TE Vfgh Erkenntnis 1989/3/6 B1490/88

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Veröffentlicht am 06.03.1989
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Index

16 Medienrecht
16/02 Rundfunk

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt / Willkür
RundfunkG §5 Abs1
RundfunkG §15

Leitsatz

Abweisung eines Antrages der Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs auf Zuweisung von Sendezeit für Belangsendungen; Willkür infolge gehäuften Verkennens der Rechtsgrundlagen

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen des Beschwerdevertreters die mit S 27.000 bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Nach §5 Abs1 Rundfunkgesetz, BGBl. 379/1984, (RFG) hat der "Österreichische Rundfunk . . . einen Teil seiner Sendezeit an die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien und an Interessenverbände zu vergeben. Dieser Teil darf je Programm 1 vH der Sendezeit nicht überschreiten und ist auf die Bewerber um die Zuteilung dieser Sendezeit entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufzuteilen".

1.2. Das kraft §8 Abs1 Z11 RundfunkG 1974 zur Entscheidung über eine solche Vergabe von Sendezeiten berufene Kuratorium des Österreichischen Rundfunks stellte mit Beschluß vom 6. Dezember 1976 fest, daß folgende Einrichtungen als Interessenverbände iS des §5 Abs1 leg.cit. anzusehen sind:

1.

Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft,

2.

Österreichischer Arbeiterkammertag,

3.

Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs,

4.

Österreichischer Gewerkschaftsbund und

5.

Vereinigung österreichischer Industrieller.

Das Kuratorium nahm ferner zur Kenntnis, daß die Vereinigung österreichischer Industrieller von der auf den Bereich Industrie entfallenden Belangsendezeit in Hörfunk und Fernsehen 25 % an die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft zur Gestaltung von Belangsendungen in eigener Verantwortung und unter eigener An- und Absage abtritt.

1.3. Die als Verein konstituierte Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs

(der angehören: Österreichische Apothekerkammer, Österreichische Ärztekammer, Österreichische Dentistenkammer, Bundes-Ingenieurkammer, Österreichische Notariatskammer, Österreichische Patentanwaltskammer, Österreichischer Rechtsanwaltskammertag, Bundeskammer der Tierärzte Österreichs und Kammer der Wirtschaftstreuhänder)

kam mit Schreiben vom 23. September 1987 beim Kuratorium des Österreichischen Rundfunks darum ein, den von ihr als Interessenverband vertretenen Freien Berufen (Belang-)Sendezeiten gemäß §5 Abs1 RFG zuzuweisen. Das Kuratorium lehnte diesen Antrag in seiner Sitzung vom 18. März 1988 ab (wie es schon einen früheren im wesentlichen gleichlautenden Antrag am 6. Dezember 1976 abgelehnt hatte) und gab der Antragstellerin mit Zuschrift (des Kuratoriumsvorsitzenden) vom selben Tag folgende Begründung bekannt:

"Das Kuratorium des Österreichischen Rundfunks hat in seiner heutigen Sitzung nochmals Ihren Antrag um Zuteilung von Belangsendezeit gemäß §5 Abs1 RFG beraten und mit Stimmenmehrheit den Beschluß gefaßt, diesem Ersuchen nicht stattzugeben. Für die Entscheidung war die Meinung der Mehrheit der Kuratoren ausschlaggebend, daß die Zusammensetzung des Kreises der Belangsendungsträger in sich ausgewogen ist und durch Aufnahme zusätzlicher Belangsendungsträger kein Signal in Richtung Vermehrung von Belangsendungen gesetzt werden sollte. Das Kuratorium war auch mehrheitlich der Ansicht - ohne darüber ausdrücklich abgestimmt zu haben -, daß Belangsendungen im Programm nach Möglichkeit reduziert bzw. im Einvernehmen mit allen beteiligten Kreisen sogar eingestellt werden könnten.

Es wurde während der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes mehrfach und unwidersprochen betont, daß diese Entscheidung in keiner Weise als Geringschätzung des Stellenwerts der Freien Berufe in der Öffentlichkeit zu verstehen ist. Als Vorsitzender des Kuratoriums kann ich dem nur beipflichten und bitte Sie um Verständnis dafür, daß nach unserer Auffassung jede Maßnahme, die als Forcierung von Belangsendungen angesehen werden kann, aus programmlichen Gründen nicht gutgeheißen wird."

