TE Vwgh Beschluss 1991/10/22 91/14/0201

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Veröffentlicht am 22.10.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 lita;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr Schubert sowie die Hofräte Dr Hnatek und Dr Karger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr Cerne, über den Antrag der Sch GmbH & Co KG in F, vertreten durch Dr K, Rechtsanwalt in I, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur hg Zl 90/14/0113 protokollierten Beschwerde, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. August 1991, Zl 91/14/0113-5, wurde das Verfahren betreffend die von der Antragstellerin erhobene Beschwerde gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Tirol, Berufungssenat I, vom 10. April 1991, Zl 30.079-3/91, bezüglich einheitliche und gesonderte Feststellung von Einkünften sowie Gewerbesteuer für die Jahre 1982 und 1985 eingestellt, weil die Antragstellerin dem an sie ergangenen Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde insoweit nicht nachgekommen war, als sie innerhalb der gesetzten Frist weder die zurückgestellten Beschwerdeausfertigungen noch den angefochtenen Bescheid wieder vorlegte.

Mit dem nunmehrigen, am 27. September 1991 zur Post gegebenen Antrag begehrt die Antragstellerin unter Vorlage der zurückgestellten Beschwerdeausfertigungen und des angefochtenen Bescheides sowie des dreifach erstatteten (bereits im Akt zur hg Zl 91/14/0113 erliegenden) Verbesserungsschriftsatzes die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wobei sich aus dem Antrag und seinen Beilagen ergibt, erst durch den am 16. September 1991 zugestellten hg Beschluß vom 27. August 1991 habe sie Kenntnis erlangt, daß dem Auftrag zur Verbesserung der Beschwerde nicht zur Gänze nachgekommen worden sei. Ihr Rechtsanwalt handhabe seit Aufnahme seiner Tätigkeit die Übergabe und anschließende Unterfertigung von Schriftstücken, die von einer Kanzleikraft geschrieben würden, so, daß ihm in einer Postmappe die Originalschriftstücke einschließlich sämtlicher Beilagen und jeweils eines für den Handakt bestimmten Durchschlages vorgelegt würden. Bei dieser Gelegenheit überprüfe ihr Rechtsanwalt nicht nur den Inhalt der Schriftstücke, sondern auch die Beilagen auf deren Vollständigkeit. Wie sich aus der beiliegenden eidesstättigen Erklärung des Rechtsanwaltes ergebe, seien ihm anläßlich der Vorlage des Verbesserungsschriftsatzes in der Postmappe die Beschwerdeausfertigungen, der angefochtene Bescheid und ein für den Handakt bestimmter Durchschlag des Verbesserungsschriftsatzes von einer Kanzleikraft vorgelegt worden. Der Rechtsanwalt habe die Vollständigkeit der Schriftsätze und das Vorhandensein sämtlicher vorzulegender Beilagen genau überprüft, zumal es sich bei der gegenständlichen Rechtssache um eine solche von erheblicher Tragweite handle. Die unterlassene Abfertigung der Beschwerdeausfertigungen und des angefochtenen Bescheides könne nur damit erklärt werden, daß die bisher in jeglicher Hinsicht bewährte Kanzleileiterin im Zug der Kuvertierung durch ein oder mehrere Telefonate gestört worden sei und deswegen nur den Verbesserungsschriftsatz abgefertigt habe, während die Beschwerdeausfertigungen und der angefochtene Bescheid in den Handakt gelegt worden seien. Erst nach Erhalt des Einstellungsbeschlusses seien in dem bereits abgelegten Handakt die Beschwerdeausfertigungen und der angefochtene Bescheid vorgefunden worden. Bei der mit der Postabfertigung betrauten Kanzleileiterin handle es sich um eine in jeglicher Hinsicht erfahrene und bewährte Mitarbeiterin, der in ihrer elfjährigen Tätigkeit bei ihrem Rechtsanwalt ein derartiges Versehen nicht unterlaufen sei. Der der Kanzleileiterin bei der Kuvertierung unterlaufene Fehler stelle ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wobei es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handle.

Dem Antrag ist eine eidesstättige Erklärung des Rechtsanwaltes beigeschlossen, in der folgendes ausgeführt wird:

"Meine Kanzleileiterin ...., die nunmehr seit elf Jahren in

meiner Kanzlei tätig ist, hat mir am 9. Juli 1991 - wie seit Jahren schon immer üblich - den gegenständlichen Schriftsatz in Befolgung des Verbesserungsauftrages in der Postmappe vorgelegt, wobei diesem Schriftsatz das Original der seinerzeit zurückgestellten

Beschwerdeaus fertigung samt angefochtenem Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol beigelegen ist. Ich habe aus Anlaß der Unterfertigung der vorgelegten Schriftstücke nicht nur den Verbesserungsschriftsatz überprüft, sondern mich auch ausdrücklich vergewissert, ob all diese Urkunden und Beilagen vollständig vorhanden sind, was ich besten Gewissens bejahen kann.

