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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des N in R, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in D, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 17. Jänner 1990, Zl. FrB-4250/89, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 17. Jänner 1990 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 2 und 5 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz ein bis zum 31. Dezember 1999 befristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei zweimal wegen Übertretungen gemäß § 7 VStG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Grenzkontrollgesetz 1969 mit Geldstrafen in der Höhe von jeweils S 15.000,-- rechtskräftig bestraft worden. Zu der ersten Bestrafung sei es gekommen, weil der Beschwerdeführer am 24. Juni 1988 zwei türkischen Staatsangehörigen zum illegalen Grenzübertritt nach Liechtenstein verholfen habe. Der Beschwerdeführer und die beiden anderen Türken seien von der liechtensteinischen Polizei festgenommen worden. Der Beschwerdeführer sei wegen dieser Tat von einem liechtensteinischen Gericht zu einer Haftstrafe von drei Wochen und anschließender Landesverweisung verurteilt worden. Der zweiten Bestrafung liege zugrunde, daß der Beschwerdeführer im Einvernehmen mit einem anderen Türken in der Nacht vom 3. zum 4. September 1988 eine türkische Familie mit drei Kindern und einen weiteren türkischen Staatsangehörigen von Bregenz aus über die grüne Grenze in die Schweiz gebracht habe.
Trotz Vorliegens zweier rechtskräftiger Bestrafungen wegen Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt trete der Beschwerdeführer weiterhin als "Schlepper" in Erscheinung. So habe die Grenzpolizeiinspektion Lindau mitgeteilt, daß der Beschwerdeführer am 12. November 1989 mit seinem PKW fünf türkische Staatsangehörige nach Bregenz gefahren habe, um dort die illegale Einschleusung über die grüne Grenze in die Bundesrepublik Deutschland zu organisieren. Für diese Tätigkeit habe er von jedem der türkischen Staatsangehörigen 1.000 DM im voraus kassiert. Der Beschwerdeführer habe somit wiederkehrend an der rechtswidrigen Ausreise von Fremden gegen Entgelt mitgewirkt und sei somit als Schlepper im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 5 Fremdenpolizeigesetz zu bezeichnen. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers gefährde die öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, insbesondere laufe er den öffentlichen Interessen an einer geordneten Fremdenpolizei zuwider. Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz sei zwar der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich seit 1974 zu berücksichtigen, doch seien die hier maßgebenden öffentlichen Interessen von unverhältnismäßig größerem Gewicht als die privaten Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde, deren Behandlung dieser mit Beschluß vom 12. Juni 1990 abgelehnt und die er mit Beschluß vom 9. August 1990, B 191/90, dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, (MRK) genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 5 Fremdenpolizeigesetz hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder an der rechtswidrigen Einreise von Fremden in das Bundesgebiet oder an der rechtswidrigen Ausreise aus diesem gegen Entgelt mitgewirkt hat ("Schlepper").
Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
3.
die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
2. Vorweg sei festgehalten, daß beide Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zutreffend die Auffassung vertreten, daß eine bestimmte Tatsache gemäß § 3 Abs. 2 Z. 2 zweiter Fall Fremdenpolizeigesetz nicht vorliegt, weil nur zwei Bestrafungen wegen Übertretungen des Grenzkontrollgesetzes erfolgt sind und nach der Rechtsprechung der genannte Tatbestand nur dann verwirklicht ist, wenn in bezug auf die dort genannten vier Gesetze insgesamt mindestens drei rechtskräftige Bestrafungen vorliegen (siehe das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 1991, Zl. 91/19/0035).
3. Die belangte Behörde hat als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer am 12. November 1989 an der rechtswidrigen Ausreise von fünf türkischen Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland gegen Entgelt mitgewirkt habe, und sich diesbezüglich auf die von den bayerischen Sicherheitsbehörden übermittelten Niederschriften gestützt.
