauenswürdigkeit, über Zulassungsfristen oder über eine für die Zulassung erforderliche Bedarfsprüfung zu stützen, scheint mit Art18 B-VG nicht im Einklang zu stehen. Gleiches dürfte auch für §2 Z5 gelten, demzufolge das Statut "die Börseleitung und ihre Organe, die Art ihrer Bestellung und den Umfang ihrer Rechte und Pflichten" bestimmen muß.

Es scheint daher, daß die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des BörseG den Anforderungen des Art18 B-VG nicht genügen und deshalb verfassungswidrig sind."

c) Die Bedenken gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen der vorläufig als V qualifizierten BörseO umschrieb der Gerichtshof dahin, daß sie bei Zutreffen der Annahmen über die Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des BörseG einer gesetzlichen Grundlage ermangeln und deswegen gesetzwidrig sein dürften.

5.a) Im Gesetzesprüfungsverfahren hat die Bundesregierung von der Erstattung einer meritorischen Äußerung abgesehen und für den Fall der Aufhebung eine Fristsetzung von einem Jahr beantragt.

b) Im Verordnungsprüfungsverfahren hat die Wiener Börsekammer eine Stellungnahme abgegeben, in der sie die Behördenqualität der Börsekammer in Frage stellt, die in Prüfung gezogenen Bestimmungen erläutert und zum Teil verteidigt und den Antrag stellt, im Fall der Aufhebung für das Außerkrafttreten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

Der Bundesminister für Finanzen hat von der Erstattung einer Äußerung Abstand genommen und ebenfalls für den Fall der Aufhebung eine Fristsetzung von einem Jahr beantragt, damit die erforderlichen legistischen Vorkehrungen ermöglicht werden können.

6. Der VfGH ging in dem diese Verfahren einleitenden Beschluß davon aus, daß §2 des BörseG eine Ermächtigung zur Festlegung des Börsestatuts durch V darstellt und daß dieses Statut Verordnungsqualität aufweist.

Diese einstweilige Annahme des Gerichtshofes trifft zu. Zwar ist es dem Gesetzgeber im Rahmen der Verfassung nicht verwehrt, die Aufgaben der Börse auch privatautonom errichteten Institutionen zu überlassen und sich auf die wirtschaftsaufsichtsrechtliche Überwachung der Gestion solcher Einrichtungen zu beschränken oder ihnen allenfalls durch Gesetz auch bestimmte einzelne Hoheitsbefugnisse zu übertragen. Das geltende Börserecht ist jedoch - wie in den Entscheidungen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts dargetan wurde (vgl. VwSlg. 1693 A/1950 und VfSlg. 3576/1959) - anders konzipiert: Börsen sind nach dieser Rechtslage durch Gesetz und V öffentlich-rechtlich eingerichtet. In diesem Sinn sprechen auch Brünner-Pauger (Das System des Rechts der österreichischen Kreditwirtschaft, 1980, 47) von Börsen als "selbstverwaltungsähnlichen Körperschaften öffentlichen Rechts" (vgl. auch Rintersbacher, Die Wertpapierbörse in Österreich, in: Das Kreditwesen in Österreich, FS Krasensky, 1968, 262ff, insb. 265f; ders., Aktuelle Probleme der Organisation von Börsen, BankArch 1974, 254ff). An dieser Qualifikation ändert auch nichts, daß die Börsen neben Hoheitsaufgaben auch Geschäfte mit den Mitteln des Privatrechts besorgen können.

Von einem solchen Verständnis der Börsen als öffentlich-rechtlich eingerichtete Institutionen geht auch der Motivenbericht zu der in Prüfung gezogenen Börseordnung aus 1984 aus, in dem die Notwendigkeit zur Erlassung einer neuen BörseO unter anderem folgendermaßen begründet wird:

