Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ASVG §4 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichshof hat über die Beschwerde des W in S, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 26. Juni 1990, Zl. 120.168/15-7/89, betreffend Versicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG (mitbeteiligte Parteien: 1. T Ges.m.b.H. & Co.KG. in H, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in S,
2. Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, Friedrich Hillegeiststraße 1, 3. Allgemeine Unfallversicherungsanstalt in 1200 Wien, Adalbert Stifterstraße 65), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das auf den Ersatz der Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
Die Gegenschrift der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse in 8011 Graz, Josef Pongratz-Platz 1, wird zurückgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 21. April 1986 sprach die Steiermärkische Gebietskrankenkasse aus, daß der Beschwerdeführer in der Zeit vom 20. Dezember 1959 bis 30. April 1982 auf Grund seiner Tätigkeit als Ortsreiseleiter bei der erstmitbeteiligten Partei der Sozialversicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 ASVG sowie gemäß § 1 Abs. 1 lit. a AlVG unterlegen sei. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführer auf Grund der mit der Erstmitbeteiligten abgeschlossenen Zielortvereinbarung nicht im Rahmen eines Werkvertrages, sondern in dienstnehmerhafter Weise tätig gewesen. Der Beschwerdeführer sei im Rahmen der mit der Erstmitbeteiligten vereinbarten Tätigkeit voll in deren Betriebsorganisation eingegliedert und sowohl an Weisungen - wie aus den Zielortvereinbarungen hervorgehe - als auch an eine von seiten des Unternehmens bestimmte Arbeitszeit gebunden gewesen. Der Beschwerdeführer habe seine Arbeit ohne Vorliegen anerkannter Dienstverhinderungsgründe selbständig nicht unterbrechen oder zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen können. Der Beschwerdeführer sei überdies verpflichtet gewesen, die ihm obliegenden Arbeitsleistungen persönlich zu erbringen und habe im Falle seiner Verhinderung von sich aus keine andere Person mit der Reiseleitung betrauen können. Er habe für seine Arbeitsleistung ein über die jeweils in Geltung stehende Geringfügigkeitsgrenze hinausgehendes Entgelt erhalten. Der Beschwerdeführer sei somit im fraglichen Zeitraum in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt für die Erstmitbeteiligte tätig gewesen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Erstmitbeteiligte Einspruch, in dem sie unter anderem behauptete, es sei unerfindlich, wie die Gebietskrankenkasse zur Annahme komme, daß der Beschwerdeführer die Arbeitsleistungen persönlich zu erbringen gehabt habe. Eine Vertretung durch vom Beschwerdeführer ausgewählte Personen sei jederzeit möglich gewesen und auch durchgeführt worden.
Dem Einspruch der Erstmitbeteiligten wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 22. März 1988 keine Folge gegeben und der Bescheid der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse aus seinen zutreffenden Gründen bestätigt. Zur Frage der generellen Vertretungsmöglichkeit wird in der Begründung dieses Bescheides ausgeführt, aus den Zielortevereinbarungen sei nicht ersichtlich, daß sich der örtliche Reiseleiter generell durch andere Personen habe vertreten lassen können. Auch die mehrmals vorgetragenen Behauptungen der Erstmitbeteiligten, daß es für das Unternehmen nur von Bedeutung gewesen sei, daß die Reiseleitung ordnungsgemäß durchgeführt werde, und daß es gleichgültig gewesen sei, ob sich der örtliche Reiseleiter vertreten lasse, seien nicht zielführend und durch nichts bewiesen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Erstmitbeteiligte neuerlich vor, eine persönliche Arbeitspflicht des Beschwerdeführers habe nicht bestanden. Dieser habe sich vertreten lassen können und auch tatsächlich vertreten lassen.
