Index
10/10 Grundrechte;Norm
ApG 1907 §10 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof über die Beschwerde des Mag. pharm. Erich K in F, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in R, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und öffentlicher Dienst vom 7. September 1987, Zl. 245.219/1-VI/15/1987, betreffend Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke in S (mitbeteiligte Partei:
Mag. pharm. Ingeborg X in L, vertreten durch Dr. V, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Gesundheit, Sport und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- sowie der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1.1. Mit Bescheid vom 2. Oktober 1986 wies der Landeshauptmann von Oberösterreich das Ansuchen des Beschwerdeführers auf Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke in S mit dem Standort des Gebietes der Marktgemeinde S sowie auch das Eventualbegehren des Beschwerdeführers um Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine jährlich wiederkehrende Periode im selben Standorte gemäß § 24 Abs. 1 in Verbindung mit § 53 des Apothekengesetzes, RGBl. Nr. 5/1907 in der Fassung BGBl. Nr. 502/1984 (im folgenden: ApG), ab.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung.
1.2. Mit Bescheid vom 7. September 1987 wies der Bundesminister für Gesundheit und öffentlicher Dienst diese Berufung ab. Nach der Begründung dieses Bescheides sei bei der hier gegebenen Entfernung von nur ca. 370 m zwischen dem Standort der Hauptapotheke und jenem der in Aussicht genommenen Filialapotheke kein Bedarf gegeben, da diese Wegstrecke auch zu Fuß selbst von älteren Menschen innerhalb weniger Minuten zu bewältigen sei. Bei einer derart geringen Entfernung sei ein Bedarf nach einer zusätzlichen Heilmittelabgabestelle auch in Anbetracht der übrigen Umstände nicht gegeben. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck habe ausführlich dargelegt, daß für die Filialapotheke in S kein Bedarf bestehe; ebenso habe die Österreichische Apothekerkammer einen Bedarf nicht als gegeben erachtet. Bei einer so geringen Entfernung sei selbst für die Sommermonate keine weitere Apothekeneinrichtung erforderlich. Daß ein Teil der in Betracht kommenden Bevölkerung auch durch die nächstgelegene Apotheke in L versorgt werde, stütze zusätzlich das Nichtvorliegen eines Bedarfes.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Nach der Begründung der Beschwerde sei zwischen dem Bedarf nach einer Apotheke (§ 10 Abs. 1 ApG) und dem Bedarf nach einer Verabreichungsstelle (§ 24 leg. cit.) zu unterscheiden. Nach § 24 Abs. 4 ApG sei eine Betriebszeitenfestlegung unter Berücksichtigung des Bedarfes möglich; der Gesetzgeber gehe also davon aus, daß Filialapotheken auch bei geringerem Bedarf zulässig seien, als dies bei Hauptapotheken gefordert werde. Die Begriffsbestimmungen des § 10 Abs. 1 und 2 ApG seien für Filialapotheken nicht anwendbar, da § 24 Abs. 7 ApG lediglich auf § 9 Abs. 2 und § 14 Abs. 1 verweise, nicht aber auf § 14 Abs. 2 ApG. Daher sei die Frage der Entfernung zwischen Hauptapotheke und Filialapotheke keine Frage des Bedarfes. Es sei im Gesetz ausdrücklich nur eine Maximalentfernung vorgesehen, jedoch keine Minimalentfernung.
Die belangte Behörde hätte sich daher nicht darauf beschränken dürfen, die beantragte Filialapothekenbewilligung bloß wegen der Entfernung von 370 m zu versagen. Bei S und F handle es sich um eigene Orte mit eigenen Lebenskreisen, die nur durch eine Brücke miteinander verbunden seien. Für kranke und alte Menschen sei die Überwindung von 370 m von Bedeutung. Jede Brücke bringe Glatteisgefahr mit sich und bedeute insbesondere bei Regen und Schnee eine Erschwernis und auch eine Gefahr. S und F zusammen hätten ca. 7000 Einwohner ohne Zweitwohnungsbesitzer und ohne Urlauber. Zähle man diese dazu, so erhalte man eine hohe Zahl von Einwohnern, die sicherlich günstiger von zwei Standorten aus zu betreuen sei. Zu Unrecht habe die belangte Behörde die beantragte Vernehmung der Ärzte von S und einen Lokalaugenschein nicht vorgenommen. Es werde angeregt, die Bedarfsregelung des § 24 ApG vor dem Verfassungsgerichtshof wegen Widerspruchs zur Erwerbsausübungsfreiheit anzufechten.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Partei eine Gegenschrift.
