TE Vwgh Erkenntnis 1991/10/30 91/09/0138

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Veröffentlicht am 30.10.1991
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

AVG §56;
AVG §63 Abs2;
BDG 1979 §123 Abs1;
BDG 1979 §123 Abs2;
BDG 1979 §124 Abs1;
BDG 1979 §124 Abs2;
BDG 1979 §124;
BDG 1979 §126;
B-VG Art131 Abs1 Z1;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 91/09/0139

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des Dipl. Ing. NN in Z, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in Z, gegen die Bescheide der Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft je vom 14. Juni 1991, Zlen. DK 77/01/91, betreffend Disziplinarverfahren (Einleitungs- und Verhandlungsbeschluß), zu Recht erkannt:

Spruch

Die beiden angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahre 1932 geborene Beschwerdeführer steht als Oberrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Gebietsbauleitung X des Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenverbauung.

1.

Nach Ausweis der Akten des Verwaltungsverfahrens hatte die belangte Behörde am 6. Juni 1991 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979) ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Dieser Einleitungsbeschluß war wie folgt begründet worden:

"In der gegen OR Dipl.Ing. NN erstatteten Disziplinaranzeige wird dem Beschuldigten vorgeworfen, daß er seinen dienstlichen Aufträgen beharrlich und wiederholt nicht nachkommt. Insbesondere wurde er mit der Ausarbeitung eines Verbauungsprojektes beauftragt, wobei der Arbeitsauftrag auf Erhebungen in den näheren Einzugsgebieten des zur Projektierung vorgesehenen Einzugsgebietes ausgedehnt wurde, der Beschuldigte jedoch trotz mehrmaliger Urgenz bis zum Zeitpunkt 1. März 1991 kein Arbeitsergebnis abgegeben hat und wiederholt Weisungen seines Dienstvorgesetzten nicht befolgt hat. Es besteht sohin der begründete Verdacht einer Dienstpflichtverletzung durch den Beschuldigten gemäß § 91 BDG, sodaß das Disziplinarverfahren einzuleiten war."

2.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid hatte die belangte Behörde ebenfalls am 6. Juni 1991 beschlossen, gegen den Beschwerdeführer gemäß § 124 Abs. 1 BDG 1979 eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Im Spruch dieses Bescheides wird der Beschwerdeführer beschuldigt, er habe wiederholt und fortgesetzt die ihm erteilten dienstlichen Aufträge nicht erfüllt. Konkret sei ihm aufgetragen worden, ein Projekt zur Verbauung des Fürtherbacher auszuarbeiten. Er habe zwar eine Begehung in neun Einzugsgebieten unternommen, jedoch die entsprechenden Protokolle nicht termingerecht vorgelegt. Nachdem dem Beschwerdeführer die Planung des Projektes Fürtherbach entzogen worden sei, sei ihm der Auftrag erteilt worden, die Erkenntnisse aus den umfangreichen Erhebungen, und zwar auch in den anderen Einzugsgebieten, umgehend als Zwischenbericht vorzulegen. Auch diesem Auftrag sei der Beschwerdeführer nicht nachgekommen. Gesamt betrachtet habe er keinen der schriftlich und mündlich gestellten Termine eingehalten, weiters seien die gelieferten Arbeiten zum Gebrauch auch bei der Dienststelle nicht geeignet und auch nicht "kostenrechtig". Der Beschwerdeführer habe solcherart seine dienstlichen Aufgaben am Arbeitsplatz nicht erfüllt und dadurch gegen die allgemeinen Dienstpflichten des § 43 Abs. 1 BDG 1979 verstoßen. Weiters habe er die Weisungen seines Vorgesetzten nicht befolgt und dadurch gegen die Dienstpflichten gegenüber seinem Vorgesetzten gemäß § 44 Abs. 1 leg. cit. verstoßen und somit eine Dienstpflichtverletzung iSd § 91 BDG 1979 begangen.

Gegen diese beiden Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes der angefochtenen Bescheide und deren Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

Der Gerichtshof hat erwogen:

Hat die Disziplinarkommission die Durchführung eines Disziplinarverfahrens beschlossen, so ist dieser Beschluß gemäß § 123 Abs. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979), dem beschuldigten Beamten, dem Disziplinaranwalt und der Dienstbehörde zuzustellen. Gegen die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist kein Rechtsmittel zulässig.

Da gegen den Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens kein Rechtsmittel zulässig ist, ist damit der Instanzenzug erschöpft und die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

Der Beschluß, das Disziplinarverfahren gemäß § 123 Abs. 2 BDG 1979 einzuleiten, ist nicht bloß eine prozessuale Verfügung. Der Beschluß gestaltet vielmehr das Dienstverhältnis des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer erhält nämlich durch den Beschluß den Status eines Beamten, gegen den ein Disziplinarverfahren eingeleitet ist, dessen Rechtsverhältnisse anders sind als die jener Beamten, gegen die kein Disziplinarverfahren eingeleitet ist (VfSlg. 4327;

VwSlg. 9168/A). Der Einleitungsbeschluß ist daher als Bescheid zu qualifizieren.

Die dem Einleitungsbeschluß nach § 123 BDG 1979 zukommende rechtliche Bedeutung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darin gelegen, dem einer Dienstpflichtverletzung beschuldigten Beamten gegenüber klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren eingeleitet wird. Dies ist schon deshalb erforderlich, um klarzustellen, hinsichtlich welcher Dienstpflichtverletzung ein Disziplinarverfahren innerhalb der Verjährungsfrist eingeleitet wurde (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1985, Zl. 84/09/0143, VwSlg. 11.938/A und vom 27. April 1989, Zl. 89/09/0014).

