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L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag InteressentenbeitragNorm
AltstadterhaltungsG Graz 1980 §3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Draxler und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Leukauf, Dr. Giendl und Dr. Müller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gritsch, über die Beschwerde der N in Graz, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 1. März 1990, Zl. A 17-K-4.903/1989-3, betreffend Einwendungen gegen eine Widmung (mitbeteiligte Partei: G-GmbH in Graz, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, diese vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der Landeshauptstadt Graz Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Weiters hat die Beschwerdeführerin der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.480,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Eingabe vom 3. Juni 1988 beantragte die Mitbeteiligte die Erteilung der Widmungsbewilligung für die Grundstücke Nr. nn1, EZ n1, nn2, EZ n2 und nn3, EZ n3, KG 63101 Innere Stadt, zwecks Errichtung eines Zubaues, von Umbauten und eines Ausbaues des sich auf diesen Grundstücken befindlichen Objektes.
Ein von der Behörde erster Instanz beigezogener bautechnischer Amtssachverständiger des Stadtplanungsamtes der Landeshauptstadt Graz hielt in seinem Gutachten vom 7. August 1988 unter anderem fest, daß sich eine mittelalterliche Bebauung entlang der Sackstraße am Fuße des Schloßberges im Bereich des mittelalterlichen ersten und zweiten Sacktores befinde. Auf der Liegenschaft befinde sich ein dreigeschoßiges Objekt mit Mansarde aus dem 16. Jahrhundert mit Platzlgewölbe und Stuck in der Durchfahrt. Im Gebietsbereich dominiere das ziegelgedeckte steile Satteldach. Der bestehende zweigeschoßige Innenhoftrakt sei mit dem Hauptgebäude verbunden. An der nördlichen Grundstücksgrenze bestehe eine Reiche. Als Gebäudemindestabstand wurde in bezug auf die Straßenfluchtlinie der Sackstraße ein Abstand von 0,0 m, weiters von den Bauplatzgrenzen im Westen, Süden, Norden und Osten jeweils ein Abstand von 0,0 m empfohlen.
Die von der Baubehörde erster Instanz beigezogene Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission führte in ihrem Gutachten vom 12. Dezember 1988 in der Hauptsache aus, daß eine Verlängerung des bestehenden hofseitigen Zubaues befürwortet werde. Die "parallel geschichteten" Hinterhausbauten mit Satteldach seien aus der mittelalterlichen Hofstättenanlage erwachsen. Eine Verlängerung des bestehenden Flügelbaues trage somit einem der westlichen Sackstraßenseite eigenen Charakteristikum Rechnung und entspreche grundsätzlich dem Erscheinungsbild des betreffenden Stadtteiles.
In einem weiteren Gutachten vom 24. August 1989 hielt die Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission fest, daß der geplante hofseitige Zubau im Zusammenhang mit einer Sanierung und Revitalisierung des Gesamtobjektes stehe. Der äußere Rahmen des Zubaues entspreche in Größe und Umfang den an der westlichen Sackstraßenseite üblichen Hinterhausbauten. Der langgestreckte, schmale Flügelbau füge sich in das überlieferte Erscheinungsbild der parallel geschichteten Hoflandschaft. Die Nutzung des Gebäudes entspreche den Bestimmungen des § 4 des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 1980. Das Widmungsansuchen werde daher von der Sachverständigenkommission positiv begutachtet.
