TE Vwgh Erkenntnis 1991/12/10 91/04/0092

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Veröffentlicht am 10.12.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
21/01 Handelsrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;
56/03 ÖBB;

Norm

AVG §8;
AVG §9;
BundesbahnG 1969 §1 Abs1;
BundesbahnG 1969 §1 Abs2;
BundesbahnG 1969 §5 Abs7;
BundesbahnG 1969 §5 Abs8;
HGB §17 Abs1;
HGB §17;
VwGG §34 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher, Dr. Weiss, DDr. Jakusch und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde der Österreichischen Bundesbahnen in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 1. Februar 1991, Zl. 313.963/1-III-3/91, betreffend Vorschreibung von Auflagen gemäß § 79 Gewerbeordnung 1973, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Magistrat der Stadt Wien - Magistratisches Bezirksamt für den 12. Bezirk - schrieb mit Bescheid vom 8. Februar 1990 im Grunde des § 79 GewO 1973 und des § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz der G-Gesellschaft mbH für eine näher bezeichnete Betriebsanlage eine Reihe von "Auflagen und Bedingungen" vor. Nach deren Punkt 5 darf das Rangieren von Zügen innerhalb der Betriebsanlage nur von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr stattfinden.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Zu deren Begründung wurde u.a. ausgeführt, daß anläßlich des Betriebes der Anschlußbahn der G-Gesellschaft mbH Zugfahrten der Beschwerdeführerin, nämlich sogenannte "Beistellfahrten", erforderlich seien. Diese Fahrten erfolgten im Rahmen des Betriebes der Beschwerdeführerin und müßten daher zeitlich auf den übrigen umfangreichen Zugsverkehr abgestimmt werden. Beistellfahrten auf dem Betriebsgelände der G-Gesellschaft mbH müßten daher zu jedem Zeitpunkt durchgeführt werden können; dies stelle eine absolute Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung des ordnungsgemäßen Zugsverkehrs der Beschwerdeführerin dar.

Diese Berufung wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. November 1990 (neben anderen Absprüchen) als unzulässig zurückgewiesen. Begründend wurde im wesentlichen ausgeführt, daß der Beschwerdeführerin keine Nachbarstellung und damit kein Berufungsrecht zukomme und auch nicht die Beschwerdeführerin, sondern die Betriebsinhabung als Bescheidadressat zur Erfüllung der Auflage verpflichtet sei.

Die Beschwerdeführerin erhob auch gegen diesen Bescheid Berufung.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit Bescheid vom 1. Februar 1991 die Berufung "im Grunde der §§ 8 und 9 AVG 1950 iVm. § 17 HGB als unzulässig" zurück.

Zur Begründung wurde nach Wiedergabe der §§ 8 und 9 AVG 1950 sowie des § 17 HGB ausgeführt, aus dem in § 8 AVG verwendeten Begriff der "Person" ergebe sich, daß als Partei eines Verwaltungsverfahrens nur eine physische oder eine andere, vom Gesetz mit Rechtspersönlichkeit ausgestattete (juristische) Person - allenfalls auch eine Personengesellschaft des Handelsrechts mit beschränkter Rechtspersönlichkeit - auftreten könne. Die Firma eines Kaufmannes sei nun kein selbständiges Rechtsobjekt und damit keine Person im Sinne des § 8 AVG. Ihr komme lediglich im Bereich des Handelsrechts und der zu dessen Vollziehung berufenen Gerichte im Rahmen des § 17 HGB Bedeutung zu; mangels entsprechender ausdrücklicher Normen jedoch nicht vor den Verwaltungsbehörden, insbesondere auch nicht vor den Gewerbebehörden.

Nach Wiedergabe des § 1 des Bundesbahngesetzes, BGBl. Nr. 137/1969, heißt es in der Begründung schließlich, im vorliegenden Fall sei gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. November 1990 von den "Österreichischen Bundesbahnen", also einer bloßen Firma, Berufung erhoben worden. Diese von einer "Nichtperson" erhobene Berufung sei zur weiteren Behandlung nicht zuzulassen und spruchgemäß zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen in eventu als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Als Beschwerdepunkt macht die Beschwerdeführerin geltend:

