TE Vwgh Erkenntnis 1991/11/12 91/11/0093

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.1991
beobachten
merken

Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
KFG 1967 §65 Abs3;
KFG 1967 §69 Abs1 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des J in H, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. Juni 1991, Zl. I/7-St-S-90191, betreffend Erteilung einer Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Nach der Aktenlage wurde dem Beschwerdeführer (er ist an beiden Beinen vollständig gelähmt) wiederholt eine Lenkerberechtigung, eingeschränkt auf das jeweils bestimmt bezeichnete Kraftfahrzeug (Ausgleichkraftfahrzeug im Sinne des § 2 Z. 24 KFG 1967), erteilt. Mit Eingabe an die Bezirkshauptmannschaft Lilienfeld vom 4. Dezember 1990 begehrte der Beschwerdeführer abermals die Erteilung einer Lenkerberechtigung für ein unter anderem nach dem Kennzeichen und der Fahrgestellnummer bestimmtes Kraftfahrzeug. Der Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 5. Juni 1991 abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 65 Abs. 3 KFG 1967 darf Personen, die nach dem ärztlichen Gutachten "beschränkt geeignet" sind, nur eine eingeschränkte Lenkerberechtigung erteilt werden, die ausschließlich zum Lenken eines bestimmten, im ärztlichen Gutachten bezeichneten Invaliden- oder Ausgleichkraftfahrzeuges berechtigt. Vor der Erteilung der Lenkerberechtigung hat die Behörde gemäß § 67 Abs. 2 erster Satz leg. cit. ein ärztliches Gutachten darüber einzuholen, ob der Antragsteller zum Lenken von Kraftfahrzeugen geistig und körperlich geeignet ist. Wenn das ärztliche Gutachten eine Begutachtung technischer Fragen voraussetzt, insbesondere hinsichtlich der Feststellung, ob die Bauart und Ausrüstung eines bestimmten Fahrzeuges die in einem auf "beschränkt geeignet" lautenden Gutachten anzuführenden körperlichen Mängel ausgleicht, ist ein Gutachten eines technischen, gemäß § 126 bestellten Sachverständigen hierüber einzuholen (dritter Satz). Gemäß § 69 Abs. 1 lit. c KFG 1967 hat, wenn der zu Begutachtende nach dem ärztlichen Befund zum Lenken nur eines bestimmten Kraftfahrzeuges nach § 2 Z. 18 oder 24 geeignet ist, das Gutachten "beschränkt geeignet" zu lauten und anzugeben, durch welche körperlichen Mängel die Eignung beschränkt ist, und das Kennzeichen und die Fahrgestellnummer des Fahrzeuges anzuführen, bei dem diese Mängel ausgeglichen werden können.

Vorauszuschicken ist, daß der Beschwerdeführer nur einen Antrag auf Erteilung der Berechtigung zum Lenken eines bestimmt bezeichneten, seiner Behinderung eigens angepaßten Fahrzeuges gestellt hat, weshalb im vorliegenden Fall nicht zu prüfen war, ob der Beschwerdeführer im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. b KFG 1967 zum Lenken von Kfz der Gruppe B "bedingt geeignet", sondern ob er im Sinne der lit. c dieser Gesetzesstelle hinsichtlich des gegenständlichen Kfz "beschränkt geeignet" ist (zu diesen Begriffen und zu jenem des "Ausgleichkraftfahrzeuges" wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Juni 1986, Zl. 85/11/0294, verwiesen). Weiters kam nicht die Erteilung einer Lenkerberechtigung für eine "Gruppe" von Kraftfahrzeugen, sondern nur einer auf das im Antrag bezeichnete Fahrzeug eingeschränkten Lenkerberechtigung in Betracht (vgl. auch dazu das genannte Erkenntnis). Dies wurde offenbar übersehen, wenn in verschiedenen Schriftstücken der im Berufungsverfahren mit der Sache befaßten Stellen, im angefochtenen Bescheid und auch noch in der Gegenschrift von einer "bedingten Eignung" des Beschwerdeführers bzw. von der Erteilung einer Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge "der Gruppe B" die Rede ist.

Festzuhalten ist ferner, daß sich der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nur dagegen gewendet hat, daß zum Ausgleich seiner Behinderung die Verwendung eines Kraftfahrzeuges mit Automatikgetriebe erforderlich sei (Stellungnahme vom 4. Dezember 1990 zum Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde und Berufung vom 19. Dezember 1990). Die Begründung der Berufung bestand neben einem Hinweis auf die Mehrkosten eines solchen Getriebes in dem Satz: "Ich ersuche, mich neuerlich begutachten zu wollen, ob für mich die Lenkung eines Kraftfahrzeuges ohne diese Automatik möglich erscheint."

Somit hatte die belangte Behörde insbesondere die Frage der Notwendigkeit eines Automatikgetriebes für das gegenständliche Kfz zu klären.

