TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/1 90/11/0217

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Veröffentlicht am 01.10.1991
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §52;
KDV 1967 §30 Abs1;
KDV 1967 §31a;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs2;
KFG 1967 §67 Abs3;
KFG 1967 §69 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des Helmut H in G, vertreten durch Dr. Ch, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Oktober 1990, Zl. 11-39 Hu 3-87, betreffend Erteilung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 15. Oktober 1990 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 4. Dezember 1989 auf Verlängerung der Gültigkeit seiner bis 23. Dezember 1989 befristeten Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B und F gemäß § 64 Abs. 2 KFG 1967 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Grund für die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers war die Ansicht der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer fehle die geistige und körperliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen. Dem liegt, wie die Begründung des angefochtenen Bescheides zeigt, die Annahme zugrunde, der Beschwerdeführer weise erhebliche Mängel im Bereich der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit auf und besitze daher nicht die nötige kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit (§ 30 Abs. 1 Satz 2 KDV 1967). Die belangte Behörde stützte sich dabei ausschließlich auf das von ihr eingeholte, im angefochtenen Bescheid wörtlich wiedergegebene Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 31. August 1990. Im Befundteil dieses Gutachtens heißt es nach Wiedergabe der Ergebnisse der Untersuchung des Beschwerdeführers:

"In der Exploration Fingerzeigeversuche o.B., Liderzittern, Handschweiß und feinschlägiger Fingerspitzentremor sind nicht erhebbar, Barany-Bewegungsablauf weder ausfahrend noch schwankend. Im weiteren Gespräch vorerst ruhig, geordnet, im Zuge der weiteren Exploration ausweichend und realitätsfremd, die ganze Problematik verniedlichend.

Dem nervenfachärztlichen Gutachten vom 12. Jänner 1990 wird dahingehend gefolgt, daß der Verdacht auf Unfähigkeit zur Konzentration sowie richtigen und angemessenen Reaktion durch eine Beobachtungsfahrt zu überprüfen wäre. Wenn auch derzeit nicht zweifelsfrei abklärbar scheint, ob ein Abbau- und Defektsyndrom ausgeschlossen werden kann, wird die oben zitierte Beobachtungsfahrt durchzuführen sein.

Sohin wurde im Beisein eines kraftfahrtechnischen Amtssachverständigen der Fachabteilung V der Landesbaudirektion Graz am 15. Juni 1990 eine Beobachtungsfahrt durchgeführt. Nach diesem Ergebnis, eingelangt mit Gutachten vom 12. Juli 1990, zeigt sich folgender Sachverhalt: Bei einer Fahrt durch das Grazer Stadtgebiet wählt der Berufungswerber nicht jene Geschwindigkeit, die der Verkehrssituation angepaßt erscheint, sondern fährt mit Imponiergehabe viel zu schnell: So in Bereichen mit vorgeschriebenen höchstens 50 km/h wählt er 60 - 65 km/h. In Bereichen, für die maximal 30 km/h vorgeschrieben sind, fährt Herr Helmut H stolze 50 km/h. Es steigerte nicht das Sicherheitsgefühl der mitfahrenden Amtssachverständigen, wenn der Berufungswerber viel zu knapp an parkenden Kraftfahrzeugen und für die Situation viel zu schnell vorbeifährt. Hinsichtlich der Abstandhaltung zum Vordermann wurde mehrmals in Kolonne festgestellt, daß die Abstände mit 5 - 10 m bei 50 km/h zu knapp und damit risikoreich gewählt wurden. Dieses andauernd stark überhöhte Risiko gefährdet Kinder am Fahrbahnrand und übrige Personengruppen, so auch die mitfahrenden Amtssachverständigen. Im Zuge von Begegnungen im Kreuzungsverkehr wird in äußerst rasanter Fahrweise viel zu knapp vor dem entgegenkommenden geradeausfahrenden PKW nach links eingebogen. Besonders negativ fiel auf, daß am Fußgängerübergang an Fußgängern, die die Straße zu überqueren beabsichtigen, noch knapp und schnell vorbeigefahren wird. An einer Stopptafel wird nicht in typischer Weise angehalten - der Berufungswerber fährt einfach, allerdings mit geringerer Geschwindigkeit über die Kreuzung.

Gutachtlich ist das Ergebnis dieser wichtigen Beobachtungsfahrt demnach negativ zu beurteilen. Es ist völlig unverständlich, warum der Berufungswerber in dieser wesentlichen Beurteilungsphase mit überschießendem Imponiergehabe die günstigen Verhaltensmuster im Straßenverkehr völlig vermissen ließ. Dies im Beisein von technischen und ärztlichen Sachverständigen, welche sich gefährdet fühlten. Wenn der Berufungswerber nicht einmal diese Situation als jene der Beurteilungsphase seines Fahrverhaltens erkennt, wie mag seine 'Vorgangsweise' ohne Beisein von Amtssachverständigen ausfallen?"