Über den Antrag der Mitbeteiligten auf Erteilung der Widmungsbewilligung für die Grundstücke Nr. nn1, EZ n1, nn2, EZ n2 und nn3, EZ n3, KG 63101 Innere Stadt, wurde für 19. Oktober 1989 eine mündliche Verhandlung anberaumt, zu der u. a. die Beschwerdeführerin als Nachbarin unter Hinweis auf § 42 AVG geladen wurde. Bei dieser Verhandlung erhob die Beschwerdeführerin in der Hauptsache folgende Einwendungen: Die Steiermärkische Bauordnung kenne grundsätzlich nur zwei Bauweisen, die offene und die geschlossene. Beide Bauweisen könnten von der Mitbeteiligten nicht eingehalten werden. Die offene Verbauung sei im Stadtgebiet unzulässig und im übrigen schon wegen der Abstände nicht durchführbar. Die geschlossene Verbauung sei deshalb nicht realisierbar, weil sich im Falle der Verbauung zwischen dem zu errichtenden Bauwerk auf dem Grund der Mitbeteiligten einerseits und dem Hofgebäude auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin andererseits eine Reiche bilden würde. Das Hofgebäude der Beschwerdeführerin schließe nicht bündig an die Grundgrenze an, sondern reiche etwas zurück, so daß im Falle der Bauführung durch die Mitbeteiligte unweigerlich eine Reiche gebildet werde, die jedoch gemäß § 4 der Steiermärkischen Bauordnung (BO) unzulässig sei. Es sei zwar richtig, daß sich zwischen den Häusern Sackstraße 01 und Sackstraße 02, welche im Mittelalter erbaut worden seien, eine schmale Reiche auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin befinde; soweit der Altbestand vorhanden sei, könne daran nichts geändert werden. Es sei aber grob gesetzwidrig, wenn nunmehr durch Errichtung eines Neubaues auf der Liegenschaft der Mitbeteiligten die zwischen dem Altbestand vorhandene Reiche fortgesetzt und somit neu gebildet werde. Zur Veranschaulichung legte die Beschwerdeführerin einen Auszug aus dem Katasterplan des Magistrates Graz-Stadtvermessungsamt bei.
In der Niederschrift über diese Verhandlung wurde unter anderem festgehalten, daß sich der Bauplatz im Landschaftsschutzgebiet und im Schutzgebiet des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 1980 (GAEG), und zwar in der Zone I gemäß § 2 GAEG, befinde.
Mit Bescheid vom 3. November 1989 erteilte der Stadtsenat der Landeshauptstadt Graz der Mitbeteiligten die Widmung der Grundstücke Nr. nn1, EZ n1, Nr. nn2, EZ n2, und Nr. nn3, EZ n3, alle KG 63101 Innere Stadt, unter Festsetzung der Bebauungsgrundlagen und von Auflagen. Der Widmungsgrund wurde zu einem Bauplatz gewidmet. Als Bebauungsweise wurde geschlossene Bebauung, als zulässige Bauten (somit als Verwendungszweck) wurden Wohn-, Büro- und Geschäftsgebäude inklusive Kleingewerbenutzung festgelegt. Nebengebäude wurden als nicht zulässig erklärt. Die Einwendung der Beschwerdeführerin betreffend die Unzulässigkeit sowohl der offenen als auch der geschlossenen Bauweise wurde abgewiesen. In der Begründung wurde nach Wiedergabe des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 61 Abs. 2 und des § 4 Abs. 1 sowie des letzten Satzes des § 4 Abs. 2 BO im wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin stütze ihre Einwendungen vor allem darauf, daß das Planungsermessen durch die Behörde bezüglich der Festsetzung der Bauweise, nämlich offene oder geschlossene Verbauung, nicht gesetzmäßig gehandhabt worden sei. Wie schon die Beschwerdeführerin vorgebracht habe, kenne das Gesetz nur zwei Alternativen: Entweder das Aneinanderbauen von Gebäuden oder das Errichten von Gebäuden in einem ausreichenden Abstand. Die Bildung von Reichen werde im letzten Satz des § 4 Abs. 2 BO ausdrücklich verboten. Unbestritten sei der Charakter des betreffenden Gebietes durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet. Eine Vorschreibung etwa einer offenen Bauweise auf dem Nachbargrundstück liege mangels