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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs2 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Salcher und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde der N, zuletzt in G, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 22. Mai 1990, Zl. FR 185/1-1990, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 16. Februar 1990 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, gemäß § 3 Abs. 1, Abs. 2 Z. 6 und Abs. 3 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen. Die erstinstanzliche Behörde stellte fest, daß die Beschwerdeführerin am 30. August 1989 auf Grund eines von der österreichischen Botschaft in Peking am 8. August 1989 erteilten Sichtvermerkes mit einer Gültigkeitsdauer von drei Monaten nach Österreich eingereist sei. Am 7. November 1989 habe sie einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes gestellt und erklärt, sie sei Geschäftsführerin und Mehrheitsgesellschafterin einer Gesellschaft mbH., die in Graz ein Chinarestaurant betreibe. In dem von der Beschwerdeführerin am 4. Juli 1989 bei der österreichischen Botschaft in Peking eingebrachten Sichtvermerksantrag sei als Reisezweck "Verwandtenbesuch" angegeben und ein Rückflugticket vorgelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe bewußt den Eindruck erweckt, daß sie den Sichtvermerk nur für einen Verwandtenbesuch benötige. Die Darstellung der Beschwerdeführerin, sie habe sich erst während des Aufenthaltes in Österreich entschlossen, hier zu bleiben, sei unglaubwürdig. Anläßlich ihrer niederschriftlichen Vernehmung am 12. Dezember 1989 habe sie selbst zugestanden, daß sie sich schon in ihrer Heimat mit der Absicht getragen habe, eventuell in Österreich zu bleiben. Es widerspreche auch jeglicher Lebenserfahrung und kaufmännischer Vernunft, einen hohen Betrag in eine Gesellschaft zu investieren, wenn die Aufenthaltsberechtigung nicht geklärt sei. Dazu komme, daß die Beschwerdeführerin in ihrer Heimat nicht als Unternehmer tätig gewesen sei, sodaß es auch jeder Lebenserfahrung widerspreche, wenn ihr Bruder, der seit Jahren als Geschäftsmann in Österreich tätig sei, ihr die Anteilsmehrheit der Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit übertrage.
In rechtlicher Hinsicht vertrat die erstinstanzliche Behörde die Auffassung, es liege eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz vor, weshalb die im § 3 Abs. 1 leg. cit. genannte Annahme gerechtfertigt sei. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. sei zu berücksichtigen, daß im Hinblick auf die Kürze des Aufenthaltes in Österreich und die Tatsache, daß der Ehegatte und die Kinder der Beschwerdeführerin in der Volksrepublik China leben, den privaten Interessen der Beschwerdeführerin am weiteren Aufenthalt in Österreich keine erhebliche Bedeutung zukomme. Die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens falle deshalb nicht ins Gewicht, weil die Beschwerdeführerin zu der Erwerbsgelegenheit nur durch die "aufenthaltsverbotsbegründenden Machinationen" gekommen sei und der Erwerb der Gesellschaftsanteile durch die Beschwerdeführerin erfolgt sei, ohne zuvor ihre Aufenthaltsberechtigung zu klären.
2. In ihrer dagegen erhobenen Berufung bekämpfte die Beschwerdeführerin die erstinstanzliche Beweiswürdigung, bestritt das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz und brachte in diesem Zusammenhang vor, daß sie sich erst während ihres Aufenthaltes in Österreich im Zusammenhang mit einer Erbschaftsteilung dazu entschlossen habe, hier zu bleiben. In rechtlicher Hinsicht vertrat die Beschwerdeführerin die Auffassung, daß öffentliche Interessen im Sinne des § 3 Abs. 1 leg. cit. in ihrem Falle nicht vorlägen und daß die Interessenabwägung im Sinne des § 3 Abs. 3 leg. cit. nicht richtig erfolgt sei, weil die Behörde die Integration des Bruders der Beschwerdeführerin sowie ihre wirtschaftlichen Interessen nicht entsprechend berücksichtigt habe. Außerdem sei es verfehlt gewesen, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot zu erlassen.
3. Mit Bescheid vom 22. Mai 1990 gab die belangte Behörde dieser Berufung in der Hauptsache keine Folge. Nur soweit sich die Berufung gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Berufung richtete, wurde ihr Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde im wesentlichen aus, sie schließe sich der Auffassung der erstinstanzlichen Behörde an. Im Gegensatz zum Standpunkt der Beschwerdeführerin könne auch nicht gesagt werden, daß den auf eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz gegründeten öffentlichen Interessen geringes Gewicht zukomme.
II.
Gegen diesen Bescheid, und zwar erkennbar nur insoweit, als mit ihm der Berufung keine Folge gegeben wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, (MRK) genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Gemäß § 3 Abs. 2 Z. 6 Fremdenpolizeigesetz hat als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 zu verschaffen.
Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
3.
die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen.