"Dazu kommt, daß die zwischenzeitig eingetretenen tatsächlichen Veränderungen an der Börse und die Unterstellung der Börsetätigkeit unter das Verwaltungsrecht (Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze auf das Verfahren der Börsekammer gemäß ArtII Abs2 litB Z. 27 EGVG, Beschwerdemöglichkeit an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes) an ein Börsestatut andere Anforderungen stellen, als die Zeit, in der man die Börsen als kommerzielle Vereinigungen betrachtet hat. Insbesondere dort, wo die Börsekammer hoheitliche Funktionen ausübt (das ist nach den richtungweisenden Erkenntnissen des VwGH Slg. 1693 A/1950, und des VfGH Slg. 3576/1959, jedenfalls bei der Zulassung zum Börsebesuch und im Bereich der Regelung des Börsehandels der Fall), bedarf es besonders durchdachter Regeln, damit Bescheide, mit denen z.B. Mitgliedswerbern die Mitgliedschaft verweigert oder ein Mitglied ausgeschlossen oder eine Börseversammlung abgesagt oder der Handel in einem Wertpapier eingestellt wird, so abgedeckt sind, daß sie einer etwaigen Anfechtung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes standhalten. Auch die innere Organisation der Börsekammer, wo derzeit in vielen Bereichen die tatsächliche Übung nicht mit dem Statut übereinstimmt, bedarf einer Neuformulierung. Hier kann der bestehende Zustand durchaus beibehalten werden, doch ist er durch entsprechende statutarische Bestimmungen rechtlich abzusichern."

7. Im Verfahren sind Zweifel an der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entstanden. Angesichts der eben festgestellten Verordnungsqualität der BörseO und der unbestritten gebliebenen Präjudizialität ihrer in Prüfung gezogenen Bestimmungen im Bescheidprüfungsverfahren sowie der Maßgeblichkeit der Z2 und 5 des §2 BörseG für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der BörseO, sind beide Normprüfungsverfahren zulässig.

8. Geht man von der unter Pkt. 6. dargelegten Auffassung aus, so treffen auch die im Prüfungsbeschluß näher dargelegten und oben in extenso wiedergegebenen Bedenken des VfGH ob der nicht ausreichenden gesetzlichen Determinierung des Verordnungsinhalts im BörseG und ob der mangelnden gesetzlichen Deckung der BörseO zu. Im Verfahren wurden Argumente gegen diese Bedenken des VfGH weder vorgebracht, noch sind solche sonst hervorgekommen.

9.a) Diese Feststellungen führen zur Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §2 BörseG wegen Widerspruchs zu Art18 Abs1 und 2 B-VG.

b) Die in Prüfung gezogenen Verordnungsstellen ermangeln einer gesetzlichen Grundlage, weshalb sie gesetzwidrig sind.

Gemäß Art139 Abs3 B-VG hat der VfGH eine V unter anderem dann zur Gänze aufzuheben, wenn er zur Auffassung gelangt, daß die ganze V der gesetzlichen Grundlage entbehrt. Diese Bestimmung ist - wie der Gerichtshof etwa in VfSlg. 8213/1977 (vgl. auch VfSlg. 8697/1979) festgestellt hat - von dem Gedanken getragen, den VfGH in die Lage zu versetzen, in all jenen Fällen, in denen die festgestellte Gesetzwidrigkeit der präjudiziellen Verordnungsstelle offenkundig auch alle übrigen Bestimmungen der V erfaßt, die ganze V als gesetzwidrig aufzuheben. Eine solche Situation liegt - angesichts der rein formalgesetzlichen Ermächtigung des §2 BörseG - hier vor, weshalb der VfGH die BörseO insgesamt als gesetzwidrig aufzuheben hatte.

10.a) Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Rechtsvorschriften gründet sich

hinsichtlich der Gesetzesaufhebung auf Art140 Abs5 B-VG,

hinsichtlich der Verordnungsaufhebung auf Art139 Abs5 B-VG; daß gesetzliche Vorkehrungen erforderlich sind, um eine neue BörseO zu erlassen, kann nach den dargelegten Gründen dieser Entscheidung nicht zweifelhaft sein.

b) Der Ausspruch, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

c) Die Kundmachungspflichten ergeben sich aus den jeweils ersten Sätzen der Absätze 5 der Art139 und 140 B-VG.

Schlagworte

Hoheitsverwaltung, Privatautonomie, Kreditwesen, Bankwesen, Privatrecht - öffentliches Recht, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, Verordnungbegriff

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1988:G169.1988

Dokumentnummer

JFT_10118787_88G00169_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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