"Die ÖBB erachten sich durch diesen Bescheid insofern in ihren Rechten verletzt, als ihnen dadurch das Recht auf eine inhaltliche Prüfung der Berufung verweigert wurde, sodaß die belangte Behörde zu keiner antragsgemäßen Sachentscheidung kommen konnte". In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, gemäß § 5 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes würden die Österreichischen Bundesbahnen durch 2 Mitglieder des Vorstandes gemeinsam außergerichtlich und - unbeschadet der Vertretungsbefugnis der Finanzprokuratur - gerichtlich vertreten. § 5 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes stelle daher eine Verwaltungsvorschrift im Sinne des § 9 AVG dar, sodaß die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit nach ihr und nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen sei. Aus dieser Verwaltungsvorschrift (§ 5 Abs. 6 des Bundesbahngesetzes) ergebe sich aber eine beschränkte Rechts- und Handlungsfähigkeit der Österreichischen Bundesbahnen insofern, als sie das Recht, die Österreichischen Bundesbahnen gerichtlich und außergerichtlich, etwa vor den Verwaltungsbehörden, zu vertreten, ihrem Vorstand und nicht etwa dem Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr, einräume. Von diesem Vertretungsrecht sei das Recht, in einem Verwaltungsverfahren Berufung zu erheben, jedenfalls umfaßt, auch wenn den Österreichischen Bundesbahnen nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts keine volle Rechtspersönlichkeit zukomme. Diese Auffassung entspreche auch der einhellig herrschenden Praxis. So habe z.B. auch der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Zl. 88/03/0174 inhaltlich über eine von den Österreichischen Bundesbahnen erhobene und von deren Vorstand gefertigte Beschwerde entschieden.

Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Der § 1 des Bundesbahngesetzes, BGBl. Nr. 137/1969, lautet:

"(1) Aus den Betrieben und den sonstigen Vermögenschaften des Bundes, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes vom Bundesministerium für Verkehr und verstaatlichte Unternehmungen, Generaldirektion der Österreichischen Bundesbahnen, verwaltet werden, wird der Wirtschaftskörper 'Österreichische Bundesbahnen' gebildet. Der Wirtschaftskörper ist ein Zweig der Betriebsverwaltung des Bundes.

(2) Der Bund betreibt die Geschäfte des Wirtschaftskörpers unter der Firma 'Österreichische Bundesbahnen' ('ÖBB'); es finden auf ihn hiebei die für Kaufleute geltenden Rechtsvorschriften Anwendung. Die Österreichischen Bundesbahnen haben ihren Sitz in Wien."

Der § 2 Abs. 1 des Bundesbahngesetzes idF. BGBl. Nr. 151/1984 bestimmt:

"(1) Aufgabe der Österreichischen Bundesbahnen ist nach Maßgabe der ihnen unmittelbar auf Grund der Gesetze oder auf Grund behördlicher Genehmigungen zustehenden Berechtigungen die Beförderung von Personen und Gütern sowie die Herstellung und die Unterhaltung aller hiezu notwendigen Einrichtungen und die Besorgung aller damit zusammenhängenden oder dadurch veranlaßten Geschäfte. Betriebszweck der Österreichischen Bundesbahnen ist die Sicherstellung einer modernen und leistungsfähigen Verkehrsbedienung einschließlich der Erbringung der ihnen ausdrücklich übertragenen gemeinwirtschaftlichen Leistungen."

Die Abs. 6 bis 8 des § 5 leg. cit. haben folgenden Wortlaut:

"(6) Die Österreichischen Bundesbahnen werden durch die Mitglieder des Vorstandes gemeinsam oder durch ein Vorstandsmitglied gemeinsam mit einem Prokuristen außergerichtlich und - unbeschadet der Vertretungsbefugnis der Finanzprokuratur - gerichtlich vertreten. Ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber den Österreichischen Bundesbahnen abzugeben, so genügt die Abgabe gegenüber einem Mitglied des Vorstandes oder einem Prokuristen.

(7) Die Vertretungsbefugnis des Vorstandes erstreckt sich auf alle Arten von Geschäften und Rechtshandlungen, die die Verwaltung und der Betrieb der Österreichischen Bundesbahnen mit sich bringen. Beschränkungen dieser Vertretungsbefugnis des Vorstandes sind einem Dritten gegenüber nur wirksam, wenn diesem bewußt war, daß die Vertretungsbefugnis mißbräuchlich überschritten wurde.