Widmungsbewilligung für dasselbe ebenfalls nicht vor. Es gebe aber keine Gesetzesstelle ausdrücklich darüber Auskunft, was zu geschehen habe, wenn auf Grund früherer Baukonsense Reichen vorhanden seien. Der Fall, daß an der Vorderfront des Bauplatzes Gebäude vorhanden seien, welche unmittelbar aneinandergebaut worden seien - unbestrittenerweise seien die Objekte Sackstraße 01 und Sackstraße 02 straßenseitig unmittelbar aneinandergebaut, dies ergebe sich auch eindeutig aus dem Katasterplan -, und daß der Charakter des betreffenden Gebietes, der - wie im konkreten Fall - durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet werde, sei ungeachtet vorhandener Reichen dem Bestehen einer geschlossenen Bebauung bis zur Grundgrenze gleichzuhalten. Das heiße, daß derjenige, auf dessen Liegenschaft ein Gebäude stehe, welches von der Grundgrenze nur durch eine Reiche getrennt sei, anläßlich einer Bauführung auf dem anrainenden Grund (bei Fehlen eines entsprechenden Bebauungsplanes) nicht verlangen könne, daß der Nachbar einen Abstand zur Grundgrenze einhalte. Damit entspreche aber die Festsetzung der geschlossenen Bauweise der BO, zumal die Beschwerdeführerin wegen des gesetzlichen Verbotes der Reichenbildung eine Erneuerung ihres Baubestandes keinesfalls in derselben Bauweise vornehmen werde können, sondern auch mit dem Hofgebäude unmittelbar an die Grundgrenze werde bauen müssen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie geltend machte, daß in der Sachverhaltsdarstellung des erstinstanzlichen Bescheides ihre Einwendungen im wesentlichen richtig wiedergegeben worden seien, jedoch in der Begründung unrichtig festgestellt worden sei, daß sie ihre Einwendungen vor allem auf die unrichtige Handhabung des Planungsermessens der Behörde stütze. Diese Behauptung stehe im unvereinbaren Widerspruch mit ihren Einwendungen, die in der Hauptsache beinhielten, daß sich im Falle der Verbauung des Widmungsgrundes eine unzulässige Reiche auf ihrem Grundstück bilden würde, wobei diese Reichenbildung unzulässig sei. Im Hinblick auf das strikte Verbot des § 4 BO, wonach keine Reichen gebildet werden dürfen, sei ein Planungsspielraum und somit auch ein Planungsermessen der Behörde naturgemäß ausgeschlossen. Die Behörde erster Instanz führe weiters wörtlich aus: "Es gibt aber keine Gesetzesstelle ausdrücklich darüber Auskunft, was zu geschehen hat, wenn auf Grund früherer Baukonsense Reichen vorhanden sind." Diese Überlegung gehe an der Sach- und Rechtslage vorbei: Es sei nirgends nachgewiesen, daß es einen "früheren Baukonsens" gegeben habe. Der Bestand in der Sackstraße einschließlich der Hofgebäude stamme aus dem Mittelalter. Die Hofgebäude, die sich seinerzeit vor Bombeneinwirkung und gänzlicher Abtragung infolge derselben auf dem Widmungsgrund befunden hätten, seien derartiger Altbestand gewesen. Altbestand seien noch die der Sackstraße zugekehrten Objekte Sackstraße 01 und Sackstraße 00 (richtig: 02), die entgegen der Feststellung nicht unmittelbar aneinandergebaut seien, sondern durch eine allerdings sehr schmale und im Hinblick auf den Altbestand schon aus dem Mittelalter stammende, cirka 60 cm breite Reiche getrennt seien. Dies sei die einzige vorhandene Reiche. Auf dem derzeit unverbauten Widmungsgrund befinde sich naturgemäß keine Reiche. Wenn aber die Mitbeteiligte auf Grund erteilter Widmungsbewilligung ein Bauwerk bis an die Grundgrenze heranführe, entstehe zwischen diesem Bauwerk, das bündig mit der Grundgrenze abschließe, und dem Hofgebäude auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin zwangsläufig eine Reiche, weil, was von der Beschwerdeführerin vorgebracht wurde und von der Behörde erster Instanz nicht widerlegt werden könne, jederzeit auf Grund des Ortsaugenscheines auch nachvollzogen werden