Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art26 Abs1Leitsatz
Verweigerung der Eintragung ins Wählerverzeichnis; grob mangelhaftes und ergänzungsbedürftiges Ermittlungsverfahren zur maßgebenden Frage des ordentlichen Wohnsitzes; Verletzung im Wahlrecht zu den LandtagenSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Teilnahme an der Landtagswahl verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. L H begehrte am 15. September 1988 mit Einspruch bei der Gemeindewahlbehörde Weiden a.d. March, politischer Bezirk Gänserndorf, seine Aufnahme in das dort aufliegende Wählerverzeichnis für die Landtagswahl 1988 gemäß §30 Abs1 Nö. Landtagswahlordnung 1974, LGBl. 0300-3, und zwar in der Hauptsache mit der Begründung, daß er - neben seinem Wohnsitz in Wien - über einen ordentlichen Wohnsitz in Zwerndorf a.d. March (im Gebiet der Gemeinde Weiden a.d. March) verfüge.
1.1.2. Die Gemeindewahlbehörde Weiden a.d. March wies diesen Einspruch mit Bescheid vom 17. September 1988 (ohne Zahl) als unbegründet ab.
1.2.1. L H brachte gegen die Entscheidung der Gemeindewahlbehörde fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung ein.
1.2.2.1. Die Bezirkswahlbehörde Gänserndorf gab dieser Berufung mit Bescheid vom 27. September 1988, Z2-A/88, keine Folge und ordnete an, daß L H in das Wählerverzeichnis der Gemeinde Weiden a. d. March nicht aufzunehmen sei.
1.2.2.2. Begründend wurde (nach Wiedergabe von Gesetzestexten) ausgeführt:
"Den durchgeführten Erhebungen zufolge haben Sie in der Gemeinde Weiden a.d. March keinen ordentlichen Wohnsitz und sind somit nicht wahlberechtigt."
1.3.1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des L H an den Verfassungsgerichtshof, in der insbesondere die Verletzung des durch Art95 iVm Art26 B-VG gewährleisteten Rechts auf Teilnahme an der Landtagswahl behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird; hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.
1.3.2. Die Bezirkswahlbehörde Gänserndorf als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift und trat darin für die Abweisung der Beschwerde ein.
1.4.1. Die mit "Wahlrecht" überschriebene Bestimmung des §20 Abs1 Nö. Landtagswahlordnung 1974 (LWO), LGBl. 0300-3, lautet folgendermaßen:
"Wahlberechtigt ist jeder österreichische Staatsbürger, der spätestens im Jahr der Wahl das 19. Lebensjahr vollendet, vom Wahlrecht nicht ausgeschlossen ist und in einer Gemeinde des Landes Niederösterreich seinen ordentlichen Wohnsitz hat."
1.4.2. §25 Abs1 Satz 1 LWO bestimmt:
"Die Wahlberechtigten sind in Wählerverzeichnisse einzutragen."
1.4.3. §26 Abs2 LWO hat folgenden Wortlaut:
"Der ordentliche Wohnsitz einer Person ist an jenem Ort begründet, welchen sie zu einem Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen, beruflichen oder gesellschaftlichen Betätigung zu gestalten die Absicht hatte. Dies bedeutet allerdings nicht, daß die Absicht dahin gehen muß, an dem gewählten Ort für immer zu bleiben; es genügt, daß der Ort nur bis auf weiteres zu diesem Mittelpunkt frei gewählt worden ist."
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1. Der administrative Instanzenzug ist ausgeschöpft (§34 Abs2 letzter Satz LWO).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Das in Art95 iVm Art26 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Wahlrecht zu den Landtagen wird durch rechtswidrige Nichteintragung eines Wahlberechtigten in das Wählerverzeichnis verletzt. Das ist auch dann der Fall, wenn das zur Nichteintragung führende Verwaltungsverfahren an wesentlichen Mängeln leidet (vgl. hiezu die ständige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur rechtswidrigen Nichteintragung in Wählerverzeichnisse für Gemeinderatswahlen, zB VfSlg. 5148/1965, 7017/1973, 7766/1976, 10.668/1985; s. auch VfSlg. 8845/1980, VfGH 26.2.1987 B998/86).