Im Berufungsverfahren erfolgte über Veranlassung der belangten Behörde die Einvernahme der Zeugen Wilhelm F., Herbert M. und Johann G. Der Beschwerdeführer war zur Verhandlung geladen worden, nahm an dieser jedoch nicht teil. Den Akten des Verwaltungsverfahrens kann nicht entnommen werden, daß das Ergebnis der Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme übermittelt worden wäre.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung der Erstmitbeteiligten Folge und stellte in Abänderung des Einspruchsbescheides fest, daß der Beschwerdeführer auf Grund seiner Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte in der Zeit vom 20. Dezember 1959 bis 30. April 1982 nicht der Voll- und Arbeitslosenversicherungspflicht nach dem ASVG und AlVG unterlegen sei. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der von der belangten Behörde angewendeten Rechtsvorschriften einschließlich der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führte die belangte Behörde begründend aus, zunächst werde auf die ausführliche Sachverhaltsdarstellung im Einspruchsbescheid verwiesen. In Ergänzung dazu seien die Zeugen F., M. und G. vernommen worden. Ihren Aussagen sei zu entnehmen, daß für den Beschwerdeführer durchaus die Möglichkeit bestanden habe, sich bei seiner Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte vertreten zu lassen, ohne diese vorher davon zu informieren, und daß der Beschwerdeführer von dieser Möglichkeit auch mehrfach Gebrauch gemacht habe. In diesem Zusammenhang habe der Gebietsbeauftragte der Erstmitbeteiligten vor dem Arbeitsgericht Salzburg in einem gleichgelagerten Fall, in dem es ebenfalls um die Dienstnehmereigenschaft eines Zielortreiseleiters gegangen sei, als Zeuge ausgesagt, daß es dem Zielortreiseleiter oblegen habe, für den Fall seiner Verhinderung für eine geeignete Vertretung zur sorgen, ohne daß der Erstmitbeteiligten dabei ein Mitspracherecht zugestanden sei. Auf Grund der erwähnten Zeugenaussagen, an deren Richtigkeit zu zweifeln kein Anlaß bestehe, gelange die belangte Behörde zu der Auffassung, daß sich der Beschwerdeführer bei seiner Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte generell habe vertreten lassen können. Für seine gegenteilige Behauptung, dies sei nicht der Fall gewesen, lägen keinerlei Anhaltspunkte vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schließe die Berechtigung, eine übernommene Arbeitspflicht generell durch Dritte vornehmen zu lassen oder sich ohne weitere Verständigung des Vertragspartners zur Verrichtung der bedungenen Arbeitsleistung einer Hilfskraft zu bedienen, die persönliche Abhängigkeit wegen der dadurch fehlenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Verpflichteten aus. Könne ein Beschäftigter im Rahmen einer übernommenen Gesamtverpflichtung sanktionslos einzelne Arbeitsleistungen ablehnen und sei er dadurch in der Disposition über seine Arbeitszeit weitgehend frei und könne der Arbeitsempfänger nicht von vornherein mit der Arbeitskraft des Betreffenden rechnen oder entsprechend disponieren, so liege kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen.
Die Erstmitbeteiligte hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die Zweit- und Drittmitbeteiligte haben erklärt, auf die Erstattung einer Gegenschrift zu verzichten. Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse hat eine "Gegenschrift" erstattet, in der sie beantragt, der Beschwerde Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zur Frage nach den unterscheidungskräftigen Kriterien der Abgrenzung zwischen einem Beschäftigungsverhältnis in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und der selbständigen Ausübung einer Erwerbstätigkeit verweist der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom 19. März 1984, Slg. Nr. 11361/A, das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Slg. Nr. 12325/A, sowie im vorliegenden Fall inbesondere auf das - einen anderen für die Erstmitbeteiligte tätigen "Zielortreiseleiter" betreffende - Erkenntnis vom 17. September 1991, Zlen. 90/08/0131, 0146.