Meine Kanzleileiterin ist nun seit elf Jahren in meiner Kanzlei tätig, überaus bewährt und erfahren und ist ihr ein derartiges Versehen noch nie unterlaufen."

Auch die Kanzleileiterin legte dem Antrag eine eidesstättige Erklärung bei, in der sie folgendes behauptet:

"In der Kanzlei .... ist es seit Aufnahme meiner Tätigkeit

immer üblich, daß sämtliche Schriftstücke, die von mir im Laufe des Tages geschrieben werden, samt allen Beilagen und Urkunden und jeweils einem für den Handakt bestimmten Schriftstück von mir in einer Postmappe eingeordnet und Dr Z zur Unterfertigung vorgelegt werden. Ich kann im gegenständlichen Fall unter Ausschluß jeglichen Zweifels bestätigen, daß ich nicht nur den Schriftsatz zur Verbesserung, sondern auch sämtliche zurückgestellten

Beschwerdeausfertigungen, sowie den

angefochtenen Bescheid und eben einen für den Handakt bestimmten Durchschlag des Verbesserungsschriftsatzes zur Unterfertigung vorgelegt habe.

Offensichtlich habe ich beim Fertigmachen der Post - durch eine oder mehrere Telefonate abgelenkt - die vorzulegenden Beilagen vertauscht, das heißt, versehentlich den Durchschlag angeheftet und nicht dem dann abgefertigten Poststück.

Ich habe den Handakt sodann abgelegt und erstmals durch den Einstellungsbeschluß erfahren, daß diese Urkunden nicht beigelegt waren. Die sofortige Nachsicht im Handakt hat die Richtigkeit meiner nunmehrigen Behauptungen bestätigt. Ich bin seit nunmehr elf Jahren bei Dr Z tätig und ist mir ein derartiges Versehen noch nie unterlaufen."

Die Behauptungen der Antragstellerin konnten im Hinblick auf die detaillierten Angaben im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und den weiter vorgelegten Beweismitteln im Zusammenhalt mit dem Inhalt des Aktes zur hg Zl 91/14/0113 als bescheinigt angesehen werden. Ausgehend vom bescheinigten Sachverhalt ist der Antrag aus folgenden Erwägungen berechtigt:

Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Parteienvertreters einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn der Antragstellerin und ihrem Vertreter kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat. Unterläuft einer Kanzleikraft, deren Zuverlässigkeit glaubhaft dargetan wird, erst nach der Unterfertigung eines fristgebundenen Schriftsatzes und nach Kontrolle desselben samt den zugehörigen Beilagen durch den Rechtsanwalt im Zug der Kuvertierung ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Eine regelmäßige Kontrolle der Kuvertierung durch eine verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht dessen Sorgfaltspflicht überspannen (vgl den hg Beschluß vom 3. Juli 1991, Zl 90/14/0115, mit einem weiteren Hinweis).

Diese in der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes enthaltenen Erwägungen kommen auch im vorliegenden Fall zum Tragen. Auch hier hat der Rechtsanwalt der Antragstellerin das für die fristgerechte Erfüllung des ihm erteilten Auftrages zur Verbesserung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Zur Versäumung der aufgetragenen Frist kam es nur auf Grund des oben beschriebenen Versehens der Kanzleileiterin, das ihr erst nach fristgerechter Unterfertigung des geforderten Verbesserungsschriftsatzes durch den Rechtsanwalt der Antragstellerin im Zug der Abfertigung unterlaufen ist. Ein Verschulden des Rechtsanwaltes hinsichtlich der Anordnung des Beilagenanschlusses liegt im Hinblick auf die geschilderte Kanzleiübung nicht vor, weil der Rechtsanwalt bei Unterfertigung des Schriftsatzes die Richtigkeit und Vollständigkeit der angeschlossenen Beilagen prüfen kann und die Kanzleileiterin kraft der Übung weiß, daß sie alle in der Postmappe befindlichen Beilagen dem Schriftsatz im Kuvert beilegen muß. Da der Antragstellerin und ihrem Rechtsanwalt ein Verschulden an der Versäumung nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.

Unter einem wird das Vorverfahren über die nunmehr unter der hg Zl 91/14/0203 protokollierte Beschwerde eingeleitet.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991140201.X00

Im RIS seit

22.10.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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