Der Bescheid, durch den das Disziplinarverfahren eingeleitet wird und für dessen weiteren Gang er eine Prozeßvoraussetzung bildet, dient zugleich dem Schutz des Beschuldigten, der ihm entnehmen können muß, nach welcher Richtung er sich vergangen und inwiefern er pflichtwidrig gehandelt haben soll. Der Einleitungsbeschluß begrenzt regelmäßig den Umfang einer durchzuführenden Untersuchung und des vor den Disziplinarkommissionen stattfindenden Verfahrens:

Es darf keine Disziplinarstrafe wegen eines Verhaltens ausgesprochen werden, das nicht Gegenstand des durch den Einleitungsbeschluß in seinem Umfang bestimmten Disziplinarverfahrens war (vgl. VfSlg 5523/1967, 7016/1973). Eine selbständige, bindende Feststellung über die Schuld des betroffenen Beamten enthält der Einleitungsbeschluß nicht; er stellt nur eine vorläufige Meinungsäußerung der zuständigen Disziplinarbehörde dar, daß der Beschuldigte eines Dienstvergehens verdächtigt sei und daß bei der Schwere des Vorwurfs über Schuld und Strafe im Disziplinarverfahren entschieden werden müsse. Er ist also nicht in sich abgeschlossen, sondern - wie sein Name besagt - lediglich dazu bestimmt, das Disziplinarverfahren einzuleiten, sofern nicht schon vorher eine Einstellung erfolgt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1990, Zlen. 90/09/0156, 0179, und die dort angeführte Vorjudikatur).

Ausgehend von dieser Rechtslage erweist sich der im vorliegenden Beschwerdefall angefochtene Einleitungsbeschluß als rechtswidrig.

Der Prozeßgegenstand wird durch die Bezeichnung des Beschuldigten und die Schilderung der Tat, die dem Beschuldigten zur Last gelegt werden soll, bestimmt. Im Rahmen der Umgrenzungsfunktion muß die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat im Einleitungsbeschluß so beschrieben werden, daß praktisch unverwechselbar feststeht, welcher konkrete Vorgang Gegenstand des Disziplinarverfahrens sein soll. Die umschriebene konkrete Tat muß nicht nur nach Ort und Zeit, sondern durch bestimmte Tatumstände so genau gekennzeichnet werden, daß keine Unklarheit darüber möglich ist, welche Handlungen dem Beschuldigten zur Last gelegt werden und was im anschließenden Disziplinarverfahren auf der Grundlage des Einleitungsbeschlusses behandelt werden darf. Sie muß sich von anderen gleichartigen Handlungen, die der Beschuldigte begangen haben kann, genügend unterscheiden lassen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 1991, Zl. 91/09/0094).

Dieser Umgrenzungsfunktion wird der angefochtene Einleitungsbeschluß nicht gerecht. In seinem Spruch wird das dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Verhalten überhaupt nicht beschrieben. Aber auch die oben wörtlich wiedergegebene Begründung des angefochtenen Einleitungsbeschlusses läßt keine hinreichende Umschreibung der Tat im Hinblick auf Zeit, Ort und nähere Umstände erkennen. Da der angefochtene Einleitungsbeschluß der belangten Behörde den vom Gesetz verlangten Anforderungen nicht genügte, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Nach dem Einleitungsbeschluß ist der auf § 124 BDG 1979 fußende Verhandlungsbeschluß (zweitangefochtener Bescheid) der zweite bedeutende Schritt des Disziplinarverfahrens im engeren Sinne. Während der Zweck des Einleitungsbeschlusses - wie oben dargelegt - darin gelegen ist, das Disziplinarverfahren förmlich in Gang zu setzen, hat der Verhandlungsbeschluß jene Tatsachen, in denen eine Pflichtverletzung gesehen wird (Anschuldigungspunkte), substantiiert festzustellen und solcherart den Verfahrensgegenstand (Art und Umfang des disziplinären Vorwurfes) näher zu präzisieren und den Verhandlungsumfang zu bestimmen (vgl. im Zusammenhang die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. April 1986, Zl. 85/09/0173 und vom 18. Oktober 1990, Zl. 90/09/0107).

Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung eines angefochtenen Bescheides seitens des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte.

Stellt sich daher - wie im Beschwerdefall - im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof heraus, daß ein Einleitungsbeschluß mit der Rechtslage nicht in Einklang steht und demzufolge ein Disziplinarverfahren nicht rechtswirksam eingeleitet ist, so muß auf Grund seiner "ex tunc" Aufhebung durch den Verwaltungsgerichtshof den nachfolgenden Verhandlungsbeschluß dasselbe rechtliche Schicksal treffen, weil es begrifflich nicht möglich ist, im fortgesetzten Verfahren einen Einleitungsbeschluß mit rückwirkender Kraft zu erlassen.

Der zweitangefochtene Bescheid (Verhandlungsbeschluß) mußte daher - ohne daß auf das Vorbringen des Beschwerdeführers näher einzugehen war - ebenfalls gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes der Aufhebung verfallen (vgl. im Zusammenhang das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1987, Zl. 87/09/0069).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Verfahrensanordnungen Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Besondere Rechtsgebiete Dienstrecht Organisationsrecht Instanzenzug VwRallg5/3

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991090138.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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