TE Vfgh Erkenntnis 1989/3/2 V24/88

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Veröffentlicht am 02.03.1989
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967

Norm

B-VG Art18 Abs2/ Verordnung Inhalt gesetzmäßig
KDV 1967 §4 Abs5 Z2 litc idF BGBl 399/1967
KFG 1967 §7 idF BGBl 615/1977
KFG 1967 §102 Abs9
KFG 1967 §26a idF BGBl 106/1986

Leitsatz

Untersagung der Verwendung von Spikesreifen für sachlich abgrenzbaren Zeitraum nicht gesetzwidrig

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Burgenland anhängig, mit dem der Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer eines PKWs einer Verwaltungsübertretung nach §103 Abs1 Z1 des Kraftfahrgesetzes 1967 iVm §4 Abs5 Z2 litc der Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung (KDV), BGBl. 399/1967, idF der 21. Novelle, BGBl. 711/1986, für schuldig befunden und bestraft wurde, weil an seinem abgestellten PKW am 9. April 1987 Spikesreifen montiert waren, die in der Zeit vom 6. April bis 14. November 1987 nicht verwendet werden dürften. Aus Anlaß dieses Beschwerdefalles stellt der Verwaltungsgerichtshof zu A26/88 unter Berufung auf Art139 Abs1 B-VG den Antrag, die litc in §4 Abs5 Z2 der KDV mit dem Wortlaut "Spikesreifen dürfen in der Zeit vom 6. April bis 14. November 1987 nicht verwendet werden" als gesetzwidrig aufzuheben. Der antragstellende Gerichtshof legt die Präjudizialität der angefochtenen Verordnungsstelle sowie seine Bedenken hinsichtlich deren Gesetzmäßigkeit folgendermaßen dar:

"II.

Präjudizialität

Die Beschwerde des Otto P. ist rechtzeitig und zulässig. Der Verwaltungsgerichtshof hält die Heranziehung des §103 Abs1 Z. 1 KFG in Verbindung mit einer auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnung bei der Bestrafung eines Zulassungsbesitzers, dessen Kraftfahrzeug während des Parkens beanstandet wurde, für rechtlich unbedenklich; auch das Parken ist ein Verwenden im Sinne des §1 Abs1 KFG (vgl. z.B. Erkenntnis vom 17. September 1982, Zl. 82/02/0075 und vom 9. November 1984, Slg. N.F. Nr. 11579/A). Zwischen der Verwendung eines Fahrzeuges und der Verwendung von Reifen an diesem Fahrzeug ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes in diesem Zusammenhang kein Unterschied zu machen. Auch der vom Beschwerdeführer behauptete und für den Erfolg seiner Beschwerde seiner Ansicht nach wesentliche Unterschied zwischen dem Begriff des Verwendens in der im Spruch enthaltenen Verordnungsstelle und dem Begriff der Anbringung in §26a KFG vermöchte nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil der Begriff der Anbringung in der letzterwähnten Gesetzesstelle nach dem Regelungszusammenhang die technische Art und Weise der Verbindung eines Teiles, eines Ausrüstungs- oder eines Ausstattungsgegenstandes mit dem Kraftfahrzeug bedeutet, nicht aber einen Unterschied dahin schafft, daß ein 'verbotener' Spikesreifen an einem Kraftahrzeug wohl angebracht, aber nicht mit dem Kraftfahrzeug - durch Fahren - verwendet werden dürfe.

Daraus ergibt sich, daß der Erfolg der Beschwerde allein davon abhängt, ob die im Spruch genannte und von der belangten Behörde herangezogene Verordnungsstelle gesetzmäßig ist oder nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat daher diese Verordnungsstelle anzuwenden.

III.