Was die Befugnis, sich vertreten zu lassen, anlangt, so schließt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine generelle Vertretungsmöglichkeit ein Dienstverhältnis aus. Die Berechtigung, eine übernommene Arbeit generell durch Dritte vornehmen zu lassen oder sich ohne weitere Verständigung des Vertragspartners zur Verrichtung der bedungenen Arbeitsleistung einer Hilfskraft zu bedienen, schließt die persönliche Abhängigkeit wegen der dadurch fehlenden Ausschaltung der Bestimmungsfreiheit des Verpflichteten aus. Kann ein Beschäftigter im Rahmen einer übernommenen Gesamtverpflichtung sanktionslos einzelne Arbeitsleistungen ablehnen, ist er dadurch in der Disposition über seine Arbeitszeit weitgehend frei und kann der Arbeitsempfänger nicht von vornherein mit der Arbeitskraft des Betreffenden rechnen oder entsprechend disponieren, so liegt kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG vor (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 10. April 1981, Slg. 10422/A, vom 10. November 1988, Zlen. 84/08/0163 und 86/08/0052, vom 24. November 1988, Zl. 86/08/0255, und vom 22. Jänner 1991, Zl. 89/08/0289); eine Befugnis, sich in bestimmten Einzelfällen, wie z.B für bestimmte Arbeiten und im Urlaubs- oder Krankheitsfall vertreten zu lassen, schließt jedoch das Vorliegen persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit nicht aus (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. November 1988, Zl. 85/08/0171, vom 27. März 1990, Zl. 85/08/0099, und vom 16. April 1991, Zl. 90/08/0117).
Die belangte Behörde hat die persönliche Abhängigkeit des Beschwerdeführers schon von der Annahme ausgehend verneint, der Beschwerdeführer habe sich bei seiner Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte generell vertreten lassen können.
Diese Annahme beruht jedoch nicht auf einem mängelfreien Ermittlungsverfahren. Die belangte Behörde stützt die oben erwähnte, dem Tatsächlichen zuzurechnende Feststellung ausschließlich auf die Aussagen der über ihre Veranlassung im Berufungsverfahren vernommenen Zeugen sowie die (ohne Angabe einer Fundstelle und ohne wörtliche Wiedergabe referierte) Aussage eines weiteren Zeugen in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren, in dem der Beschwerdeführer offenbar nicht Partei war.
Nach § 37 AVG ist es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Nach § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Nach dem Inhalt der Verwaltungsakten hat es die belangte Behörde unterlassen, das von ihr zur Begründung der entscheidungswesentlichen Tatsachenfeststellung herangezogene Ergebnis der Beweisaufnahmen dem Beschwerdeführer vorzuhalten und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben; damit hat die belangte Behörde ihrer in den oben zitierten Gesetzesstellen normierten Pflicht nicht entsprochen.
Der Beschwerdeführer hat in der Beschwerde detailliert dargelegt, aus welchen Gründen seiner Auffassung nach die erwähnten Zeugenaussagen nicht geeignet sind, die von der belangten Behörde getroffene Tatsachenfeststellung zu tragen. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Berücksichtigung dieser nicht von vornherein unbeachtlichen Ausführungen zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, erweist sich der in der Verletzung des Parteiengehörs gelegene Verfahrensmangel im Beschwerdefall auch als wesentlich.
Da die belangte Behörde abgesehen von der - wegen des unterlaufenen wesentlichen Verfahrensmangels als weitere Grundlage für rechtliche Erörterungen ungeeigneten - Feststellung, der Beschwerdeführer habe sich bei seiner Tätigkeit für die Erstmitbeteiligte generell vertreten lassen können, keine weiteren Tatsachenfeststellungen im Sinne des in der verwaltungsgerichtlichen Judikatur zur Frage des Vorliegens persönlicher Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG entwickelten Merkmalschemas getroffen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das auf Ersatz der Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 110 ASVG abzuweisen. Die Gegenschrift der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse war zurückzuweisen, weil derjenige, der die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt, nicht Mitbeteiligter im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sein kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 1980, Slg. Nr. 10057/A).
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Persönliche AbhängigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990080138.X00Im RIS seit
22.10.1991Zuletzt aktualisiert am
08.07.2009