Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §7 Abs1 Z5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des V in B, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 18. Juni 1990, Zl. FrB-4250/90, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt,
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 9. Mai 1990 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 und § 4 Fremdenpolizeigesetz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen. Die erstinstanzliche Behörde stellte fest, daß der am 16. August 1968 geborene Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, am 9. Dezember 1989 nach Österreich eingereist sei. Seine Familie wohne in der Bundesrepublik Deutschland. Gegen den Beschwerdeführer bestehe für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein unbefristetes Aufenthaltsverbot; außerdem sei er in der Bundesrepublik Deutschland zur Verhaftung ausgeschrieben. Er sei im Jahre 1970 zusammen mit seiner Mutter zu seinem in der Bundesrepublik Deutschland als Gastarbeiter beschäftigten Vater gekommen. Nach Abbruch seiner Lehre als Autolackierer sei er bei verschiedenen Arbeitgebern als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen. Mit 16 Jahren sei er erstmals straffällig geworden, indem er teils allein, teils im Zusammenwirken mit anderen Tätern im Raume Radolfszell Laden- und Taschendiebstähle verübt habe. Mit 18 Jahren sei er bei einem Tankstelleneinbruch auf frischer Tat betreten und in der Folge verurteilt worden. Die Strafe sei auf Bewährung nachgesehen worden. Während der Bewährungszeit habe er einen weiteren Diebstahl verübt, sei dabei auf frischer Tat betreten und in der Folge zu 17 Monaten Haft verurteilt worden. Nach Verbüßung von 10 Monaten sei er Anfang 1988 aus der Strafhaft entlassen worden. Nachdem er auf Grund einer Ausweisungsverfügung des Landratsamtes Neckar-Odenwald Ende 1988 die Bundesrepublik Deutschland verlassen habe, habe er sich in Italien und Spanien aufgehalten und sei im Sommer 1989 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Die Behörde stützte diese Feststellungen auf die Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 14. Februar 1990 und vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, die wiederholten Straftaten des Beschwerdeführers rechtfertigten die Annahme, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährden werde.
2. In seiner dagegen erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer im wesentlichen geltend, das Verfahren sei mangelhaft geblieben. "Ein diffuses und ungefähres Bild, wie es der Beschwerdeführer in seiner Niederschrift vom 14.2.1990 geschildert hat, reicht für eine fremdenpolizeilich gebotene exakte Beurteilung nicht aus." Die Behauptung, die Verurteilung des Beschwerdeführers habe Art. 6 EMRK entsprochen, sei in ihrer "Pauschalität" unhaltbar. Die Behörde werde ein ordnungsgemäßes amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen haben. Infolge der bereits vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens erteilten Weisung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, komme eine objektive Behandlung der Berufung durch diese Behörde nicht in Betracht und werde jeder Mitarbeiter dieser Behörde als befangen abgelehnt.
3. Mit Bescheid vom 18. Juni 1990 gab die belangte Behörde dieser Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Sie übernahm die Sachverhaltsfeststellungen der erstinstanzlichen Behörde und teilte auch deren Rechtsauffassung. Ergänzend führte sie aus, es lägen keine Gründe vor, ihre Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Die Ausübung des Weisungsrechtes sei nicht als ein derartiger Grund anzusehen.
II.
Gegen den zuletzt genannten Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die nach Ablehnung ihrer Behandlung vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluß vom 5. März 1991, B 997/90, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Nach § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist; einer solchen Verurteilung ist eine Verurteilung durch ausländisches Gericht dann gleichzuhalten, wenn sie den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.
Gemäß § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz ist dann, wenn durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen würde, seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen: 1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen; 2. die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen; 3. die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 der oben zitierten Konvention ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
2.1. Der Beschwerdeführer meint, der maßgebliche Entscheidungssachverhalt sei nur "unzureichend unbestimmt". Soweit er in diesem Zusammenhang rügt, die belangte Behörde habe es unterlassen, den Grund für das angeblich in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Aufenthaltsverbot festzustellen, ist ihm zu erwidern, daß es unerheblich ist, aus welchen Gründen eine ausländische Behörde ein Aufenthaltsverbot erlassen hat, wenn ohnedies - wie im vorliegenden Fall - auf Grund der Angaben des Fremden selbst die Verurteilungen durch ein ausländisches Gericht festgestellt wurden und damit vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz auszugehen ist.
2.2. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, im Hinblick auf die Weisung an die erstinstanzliche Behörde, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, seien sämtliche Mitarbeiter der belangten Behörde als befangen anzusehen.
Damit vermag der Beschwerdeführer schon deshalb eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht darzutun, weil sich bereits auf Grund der Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung am 14. Februar 1990 das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz ergeben hatte und somit die Erteilung der Weisung nicht unsachlich war. Im übrigen gilt ein Organ der Berufungsbehörde nicht schon deshalb als befangen, weil es durch Erteilung einer Weisung auf den Inhalt der erstinstanzlichen Entscheidung Einfluß genommen hat (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, E.Nr. 9 zu § 7 Abs. 1 AVG).
2.3. Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie habe jede Ermittlungstätigkeit unterlassen, ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen die von der belangten Behörde getroffenen, auf den Angaben des Beschwerdeführers beruhenden Sachverhaltsfeststellungen unrichtig sein sollen. Der Beschwerdeführer hat es unterlassen auszuführen, auf Grund welcher Beweismittel die belangte Behörde zu anders lautenden Feststellungen hätte gelangen können. Er hat daher das Vorliegen des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan.
Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, um die nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz gebotene Interessenabwägung vornehmen zu können. Er unterläßt aber auch in diesem Zusammenhang jeden Hinweis darauf, welche zu seinen Gunsten sprechenden Umstände die belangte Behörde hätte feststellen müssen, sowie auf Grund welcher Beweismittel dies hätte erfolgen sollen. Es kann daher schon im Hinblick auf die Kürze des Aufenthaltes des Beschwerdeführers und das Fehlen familiärer Bindungen in Österreich nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde bei der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz zu dem Ergebnis gelangt ist, daß die hier berührten öffentlichen Interessen, insbesondere die öffentliche Sicherheit sowie der Schutz der Rechte anderer, unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.
2.4. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, er habe vor der endgültigen Entscheidungsfindung durch die belangte Behörde keine Möglichkeit gehabt, seine Gründe gegen ein Aufenthaltsverbot darzulegen, sind aktenwidrig, weil ihm im Verwaltungsverfahren - wie sich aus den von ihm erstatteten Schriftsätzen, insbesondere der Berufung ergibt - ausreichend Gelegenheit geboten wurde, seinen Standpunkt vorzutragen. Soweit er in diesem Zusammenhang wiederum auf die Weisung der belangten Behörde vom 15. Februar 1990 Bezug nimmt, erübrigt sich im Hinblick auf die Ausführungen unter Punkt 2.2. ein neuerliches Eingehen auf diesen Vorwurf.
3. Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich durch die im Zusammenhang mit der Anregung, § 3 Fremdenpolizeigesetz als verfassungswidrig anzufechten, erstatteten Ausführungen des Beschwerdeführers nicht zu einer Antragstellung im Sinne des Art. 140 Abs. 1 B-VG veranlaßt. Es genügt diesbezüglich, auf die bereits vom Verfassungsgerichtshof in seinem Ablehnungsbeschluß vom 26. November 1990, B 997/90, zitierte Rechtsprechung zu verweisen.
4. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991190050.X00Im RIS seit
24.01.2001Zuletzt aktualisiert am
14.10.2010