könne, daß das Hofgebäude auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin nicht bündig mit der Grundgrenze abschließe, sondern durch einen geringen Abstand von der Grundgrenze getrennt sei. § 4 Abs. 2 letzter Satz BO verbiete nicht nur eine Reichenbildung auf dem Widmungsgrund selbst, sondern jede Art von Reichenbildung, somit auch eine Reiche, die sich auf dem Nachbargrundstück bilde, wenn der Konsenswerber bis an die Grundgrenze heranbaue. Eine andere Bauweise sei aber nicht möglich. Eine offene Bauweise sei unzulässig, weshalb die Widmung des gegenständlichen, noch nicht verbauten Grundstückes zu Bauzwecken unmöglich sei. In Übereinstimmung damit sei auch seinerzeit das die Grundstücke Nr. nn2 und Sackstraße 03 (richtig: nn3 betreffende dauernde Bauverbot erlassen worden, das im Sinne einer Entkernung der Altstadt, jedoch auch im Hinblick auf die Gefahr sonstiger Reichenbildung, wie oben aufgezeigt, sinnvoll gewesen sei. In der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides sei weiters zu lesen, daß "... die Nachbarin wegen des gesetzlichen Verbotes der Reichenbildung eine Erneuerung ihres Baubestandes keinesfalls in derselben Bauweise vornehmen wird können, sondern auch mit dem Hofgebäude unmittelbar an die Grundgrenze wird bauen müssen." Die Beschwerdeführerin beabsichtige nicht, auf ihrer Liegenschaft ein neues Bauwerk zu errichten, geschweige denn im Hofgebäudebereich, oder dieses Gebäude in Richtung der Grundgrenze zu erweitern. Sie habe auch nie eine derartige Absicht geäußert oder gar ein Ansuchen eingebracht. Vielmehr habe sie die Absicht, wenn die entsprechenden Mittel bereitgestellt seien, das Hofgebäude zu renovieren und den Altbestand zu pflegen, der im übrigen im Zusammenhalt mit der emporragenden Schloßbergwand, insbesonders bei Begrünung derselben, ein schönes, im Herbst sogar farbenprächtiges und jedenfalls ansprechendes Ensemble darstelle. Aus diesem Grund sei es besonders von Bedeutung, daß auch der, der Schloßbergwand zunächst gelegene terrassenartige Vorbau (im Volksmund "Kobel" genannt) instandgesetzt, und zwar in seinen früheren Zustand versetzt werde, was im übrigen gar nicht anders möglich sei, weil die Liegenschaft der Beschwerdeführerin unter Denkmalschutz stehe, wie dies aktenkundig und im übrigen unschwer näher feststellbar sei. Aber auch ohne die Auflagen, die sich aus dem Denkmalschutz ergäben, wolle und werde die Beschwerdeführerin nicht eine Bauführung bis zur Grundgrenze vornehmen, weil dies nicht nur den ästhetischen Charakter des Altbestandes aufheben würde, sondern auch unwirtschaftlich und zu kostenaufwendig wäre. Es ändere sich daher nichts an der Tatsache, daß sich durch die Bauführung eine Reiche bilde, wobei es angesichts des klaren Wortlautes des letzten Satzes des § 4 Abs. 2 BO nicht darauf ankomme, ob durch die Bauführung die Reiche auf eigenem Widmungsgrund der Konsenswerberin oder auf dem Nachbargrund neu gebildet werde. Geradezu widersinnig wäre es, aus der Tatsache, daß sich infolge der Bauführung des Mittelalters zwischen den Häusern Sackstraße 01 und 02 eine ganz schmale Reiche befinde, die Zulässigkeit neuer Reichenbildungen abzuleiten.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 1. März 1990 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der Begründung wird nach Wiedergabe des Sachverhaltes und des § 4 Abs. 1 BO ausgeführt, daß das Gesetz nur zwei Alternativen kenne: Entweder das Aneinanderbauen von Gebäuden oder das Errichten von Gebäuden in einem ausreichenden Abstand. Die Bildung von Reichen werde im letzten Satz des § 4 Abs. 2 BO ausdrücklich verboten. Es gebe aber keine Gesetzesstelle ausdrücklich darüber Auskunft, was zu geschehen habe, wenn auf Grund früherer Baukonsense Reichen vorhanden seien. Jener Fall, daß an der