TE Vwgh Erkenntnis 1991/9/26 89/06/0076

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Veröffentlicht am 26.09.1991
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Index

L37157 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Tirol;
L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §52;
BauO Tir 1978 §31 Abs1;
BauO Tir 1978 §31 Abs8;
BauRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde 1.) des Kurt B und 2.) der Martha B in Innsbruck, beide vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid der Berufungskommission in Bausachen der Landeshauptstadt Innsbruck vom 13. März 1989, Zl. MD-6556/1988, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Helmut J, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Landeshauptstadt Innsbruck hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 11.870,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer beantragten die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Anbaues (Lager) und die Erneuerung des Daches im Anwesen G-Straße 169 auf der Grundparzelle 3, KG X.

Mit Bescheid vom 27. Juni 1988 erteilte der Stadtmagistrat der Landeshauptstadt Innsbruck gemäß § 31 Abs. 9 der Tiroler Bauordnung 1978 (TBO) die Baubewilligung unter Auflagen.

Der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid Folge, behob den Bescheid des Stadtmagistrates der Landeshauptstadt Innsbruck und versagte gemäß § 31 Abs. 4 TBO die von den Beschwerdeführern beantragte Bewilligung. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des Sachverhaltes und des § 3 Abs. 6 TBO darauf hingewiesen, daß nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens für das im Anwesen G-Straße 169 bestehende Altgebäude keine schriftliche Baubewilligung existiere. Außerdem habe auf Grund von Luftaufnahmen rekonstruiert werden können, daß die in Rede stehende Grundparzelle bis 1940 unbebaut gewesen sei. Laut Aussage "des Eigentümers und nunmehrigen Bauwerbers" dürfte der Altbestand etwa im Jahre 1949 errichtet worden sein. Mangels einer schriftlichen Baubewilligung sei sodann zu prüfen gewesen, ob im gegenständlichen Fall für den Altbestand ein sogenannter vermuteter Konsens vorliege. Von einem konsentierten Altbestand könne dort nicht gesprochen werden, wo bereits zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes eine behördliche Genehmigungspflicht nach den damals in Geltung gestandenen Bestimmungen gegeben gewesen und auf Grund der Umstände anzunehmen sei, daß eine derartige Baubewilligung ausgestellt worden, diese aber auf Grund gewisser Umstände nicht mehr auffindbar sei. Im vorliegenden Fall stehe fest, daß bereits im Jahre 1949 nach den Bestimmungen der damals in Geltung gestandenen Innsbrucker Bauordnung die Errichtung eines etwa 9,6 m x 5,0 m großen und 2,9 m hohen Gebäudes bewilligungspflichtig gewesen sei. Darüber hinaus seien der belangten Behörde keine Umstände bekannt, welche einen Verlust einer allenfalls erwirkten Baubewilligung rechtfertigen könnten. Es sei daher trotz des langen Zeitablaufes zwischen der seinerzeitigen Errichtung und dem nunmehr beabsichtigten Bauvorhaben davon auszugehen, daß der Altbestand, der um einen Zubau erweitert werden solle, ohne baubehördliche Bewilligung errichtet worden sei. Da unter dem im § 3 Abs. 6 TBO verwendeten Begriff des "bestehenden Gebäudes" nur ein solches verstanden werden könne, welches über eine rechtsgültige Bewilligung verfüge, sei schon aus diesem Grund ein Zubau an ein nicht genehmigtes Gebäude ausgeschlossen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Gemeinde, eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 3 Abs. 6 der Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 43/1978, hat

folgenden Wortlaut:

"(6) Zubau ist die Vergrößerung eines bestehenden Gebäudes durch die Herstellung neuer oder die Erweiterung bestehender Räume. Anbau ist ein Zubau in waagrechter Richtung, Aufbau ist ein Zubau in lotrechter Richtung."

Die Beschwerdeführer beantragten unter anderem die Erteilung einer Baubewilligung zur Errichtung eines Zubaues an das alte Gebäude auf der Grundparzelle 3, KG X.

Nach § 3 Abs. 6 TBO kann von einem Zubau nur dann gesprochen werden, wenn ein BESTEHENDES Gebäude vergrößert werden soll, worunter nur ein konsentiertes zu verstehen ist.

Auch schon nach der Innsbrucker Bauordnung konnten Baubewilligungen nur schriftlich erteilt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 1991, Zl. 88/06/0214). Im Beschwerdefall konnte eine schriftliche Baubewilligung nach der Aktenlage nicht aufgefunden werden.

Ein Zeitraum von ungefähr 30 bis 40 Jahren ist an sich zu kurz, um die auf eine bloße Vermutung gestützte Annahme zu rechtfertigen, die Baulichkeiten seien, trotz Fehlens einer schriftlichen Baubewilligung, baubehördlich bewilligt worden. Dies muß vor allem dann gelten, wenn es sich um ein Gebiet handelt, von dem amtsbekannt sei, daß für Bauführungen aus dieser Zeit entsprechende Unterlagen bei der Behörde aufliegen würden (vgl. das zum Vorarlberger Baurecht ergangene hg. Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0057 mit weiteren Nachweisen). Vielmehr kann die Rechtsvermutung der Konsensmäßigkeit des alten Gebäudes nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. z.B. die zur Wiener Bauordnung ergangenen hg. Erkenntnisse vom 1. März 1983, Zl. 82/05/0153, BauSlg. Nr. 17, und vom 14. Oktober 1986, Zl. 86/05/0062, BauSlg. Nr. 777, jeweils mit Hinweis auf die Vorjudikatur) nur dann Platz greifen, wenn der Zeitpunkt der Erbauung des Altbestandes soweit zurückliegt, daß die Erteilung der Baubewilligung fraglich scheint, oder bestimmte Indizien dafür sprechen, daß trotz des Fehlens behördlicher Unterlagen von der Erteilung einer Baubewilligung auszugehen ist. Die Rechtmäßigkeit des Bestandes soll nur dann vermutet werden, wenn der Zeitpunkt der Erbauung desselben so weit zurückliegt, daß, von besonders gelagerten Einzelfällen abgesehen, auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven die Wahrscheinlichkeit, noch entsprechende Unterlagen auffinden zu können, erfahrungsgemäß nicht mehr besteht (vgl. das schon zitierte, zum Vorarlberger Baugesetz ergangene hg. Erkenntnis vom 19. September 1991, Zl. 91/06/0057). Bei Beantwortung der Frage, ob der lange Bestand des gegenwärtigen Zustandes für die Vermutung spricht, daß dieser mit baubehördlicher Bewilligung geschaffen wurde, ist auch zu berücksichtigen, daß gegen den Bestand einer Genehmigung der Umstand sprechen könnte, die Erteilung einer solchen sei nach der im Zeitpunkt der Durchführung der baulichen Maßnahmen bestehenden Rechtslage nicht möglich gewesen (vgl. das das Wiener Baurecht betreffende