Bedenken

Der Verwaltungsgerichtshof teilt jene Bedenken, die der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde vorbrachte. Die im Spruch genannte Verordnungsstelle gründet sich offenbar auf §26a Abs1 lita KFG. Diese Bestimmung lautet in der Fassung der 10. Novelle zum KFG, BGBl. Nr. 106:

'(1) Durch Verordnung sind nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechend, festzusetzen

a) die näheren Bestimmungen zu den in den §§4 bis 26 enthaltenen Vorschriften über die Bauart der Fahrzeuge sowie über die Bauart ihrer Teile, Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenstände, deren Wirksamkeit und Anbringung am Fahrzeug,'

§7 Abs1 KFG ordnet unter anderem an, daß Kraftfahrzeuge mit Reifen versehen sein müssen, die nach ihrer Bauart, ihren Abmessungen und ihrem Zustand verkehrs- und betriebssicher sind und durch die die Fahrbahn bei üblicher Benützung nicht in einem unzulässigen Ausmaß abgenützt werden kann. Nach §7 Abs 2 KFG müssen Gleitschutzvorrichtungen so beschaffen sein, daß bei ihrer Verwendung die Fahrbahn nicht beschädigt und andere Straßenbenützer nicht gefährdet werden können. Nach §102 Abs9 KFG darf der Lenker Schneeketten und dergleichen (§7 Abs2) nur dann verwenden, wenn dies erforderlich ist, und nur, wenn sie so befestigt sind, daß sie die Oberfläche der Fahrbahn nicht beschädigen können.

Die oben genannte Vorschrift des §26a KFG scheint, da sie nur auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit und den jeweiligen Stand der Technik abstellt, eine zeitliche Einschränkung der Verwendung von Spikesreifen nicht vorzusehen, zumal es Erfahrungssätze des Inhalts, nach dem 6. April (1987) und vor dem 14. November (1987) herrschten keine winterlichen Straßenverhältnisse, bei denen Gleitschutzvorrichtungen notwendig seien, nicht gibt.

Die im Spruch genannte Verordungsstelle, die nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes alleinige Grundlage für die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der am 9. April 1987 begangenen Übertretung war, dürfte sich somit weder auf §26a Abs1 noch auf eine andere Bestimmung des Kraftfahrgesetzes stützen können."

II. Der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr erstattete eine Äußerung mit dem Begehren, die Verordnungsbestimmung nicht als gesetzwidrig aufzuheben, und führte im wesentlichen folgendes aus:

"1. §26a KFG 1967

1.1 Wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausführt, bildet §26a KFG 1967 die Rechtsgrundlage für die angefochtene Verordnungsregelung. Die Bestimmung wurde durch die 4. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 625/1977, geschaffen. Ihre geltende Fassung ergibt sich aus der 6., 8. und 10. KFG-Novelle, BGBl. Nr. 362/1982, Nr. 451/1984 und 106/1986. Sie gibt dem Verordnungsgeber die Möglichkeit, nach den Erfordernissen der Verkehrs- und Betriebssicherheit, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechend u.a. festzusetzen

a) die näheren Bestimmungen zu den in den §§4 bis 26 KFG 1967 enthaltenen Vorschriften über die Bauart der Fahrzeuge sowie über die Bauart ihrer Teile, Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenstände, deren Wirksamkeit und Anbringung am Fahrzeug und

b) wie Fahrzeuge wegen ihrer Bauart oder Ausrüstung besonders zu kennzeichnen sind.

1.2 Diese Verordnungsermächtigung bildet daher die Grundlage für die Erlassung von Ausführungsbestimmungen betreffend die Bauart von Reifen, insbesondere von Schnee- Matsch- und Eisreifen, im folgenden kurz Spikesreifen genannt, im Sinne des §7 KFG 1967, die Verwendung (Anbringung) solcher Reifen am Fahrzeug und die Kennzeichnung solcher Fahrzeuge in der Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung (KDV).

1.3 Es ist durch technische Studien nachgewiesen, daß Spikesreifen auf trockenen Fahrbahnen erhebliche Schäden erzeugen und damit auch das Unfallrisiko (Aquaplaning) steigern. Die Spikesschäden der Fahrbahnoberfläche bedingen wiederum eine vermehrte Anzahl von Baustellen, wodurch ein weiteres Unfallrisiko gegeben ist.

1.4 Diese Argumente, die dem Stand der Technik entsprechen und die auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit Bedacht nehmen, sprechen für ein totales Spikesverbot. Dem ist jedoch der Sicherheitsgewinn, der durch Spikesreifen auf eisglatten Fahrbahnen bzw. bei ähnlichen Fahrbahnverhältnissen erzielt wird, entgegenzusetzen.