Das abschließende "Gutachten" lautet:

"Nach dem Untersuchungsbefund und der Exploration erscheint der Berufungswerber grob klinisch weitgehend unauffällig. Im Zuge der weiteren Exploration ausweichend und realitätsfremd sowie die ganze Problematik verniedlichend. Daher wurde unter Berücksichtigung des nervenfachärztlichen Gutachtens vom 12. Jänner 1990 die Möglichkeit der Beobachtungsfahrt gewählt, welche nach dem Ergebnis als negativ zu beurteilen ist. Insbesondere das Imponiergehabe und Fahren mit erhöhter Geschwindigkeit gefährdeten nicht nur die mitfahrenden Amtssachverständigen, sondern auch Kinder und Erwachsene am Straßenrand, den Vordermann im fließenden Verkehr sowie die entgegenkommenden Kraftfahrer im Kreuzungsverkehr. Neben dem Mißachten von Geschwindigkeitsbeschränkungen ist das Nichtanhalten bei Stopptafeln besonders verwerflich. Ein Abbau- und Defektsyndrom ist nicht auszuschließen. Demnach erscheint der Berufungswerber zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppen B und F körperlich und geistig derzeit 'nicht geeignet'."

Wie sich aus diesem Gutachten ergibt, diente die Beobachtungsfahrt der Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers. Deren Verneinung durch den Sachverständigen erfolgte allein auf Grund des geschilderten Verhaltens des Beschwerdeführers bei der Beobachtungsfahrt. Ungeachtet der vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage der Richtigkeit der Darstellung seines Fahrverhaltens durch den ärztlichen Sachverständigen vermag dieses Gutachten schon mangels entsprechender Schlüssigkeit keine taugliche Grundlage für die Beurteilung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu bilden. Dem Gutachten zufolge unterliefen ihm bei der Beobachtungsfahrt auffallend viele, zum Großteil schwerwiegende Verstösse gegen die Verkehrsvorschriften. Dieser Umstand allein läßt aber noch nicht zwingend auf erhebliche Mängel im Bereich der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers schließen. Das im Gutachten geschilderte Fahrverhalten des Beschwerdeführers könnte genauso gut auf Unkenntnis der maßgebenden Verkehrsvorschriften oder allenfalls auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zurückzuführen sein. Jedenfalls ist auch unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ohne weiteres einsichtig, daß als Ursache hiefür gerade ein Mangel der Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit des Beschwerdeführers in Betracht kommt. Es hätte daher konkreter, nachvollziehbarer Ausführungen bedurft, weshalb - wie dies der ärztliche Sachverständige und ihm folgend die belangte Behörde angenommen haben - das geschilderte Fahrverhalten des Beschwerdeführers auf unzureichende Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit zurückzuführen sei. Dieser Verfahrensmangel wird nicht etwa durch das Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde und das ihm zugrundeliegende nervenfachärztliche Gutachten vom 12. Jänner 1990 - dort wird die Fahrtauglichkeit des Beschwerdeführers wegen "Unfähigkeit zu Konzentration und richtiger, angemessener Reaktion" verneint -, saniert, weil der Amtssachverständige der belangten Behörde selbst das letztere Gutachten nicht als ausreichende Grundlage für die Verneinung der kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers angesehen hat, wie seine Bemerkung zeigt, dem nervenfachärztlichen Gutachten werde "dahingehend gefolgt, daß der VERDACHT auf Unfähigkeit zur Konzentration sowie richtigen und angemessenen Reaktion durch eine Beobachtungsfahrt zu überprüfen wäre".

Im Hinblick auf die beiden vorhin angeführten weiteren möglichen Ursachen für das Fahrverhalten des Beschwerdeführers bei der Beobachtungsfahrt (Unkenntnis der maßgebenden Verkehrsvorschriften, mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung) ist festzuhalten, daß eine Beurteilung der fachlichen Befähigung des Beschwerdeführers zum Lenken von Kraftfahrzeugen oder seiner Bereitschaft zur Verkehrsanpassung allein auf Grund des Ergebnisses der Beobachtungsfahrt nicht möglich ist. Denn die Beurteilung der ersteren Eignungsvoraussetzung erfordert ein Gutachten gemäß § 67 Abs. 3 KFG 1967, die Beurteilung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung (siehe zu diesem Begriff das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 1991, Zl. 90/11/0143) als einer Komponente seiner geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ein Gutachten gemäß § 67 Abs. 2 KFG 1967 (iVm einem verkehrspsychologischen Befund gemäß § 31a KDV 1967). Im vorliegenden Fall liegen Gutachten zu diesen beiden Eignungsvoraussetzungen nicht vor (was die Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Verkehrsanpassung anlangt, befaßt sich damit weder das amtsärztliche Gutachten vom 31. August 1990 noch das ihm zugrundeliegende fachärztliche Gutachten vom 12. Jänner 1990).

Da die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid - ohne daß auf das Beschwerdevorbringen eingegangen werden muß - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1990110217.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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