Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §45 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der H in K, Türkei, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft in Ankara vom 4. April 1991, Zl. 3.31.427/1/91, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1. Mit Eingabe an die österreichische Botschaft in Ankara (die belangte Behörde) vom 26. März 1991 hatte die nunmehrige Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, "die Erteilung eines befristeten Wiedereinreise-Sichtvermerkes (Vorschlag: 2 Jahre)" beantragt. Begründend war dazu ausgeführt worden: Der Ehemann der Beschwerdeführerin - sie seien seit August 1990 verheiratet - sei seit 1987 in Österreich aufenthaltsberechtigt und beschäftigt. Bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn sei ein "Sichtvermerksbescheinigungsverfahren" durchgeführt worden. Diese Behörde vertrete die - unrichtige - Auffassung, die Unterkunftsmöglichkeit für die Beschwerdeführerin sei nicht ausreichend. Dies sei jedoch nicht richtig, da sich der Ehemann der Beschwerdeführerin in Dornbirn eine Wohnung gemietet habe, die aus einem Wohnzimmer und einem Schlafzimmer samt Nebenräumen bestehe. Auf die entsprechenden Unterlagen bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn werde verwiesen. Dennoch sei bis heute keine Sichtvermerksbescheinigung ausgestellt worden, weshalb nunmehr bei der zuständigen Behörde in Ankara das "ordentliche Verfahren" beantragt werde.
2. Ohne weitere Verfahrensschritte vorgenommen zu haben, richtete daraufhin die belangte Behörde an den Vertreter der Beschwerdeführerin unter dem Datum 4. April 1991 ein Schreiben folgenden Wortlautes:
"Sehr geehrter Herr RechtsanwaltÜ
Im Hinblick auf die von Ihnen glaubwürdig gemachten Angaben, dass laut Erhebung durch die BH Dornbirn die Unterkunftsmöglichkeit nicht ausreichend ist, wird, sofern sich in Bezug auf die Unterkunft nichts geändert hat, einer Sichtvermerkserteilung nicht zugestimmt.
Mit freundlichen Grüßen
BS Karl Z"
3. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch dieses von ihr als Bescheid gewertete Schreiben "in ihrem Recht verletzt, eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Sichtvermerk) für Österreich zu bekommen". Sie begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, allenfalls wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
4. Die belangte Behörde hat Akten des Verwaltungsverfahrens (in Ablichtung) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zunächst ist festzuhalten, daß die angefochtene Erledigung im Sinne der ständigen hg. Rechtsprechung als ein vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpfbarer Bescheid zu qualifizieren ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067). Der in ihrer Gegenschrift geäußerten Meinung der belangten Behörde, es handle sich bei dem in Rede stehenden Schreiben nicht um eine abschließende Erledigung, "sondern um eine letzte Gelegenheit, die der Antragstellerin eingeräumt wurde, eine zutreffende Darstellung des Sachverhaltes anzubringen, und zugleich um die Gewährleistung des Parteiengehörs", kann nicht beigepflichtet werden. Die im Indikativ und Präsens gehaltene Formulierung "wird ... einer Sichtvermerkserteilung nicht zugestimmt" läßt die Deutung der belangten Behörde nicht zu. Vielmehr ist darin eindeutig die objektivierte Absicht der belangten Behörde zu erkennen, über den bei ihr gestellten Antrag abweislich zu entscheiden. Ergänzend dazu ist noch anzumerken, daß die von der belangten Behörde zur Stützung ihres Standpunktes ins Treffen geführte Wendung "sofern sich in Bezug auf die Unterkunft nichts geändert hat" insoweit ins Leere geht, als die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom 26. März 1991 an die belangte Behörde ohnehin von der - dem Verwaltungsgerichtshof gegenüber mangels Vorlage entsprechender Akten nicht belegten - Darstellung der Bezirkshauptmannschaft offensichtlich abweichende Angaben über die ihr zur Verfügung stehende Unterkunft gemacht hat.