Vorderfront des Bauplatzes Gebäude vorhanden seien, welche unmittelbar aneinandergebaut worden seien, und daß der Charakter des betreffenden Gebietes wie in der vorliegenden Beschwerdesache durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet werde, sei ungeachtet vorhandener Reichen dem Bestehen einer geschlossenen Bebauung bis zur Grundgrenze gleichzuhalten. Das heiße, daß derjenige, auf dessen Liegenschaft ein Gebäude stehe, welches von der Grundgrenze nur durch eine Reiche getrennt sei, anläßlich einer Bauführung auf dem anrainenden Grund bei Fehlen eines entsprechenden Bebauungsplanes nicht verlangen könne, daß der Nachbar einen Abstand zur Grundgrenze einhalte, wenn an der Vorderfront des Bauplatzes Gebäude vorhanden seien, welche unmittelbar aneinandergebaut worden seien, und der Charakter des betreffenden Gebietes durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet sei. Nur bei einer Erneuerung des Baubestandes sei die Beschwerdeführerin auf Grund der dort vorherrschenden geschlossenen Verbauung verpflichtet, an die Grundgrenze zu bauen und keinesfalls in derselben Bauweise wie seinerzeit.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Sowohl die belangte Behörde als auch die Mitbeteiligte
erstatteten Gegenschriften.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 3 Abs. 1 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149, idF. LGBl. Nr. 14/1989, ist über das Ansuchen um Erteilung einer Widmungsbewilligung grundsätzlich eine örtliche Erhebung und mündliche Verhandlung durchzuführen. Hierbei sind die Bestimmungen über die Bauverhandlung (§ 61 BO) sinngemäß anzuwenden.
Nach § 3 Abs. 2 BO idF. LGBl. Nr. 12/1985 ist eine Widmungsbewilligung zu erteilen, wenn - unter anderem - die im Raumordnungsgesetz 1974, LGBl. Nr. 127, in der jeweils geltenden Fassung, genannten Voraussetzungen für eine Widmung vorliegen. Auch in Schutzzonen nach dem Grazer Altstadterhaltungsgesetz 1980, LGBl. Nr. 17, in seiner jeweils geltenden Fassung, finden die Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes 1974 daher insoweit Anwendung, als die genannten Gesetze nicht abweichende Regelungen treffen.
Nach § 3 Abs. 3 BO idF LGBl. Nr. 12/1985 sind in der Widmungsbewilligung u.a. die Abstände von anderen Gebäuden und von den Grundgrenzen festzusetzen.
Gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz BO müssen Gebäude entweder unmittelbar aneinander gebaut werden oder voneinander einen ausreichenden Abstand haben.
Gemäß dem letzten Satz des zweiten Absatzes des § 4 BO in der Fassung LGBl. Nr. 12/1985 sind Reichen, das sind Gebäudeabstände von weniger als zwei Metern, verboten.
Gemäß § 61 Abs. 2 BO idF. LGBl. Nr. 14/1989 kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen.
Diese Einwendungen sind in der Folge unter den litt. a bis k taxativ aufgezählt. Lit. c normiert ein subjektiv-öffentliches Recht auf Einhaltung der Bestimmungen über das Planungsermessen bei Festlegung der Bebauungsgrundlagen (§ 3 Abs. 3 BO), lit. d regelt ein Nachbarrecht auf Einhaltung der Bestimmungen über die Abstände (u.a. § 4 BO).
§ 3 Abs. 1 des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 1980 (GAEG 1980), LGBl. Nr. 17, lautet:
"(1) Im Schutzgebiet (§ 1 Abs. 1) haben die Liegenschaftseigentümer jene Gebäude, die in ihrer baulichen Charakteristik für das Stadtbild von Bedeutung sind, in ihrem Erscheinungsbild nach Maßgabe der Schutzwürdigkeit ganz oder teilweise zu erhalten. Zum Erscheinungsbild gehören alle gestaltwirksamen Merkmale des Gebäudes, wie z.B. die Gebäudehöhe, Geschoßhöhe, die Dachform, Dachneigung und Dachdeckung, die Fassaden einschließlich Gliederung, die Portale, Tore, Fenster, Fensterumrahmungen und Fensterteilungen, Gesimse, Balkone und Erker sowie die Durchgänge, Höfe und Einfriedungen."