Daraus ergibt sich als Kompromißlösung, die Verwendung von Spikesreifen immer dann zu gestatten, wenn mit Fahrbahnverhältnissen zu rechnen ist, wo diese Reifenart einen Sicherheitsgewinn darstellt, und sie dann zu verbieten, wenn aufgrund der Fahrbahnverhältnisse die Nachteile der Spikesreifen überwiegen.

1.5 Bei diesen Überlegungen bewegt sich der Verordnungsgeber stets innerhalb des Rahmens der Verordnungsermächtigung des §26a KFG 1967, denn die Argumente beziehen sich ausschließlich auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit und berücksichtigen den Stand der Technik, sowohl was den Straßenbau (Oberfläche) als auch den Reifenbau (Spikesreifen neuer Bauart) betrifft. Der Verordnungsgeber gelangt damit aber notwendigerweise zu einer zeitlichen Einschränkung, ohne daß eine solche expressis verbis in §26a KFG 1967 enthalten ist und ohne daß er den Rahmen der Verordnungsermächtigung überschreitet.

2. Winterliche Straßenverhältnisse

2.1 Es trifft zu, daß es keinen Erfahrungssatz gibt, demzufolge zwischen 6. April (1987) und 14. November (1987) keine winterlichen Straßenverhältnisse herrschten. Es gibt nämlich überhaupt keine Möglichkeit exakt zu definieren, innerhalb welchen Zeitraumes winterliche Straßenverhältnisse herrschen. Die Begrenzung auf die Jahreszeit 'Winter' vom 21. Dezember bis 20. März ist dafür jedenfalls ungeeignet. Im Hinblick darauf muß daher mit einer 'Wahrscheinlichkeitsannahme' das Auslangen gefunden werden. Es müssen jene Zeiten, in denen die Wahrscheinlichkeit winterlicher Fahrbahnverhältnisse größer ist, von denen, wo diese Wahrscheinlichkeit kleiner bis gering ist, abgegrenzt werden.

2.2 Für diese 'Wahrscheinlichkeitsannahme' bieten sich verschiedene Grundlagen an.

So hat §4 Abs5 KDV von der 6. KDV-Novelle, BGBl. Nr. 356/1972, bis zur 18. KDV-Novelle, BGBl. Nr. 395/1985, also von 1972 bis 1985 die Verwendung von Spikesreifen jeweils nur in der Zeit vom 1. November bis 30. April gestattet.

Die Regelung in der Schweiz sieht vor, daß Spikesreifen nur in der Zeit vom 1. November bis zum 31. März verwendet werden dürfen.

Schließlich gibt das Kapitel 'Unfallauswertung' aus dem Endbericht der vom Kuratorium für Verkehrssicherheit im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Angelegenheiten und des Bundesministeriums für öffentliche Wirtschaft und Verkehr erstellten Spikes-Studie Hinweise über den Anteil der Monate mit Spikesverbot am Unfallgeschehen. Insgesamt haben winterliche Fahrbahnzustände 8,7 % Anteil am Personenunfallgeschehen. Davon entfallen auf die Monate April bis Oktober ganze 0,28 % und weitere 0,4 % auf den Monat November. Bei den Sachschäden ist der Anteil der winterlichen Fahrbahnzustände mit 16,27 % etwas höher, nicht aber der Anteil der Monate April - Oktober mit 0,28 % bzw. weiterer 0,26 % für den Monat November. Eine Ablichtung dieses Kapitels der Studie liegt bei.

2.3 Daraus ergibt sich, daß der Verordnungsgeber mit Recht davon ausgehen konnte, daß zwischen November und April die Wahrscheinlichkeit, daß winterliche Straßenverhältnisse gegeben sind, wesentlich größer ist als zwischen Mai und Oktober.