hg. Erkenntnis vom 3. November 1969, Zl. 623/69, mit einem weiteren Hinweis auf die hg. Rechtsprechung).

Zur Beurteilung der Frage, ob ein Gebäude so alt ist, daß die Vermutung des rechtmäßigen Bestandes Platz greifen kann, sind aber Feststellungen über das vermutliche Alter des Gebäudes, etwa auf Grund einer sachverständigen Begutachtung des Gebäudes in bezug auf den Bauzustand und die verwendeten Materialien, erforderlich (vgl. das mehrfach genannte hg. Erkenntnis vom 19. September 1991). Im vorliegenden Fall fehlt auch jede Beschreibung des alten Gebäudes. Mangels entsprechender auf eine sachverständige Beurteilung gestützten Feststellungen kann weder geprüft werden, ob die Erteilung einer Bewilligung für das Altgebäude nach der im Zeitpunkt der Ausführung des Bauvorhabens bestehenden Rechtslage möglich gewesen wäre, was seinerseits wieder für die Vermutung der Konsensmäßigkeit von Bedeutung ist, noch ob das Gebäude zu einer Zeit errichtet worden ist, aus der - auch bei ordnungsgemäß geführten Archiven - die Auffindung entsprechender Unterlagen unwahrscheinlich ist bzw. aus besonderen Gründen in den Archiven keine Unterlagen über eine schriftliche Baubewilligung für das Gebäude aufzufinden sind.

Die verläßliche Feststellung anhand von Luftaufnahmen, ob ein Grundstück zu einer bestimmten Zeit bebaut war oder nicht, bedarf der Auswertung dieser Aufnahmen durch das Gutachten eines entsprechend ausgebildeten Sachverständigen, da sonst leicht Irrtümer bezüglich der Aussage dieser Bilder unterlaufen und somit falsche Sachverhaltsannahmen getroffen werden könnten. Ein entsprechendes Gutachten wurde nach der Aktenlage nicht erstattet und den Beschwerdeführern nicht vorgehalten. Daher kann die Begründung der belangten Behörde, es habe auf Grund von Luftaufnahmen rekonstruiert werden können, daß die Grundparzelle bis 1940 unbebaut gewesen sei, keine hinreichende Grundlage dafür bilden, daß das bestehende Objekt erst nach der Aufnahme der Luftbilder errichtet worden ist, zumal die in Rede stehenden Luftaufnahmen auf Grund ihres Entstehungsdatums eine in Vergleich zu in der Gegenwart erstellten Luftaufnahmen sicherlich eine geringere Präzision aufweisen und daher einer besonderen Erfahrung bei der Auswertung bedürfen.

Die im angefochtenen Bescheid wiedergegebene Aussage (offenbar) des Erstbeschwerdeführers, der Altbestand dürfte etwa im Jahr 1949 errichtet worden sein, stellt ebenso eine verläßliche Grundlage für die Feststellung des Sachverhaltes in der soeben genannten Richtung dar.

Die Beschwerdeführer rügen weiters zu Recht, es fehlten Feststellungen, ob aus der behaupteten Entstehungszeit für ähnliche Bauten im örtlichen Umkreis die Baubewilligungen auffindbar seien, da sich hiernach ein Indiz für den Bestand einer Baubewilligung ergeben könnte.

Das Vorbringen des Mitbeteiligten mit Vermerk vom Stadtmagistrat der Landeshauptstadt Innsbruck vom 24. Jänner 1951 sei auf dem am 11. August 1949 zwischen ihm und den Rechtsvorgängern der Beschwerdeführer abgeschlossenen Kaufvertrag betreffend die Grundparzelle 3, KG X, den Käufern dieser Liegenschaft zur Kenntnis gebracht worden, daß diese Grundparzelle außerhalb des Baugebietes liege und Bauwerke hierauf nicht errichtet werden dürften, wurde erstmals im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erhoben und widerspricht somit dem aus § 41 Abs. 1 VwGG ableitbaren Neuerungsverbot. Vor allem ergibt sich aber aus diesem Vermerk nur, daß keine (weiteren) Bauten auf der Grundparzelle 3 errichtet werden dürfen, nicht aber, daß auf ihr zum Zeitpunkt der Vornahme dieses Vermerks noch kein Gebäude bestanden habe.

Da die belangte Behörde nicht ausreichend geprüft hat, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines "vermuteten Konsenses" gegeben seien, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Techniker Bautechniker Ortsbild Landschaftsbild Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten Konsenslosigkeit und Konsenswidrigkeit unbefugtes Bauen BauRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1989060076.X00

Im RIS seit

03.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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