1.4. Gegen diese Entscheidung des Kuratoriums rief die Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs gemäß §27 Abs1 Z1 lita RFG die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes an, die über die Beschwerde mit Bescheid vom 24. Mai 1988, Z442/4-RFK/88, wie folgt erkannte:

"Durch die Entscheidung des Kuratoriums des Österreichischen Rundfunks vom 18. März 1988 über die Ablehnung der Vergabe von Sendezeit an die Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs für Belangsendungen wurde das RFG in seiner Bestimmung des §5 Abs1 nicht verletzt".

Begründend wurde ua. ausgeführt:

"... Die(se) Einschränkungen des §5 Abs1 RFG und die geringe dafür zur Verfügung gestellte Sendezeit zeigen, daß Belangsendungen nur an solche Institutionen vergeben werden sollen, denen entsprechende Bedeutung im öffentlichen Leben zukommt. Bei den im Nationalrat vertretenen politischen Parteien wird diese Bedeutung, wohl auch in Anbetracht der für eine Vertretung im Nationalrat notwendigen erheblichen Stimmenzahl, von vornherein angenommen.

Von den Interessenverbänden kommen hier nur solche Verbände in Frage, die (gemeint: denen) ähnlich den im Nationalrat vertretenen politischen Parteien unter den Parteien (gemeint wohl: Verbänden) Österreichs insgesamt überragende Bedeutung im öffentlichen Leben zukommt, wie dies auch bei den im Nationalrat vertretenen politischen Parteien der Fall ist. Als solche Interessenverbände mit überragender Bedeutung im öffentlichen Leben können daher wohl nur Verbände angesehen werden, die erheblichen Einfluß auf die allgemeine Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Österreich haben. Das Kuratorium hat daher zu Recht in seiner Entscheidung vom 19. Jänner 1977 nur den dort angeführten fünf Interessenverbänden Belangsendezeit zugeteilt, weil diesen Interessenverbänden damals wie heute zweifelsohne überragende Bedeutung im öffentlichen Leben zukommt. Diese Interessenverbände haben in der rechtlichen und politischen Realität der in der Öffentlichkeit ablaufenden und auf das politische, soziale und wirtschaftliche Leben unseres Landes Bezug habenden Vorgänge wesentlich bestimmende Bedeutung, sie sind etwa auch im Gegensatz zu anderen damals in Diskussion stehenden Interessenvereinigungen kollektivvertragsfähig.

Geht man von diesen Kriterien aus, so kommt der Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs zumindest derzeit keinesfalls die gleiche oder auch nur eine ähnliche überragende Bedeutung im politischen Leben zu wie den angeführten fünf Interessenverbänden. Sollte in Zukunft in der Bedeutung der Interessenverbände im öffentlichen Leben eine Änderung eintreten, wird das Kuratorium bei Bewerbungen um Belangsendezeit darauf angemessen Bedacht zu nehmen haben.

Dabei kann derzeit auch aus einer Verweisung auf die Hörer- und Sehervertretung, für die die Kammern der Freien Berufe gemeinsam ein Mitglied zu bestellen haben (§15 Abs2 Z3 RFG), im konkreten Fall nichts gewonnen werden. Die Hörer- und Sehervertretung dient zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher und bezieht schon aufgrund ihrer gesetzlichen Zusammensetzung Institutionen wie die römisch-katholische und evangelische Kirche mit ein, die zweifellos nicht als Interessenverbände iS des §5 Abs1 RFG aufzufassen sind. Die Berücksichtigung der Interessen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Programm ergibt sich aber wiederum nicht aus der Bestimmung des §5 Abs1 RFG, sondern dem diesbezüglich konkreten Programmauftrag des §2 Abs3

RFG.

Das Kuratorium des Österreichischen Rundfunks hat daher bei seiner Entscheidung vom 18. März 1988 das RFG in seinem §5 Abs1 nicht verletzt und sich im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraumes gehalten.

Eine Verfristung der Beschwerde mangels Reaktion der Beschwerdeführerin auf den Beschluß des Kuratoriums vom 12. (gemeint wohl: 6.) Dezember 1976 liegt nicht vor, weil dieses über Bewerbungen um Belangsendezeit iS des §5 Abs1 RFG schon wegen möglicher Bedeutungsänderung des sich bewerbenden Interessenverbandes über solche Anträge stets neu zu entscheiden hat ..."

1.5.1. Gegen den Kommissionsbescheid ergriff die Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe Österreichs Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 (Abs1) B-VG; darin wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Verwaltungsaktes beantragt.

Zur Begründung wurde ua. ausgeführt:

"... Die belangte Behörde hat die Bundeskonferenz im Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt, indem sie Willkür geübt hat.

Sie hat mit dem angefochtenen Bescheid in gehäufter Verkennung der Rechtslage einen erklärtermaßen von sachfremden Erwägungen getragenen Beschluß des Kuratoriums gebilligt und sich so über das Gesetz hinweggesetzt, statt ihm zu dienen.

§5 Abs1 RFG verpflichtet den ORF, einen Teil seiner Sendezeit einerseits an die im Nationalrat vertretenen politischen Parteien - um die es hier nicht geht -, andererseits aber an Interessenverbände zu vergeben, wobei dieser Teil je Programm mit 1 vH der Sendezeit begrenzt und auf die Bewerber um die Zuteilung dieser Sendezeit entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufzuteilen ist.

Das Gesetz verlangt somit vom Kuratorium des ORF eine dreistufige Vorgangsweise, nämlich

-

zum ersten die Festsetzung der auf die einzelnen Programme entfallenden Belangsendezeiten,

-

zum zweiten die Erfassung der Bewerber um die Zuteilung solcher Sendezeiten und

-

zum dritten die Aufteilung der Belangsendezeit entsprechend der Bedeutung der Bewerber im öffentlichen Leben.

Das Gesetz stellt dem Kuratorium frei, diese Vorgangsweise periodisch - etwa von Jahr zu Jahr - oder fallweise einzuhalten, also etwa dann, wenn das Ausmaß der je Programm eingeräumten Belangsendezeiten geändert werden soll oder ein neuer Bewerber um solche Sendezeiten auftritt.

Meint das Kuratorium, wie es in dem Brief seines Vorsitzenden vom 18. März 1988 heißt, die Belangsendungen 'reduzieren' zu sollen, so kann es das tun, indem es das gesetzlich nur nach oben (1 vH der Sendezeit), nicht aber nach unten begrenzte Ausmaß der Belangsendezeiten im Rahmen des gesetzlichen Auftrages einschränkt und die Aufteilung der verringerten Sendezeit auf die Bewerber neu vornimmt. Hingegen bietet das Gesetz nicht die geringste Handhabe dafür, eine 'Reduzierung' der Belangsendungen in der Form vorzunehmen, daß neue Bewerber nicht zur Verteilung der Sendezeit zugelassen werden.

Das vom Kuratorium angegebene Ziel, 'kein Signal in Richtung Vermehrung von Belangsendungen' zu setzen und 'jede Maßnahme, die als Forcierung von Belangsendungen angesehen werden kann, aus programmlichen Gründen nicht gutzuheißen', ist dem Gesetz - das Belangsendungen ermöglichen und nicht 'zurückdrängen' will - qualifiziert fremd. Im übrigen kann es denkmöglich nicht zu einer 'Vermehrung von Belangsendungen' kommen, wenn die dafür gewidmete Sendezeit im gleichen oder vielleicht sogar in einem reduzierten Ausmaß auf eine größere Anzahl von Bewerbern aufgeteilt wird.

Man kann über den Sinn von Belangsendungen diskutieren. Der Gesetzgeber hat sie eingeführt. Der Gesetzgeber ist es, der sie auch wieder reduzieren oder abschaffen kann. Dieses Recht des Gesetzgebers hat sich das Kuratorium des ORF angemaßt, statt den Gesetzesauftrag zu erfüllen.

Daß die belangte Behörde dies verkannt hat, geht über eine einfache Gesetzesverletzung hinaus und bewirkt als gehäuftes Verkennen der Rechtslage eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsgebotes.

Das Kuratorium des ORF hat einen groben Ermessensmißbrauch begangen, indem es sich bei der Ermessensübung nicht von den Intentionen des Gesetzes leiten ließ, insbesondere Umstände als wesentlich in Betracht zog, die nach dem anzuwendenden Gesetz irrelevant sind (Koja-Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht2, 1986, S. 256), hat es sich doch über den Gesetzesbefehl, die Belangsendezeit auf die Bewerber entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufzuteilen, hinweggesetzt und sich nicht nach der Bedeutung der Bewerber im öffentlichen Leben, sondern nach einem vermeintlichen Bedürfnis, die Belangsendungen zu 'reduzieren', orientiert.

Die zur rechtlichen Kontrolle des Kuratoriums berufene belangte Behörde hat daraufhin ihre Funktion als Einrichtung der Rechtsaufsicht, die über behauptete Verletzungen von Bestimmungen des RFG zu entscheiden hat (§25 Abs1 RFG), qualifiziert rechtswidrig verkannt. Sie ist dem Ermessensmißbrauch des Kuratoriums nicht weiter nachgegangen und hat ihn nicht als Verletzung des RFG aufgegriffen, sondern ihrerseits Erwägungen über die Bedeutung der Bundeskonferenz im öffentlichen Leben angestellt.

Damit hat die belangte Behörde in qualifiziert rechtswidriger Verkennung ihrer Aufgabe ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Kuratoriums gesetzt. Dabei geriet sie sogar in einen gewissen Widerspruch zum Kuratorium, das seine Entscheidung 'in keiner Weise als Geringschätzung des Stellenwerts der Freien Berufe in der Öffentlichkeit' verstanden wissen wollte, während die belangte Behörde den Freien Berufen im Ergebnis eine für ihre Berücksichtigung hinreichende Bedeutung im öffentlichen Leben abgesprochen hat.

Die Bundeskonferenz vertritt mit ihren Kammern die Interessen von 39.213 Freiberuflern in ganz Österreich.

Die Bedeutung der Freien Berufe, sei es der Heilberufe, sei es der rechtlich und wirtschaftlich beratenden Berufe, für das öffentliche Leben in einer modernen demokratischen Gesellschaft kann nicht ernstlich in Zweifel gezogen werden, wobei es weniger auf die Quantität als auf die Qualität ankommt (Loebenstein, Freie Berufe im Rechtsstaat, JBl 1984, S. 457, hier: S. 459). Die Freien Berufe sind ein Element der Verpersönlichung in einer mehr und mehr bürokratisierten Welt und ein Ausdruck der Selbstbestimmung, Eigeninitiative und Selbstverantwortlichkeit als Gegengewicht gegen eine Vermassung (Loebenstein, aaO, S. 519). Sie bilden eine Brücke zwischen Staat und Bürger (Loebenstein, aaO, S. 520).

Gerade auch der Gesetzgeber des RFG hat die Bedeutung, die den Freien Berufen im öffentlichen Leben zukommt, normativ anerkannt, indem er bei der Zusammensetzung der Hörer- und Sehervertretung des ORF den Kammern der Freien Berufe das Recht einräumte, ein Mitglied zu nominieren ...

Die belangte Behörde hat sich durch diese Wertung des Gesetzgebers nicht beeindrucken lassen, sondern sich über §15 Abs2 Z3 RFG mit der Scheinbegründung hinweggesetzt, daß die Hörer- und Sehervertretung auch die Kirchen einbeziehe, die 'zweifellos nicht als Interessenverbände iS des §5 Abs1 RFG aufzufassen' seien, was niemand behauptet hat.

Aus §15 Abs2 RFG war aber - im hier interessierenden Zusammenhang - nicht etwa abzuleiten, daß die Kirchen Interessenverbände seien, sondern vielmehr, daß den Kammern der Freien Berufe unter den Interessenverbänden eine besondere, vom Gesetzgeber des RFG anerkannte Bedeutung im öffentlichen Leben zukommt.

Die Vereinigung österreichischer Industrieller und die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft, denen die belangte Behörde mit dem Kuratorium hinreichende Bedeutung im öffentlichen Leben zuerkennt, sind in §15 Abs2 RFG nicht genannt.

Die belangte Behörde hat das aus der Fassung des §15 Abs2 RFG hervorleuchtende normative Argument mit Ausführungen abgetan, denen kein Begründungswert zukommt, wodurch nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 9293/1981, 10057/1984) eine in die Verfassungssphäre reichende Mangelhaftigkeit ihres Bescheides bewirkt wird.

Als qualifiziert unsachlich und damit als Willkürakt erweist sich der angefochtene Bescheid auch dadurch, daß die belangte Behörde es gebilligt hat, daß das Kuratorium des ORF im gleichen Ausmaß wie den großen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer auch der Vereinigung österreichischer Industrieller und mit ihr 'zur Gestaltung in eigener Verantwortung und mit eigener An- und Absage' einer - völlig obskuren - Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft Belangsendezeit einräumte.

Die Vereinigung österreichischer Industrieller hat knapp 2.000 Mitglieder, davon etwa 40 % industrielle Unternehmer (Gesellschaften) und etwa 60 % leitende Angestellte von Industrieunternehmungen. Die selbständigen Mitglieder der Vereinigung österreichischer Industrieller gehören gleichzeitig der Sektion Industrie der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft an, die ihrerseits Belangsendezeit zugeteilt erhält.

Bei aller Anerkennung des Einflusses der Vereinigung österreichischer Industrieller - gegen die hier nichts gesagt sein soll - kann ein sachgerechter Vergleich ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben mit der der Interessenvertretung von 40.000 Freiberuflern nicht so ausfallen, daß dieser freiwilligen Vereinigung das gleiche Gewicht wie den großen Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer beigemessen wird, den zusammengefaßten gesetzlichen Interessenvertretungen der Freiberufler aber überhaupt keines.

Völlig unklar hat die belangte Behörde - in gehäufter Verkennung der Rechtslage - in diesem Zusammenhang gelassen, ob überhaupt und wenn ja wessen Interessen die Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft vertritt, welche Bedeutung diese weitgehend unbekannte Arbeitsgemeinschaft im öffentlichen Leben haben soll und auf Grund welcher gesetzlicher Bestimmungen eine 'Abtretung' (§1392 ABGB?) von Belangsendezeit durch die Vereinigung österreichischer Industrieller als Zedenten an diese Arbeitsgemeinschaft als Zessionar vom Kuratorium des ORF als debitor cessus 'zur Kenntnis genommen' werden konnte. Das Gesetz bietet für eine derartige 'Drittschuldnererklärung' ganz offenkundig keinen Raum.

Die belangte Behörde zitiert §5 Abs1 RFG, wonach die Belangsendezeit auf die Bewerber entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufzuteilen ist, und stellt daran anschließend unvermittelt die Behauptung auf, es kämen hiefür von den Interessenverbänden nur solche in Frage, denen überragende Bedeutung im öffentlichen Leben zukomme. Die Auffassung, daß einem Interessenverband im öffentlichen Leben überragende Bedeutung zukommen müsse, damit ihm Belangsendungszeiten zugeteilt werden, ist im Gesetz nicht begründet. Das Gesetz sieht vielmehr eine Erfassung aller Bewerber und eine Aufteilung der Belangsendungssendezeiten auf diese Bewerber entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben vor, wobei Bewerber mit entsprechend geringer Bedeutung im öffentlichen Leben selbstverständlich auch leer ausgehen können. Andererseits kann es durchaus sein, daß auch ein Interessenverband von überragender Bedeutung keine Belangsendezeit zugeteilt erhält, wenn er sich nicht darum bewirbt.

Diese Erfassung und Bewertung der Bewerber im Verhältnis zueinander nach ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben hat das Kuratorium und - ihm folgend - die belangte Behörde qualifiziert rechtswidrig unterlassen.

Da die belangte Behörde

-

nicht wahrgenommen hat, daß das Kuratorium seiner Pflicht zur Erfassung der Bewerber um Belangsendezeit, zur Bewertung der Bedeutung dieser Bewerber im öffentlichen Leben und zur Aufteilung der zur Verfügung stehenden Belangsendezeit auf diese Bewerber überhaupt nicht nachgekommen ist,

-

nicht wahrgenommen hat, daß das Kuratorium seine Entscheidung evident sachfremd und gesetzwidrig nicht nach der Bedeutung der Bewerber im öffentlichen Leben, sondern um der vermeintlichen 'Zurückdrängung' von Belangsendungen willen getroffen hat,

-

nicht in Ausübung der Rechtskontrolle eine Ermessensübung des Kuratoriums nachgeprüft, sondern ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Kuratoriums gesetzt,

-

die Bedeutung der Freien Berufe im öffentlichen Leben im allgemeinen und insbesondere im Verhältnis zur Vereinigung österreichischer Industrieller und vor allem zu einer obskuren Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Gemeinwirtschaft verkannt,

-

sich über die aus §15 Abs2 Z3 RFG hervorleuchtende normative Wertung hinweggesetzt,

-

bei der Beurteilung der Bedeutung von Interessenverbänden im öffentlichen Leben gesetzlos eine 'überragende' Bedeutung gefordert und das Kriterium der Kollektivvertragsfähigkeit zu Unrecht und überdies unrichtig herangezogen und

-

ohne gesetzliche Grundlage eine 'Abtretung' von Belangsendezeit gebilligt hat,

hat sie infolge gehäuften Verkennens der Rechtslage, der Unterlassung jeglicher Ermittlungstätigkeit in entscheidenden Punkten, der Anführung von Gründen, denen kein Begründungswert zukommt, und der Außerachtlassung des konkreten Sachverhaltes im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür geübt und die beschwerdeführende Bundeskonferenz im Gleichheitsrecht verletzt ..."

1.5.2. Die belangte Kommission legte die Administrativakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift. Ebensowenig äußerte sich der Generalintendant des Österreichischen Rundfunks als weitere Partei des verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens schriftlich zur Beschwerde (§30 Abs1 Satz 2 RFG). In der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof sprachen sich Vertreter der Kommission und des Rundfunks aber für die Abweisung der Beschwerde aus.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 RFG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug iS des Art144 Abs1 Satz 3 B-VG ist also ausgeschöpft (vgl. zB VfSlg. 8320/1978, 8906/1980; VfGH 11.10.1986 B193/86, 26.2.1987 B474/86, 10.12.1987 B446/87).

2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.

2.2.1. Die allein relevierte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985) nur dann vor, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte - was die Beschwerdeführerin gar nicht behauptet und den Umständen nach auch nicht weiter in Betracht zu ziehen ist - oder wenn bei der Bescheiderlassung Willkür geübt wurde: Willkürliches Verhalten kann unter anderem darin bestehen, daß der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage mit den Rechtsvorschriften in besonderem Maß in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985).

2.2.2. Dies ist hier aus folgenden Überlegungen der Fall:

Nach §5 Abs1 Satz 1 RFG hat der Österreichische Rundfunk einen Teil seiner Sendezeit an Interessenverbände zu vergeben. Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 10948/1986 (vgl. auch: VfGH 10.12.1987 B446/87) aussprach, zeigt §5 Abs1 RFG, daß Belangsendungen, deren Programme der Rundfunk nicht selbst gestalten darf (sondern äußerstenfalls auf ihre Zulässigkeit zu kontrollieren hat), unter den Bewerbern entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben - also objektiv und unparteilich, die Meinungsvielfalt beachtend, aber auch ausgewogene Programme gestaltend - aufzuteilen sind. Das (Rundfunk-)Kuratorium wies den Antrag der Beschwerdeführerin vor allem mit der Begründung ab, daß kein Signal zur Vermehrung solcher Sendungen gegeben werden soll. Es begründete seine Entscheidung ferner mit der Überlegung, daß die Zusammensetzung der bisherigen Belangsendungsträger in sich ausgewogen sei. Und es hing der Auffassung an, daß Belangsendungen reduziert oder eingestellt werden könnten. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes billigte und übernahm diese Rechtsauffassung, indem sie ausführte, daß das Kuratorium sich innerhalb des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums gehalten und §5 Abs1 RFG nicht verletzt habe. Sie vertrat die Meinung, Belangsendezeiten seien nur an Institutionen zu vergeben, denen "entsprechende" Bedeutung im öffentlichen Leben zukomme. Die (nach §5 Abs1 RFG) in Frage stehenden Interessenverbände müßten "überragende" Bedeutung besitzen und "erheblichen Einfluß auf die allgemeine Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Österreich" ausüben. Die Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe habe nicht die gleiche oder eine ähnliche Bedeutung im politischen Leben wie die vom Österreichischen Rundfunk berücksichtigten fünf Interessenverbände.

Diese teils tatsächlichen, teils rechtlichen Überlegungen der belangten Behörde sind in mehrfacher Beziehung krass unrichtig und fehlerhaft. So setzt sich die Meinung, das Kuratorium solle in Handhabung des §5 Abs1 Satz 1 RFG kein "Signal" für eine Vermehrung von Belangsendungen geben, derartige Sendungen sollten vielmehr überhaupt verringert oder ganz eingestellt werden, in offenkundiger Weise über die einfachgesetzliche Rechtslage hinweg, denn §5 Abs1 Satz 1 RFG bietet keine wie immer beschaffene Grundlage für rundfunk- und unternehmenspolitische Entscheidungen der hier getroffenen Art§5 Abs1 Satz 1 RFG verpflichtet den Österreichischen Rundfunk (arg. "hat") vielmehr, einen Teil seiner Sendezeit an Interessenverbände zu vergeben, und räumt ihm begrenzte Entscheidungsfreiheit nur bei Festlegung der Sendezeitdauer ein.

Dieser für "Belangsendungen" bestimmte Sendezeitteil muß - zwingend - auf die Bewerber entsprechend ihrer Bedeutung im öffentlichen Leben aufgeteilt werden (arg. "ist" - §5 Abs1 Satz 2 RFG; vgl. dazu VfSlg. 10948/1986). Das Gesetz regelt also in diesem Punkt das Verhalten des Österreichischen Rundfunks bindend, ein Freiraum für alternatives Vorgehen nach eigener Wertentscheidung wird ihm - insoweit - nicht eingeräumt. Auch für die (den abweisenden Beschluß (mit-)tragende) Überlegung, die (gegenwärtige) Zusammensetzung der Belangsendungsträger sei "in sich ausgewogen", liefert §5 Abs1 RFG nicht den geringsten Anhaltspunkt, wenn es um die Aufteilung der Sendezeiten auf (anspruchsberechtigte) Bewerber geht. Dieser - willkürlich herangezogene - Umstand kann nach §5 Abs1 RFG die Nichtbeteiligung der bisher vollkommen unberücksichtigt gelassenen Interessenverbände der Freien Berufe keinesfalls rechtfertigen. (In gleicher Weise ist der Hinweis der Kommission auf die - hier rechtlich irrelevante - Frage der Kollektivvertragsfähigkeit (der Belangsendungswerber) zu werten.) Ferner erfaßt §15 RFG nicht etwa, wie es der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes vorzuschweben scheint, Vertreter der Berufstätigen unter Vernachlässigung der Angehörigen der Freien Berufe, sondern gedenkt der Kammern der Freien Berufe ausdrücklich neben (und nach) der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, dem Arbeiterkammertag und dem Gewerkschaftsbund. Vollkommen verfehlt und ohne jedwede Rechtsgrundlage erweist sich bei all dem auch die Ansicht, daß nach §5 Abs1 RFG nur Verbände zuzulassen seien, die "erheblichen Einfluß auf die allgemeine Gestaltung des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens in Österreich" erlangt haben. Nach dem klaren und unmißverständlichen Wortlaut des Gesetzes kann von einem solchen ganz besondere Voraussetzungen normierenden Zulassungskriterium überhaupt nicht die Rede sein. Daß der Rundfunkgesetzgeber den Freien Berufen einen keineswegs gänzlich außer Acht zu lassenden Stellenwert beimißt, folgt allein aus den schon zitierten Bestimmungen des §15 RFG, die von der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes wohl mißverstanden wurden: Daß hier auch Kirchen genannt sind, schließt nicht eine gebührende Berücksichtigung der Angehörigen der Freien Berufe innerhalb der hier allein maßgebenden Gruppe der Berufstätigen aus. In diesem Zusammenhang fehlen letztlich auch ausreichende, für eine vergleichende Betrachtung aller Anspruchswerber notwendige Feststellungen namentlich über die Ziele und Aufgaben der Bundeskonferenz der Kammern der Freien Berufe, wie sie etwa - unter Umständen - in der Vertretung gewichtiger übergreifend-gemeinsamer Anliegen und Interessen der Angehörigen all dieser Berufszweige gesehen werden könnten.

2.2.3. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß die belangte Behörde die Bestimmung des §5 Abs1 RFG teils unbeachtet ließ, teils ohne taugliche Entscheidungsgrundlagen in mehrfacher Beziehung unrichtig auslegte. Das hat zur Folge, daß ihr infolge dieses gehäuften Verkennens der Rechtsgrundlagen ihrer Entscheidung (objektive) Willkür und somit ein Verstoß gegen Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG zur Last fällt.

Es war darum in Stattgebung der Beschwerde spruchgemäß zu entscheiden.

2.3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zuerkannten Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von S 4.500 enthalten.

Schlagworte

Rundfunk, Willkür objektive, Berufe freie, Belangsendezeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:B1490.1988

Dokumentnummer

JFT_10109694_88B01490_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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