In der Beschwerde wird dazu vorgebracht, der Beschwerdeführer habe nicht gegen Entgelt an der rechtswidrigen Ausreise mitgewirkt und immer darauf hingewiesen, daß er ohne finanzielles Interesse mitgewirkt habe. Er habe vorgebracht, daß ein entsprechendes Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland gegen ihn eingestellt worden sei, und um Fristerstreckung zur Beschaffung von Aktenabschriften ersucht. Die belangte Behörde habe diesem Ersuchen nicht entsprochen.
Erst am 29. Jänner 1990 habe er die Aktenabschriften mit der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Kempten erhalten. Dadurch, daß die belangte Behörde seinem Fristerstreckungsersuchen nicht entsprochen habe, sei ihr ein gravierender Verfahrensmangel unterlaufen.
Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß sich die vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde vorgelegte Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kempten auf den Verdacht bezieht, der Beschwerdeführer habe am 18. Juni 1989 zusammen mit anderen Beschuldigten eine kurdische Familie über die grüne Grenze bei Hagspiel in die Bundesrepublik Deutschland entgeltlich eingeschleust. Es kann auf sich beruhen, ob die in der erwähnten Einstellungsverfügung enthaltenen Erwägungen zutreffen und ob dieser Verfügung ein vollständiges Ermittlungsverfahren vorausgegangen ist, weil auch dann, wenn dies der Fall gewesen sein sollte, sich aus dieser Einstellungsverfügung keinerlei Argumente gegen die Richtigkeit der Feststellungen der belangten Behörde betreffend den Vorfall vom 12. November 1989 ableiten lassen. Der vom Beschwerdeführer gerügte Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
4. Die belangte Behörde ist auf Grund des von ihr festgestellten Sachverhaltes mit Recht vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 5 Fremdenpolizeigesetz ausgegangen. Da bereits die Verwirklichung eines der Tatbestände des § 3 Abs. 2 leg. cit. die im § 3 Abs. 1 näher umschriebene Annahme rechtfertigt, hat die belangte Behörde - vorbehaltlich der Unbedenklichkeit der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit - mit Recht die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angenommen (siehe die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/19/0476, und vom 15. April 1991, Zl. 91/19/0011).
5. Der Verwaltungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß die belangte Behörde bei der Vornahme der nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz gebotenen Interessenabwägung rechtswidrig gehandelt hätte. Sie hat dem langen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich (seit 1974) und der damit verbundenen "gewissen" Integration wesentliches geringeres Gewicht beigemessen als den hier maßgebenden öffentlichen Interessen. Die belangte Behörde hat in diesem Zusammenhang zutreffend auf die der Republik Österreich aus den illegalen Grenzübertritten und den daraus resultierenden Abschiebungen erwachsenden Kosten hingewiesen und hervorgehoben, daß das Schlepperunwesen einer ordnungsgemäßen Handhabung der Fremdenpolizei hinderlich sei. Ferner soll in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden, daß der Ausbeutung der an der rechtswidrigen Ein- oder Ausreise interessierten Fremden durch "Schlepper" mit der Verhängung von Aufenthaltsverboten gegen diese entgegengewirkt werden kann, woran ebenfalls ein wichtiges öffentliches Interesse im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK besteht. Die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens des Beschwerdeführers fällt demgegenüber nicht ins Gewicht, wobei in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen ist, daß der Beschwerdeführer, dessen Frau und Kinder in der Türkei eine kleine Landwirtschaft betreiben, nach seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren keine qualifizierte Arbeit in Österreich verrichtet hat. Arbeiten, für die keine Qualifikation erforderlich ist, kann er auch in anderen Staaten leisten.
Bei Berücksichtigung all dieser Umstände bestand für die belangte Behörde auch kein ausreichender Grund, gemäß § 6 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz die im Abs. 1 festgesetzte Frist zum Verlassen des Bundesgebietes zu verlängern.
6. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990190458.X00Im RIS seit
29.01.2002