2.2.2. Die Begründung des angefochtenen Bescheides besteht im Kern nur in der knappen Feststellung, daß der Beschwerdeführer in der Gemeinde Weiden a.d. March keinen ordentlichen Wohnsitz habe. Aus welchen Gründen die belangte Behörde zu dieser Annahme gelangte, wurde nicht einmal ansatzweise angegeben, obwohl der Beschwerdeführer in der Berufungsschrift dargelegt hatte, daß er Besitzer eines winterfesten Holzhauses in Zwerndorf sei und dieses Gebäude - wenn auch als Pensionist zur Erholung - das ganze Jahr über bewohne. Vollkommen unerörtert und ungewürdigt blieb auch das sinngemäße (weitere) Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren, er komme (in Zwerndorf) für Strom-, Müllabfuhr-, Kanalräumungs- und Schneeräumungskosten auf, kaufe dort Güter des täglichen Bedarfs und arbeite in einem Ortsverein mit. Sieht man von einem wenig aussagekräftigen Erhebungsbogen zur "Landesbürgerevidenz" und einem in der Begründung des Berufungsbescheides zwar mittelbar erwähnten, aber nicht nachvollziehbar ausgewerteten Erhebungsbericht (Aktenvermerk) ab, der bloß allgemein gehalten ist und auf die spezifischen Verhältnisse des konkreten Falls nicht genügend eingeht, unterblieben hier (auch) geeignete Ermittlungen zur Klärung des entscheidungswichtigen Sachverhaltes, und zwar insbesondere zur Überprüfung des deutlich dargelegten Standpunktes des Berufungswerbers: Dieser Umstand im Zusammenhalt mit der völlig unzulänglichen Bescheidbegründung, die sich nach dem Gesagten mit den Einlassungen des Beschwerdeführers überhaupt nicht befaßte und auseinandersetzte, kennzeichnet aber die von der belangten Behörde eingehaltene Prozedur - selbst unter gebührender Berücksichtigung der geringeren Anforderungen, die an das Ermittlungsverfahren vor Wahlbehörden schon angesichts der kurzen zur Verfügung stehenden Fristen zu stellen sind (VfSlg. 8845/1980) - unter dem Aspekt der maßgebenden Frage des ordentlichen Wohnsitzes als derart grob mangelhaft und ergänzungsbedürftig (s. etwa auch: VfSlg. 7017/1973, 7766/1976, 8845/1980; VfGH 9.6.1988 B1263/87), daß bereits von einer Verfassungswidrigkeit iS der zu Punkt 2.2.1. wiedergegebenen verfassungsgerichtlichen Judikatur gesprochen werden muß. Dies alles vor dem Hintergrund der (im Berufungsverfahren ebenfalls vernachlässigten) Tatsache, daß der Beschwerdeführer kraft Bescheides der Bezirkswahlbehörde Gänserndorf als Berufungsinstanz vom 21. März 1985, Z2-A/85, in das Wählerverzeichnis der Gemeinde Weiden a.d. March (zu den Gemeinderatswahlen 1985) aufzunehmen und einzutragen war, weil er in dieser Kommune einen ordentlichen Wohnsitz hatte.
2.2.3. Mithin wurde der Beschwerdeführer durch den angefochtenen, die Eintragung in das Wählerverzeichnis verweigernden Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Wahlrecht zum Landtag (Art95 iVm Art26 B-VG) verletzt.
Der Bescheid war darum schon aus diesem Grund als verfassungswidrig aufzuheben, ohne daß es eines Eingehens auf das sonstige Beschwerdevorbringen bedurfte.
2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 1.000 S enthalten.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Wahlen, Wählerverzeichnis, Wahlrecht aktives, Ermittlungsverfahren WahlbehördenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1804.1988Dokumentnummer
JFT_10109773_88B01804_00