TE Vfgh Erkenntnis 1989/3/2 WI-4/88

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Veröffentlicht am 02.03.1989
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0300 Landtagswahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 lita / Allg Vertretungskörper
NÖ LandtagswahlO 1974 §43 Abs2 idF 0300-3
VfGG §67 Abs2

Leitsatz

Von der Teilnahme an der Wahl zu einem allgemeinen Vertretungskörper ausgeschlossene Wählergruppen sind zur Anfechtung des Wahlverfahrens über die Frage der Gültigkeit des von ihnen eingebrachten Wahlvorschlages hinaus nicht legitimiert Keine Bedenken gegen das Erfordernis einer bestimmten Anzahl von Unterstützungserklärungen für die Gültigkeit eines Wahlvorschlages nach §43 Abs2 NÖ LandtagswahlO 1974, LGBl. 0300-3

Spruch

Die Wahlanfechtung wird, soweit sie sich gegen die Zurückweisung der Kreiswahlvorschläge wendet, als unbegründet abgewiesen, im übrigen aber als unzulässig zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Am 16. Oktober 1988 fand die von der Niederösterreichischen Landesregierung mit Verordnung vom 5. Juli 1988, LGBl. 0300/12-0, ausgeschriebene Wahl des Niederösterreichischen Landtages statt. Von der Teilnahme daran war die Wählergruppe "Partei Neues Österreich (PNÖ)" in allen vier Wahlkreisen ausgeschlossen, weil die (vier) Kreiswahlbehörden die von der PNÖ vorgelegten Wahlvorschläge - in Ermangelung der erforderlichen Anzahl von Unterstützungserklärungen (§43 Abs2 Niederösterreichische Landtagswahlordnung 1974 (LWO), LGBl. 0300-3) - als unzulässig zurückgewiesen hatten (Beschlüsse der Kreiswahlbehörden vom 21. September 1988 (Wahlkreis 1) und vom 22. September 1988 (Wahlkreise 2 bis 4)).

1.2.1.1. Die Wählergruppe "Partei Neues Österreich (PNÖ)" begehrte daraufhin mit ihrer am 14. November 1988 zur Post gegebenen und auf Art141 Abs1 lita B-VG gestützten Wahlanfechtungsschrift an den Verfassungsgerichtshof die Nichtigerklärung der Wahl des Niederösterreichischen Landtages vom 16. Oktober 1988 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens.

1.2.1.2. Begründend wurde dazu - gerafft wiedergegeben - ausgeführt, die Anordnung des §43 Abs2 LWO, daß (nicht von mindestens drei Mitgliedern des Landtages unterschriebene) Kreiswahlvorschläge von wenigstens 200 Personen, die am Stichtag in den Gemeinden des Wahlkreises als Wahlberechtigte in der Wählerevidenz eingetragen waren, unterstützt sein müssen, ziehe die Bedingungen des passiven Wahlrechtes enger als es die Bundesverfassung erlaube und sei damit verfassungswidrig (Anfechtungspunkt A). Eine weitere Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens liege darin, daß Gemeinden zahlreiche der Unterstützungserklärungen für die "Liste Pepi Wagner" entweder bereits vor dem Stichtag oder in Abwesenheit des Unterstützenden mit einem Bestätigungsvermerk versehen hätten, ein Vorgang, der dem §43 Abs2 LWO widerspreche, sodaß sich die Kandidatur der "Liste Pepi Wagner" im Wahlkreis 2 als rechtswidrig erweise (Anfechtungspunkt B).

1.2.2. Die Landeswahlbehörde für das Land Niederösterreich erstattete unter Vorlage der Wahlakten eine Gegenschrift, in der sie beantragte, die Wahlanfechtung, soweit sie die Zurückweisung der Wahlvorschläge zum Gegenstand hat, als unbegründet abzuweisen, im übrigen aber als unzulässig zurückzuweisen.

