Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Franz W in L, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 13. Mai 1991, Zl.VerkR-11.519/9-1991-II/Bi, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der OÖ Landesregierung vom 13. Mai 1991 wurde der Beschwerdeführer wegen der am 19. Jänner 1989 in Linz begangenen Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 bestraft.
Über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsstrafakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid ausschließlich deshalb für rechtswidrig, weil die belangte Behörde im Hinblick auf die durch die Kraftfahrbehörde erster Instanz - im Sinne einer Vorfragenentscheidung - durch rechtskräftigen Bescheid vom 25. April 1991 verfügte Einstellung des ihm gegenüber eingeleiteten Verfahrens über die Entziehung seiner Lenkerberechtigung bindend davon auszugehen gehabt hätte, daß der Nachweis der Begehung der ihm zur Last gelegten Übertretung nicht zu erbringen sei.
Mit dieser Auffassung ist der Beschwerdeführer aus nachstehenden Erwägungen nicht im Recht:
Gemäß § 38 AVG (§ 24 VStG) ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheide zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist unter einer Vorfrage eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage - als Gegenstand eines rechtsfeststellenden oder rechtsgestaltenden Abspruches - von einer anderen Verwaltungsbehörde oder von einem Gericht oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. November 1986, Zl. 86/05/0124). Die bindende Wirkung einer Vorfragenentscheidung tritt nur dann ein, wenn die Behörde, von der diese Entscheidung stammt, zuständig war, über die Vorfrage als Hauptfrage zu entscheiden (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Aufl., S. 243).
Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte bescheidmäßige Einstellung des Verfahrens über die Entziehung seiner Lenkerberechtigung bedeutet, daß nach Ansicht der Kraftfahrbehörde die Voraussetzungen für eine derartige Maßnahme nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 im Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht gegeben waren. Auch wenn die Kraftfahrbehörde davon ausgegangen sein sollte, daß keine - die Annahme mangelnder Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers rechtfertigende - "bestimmte Tatsache" im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e leg. cit. (daß der Beschwerdeführer ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach Art. IX Abs. 1 Z. 3 EGVG 1950 zu beurteilen ist) vorliegt, ergibt sich daraus noch nicht, daß die belangte Behörde an eine solche Annahme im Sinne einer Vorfragenentscheidung gebunden wäre, weil die Frage, ob der Beschwerdeführer "eine Übertretung des § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen hat", nicht von der Kraftfahrbehörde (vgl. die Vollzugsbestimmungen des § 136 KFG 1967), sondern von der für die Vollziehung der Straßenverkehrsordnung 1960 zuständigen Behörde (§ 94a StVO 1960) zu entscheiden ist. Für die den Gegenstand des angefochtenen Bescheides bildende Frage, ob der Beschwerdeführer eine Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 zu verantworten hat, ist daher die von der Kraftfahrbehörde getroffene Entscheidung, das Verfahren über die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers einzustellen, selbst dann keine Vorfragenentscheidung, wenn die Kraftfahrbehörde der Meinung war, daß dem Beschwerdeführer der Vorwurf der Begehung dieser Übertretung nicht gemacht werden kann. Diese von der für die Vollziehung der Straßenverkehrsordnung 1960 zuständigen belangten Behörde zu beantwortende Frage ist vielmehr für die Kraftfahrbehörde im Rahmen des Verfahrens gemäß § 73 KFG 1967 eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG, weshalb auf Grund des angefochtenen Bescheides nach einer allfälligen Wiederaufnahme des eingestellten Verfahrens im Sinne des § 69 Abs. 3 AVG für die Kraftfahrbehörde mit bindender Wirkung festzustehen hätte, daß die Tatbestandsvoraussetzungen des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 erfüllt sind.
Für die belangte Behörde ergaben sich sohin aus der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Einstellung des Verfahrens über die Entziehung der Lenkerberechtigung keine im Zusammenhang mit § 38 AVG relevanten Rechtswirkungen, weshalb sich die Beschwerde als unbegründet erweist und daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991180189.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
05.05.2009