§ 3 Abs. 2 GAEG 1980 lautet:
"(2) In der Zone I sind bei Gebäuden, deren Baustruktur oder deren bauliche Innenanlagen, wie Stiegenaufgänge, Stiegenhäuser, Vorhäuser u. dgl., Auswirkungen auf das Erscheinungsbild haben, auch diese nach Maßgabe der Schutzwürdigkeit zu erhalten."
Nach § 6 Abs.1 erster Satz GAEG 1980 ist im Schutzgebiet (§ 2) beim Wiederaufbau abgebrochener Bauten sowie bei der Verbauung von Baulücken und sonst unverbauter Grundstücke den Bauten eine solche äußere Gestalt zu geben, daß diese sich dem Erscheinungsbild des betreffenden Stadtteiles einfügen; dasselbe gilt für Bauveränderungen sowie für Zu- und Umbauten bestehender Bauten.
Die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ist nach ständiger Rechtsprechung seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. N.F. Nr. 10.317/A, im Falle eines Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf die Nachbarn nach § 61 Abs. 2 BO zutrifft, auf jene Fragen beschränkt, hinsichtlich deren dieses Mitspracherecht als ein subjektiv-öffentliches Recht besteht (vgl. hiezu z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1991, Zl. 90/06/0125). Ein derartiges beschränktes Mitspracherecht gewähren § 61 Abs. 2 lit. c und lit. d in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 sowie § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 BO. Auch die prozessualen Rechte eines Nachbarn reichen nicht weiter als die ihm durch Rechtsnormen gewährleistete Sphäre materieller Rechte (so schon das hg. Erkenntnis vom 27. September 1971, Zl. 167/71; vgl. weiters die hg. Erkenntnisse vom 12. April 1984, Zl. 83/06/0246, BauSlg 244 und vom 26. September 1991, Zl. 89/06/0035).
Der Nachbar kann die Unzulässigkeit einer Widmungsbewilligung mit der Begründung geltend machen, die Festsetzung entsprechender Bebauungsgrundlagen im Widmungsbescheid verstoße gegen zwingende gesetzliche Vorschriften oder bedeute eine Handhabung des Planungsermessens, die nicht dem Sinn des Gesetzes entspreche. Das Mitspracherecht des Nachbarn beschränkt sich dabei jedoch auf jene Festlegungen, die nicht nur der Wahrung öffentlicher, sondern auch nachbarlicher Interessen dienen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. September 1990, Zl. 89/06/0100, mwN).
§ 4 Abs. 1 BO kennt nur zwei Alternativen: entweder das Aneinanderbauen von Gebäuden oder das Errichten von Gebäuden in einem ausreichenden Abstand. Die BILDUNG von Reichen wird zwar im § 4 Abs. 2 letzter Satz BO ausdrücklich verboten. Nach Auffassung des Gerichtshofes ist jener Fall, daß an der Vorderfront des Bauplatzes Gebäude vorhanden sind, welche unmittelbar aneinandergebaut wurden, und der Charakter des betreffenden Gebietes wie in der vorliegenden Beschwerdesache durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet wird, ungeachtet vorhandener Reichen im "Uraltbestand" dem Bestehen einer geschlossenen Bebauung bis zur Grundgrenze gleichzuhalten. Besteht weiters kein Bebauungsplan, durch welchen der Einhaltung eines Abstandes der Gebäude von der Grundgrenze angeordnet wird, so ist die Festlegung einer geschlossenen Bebauungsweise nicht rechtswidrig, zumal der Nachbar wegen des gesetzlichen Verbotes der Reichenbildung eine Erneuerung seines Baubestandes nicht mehr in derselben Bauweise vornehmen darf wie seinerzeit (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1972, Zl. 1049/72). Auf dem Grundstück der Mitbeteiligten wird aber keine Reiche vorgesehen.