2. Gemäß § 23 Abs. 1 Paßgesetz, BGBl. Nr. 422/1969, (PaßG 1969) bedürfen Fremde zur Einreise in das Bundesgebiet außer einem gültigen Reisedokument (§ 22) eines österreichischen Sichtvermerkes; dies gilt nicht, wenn durch zwischenstaatliche Vereinbarung anderes bestimmt wird oder wenn der Fremde während einer Zwischenlandung auf einem österreichischen Flugplatz dessen Transitraum nicht verläßt (Transitreisender).
Im Beschwerdefall bedurfte die Beschwerdeführerin eines Sichtvermerkes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Juni 1991, Zl. 91/19/0067).
Nach § 25 Abs. 1 PaßG 1969 kann einem Fremden auf Antrag ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt. Zufolge des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle hat die Behörde bei der Ausübung des ihr im Abs. 1 eingeräumten freien Ermessens auf die persönlichen Verhältnisse des Sichtvermerkswerbers und auf die öffentlichen Interessen, insbesondere auf die wirtschaftlichen und kulturellen Belange, auf die Lage des Arbeitsmarktes und auf die Vorksgesundheit Bedacht zu nehmen. Gemäß § 25 Abs. 3 PaßG 1969 ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn (lit. e) die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.
3.1 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die österreichischen Vertetungsbehörden im Ausland in Sichtvermerksangelegenheiten zwar nicht das AVG, wohl aber die in diesem Gesetz niedergelegten Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens anzuwenden. Zu diesen gehören u.a. die Gewährung des Parteiengehörs und die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes in einem Ermittlungsverfahren durch die Behörde (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 23. September 1991, Zl. 91/19/0151, und die dort zitierte Vorjudikatur).
3.2. Die belangte Behörde hat ihrer für die Beschwerdeführerin negativen Entscheidung die Annahme zugrunde gelegt, daß die Unterkunftsmöglichkeit (für die Beschwerdeführerin) nicht ausreichend sei, und sich hiefür auf die Erhebungen der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gestützt. Abgesehen davon, daß das Ergebnis dieser Beweisaufnahme nicht aktenkundig ist, sodaß die Stichhaltigkeit der daraus von der belangten Behörde gezogenen Schlußfolgerung vom Verwaltungsgerichtshof nicht überprüfbar ist, hat die Beschwerdeführerin in ihrem Antrag vom 26. März 1991 an die belangte Behörde die Richtigkeit dieses Ermittlungsergebnisses unter gleichzeitiger konkreter Gegendarstellung der Unterkunfts-Situation ausdrücklich bestritten. Die belangte Behörde war demnach rechtens nicht in der Lage - unter Außerachtlassung der Darstellung der Beschwerdeführerin - ihre abweisliche Entscheidung in sachverhaltsmäßiger Hinsicht ausschließlich auf Ermittlungen der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn zu gründen. Es wäre ihr vielmehr oblegen, von sich aus die aktuelle Situation, die Unterkunftsmöglichkeit der Beschwerdeführerin in Österreich betreffend, zu ermitteln, was umso mehr geboten und auch ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligen gewesen wäre, als die Beschwerdeführerin hinsichtlich der Richtigkeit ihrer Angaben im Antrag an die belangte Behörde auf "entsprechende Unterlagen bei der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn" verwiesen hat. Erst nach Vorliegen des diesbezüglichen Ermittlungsergebnisses (das dem Parteiengehör zu unterziehen gewesen wäre), hätte die belangte Behörde in rechtlich einwandfreier Weise beurteilen können, ob die Annahme gerechtfertigt ist, daß der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet mangels ausreichender Unterkunft zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte, und sohin die Erteilung des begehrten Sichtvermerkes zu versagen ist (§ 25 Abs. 3 lit. e PaßG 1969).
4. Da nach dem Gesagten der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Bescheidcharakter Bescheidbegriff Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Mangelnder Bescheidcharakter Bescheidbegriff Allgemein Parteiengehör AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190142.X00Im RIS seit
06.08.2001