2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. § 24 ApG lautet auszugsweise:
"(1) Dem Inhaber einer öffentlichen Apotheke ist die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine Ortschaft, in der sich keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zu erteilen, wenn diese Ortschaft nicht mehr als vier Straßenkilometer von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke entfernt ist und der Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht.
(2) Die Filialapotheke darf nur im Zusammenhang mit der öffentlichen Apotheke, für die sie bewilligt wurde, betrieben werden.
...
(4) Die Betriebszeiten einer Filialapotheke sind unter Berücksichtigung des Bedarfes nach Anhören der Österreichischen Apothekerkammer von der Bezirksverwaltungsbehörde so festzusetzen, daß zumindest ein zeitweises Offenhalten an Werktagen gegeben ist. Eine Dienstbereitschaft außerhalb der jeweils festgesetzten Offenhaltezeiten entfällt.
...
(7) Für Filialapotheken gelten § 9 Abs. 2 und § 14 Abs. 1 sinngemäß."
§ 25 leg. cit. bestimmt:
"Wird eine Filialapotheke für einen vorübergehenden Bedarf bewilligt, so ist gleichzeitig die Dauer der Bewilligung festzusetzen."
2.2. § 24 Abs. 1 ApG sieht als Bewilligungsvoraussetzung für den Betrieb einer Filialapotheke vor, erstens daß sich in der Ortschaft, für die die Bewilligung erteilt werden soll, keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zweitens daß diese Ortschaft nicht mehr als vier Straßenkilomter von der Betriebsstätte der öffentlichen Stammapotheke entfernt ist, und drittens daß der Bedarf nach einer Verabreichungstelle von Arzneimitteln besteht. Das Nichtvorliegen einer Existenzgefährdung bestehender öffentlicher (Nachbar-)Apotheken ist vom Gesetzgeber in dieser Bestimmung nicht als Bewilligungsvoraussetzung normiert worden. Auch hat der Gesetzgeber im § 24 ApG (anders als in § 10 Abs. 2 Z. 2 und § 29 Abs. 1 ApG) keine ausdrückliche Regelung über einen Mindestabstand von der nächsten öffentlichen (Nachbar-)Apotheke und - worauf es im Beschwerdefall ankommt - über einen Mindestabstand von der Stammapotheke vorgesehen.
Wie § 29 Abs. 1 ApG, der für ärztliche Hausapotheken nur eine formalisierte Bedarfsumschreibung vornimmt und einen Bedarf bei Überschreiten einer bestimmten Mindestentfernung von der nächsten öffentlichen Apotheke von Gesetzes wegen als gegeben erachtet (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 1985, Zl. 85/08/0048, Slg. N.F. Nr. 11756/A = ZfVB 1985/6/2110), enthält auch § 24 Abs. 1 ApG, betreffend Filialapotheken, Elemente dieser Art, einen voraussichtlichen Bedarf zu umschreiben, nämlich z.B. durch die negative Bewilligungsvoraussetzung, daß sich in der Ortschaft keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet. Wäre eine solche vorhanden, dann bedürfte es keiner weiteren Bedarfsprüfung mehr, die Bedarfsfrage wäre bereits abschließend verneint. Zu diesem negativen Bedarfskriterium tritt im Bereich des § 24 Abs. 1 ApG (anders als nach § 29 Abs. 1 ApG) als weiteres Tatbestandsmoment hinzu, daß die mit dem unbestimmten Rechtsbegriff "Bedarf" umschriebene besondere Nachfragesituation nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 91/10/0020 bis 0024, 0030 = ZfVB 1991/4/1335).
2.3. Wie die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zur Apothekengesetznovelle 1984 (395 BlgNR XVI. GP., 13) betonen, sollte durch die Regelung des § 10 Abs. 2 für neue öffentliche Apotheken die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Bedarfsvoraussetzungen fortgeschrieben werden. Während der Gesetzgeber nun aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem das Bedarfselement der Mindestentfernung von der nächsten öffentlichen Apotheke herausgehoben und in der Regelung für neue öffentliche Apotheken im § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG in der Fassung aus 1984 mit 500 m positiviert hat, beließ er es für FILIALapotheken dabei, die geforderte spezifische Nachfragesituation durch den unbestimmten Rechtsbegriff des Bedarfes nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln zu umschreiben. Die Rechtsprechung der Höchstgerichte aus der Zeit vor der Novelle 1984 zu diesem Begriff zeigt, daß dieser einer Auslegung zugänglich ist. Die Rechtsprechung hat einerseits die Versorgung einer bestimmten Personenzahl und andererseits eine Erleichterung der Heilmittelversorgung als maßgebend angesehen. Zur Ermittlung dieses Begriffes ist daher - was die hier allein in Rede stehende RÄUMLICHE Komponente anlangt - auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Bedarf (Bedürfnis) im Sinne des ApG in der Fassung vor der Novelle 1984 zurückzugreifen.