Auch nach den unbedenklichen Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission wird der Gebietscharakter durch das Erscheinungsbild einer geschlossenen Bebauung gekennzeichnet. Weiters wurde nach dem Gutachten der Grazer Altstadt-Sachverständigenkommission vom 12. Dezember 1988 eine Verlängerung des bestehenden hofseitigen Zubaues befürwortet. Die parallel beschichteten Hinterhausbauten mit Satteldach seien aus der mittelalterlichen Hofstättenanlage erwachsen. Eine Verlängerung des bestehenden Flügelbaues trage somit einem der westlichen Sackstraßenseite eigenen Charakteristikum Rechnung und würde grundsätzlich dem Erscheinungsbild des betreffenden Stadtteiles entsprechen. Aus dem weiteren Gutachten ergibt sich nachvollziehbar, daß der geplante hofseitige Zubau im Zusammenhang mit einer Sanierung und Revitalisierung des Gesamtobjektes steht. Der äußere Rahmen des Zubaues entspreche in Größe und Umfang den an der westlichen Sackstraßenseite üblichen Hinterhausbauten. Der langgestreckte, schmale Flügelbau füge sich in das überlieferte Erscheinungsbild der parallel geschichteten Hoflandschaft.
Die Mitbeteiligte ist im Hinblick darauf, daß ihr von der Bauführung betroffenes Grundstück in der Altstadt-Schutzzone I liegt, nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, bezüglich der geplanten Bauveränderung sowie des in Aussicht genommenen Zubaues und der geplanten Umbauten des bestehenden Objektes Sackstraße 01 denselben eine solche äußere Gestalt zu geben, daß diese sich dem Erscheinungsbild des betreffenden Stadtteiles, zu welchem gemäß dem letzten Satz des ersten Absatzes des § 3 GAEG 1980 alle gestaltwirksamen Merkmale des Gebäudes gehören, einfügen. Dazu gehört auch das Erscheinungsbild der geschlossenen Bebauung.
Daran ändert auch das Argument der Beschwerdeführerin nichts, daß sich derzeit nur zwischen den HÄUSERN Sackstraße 01 und Sackstraße 02 eine Reiche befinde, nicht aber entlang der weiteren Grundgrenze, an der nun die Mitbeteiligte einen Neubau errichten wolle. Das Wesen der geschlossenen Bebauung besteht aber im Bauen an die Grundgrenze; die Reiche entsteht ja nur wegen des Altbestandes der Beschwerdeführerin auf deren Grund bis zu einem allfälligen Neubau. Wenn die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang die Anwendbarkeit des hg. Erkenntnisses vom 11. Dezember 1972, Zl. 1049/72, deshalb in Zweifel zieht, weil es sich in jenem Fall um die Erteilung einer Baubewilligung nach Vorliegen einer Widmungsbewilligung und nicht wie hier um die Erteilung einer Widmungsbewilligung gehandelt habe, so kann der Gerichtshof hinsichtlich der Anwendung des § 4 BO keinen rechtlich bedeutsamen Unterschied erkennen. Mußte doch in jenem Fall ebenso wie hier die Frage entschieden werden, ob auf Grund geschlossener Bauweise eine Bebauung bis zur Grundgrenze trotz Reichenbildung zulässig ist. Die Ansicht der Beschwerdeführerin, daß wegen dieser Reichenbildung eine Bebauung überhaupt unzulässig sei, steht im offensichtlichen Widerspruch zum Gesetzeszweck.
Da bei der Festsetzung der Abstände durch die erteilte Widmungsbewilligung gegen § 4 Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 letzter Satz in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und § 61 Abs. 2 lit. d BO nicht verstoßen wurde und auch eine Verletzung des Planungsermessens in diesem Zusammenhang weder von der Beschwerdeführerin behauptet wird noch aus der Aktenlage hervorgeht - die Gutachten der Altstadt-Sachverständigenkommission lassen sogar eine andere Auffassung gar nicht zu -, bestehen gegen die erteilte Widmungsbewilligung keine Bedenken.
Es war daher die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Die Stempelgebühren der mitbeteiligten Partei waren nur im erforderlichen Ausmaß zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff. VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990060057.X00Im RIS seit
03.05.2001