2.4 Um die negativen Auswirkungen der Spikesreifen möglichst gering zu halten (siehe unter Pkt. 1.3), sollte aber der Zeitraum für die Verwendung dieser Reifenart möglichst eng gefaßt werden. Eine zu diesem Zweck in Auftrag gegebene Studie (siehe unter Pkt. 2.2) lag 1986 noch nicht vor. Der Verordnungsgeber hat sich daher zunächst für den gleichen Zeitraum wie für 1986, nämlich für die Zeit zwischen dem 6. April (1987) und dem 15. November (1987) entschieden. Dieser Zeitraum liegt im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsannahme.

3. Zusammengefaßt kann daher gesagt werden:

3.1 Unter Bedachtnahme auf die Verkehrs- und Betriebssicherheit und unter Berücksichtigung des Standes der Technik konnte der Verordnungsgeber davon ausgehen, die Verwendung von Spikesreifen nur bei winterlichen Fahrbahnverhältnissen zu gestatten.

3.2 Eine Analyse des Unfallgeschehens und Vergleiche mit anderen Regelungen zeigen, daß die Wahrscheinlichkeit winterlicher Fahrbahnverhältnisse in der Zeit vom 6. April (1987) bis 15. November (1987) gering war, sodaß ein Verbot von Spikesreifen in dieser Zeit gerechtfertigt war.

Die vom Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Bedenken treffen somit nicht zu."

III. 1. Es haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, die gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs sprächen, daß er die angefochtene Verordnungsstelle bei der von ihm zu treffenden Entscheidung anzuwenden hätte. Auch in der Äußerung des Bundesministers wird die Präjudizialität nicht bezweifelt.

Der vorliegende Prüfungsantrag ist, da die übrigen Prozeßvoraussetzungen ebenfalls gegeben sind, zulässig.

2. Der Antrag ist jedoch nicht gerechtfertigt.

Bereits im Erk. VfSlg. 6394/1971 hat der Verfassungsgerichtshof dargetan, daß Reifen, insbesondere Schnee- und Matschreifen, nicht als Gleitschutzvorrichtungen im Sinne des §7 Abs2 KFG anzusehen und daher auch nicht §102 Abs9 leg.cit. zu unterstellen sind. Diese Auslegung der angeführten, weiterhin in der Stammfassung geltenden Bestimmungen des KFG trifft auch für die nunmehr in §7 Abs1 KFG (idF der Novelle BGBl. 615/1977) angeführten "Schnee-, Matsch- und Eisreifen", also auch für Spikesreifen, zu. Daraus ergibt sich, daß die Schlußfolgerungen des Verwaltungsgerichtshofs aus §7 Abs2 und §102 Abs9 KFG im vorliegenden Fall fehlgehen, mithin auch seine an der Abgrenzung des Verbotszeitraums geübte Kritik, es gäbe keine "Erfahrungssätze des Inhalts, nach dem 6. April (1987) und vor dem 14. November (1987) herrschten keine winterlichen Straßenverhältnisse, bei denen Gleitschutzvorrichtungen notwendig seien" (Hervorhebung nicht im Antrag).

Was aber die vom Verwaltungsgerichtshof vermißte Befugnis des Verordnungsgebers anlangt, die Verwendung von Spikesreifen für einen bestimmten Zeitraum überhaupt zu verbieten, schließt sich der Verfassungsgerichtshof der Ansicht des Bundesministers im Ergebnis an. Die in der Verordnungsermächtigung des §26a Abs1 lita enthaltene Wendung "Anbringung am Fahrzeug" muß verkehrs- und betriebsbezogen (arg: "Erfordernisse der Verkehrs- und Betriebssicherheit") verstanden werden. Dies führt unter Bedachtnahme auf das in §7 Abs1 KFG enthaltene Gebot, die Fahrbahn nicht in einem unzulässigen Ausmaß abzunützen, bei Spikesreifen im Hinblick auf ihre Funktion dazu, daß ihre Verwendung für einen - auf Grund einer Durchschnittsbetrachtung sachlich abgrenzbaren - Zeitraum untersagt werden darf.

Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofs war daher abzuweisen.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Kraftfahrrecht / Bauart und Ausrüstung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:V24.1988

Dokumentnummer

JFT_10109698_88V00024_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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