Nach Art. 8 Abs. 2 MRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung des Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
2. Die Beschwerdeführerin bekämpft die Beweiswürdigung der belangten Behörde und gibt in diesem Zusammenhang eine umfangreiche Sachverhaltsdarstellung aus ihrer Sicht. Mit diesen weitwendigen Ausführungen gelingt es ihr nicht, die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung darzutun. Die Beschwerdeführerin hat nämlich im Verwaltungsverfahren (und auch in der Beschwerde) nie an Hand konkreter Zahlen dargelegt, in welcher Höhe ihr gegen ihren Bruder jenes Forderungsrecht zugestanden sein soll, zu dessen Abgeltung ihr Gesellschaftsanteile übertragen worden seien. Es wird auch kein triftiger Grund angeführt, warum nicht nur der Bruder der Beschwerdeführerin, sondern auch dessen Ehegattin der Beschwerdeführerin Geschäftsanteile abgetreten hat. Die belangte Behörde hat außerdem mit Recht darauf hingewiesen, daß es jeder kaufmännischen Erfahrung widerspreche, der soeben aus der Volksrepublik China eingereisten, in geschäftlichen Dingen völlig unerfahrenen und der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschwerdeführerin die Mehrheitsanteile an der Gesellschaft zu übertragen. Bei dieser Beweislage war es nicht unschlüssig, wenn die belangte Behörde den Angaben der Beschwerdeführerin keinen Glauben geschenkt und als erwiesen angenommen hat, daß sie schon im Zeitpunkt der Stellung des Sichtvermerksantrages die Absicht gehabt habe, in Österreich zu bleiben. Daran vermögen die wiederholten Hinweise in der Beschwerde auf die Wirtschafts- und Devisenpolitik der Volksrepublik China ebensowenig zu ändern, wie die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß von ihren Verwandten Liegenschaftsvermögen in Taiwan liquidiert worden sei.
3.1. Die Beschwerdeführerin hält die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes durch die belangte Behörde für unrichtig, weil ihr Aufenthalt im Bundesgebiet weder die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde, noch anderen im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Die belangte Behörde habe ihr lediglich angelastet, unrichtige Angaben über den Zweck des Aufenthaltes gemacht zu haben, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz zu verschaffen.
Diesen Ausführungen ist zu erwidern, daß bereits die Verwirklichung eines der Tatbestände des § 3 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz die im § 3 Abs. 1 leg. cit. näher umschriebene Annahme rechtfertigt. Da die belangte Behörde vom Vorliegen einer bestimmten Tatsache gemäß § 3 Abs. 2 Z. 6 leg. cit. ausgehen durfte, hat sie - vorbehaltlich der Unbedenklichkeit der Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. - mit Recht die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angenommen (siehe die hg. Erkenntnisse vom 17. Dezember 1990, Zl. 90/19/0476, und vom 15. April 1991, Zl. 91/19/0011).
3.2. Der Verwaltungsgerichtshof kann auch nicht finden, daß die belangte Behörde bei der Vornahme der nach § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz gebotenen Interessenabwägung rechtswidrig gehandelt hätte. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich war zu kurz, um zu ihren Gunsten berücksichtigt werden zu können, insbesondere wenn man bedenkt, daß sie sich nur bis 8. November 1989 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und nach der Rechtsprechung nur die Dauer eines rechtmäßigen Aufenthaltes zugunsten des Fremden zu berücksichtigen ist (vgl. auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 15. April 1991).
Auch die Intensität der familiären Bindungen zu ihrem Bruder kann nicht zugunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht fallen, zumal der Ehegatte und die beiden Kinder der Beschwerdeführerin sich in der Volksrepublik China aufhalten. Die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens der Beschwerdeführerin ist deshalb nicht als rücksichtswürdiger Grund anzusehen, weil die Beschwerdeführerin jene Tatsachen, aus denen sie ihre diesbezüglichen Interessen ableitet, bewußt während der Gültigkeitsdauer des am 8. August 1989 von der österreichischen Botschaft in Peking erteilten Sichtvermerkes geschaffen hat, obwohl sie bei ihren Dispositionen darauf hätte Bedacht nehmen müssen, daß ihr auf Grund des Sichtvermerkes der Aufenthalt in Österreich nur bis 8. November 1989 gestattet worden war.
Zusammenfassend kann somit der Auffassung der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, daß die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin.
3.3. Die Beschwerdeführerin meint schließlich, es hätte gegen sie kein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen, sondern nur ein "an der untersten Grenze" befristetes.
Der Beschwerdeführerin ist diesbezüglich entgegenzuhalten, daß nach der Rechtsprechung ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu erlassen ist, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und daß es auf unbestimmte Zeit zu erlassen ist, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Erlassung nicht vorhergesehen werden kann (siehe das hg. Erkenntnis vom 14. Mai 1990, Zl. 90/19/0117). Mit der Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes hat die belangte Behörde zum Ausdruck gebracht, daß sie einen bestimmten Zeitpunkt für den Wegfall des Grundes für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht vorhersehen könne. Dies kann im Hinblick auf die intensiven Bemühungen der Beschwerdeführerin, vollendete Tatsachen für ihren ständigen Aufenthalt in Österreich zu schaffen, nicht als rechtswidrig erkannt werden. Konkrete Argumente für eine andere Beurteilung werden in der Beschwerde nicht ins Treffen geführt.
Soweit die Beschwerdeführerin von einer "Untergrenze" für die Dauer des Aufenthaltsverbotes spricht, geht sie offenbar davon aus, daß es sich beim Aufenthaltsverbot um eine Strafe handelt, die nach den Grundsätzen des § 19 VStG zu bemessen ist. Diese Auffassung ist jedoch verfehlt, weil es sich bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht um eine Strafe, sondern um eine Maßnahme zum Schutz der in § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz genannten öffentlichen Interessen handelt und eine Befristung, sofern eine solche im Einzelfall möglich ist, ausschließlich nach dem oben Gesagten zu erfolgen hat.
4. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1990190320.X00Im RIS seit
28.10.1991