Nach dieser Rechtsprechung wurde eine wesentliche Erleichterung der Heilmittelversorgung unter dem Gesichtspunkt der Wegersparnis (selbst) im städtischen Bereich bei einer Ersparnis von ca. 1300 m (hg. Erkenntnis vom 17. September 1974, Zl. 1535/73), von 860 bis 1250 m (Erkenntnis vom 23. September 1975, Zl. 1878/74), von mindestens 1000 m (hg. Erkenntnis vom 31. August 1978, Zl. 2014/77) und "von 600 m, meist aber wesentlich mehr" (Erkenntnis vom 16. April 1982, Zl. 81/08/0067 = ZfVB 1983/3/1008) als gegeben erachtet, während eine Wegersparnis von bloß 390 m, d.s. drei bis vier Gehminuten (hg. Erkenntnis vom 29. April 1966, Zl. 2143/65), von rund 400 bis 500 m (Erkenntnis vom 25. Februar 1969, Zl. 1063/68), von 350 bzw. 600 m (Erkenntnis vom 28. November 1978, Zl. 1051/77 = ZfVB 1979/3/705) oder von 300 m (Erkenntnis vom 10. Oktober 1985, Zl. 82/08/0068 = ZfVB 1986/5/1953) als nicht ausreichend angesehen wurde. Letzteres wurde selbst für den Fall ausgesprochen, daß die Überwindung dieser Entfernung zeitweilig eine besondere Aufmerksamkeit im Straßenverkehr erfordert (hg. Erkenntnis vom 23. Februar 1984, Zl. 81/08/0045 = ZfVB 1984/5/1899; 10. Oktober 1985, Zl. 82/08/0068 = ZfVB 1986/5/1953). Für ländliche Verhältnisse wurde, so läßt sich aus der Rechtsprechung ableiten, eine größere Wegersparnis für erforderlich erachtet als in städtischen Gebieten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. November 1978, Zl. 933/77 = ZfVB 1979/3/704).
Gemessen an diesem Begriffsinhalt des unbestimmten Rechtsbegriffes des Bedarfes nach einer Arzneimittelabgabestelle reicht auch im Bereich des § 24 Abs. 1 ApG unter dem Gesichtspunkt der zu erzielenden Wegersparnis eine Entfernung der Stammapotheke von der Filialapotheke von nur 370 m Wegstrecke für die Annahme einer wesentlichen Erleichterung der Heilmittelversorgung der Bevölkerung und damit zur Bejahung des Bedarfes nicht aus. Dem stehen die vom Beschwerdeführer behauptete Gefahr und Erschwernis, die die Überwindung einer jeden Brücke bei Regen, Schnee oder Glatteis mit sich bringe, nicht entgegen, zumal die Verwaltungsbehörden unwidersprochen festgestellt haben, daß S mit F durch eine relativ kurze, gut ausgebaute Brücke und gesicherte Schutzwege verbunden ist.
Da der Beschwerdeführer auch nicht behauptet hat, daß die für die medizinische Versorgung der Bevölkerung von S ihrer Lage nach in Betracht kommenden Apotheken (also in erster Linie die Stammapotheke) der Nachfrage nicht nachkommen können, erweist sich die Verneinung des Bedarfes nach der angestrebten Filialapotheke nicht als rechtswidrig.
2.4. Der Verfassungsgerichtshof ist wegen der besonderen Bedeutung der Apotheken für die Volksgesundheit zum Ergebnis gelangt, daß die Verleihung einer Apothekenkonzession der Sache nach vom Vorliegen eines Bedarfes abhängig gemacht werden darf (VfSlg. 10386/1985, 11937/1988). Dies gilt nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes auch für die das Versorgungssystem durch öffentliche Apotheken ergänzende Einrichtung von Filialapotheken. Beim Verwaltungsgerichtshof sind daher keine Bedenken dahin entstanden, daß die angewendeten Gesetzesbestimmungen des ApG dem Art. 6 StGG widersprächen.
2.5. Aus den dargelegten Erwägungen ergibt sich, daß die beschwerdeführende Partei durch den angefochtenen Bescheid in ihren Rechten weder wegen der geltend gemachten noch wegen einer vom Verwaltungsgerichtshof aus eigenem aufzugreifenden Rechtswidrigkeit verletzt worden ist.
Die Beschwerde war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
2.6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47, 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 sowie 48 Abs. 3 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I Z. 4, 5 und 7 sowie Art. III Abs. 2 der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991.
2.7. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1987080278.X00Im RIS seit
25.04.2001