1.3. §43 Abs2 LWO hat folgenden Wortlaut:

"Der Kreiswahlvorschlag muß von wenigstens drei Mitgliedern des Landtages unterschrieben oder von wenigstens 200 Personen, die am Stichtag in Gemeinden des Wahlkreises als wahlberechtigt in der Wählerevidenz (Bundeswählerevidenz und Landes-Wählerevidenz) eingetragen waren, unterstützt sein. Hiebei sind dem Kreiswahlvorschlag die nach Muster Anlage 3a ausgefüllten und eigenhändig unterfertigten Unterstützungserklärungen anzuschließen. Die Unterstützungserklärung hat die Bestätigung der Gemeinde zu enthalten, daß die in der Erklärung genannte Person am Stichtag in der Wählerevidenz als wahlberechtigt eingetragen war. Diese Bestätigung ist von der Gemeinde nur dann zu erteilen, wenn die in der Erklärung genannte Person vor der zur Führung der Wählerevidenz zuständigen Gemeindebehörde persönlich erscheint, ihre Identität durch ein mit Lichtbild ausgestattetes Identitätsdokument (zum Beispiel Reisepaß, Personalausweis, Führerschein, Postausweis usw.) nachgewiesen hat, die Unterstützungserklärung die Angaben über Vor- und Familienname, Geburtsdatum und Wohnadresse sowie den Namen der zu unterstützenden wahlwerbenden Partei enthält und die eigenhändige Unterschrift der in der Unterstützungserklärung genannten Person entweder vor der Gemeindebehörde geleistet wurde oder gerichtlich oder notariell beglaubigt ist. Die Gemeinden sind verpflichtet, diese Bestätigung unverzüglich und ohne Einhebung von Verwaltungsabgaben, sonstigen Abgaben oder Gebühren auszufertigen. Eine solche Bestätigung darf für eine Person nur einmal ausgestellt werden."

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über Anfechtungen von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch zu den Landtagen. Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

Nach §67 Abs2 VerfGG 1953 sind zur Anfechtung der Wahl eines allgemeinen Vertretungskörpers grundsätzlich jene Wählergruppen berechtigt, die der Wahlbehörde rechtzeitig Wahlvorschläge vorlegten. Dazu nimmt der Verfassungsgerichtshof seit dem Erkenntnis VfSlg. 4992/1965 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, daß die Anfechtungslegitimation, soweit die Frage der Gültigkeit des eingereichten Wahlvorschlags das Ergebnis der Wahlanfechtung - wie hier - mitbestimmen kann, nicht zusätzlich davon abhängt, ob dieser Vorschlag rechtswirksam eingebracht wurde (so VfSlg. 7387/1974, 10.217/1984; s. auch VfSlg. 6087/1969, 10.178/1984, 11.256/1987): Wählergruppen, deren Wahlvorschläge als nicht eingebracht erklärt oder als unzulässig zurückgewiesen wurden, steht es folglich frei, diesen Teilakt des Wahlverfahrens im Weg einer Wahlanfechtung gemäß Art141 B-VG mit der Behauptung zu bekämpfen, daß die (ihre Vorschläge behandelnde) Entscheidung der Wahlbehörde auf verfassungswidrigen Rechtsgrundlagen beruhe oder sonst rechtswidrig ergangen sei. Halten diese Vorwürfe im verfassungsgerichtlichen Wahlanfechtungsverfahren einer Nachprüfung nicht stand, sind die - von der Teilnahme an der Wahl rechtmäßig ausgeschlossenen - Wählergruppen darüber hinaus zur Anfechtung des Wahlverfahrens nicht befugt; dies kraft der Bestimmung des §67 Abs2 VerfGG 1953, die das Anfechtungsrecht nicht irgendwelchen Gruppen von Wahlberechtigten zuerkennt, sondern grundsätzlich nur jenen Wahlparteien gewährt, die sich bei der Wahl tatsächlich und rechtmäßig um Wählerstimmen beworben haben.

2.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem betreffenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz erflossenen Bescheides eingebracht werden.

Nun sieht zwar §99 Abs1 LWO administrative Einsprüche - iS eines Instanzenzuges nach §68 Abs1 VerfGG 1953 - vor, doch nur gegen ziffernmäßige Ermittlungen der Kreiswahlbehörden und der Landeswahlbehörde.

