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L40018 Anstandsverletzung Ehrenkränkung LärmerregungNorm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Waldner und Dr. Novak als Richter, im Besein des Schriftführers Mag. Mandl, über die Beschwerde der Ursula R in B, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 19. März 1991, Zl. Ia 909-23/90, betreffend Übertretung des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.440,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 22. März 1990 wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, dadurch den öffentlichen Anstand verletzt zu haben, daß sie sich am 16. April 1989 um 22.50 Uhr an der Bundesstraße B 202 in Hard, im Bereich der Zufahrt zur Jet-Tankstelle nur mit einem Badeanzug, einer transparenten Strumpfhose sowie Stiefeln bekleidet aufgehalten habe. Sie habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 1 Abs. 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes begangen, weshalb über sie eine Geldstrafe in der Höhe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsststrafe von 96 Stunden) verhängt wurde.
Die Behörde nahm entsprechend der Begründung ihres Bescheides die Übertretung auf Grund der Ausführungen in der Anzeige vom 30. April 1989 sowie der Zeugenaussagen des Gruppeninspektors S vom 8. August 1989 und des Revierinspektors M vom 20. September 1989 vor der Bezirkshauptmannschaft Bregenz als erwiesen an.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin zu der ihr zur Last gelegten Tat im wesentlichen aus, "die Art der Bekleidung stehe dem Menschen in einer Demokratie offen (siehe Hippies, Punker, Rocker, Bettler, Missen usw.)"; auch habe sie überdies Hot Pants getragen.
1.2. Die belangte Behörde gab der Berufung teilweise Folge und setzte die verhängte Geldstrafe auf S 1.500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe nunmehr 48 Stunden) herab.
In der Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, daß es bei der Beurteilung, ob das Tragen eines Badeanzuges mit den allgemein anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit im Einklang stehe, im wesentlichen darauf ankomme, unter welchen Umständen, sohin an welchem Ort und zu welcher Zeit, dies geschehe. Das Tragen eines Badeanzuges, einer transparenten Strumpfhose und von Stiefeln entspreche nicht den anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit, wenn es auf einer Straße und zudem zur Nachtzeit geschehe, wo die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch einen größeren Personenkreis bestehe. Da sich zum Tatzeitpunkt Kraftfahrzeuge auf dem gegenständlichen Teilstück der Bundestraße 202 befunden hätten, habe die konkrete Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen über den Kreis der Beteiligten hinausgehenden Personenkreis bestanden, sodaß die Anstandsverletzung auch öffentlich begangen worden sei.
2.0. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 11 Abs. 1 VwGG gebildeten Strafsenat erwogen hat:
2.1. § 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes, LGBl. Nr. 6/1976 lautet:
"(1) Jedermann hat sich so zu verhalten, daß der öffentliche Anstand nicht verletzt wird.
(2) Als Verletzung des öffentlichen Anstandes ist jedes Verhalten in der Öffentlichkeit anzusehen, das einen groben Verstoß gegen jene Pflichten der guten Sitten darstellt, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat.
(3) Die Anstandsverletzung wird in der Öffentlichkeit begangen, wenn sie unmittelbar von einem größeren Personenkreis wahrgenommen werden kann."
2.2. Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall den Tatbestand des § 1 des Vorarlberger Sittenpolizeigesetzes im wesentlichen deshalb als verwirklicht erachtet, weil die von der Beschwerdeführerin getragene Bekleidung unter den gegebenen Umständen nicht mit den allgemein anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit im Einklang stünde. Sie hat dabei jedoch übersehen, daß es zur Erfüllung des Tatbestandes der Verletzung des öffentlichen Anstandes nicht genügt, daß ein bestimmtes Verhalten bloß mit den allgemein anerkannten Grundsätzen der Schicklichkeit nicht im Einklang steht, sondern einen groben Verstoß gegen jene Pflichten der guten Sitten darstellen muß, die jedermann in der Öffentlichkeit zu beachten hat. Die Begründung des angefochtenen Bescheides läßt aber Ausführungen darüber vermissen, warum in dem Tragen der von der Beschwerdeführerin zur Tatzeit gewählten Bekleidung ein solcher grober Verstoß zu erblicken ist (vgl. das Erkenntnis vom 25. Oktober 1979, Zl. 1323/1979).
Dazu kommt, daß sich laut Begründung des angefochtenen Bescheides die Beschwerdeführerin am Tatort nur mit einem Badeanzug, einer transparenten Strumpfhose und Stiefeln bekleidet aufgehalten habe. In der Anzeige vom 30. April 1989 wurde die Bekleidung der Beschwerdeführerin jedoch folgendermaßen beschrieben: U. R. war mit einem hellen gemusterten Badeanzug - über der Seidenstrumpfhose getragen - einem T-Shirt über dem Oberteil des Badeanzuges und mit goldfarbigen, über die Knie reichenden Stiefeln bekleidet. Über dem T-Shirt hatte U. R. eine braune Jacke an.
In der Zeugenaussage des Revierinspektors M vor der Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 20. September 1989 wurde die Bekleidung der Beschwerdeführerin dahingehend präzisiert, daß es sich um einen gemusterten "Body" und nicht um einen Badeanzug gehandelt habe.
Kann der belangten Behörde noch darin gefolgt werden, daß der Unterschied von "Body" und "Badeanzug" im Hinblick auf die gegebenen Tatumstände unbeachtlich ist, so führen hingegen die mangelnden Feststellungen betreffend T-Shirt und brauner Jacke dazu, daß von der belangten Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.
2.3. Aufgrund dieser Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
2.4. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Für den Schriftsatzaufwand konnte - wegen Unterschreitung des zur Zeit der Beschwerdeverfassung geltenden Ansatzes (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 673, zitierte Rechtsprechung) - nur der tatsächlich verzeichnete Betrag zuerkannt werden. Geltend gemachte Bundesstempel konnten nur für zwei Beschwerdeausfertigungen (S 240,--) und eine Beilage (S 90,--) zugesprochen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991100111.X00Im RIS seit
06.11.2000