Die belangte Behörde begründete die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers damit, daß laut dem von ihr eingeholten Gutachten eines ärztlichen Amtssachverständigen vom 18. April 1991 sämtliche der im Gutachten des Amtsarztes der Erstbehörde vom 16. Oktober 1990 "vorgeschriebenen Zusatzeinrichtungen" zur sicheren Beherrschung des Kraftfahrzeuges durch den Beschwerdeführer notwendig seien. Im Gutachten vom 18. April 1991 heißt es dazu, "daß die Vorschriften hinsichtlich der erforderlichen zusätzlichen Bedienungseinrichtungen in seinem Pkw von den zuständigen technischen Sachverständigen aufgrund einer Probefahrt und deren Kenntnisse erfolgten, sodaß sie jedenfalls aus ärztlicher Sicht schon im Hinblick auf die sichere Beherrschung des Fahrzeuges notwendig sind". Unter Hinweis auf eine verkehrspsychologische Untersuchung des Beschwerdeführers am 7. März 1991 wird weiters ausgeführt: "Die verkehrspsychologisch relevanten Befunde zeigten, daß er zum Lenken eines entsprechend seiner Behinderung adaptierten Kraftfahrzeuges der Führerscheingruppe 'B' noch knapp geeignet ist."

Der Beschwerdeführer rügt das Fehlen jeglicher Begründung dafür, weshalb ein Automatikgetriebe zur sicheren Beherrschung seines Kraftfahrzeuges notwendig sei. Dieses Vorbringen ist berechtigt.

Ungeachtet des Umstandes, daß sich der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren zu dem ihm bekanntgegebenen Gutachten vom 18. April 1991 nicht geäußert hatte, war die belangte Behörde gemäß §§ 60, 67 AVG gehalten, in Ansehung der in der Berufung aufgeworfenen Frage der Notwendigkeit eines Automatikgetriebes in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Diesem Erfordernis wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht, begnügt er sich doch insoweit mit der Übernahme der Schlußfolgerung des ärztlichen Amtssachverständigen, der Beschwerdeführer sei (nur) "bei Einbau sämtlicher vorgeschriebener Zusatzeinrichtungen zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe B bedingt geeignet". Bei den diesbezüglichen Ausführungen in der Gegenschrift handelt es sich um den unzulässigen Versuch, die im angefochtenen Bescheid insoweit fehlende Begründung nachzutragen. Dazu kommt, daß das Gutachten vom 18. April 1991 keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der strittigen Frage bildet, weil sich ihm mangels dahingehender Ausführungen nicht entnehmen läßt, weshalb nur ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe den beim Beschwerdeführer bestehenden körperlichen Mangel auszugleichen vermag. Weiters können die in diesem Gutachten angeführten Befunde den vom ärztlichen Amtssachverständigen gezogenen Schluß nicht tragen. Zum einen wird nämlich in dem Befund einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle des Kuratoriums für Verkehrssicherheit vom 15. März 1991 der Beschwerdeführer zwar (nur) als zum Lenken von Kfz der Gruppe B "noch knapp geeignet" bezeichnet. Im Anschluß daran heißt es dort aber: "Die endgültige Entscheidung in der Frage, ob der gegenwärtige Fahrzeugumbau die Behinderung des Probanden ausreichend ausgleichen kann, sollte einer Beurteilung durch einen technischen Sachverständigen überlassen bleiben. Aus verkehrspsychologischer Sicht scheinen jedenfalls die bisherigen Probleme im Straßenverkehr eher auf die Einstellungsproblematik des Probanden als auf seinen Fahrzeugzustand zurückzuführen zu sein." Zum anderen lautet das von einem kraftfahrtechnischen Amtssachverständigen der belangten Behörde aufgrund der Beobachtungsfahrt mit dem Fahrzeug des Beschwerdeführers vom 26. November 1990 (offenbar am selben Tag) erstellte Gutachten (Blatt 29 des Verwaltungsaktes): "Durch nachträglichen Einbau eines Urban-Gerätes rechts vom Lenkrad zur Betätigung der Betriebsbremse, der Kupplung und (des) Gasdrehgriffes wurde dieses Fahrzeug dem Gebrechen des Herrn S angepaßt. Herr S wurde darauf aufmerksam gemacht, daß sein nächstes Fahrzeug mit einem automatischen Getriebe ausgestattet sein muß. Es wird angeregt, aufgrund des Schaltgetriebes und der dadurch verzögerten Reaktion bei der Betätigung die zul.

Höchstgeschwindigkeit - wie vom Amtsarzt angeführt - von 80 km/h (Bundesstraße) und 100 km/h (Autobahnen) zu beschränken. ..." Daraus ergibt sich, daß der technische Amtssachverständige jedenfalls in Ansehung des im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Fahrzeuges des Beschwerdeführers den Einbau eines Automatikgetriebes nicht für notwendig erachtete. Dieser Beurteilung kommt im Hinblick auf § 67 Abs. 2 dritter Satz KFG 1967 besonderes Gewicht zu. Die belangte Behörde hat somit, was die Frage der Notwendigkeit eines Automatikgetriebes anlangt, Verfahrensvorschriften verletzt, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Im übrigen ist, wie der Beschwerdeführer mit Recht rügt, mangels entsprechender Feststellungen dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, ob das gegenständliche Fahrzeug auch noch aus anderen Gründen nicht geeignet ist, den beim Beschwerdeführer bestehenden Mangel auszugleichen.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß dem Beschwerdeführer Stempelgebühren nur im Betrag von S 420,-- zu ersetzen sind (S 360,-- für die drei Beschwerdeausfertigungen und S 60,-- für eine Kopie des angefochtenen Bescheides). Weitere Beilagen waren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich, weshalb kein Anspruch auf Ersatz der darauf entfallenden Stempelgebühren besteht.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991110093.X00

Im RIS seit

19.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten