TE Vwgh Erkenntnis 1991/12/10 91/11/0095

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Veröffentlicht am 10.12.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §74 Abs3;
StVO 1960 §52 Z10a;
StVO 1960 §99 Abs2 litc;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der G S in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 13. Mai 1991, Zl. MA 70-8/157/91, betreffend Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 74 Abs. 3 KFG 1967 die Entziehung der Lenkerberechtigung angedroht.

In ihrer an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde stützte die bekämpfte Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung der Beschwerdeführerin auf zwei Vorfälle:

Die Beschwerdeführerin habe am 4. Februar 1990 um ca. 1 Uhr an einem näher genannten Ort im 1. Wiener Gemeindebezirk die im Ortsgebiet höchste zulässige Geschwindigkeit überschritten und dadurch eine Übertretung nach § 20 Abs. 2 StVO 1960 begangen. Deswegen wurde sie rechtskräftig bestraft. Die belangte Behörde nahm in diesem Zusammenhang als erwiesen an, daß die Beschwerdeführerin mit 80 km/h auf zwei Sicherheitswachebeamte losgefahren sei, die gerade die Fahrbahn überquert hätten; die Beamten seien gezwungen gewesen, den Fahrbahnrand im Laufschritt zu erreichen, um vom Fahrzeug der Beschwerdeführerin nicht erfaßt zu werden.

Die Beschwerdeführerin sei ferner rechtskräftig bestraft worden, weil sie am 7. Juli 1990 um 9.49 Uhr auf einer näher genannten Straßenstelle in Königsbrunn die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 44 km/h überschritten habe.

Die Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung nach § 74 Abs. 3 setzt voraus, daß die betreffende Person auf Grund des Vorliegens einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 1 KFG 1967 und deren Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 verkehrsunzuverlässig ist, daß aber dieser Ausspruch genügt, um eine Änderung der Sinnesart der betreffenden Person in die Richtung der Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit zu bewirken (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. November 1990, Zl. 90/11/0186).

Im Hinblick auf die Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift ist vorauszuschicken, daß eine Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung sehr wohl subjektive Rechte der betreffenden Person berührt und im Falle ihrer Rechtswidrigkeit verletzt. Durch einen solchen Ausspruch steht in der Folge fest, daß sie bereits einmal verkehrsunzuverlässig war. Dies kann sich in einem späteren Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung zu ihrem Nachteil auswirken.

Die Androhung der Entziehung der Lenkerberechtigung der Beschwerdeführerin wurde erstmals mit Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 6. Februar 1991 (zugestellt am 11. Februar 1991) ausgesprochen. Sie wurde im Vorstellungsbescheid der Erstbehörde vom 7. März 1991 sowie mit dem angefochtenen Bescheid unverändert bestätigt. Die belangte Behörde ging somit davon aus, daß die Beschwerdeführerin auf Grund des Vorfalles vom 7. Juli 1990 bis 11. Februar 1991 (also etwa 7 Monate lang) verkehrsunzuverlässig war.

Der Vorfall vom 7. Juli 1990 stellt nach Ansicht der belangten Behörde eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 dar. Darin liege die Übertretung einer Verkehrsvorschrift - einer Geschwindigkeitsbeschränkung - unter besonders gefährlichen Verhältnissen. Die besondere Gefährlichkeit der Verhältnisse erblickt die belangte Behörde im Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung (144 km/h statt 100 km/h) sowie in dem Umstand, daß am Tatort - wie sich aus dem Radarfoto ergibt - eine (benachrangte) Seitenstraße einmündet, aus der andere Fahrzeuge einbiegen und damit in erhöhte Unfallgefahr hätten geraten können. Aus dem Radarfoto ergibt sich ferner, daß keine beeinträchtigten Sichtverhältnisse geherrscht haben und daß die Fahrbahn trocken war. Auf dem Radarfoto sind keine anderen Fahrzeuge zu sehen.

Da die Bestrafung der Beschwerdeführerin wegen dieses Vorfalles nach § 52 Z. 10a StVO 1960 nicht in Anwendung des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 erfolgt ist, hätte die belangte Behörde, um diese strafbare Handlung der Beschwerdeführerin als bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 werten zu können, weitere Elemente des maßgeblichen Sachverhaltes zu ermitteln gehabt, die auf die Gefährlichkeit der Verhältnisse zur Tatzeit am Tatort von Einfluß gewesen sind. Dazu könnten im Lichte der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 13. Juni 1989, Zl. 89/11/0061) der Verlauf und die Breite der Straße, die Sichtverhältnisse in bezug auf allfälligen Querverkehr sowie das Verkehrsaufkommen - all dies soweit es dem Radarfoto nicht entnommen werden kann, wie etwa Kurven, Engstellen, Verbauung der Fahrbahnränder oder das Vorhandensein anderer Verkehrsteilnehmer außerhalb des von der Radarkamera erfaßten Bereiches - sowie die Verfassung der Lenkerin und die Beschaffenheit ihres Fahrzeuges eine Rolle spielen. Sollte sich aus allen diesen Umständen keine wesentliche Erhöhung der Gefährlichkeit der Verhältnisse ergeben, so könnte der Sachverhalt, der auf Grund der rechtskräftigen Strafverfügung bindend feststeht und der sich sonst aus dem Verwaltungsakt ergibt, die Annahme einer bestimmten Tatsache in Ansehung der Übertretung vom 7. Juli 1990 nicht rechtfertigen.

Die belangte Behörde bringt nicht in eindeutiger Weise zum Ausdruck, ob sie den weiteren (zeitlich gesehen ersten) Vorfall vom 4. Februar 1990, dessentwegen die Beschwerdeführerin ebenfalls rechtskräftig, aber nicht in Anwendung des § 99 Abs. 2 lit. c StVO 1960 bestraft wurde, als eigene bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 oder nur im Rahmen der Wertung gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 der im Zusammenhang mit der Übertretung vom 7. Juli 1990 angenommenen bestimmten Tatsache berücksichtigt hat. Dies kann jedoch dahinstehen. Ersteres würde sich schon deswegen verbieten, weil die Beschwerdeführerin bis dahin (zwar erst ungefähr vier Monate im Besitz der Lenkerberechtigung, aber) unbescholten war und die erschwerenden, auf eine besondere Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern hindeutenden Umstände der Beschwerdeführerin erstmals in der Begründung des angefochtenen Bescheides vorgehalten und von dieser in der Beschwerde entschieden in Abrede gestellt wurden, sodaß die Annahme ihrer Verkehrsunzuverlässigkeit auf Grund dieses Vorfalles jedenfalls mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet wäre. Im Rahmen der Wertung nach § 66 Abs. 3 KFG 1967 könnte diese Übertretung einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit, jedenfalls soweit sie auf Grund der rechtskräftigen Bestrafung feststeht, herangezogen werden; dies könnte jedoch nur unter der Voraussetzung zum Tragen kommen, daß von einer zu wertenden bestimmten Tatsache ausgegangen werden kann. Dies ist aber - wie oben ausgeführt - nicht der Fall.

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weil der maßgebende Sachverhalt in wesentlichen Punkten unvollständig geblieben ist und Verfahrensvorschriften verletzt worden sind, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Er war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil nach der zitierten Verordnung der pauschalierte Schriftsatzaufwand S 11.120,-- beträgt und aus den Titeln "ES" und "USt" keine zusätzlichen Beträge zugesprochen werden können. An Stempelgebührenersatz gebührt nur der Betrag von S 420,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 60,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides).

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991110095.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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