Zur Geltendmachung aller anderen Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens steht - weil insoweit ein zunächst zu durchlaufender Instanzenzug iS des §68 Abs1 VerfGG 1953 nicht eingerichtet ist - die unmittelbare Anfechtung der Wahl beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens (erster Teilsatz des §68 Abs1 VerfGG 1953) offen (vgl. zB VfSlg. 10.610/1985).

2.1.3.1. Im vorliegenden Fall strebt die Einschreiterin mit ihrer Anfechtungsschrift nicht die dem Einspruchsverfahren nach §99 Abs1 LWO vorbehaltene Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen einer Wahlbehörde an; sie rügt vielmehr zunächst die - in den Bereich sonstiger Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens fallende - Nichtzulassung ihrer Wahlvorschläge, wofür die sofortige Wahlanfechtung nach Art141 Abs1 lita B-VG eingeräumt ist.

2.1.3.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung ist in diesem Fall die Beendigung des Wahlverfahrens (s. VfSlg. 9085/1981, 9940/1984), d.i. hier bei der Wahl des Landtages die Verlautbarung des Ergebnisses des zweiten Ermittlungsverfahrens an der Amtstafel des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung gemäß §97 Abs3 LWO.

Diese Verlautbarung fand am 20. Oktober 1988 statt.

Die am 14. November 1988 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde darum rechtzeitig eingebracht.

2.2. Zur Anfechtung der Nichtzulassung der Wahlvorschläge (Anfechtungspunkt A- Abschnitt 1.2.1.2.):

2.2.1. Hier genügt die Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes über die grundsätzliche verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit des Systems der sog. Unterstützungserklärungen (vgl. VfSlg. 2758/1954, 3653/1959, 3969/1961, 6087/1969, 6201/1970, 6207/1970, 7387/1974, 7821/1976, 8694/1979, 10.065/1984, 10.178/1984, 10.217/1984, 11.256/1987), an der - auch aus der Sicht dieses Rechtsfalls - unverändert festgehalten wird: Mit der von der Anfechtungswerberin als verfassungswidrig bezeichneten - präjudiziellen - Norm des §43 Abs2 LWO (ua. über die Notwendigkeit von Unterstützungsunterschriften) befaßte sich der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 10.178/1984. Der Gerichtshof gelangte damals zum Ergebnis, daß Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit dieser landesgesetzlichen Regelung auch im Hinblick auf die im B-VG festgeschriebenen Grundsätze des Verhältniswahlrechtes nicht bestehen. Die Anfechtungswerberin vermag nichts vorzubringen, was die Richtigkeit der für diese Entscheidung maßgebenden Überlegungen erschüttern und den Verfassungsgerichtshof zu einer Abkehr von seiner Rechtsauffassung bewegen könnte. Auf die ausführliche und auch hier gültige Begründung des Erkenntnisses VfSlg. 10.178/1984 sei in diesem Zusammenhang besonders hingewiesen (s. auch VfSlg. 10.217/1984).

2.2.2. Die Wahlanfechtung war darum als unbegründet abzuweisen, soweit sich die Anfechtungswerberin gegen die Zurückweisung ihrer Wahlvorschläge in Handhabung des §46 Abs3 iVm §43 Abs2 LWO wendet.

2.3. Zur weiteren Anfechtung (Anfechtungspunkt B- Abschnitt 1.2.1.2.):

Als Gruppierung, die nach dem bereits Gesagten zulässige Wahlvorschläge gar nicht eingebracht hatte und deshalb bei der Wahl selbst nicht wahlwerbend auftrat, ist die PNÖ zur Wahlanfechtung aus dem Grund der Zulassung der Wahlvorschläge anderer Wählergruppen kraft §67 Abs2 VerfGG 1953 nicht legitimiert, wie schon aus den Ausführungen zu Abschnitt 2.1.1. erhellt.

Insoweit war die Wahlanfechtung daher - der Stellungnahme der Niederösterreichischen Landeswahlbehörde folgend - als unzulässig zurückzuweisen.

2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Wahlen / Allg Vertretungskörper / Allg u Verfassungsfragen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:WI4.1988

Dokumentnummer

JFT_10109698_88W00I04_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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