(8) Die Zeichnung erfolgt in der Weise, daß die Zeichnenden zu der Firma oder zu der Benennung des Vorstandes ihre Namensunterschrift hinzufügen; der Prokurist hat einen die Prokura andeutenden Zusatz beizufügen."

Die belangte Behörde gründete ihren Bescheid allein auf den Zurückweisungsgrund, daß die Berufung "von einer Nichtperson" erhoben wurde.

Es ist zunächst der belangten Behörde einzuräumen, daß die Österreichischen Bundesbahnen keine (eigene) Rechtspersönlichkeit haben (vgl. insbesondere § 1 Abs. 1 letzter Satz des Bundesbahngesetzes; siehe auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 1038 BlgNR,

111. GP., S. 10; ebenso Kastner-Doralt-Nowotny, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts5, S. 4). Es handelt sich vielmehr bei den Österreichischen Bundesbahnen um einen unselbständigen Wirtschaftskörper des Bundes (vgl. Funk in: Die Besorgung öffentlicher Aufgaben durch Privatrechtssubjekte,

S. 24; ebenso Straube, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, § 36 Rz. 3).

Weiters ist die belangte Behörde insofern im Recht, als die Firma nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 1 HGB nur ein besonderer Name ist. Sie schafft keinerlei Rechtssubjekt neben und außer dem Unternehmensträger (Straube a.a.O. § 17 Rz. 1 m. w.H.; vgl. auch u.a. die hg. Erkenntnisse vom 29. Jänner 1991, Zl. 90/04/0292, vom 14. Juni 1988, Zl. 88/04/0065 und vom 5. November 1991, Zl. 91/04/0119; sowie den hg. Beschluß vom 19. Juni 1990, Zl. 90/04/0154).

Von der belangten Behörde wird jedoch folgendes übersehen (und es ist der vorliegende Fall auch anders gelagert als jener, der dem bereits zitierten hg. Beschluß vom 19. Juni 1990, Zl. 90/04/0154, zugrundelag):

Im Grunde des § 1 Abs. 2 erster Halbsatz des Bundesbahngesetzes betreiben unter ihrer "Firma" die Österreichischen Bundesbahnen "die Geschäfte des Wirtschaftskörpers". Insofern verleiht die "Firma" dem Wirtschaftskörper für sein Auftreten im Rechtsverkehr ein Ausmaß an rechtlicher Selbständigkeit. Dabei sind die "Geschäfte" nicht etwa eingeschränkt auf den Geschäftsverkehr "im Handel" im Sinne des § 17 Abs. 1 HGB zu verstehen: Die hier anstehende Auslegungsfrage, was unter "Geschäfte des Wirtschaftskörpers" zu verstehen ist, kann durch eine systematische Auslegung dahin gelöst werden, daß darunter "alle Arten von Geschäften und Rechtshandlungen, die die Verwaltung und der Betrieb der Österreichischen Bundesbahnen mit sich bringen" (§ 5 Abs. 7 Bundesbahngesetz), fallen. Es würde zu einem unerklärbaren systematischen Widerspruch führen, wollte man nicht annehmen, daß (jedenfalls) unter die "Geschäfte des Wirtschaftskörpers" jene Geschäfte und Rechtshandlungen fallen, die das allgemein vertretungsbefugte Organ unter "firmenmäßiger" Zeichnung (vgl. § 5 Abs. 8 des Bundesbahngesetzes) - mit Wirkung im Außenverhältnis - für den Wirtschaftskörper zu setzen befugt ist (vgl. die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, 1038 BlgNR, 11.GP., S. 11 - danach ist der Vorstand für den Bereich des Sondervermögens DAS vertretungsbefugte Organ des Bundes; seine Vertretungsmacht muß daher ähnlich wie die der Organe von Kapitalgesellschaften alle in Betracht kommenden Geschäfte umfassen, da nicht von seiner Vertretungsmacht erfaßte Geschäfte sonst unter Umständen überhaupt nicht abgeschlossen werden könnten). Daß aber unter "alle Arten von Geschäften und Rechtshandlungen, die die Verwaltung und der Betrieb der Österreichischen Bundesbahnen mit sich bringen", nicht auch Rechtshandlungen in verwaltungsbehördlichen Verfahren fallen, kann - mangels eines Anhaltspunktes für eine dahingehende einschränkende Auslegung - dem Gesetz nicht entnommen werden.

Daraus folgt weiters, daß die Österreichischen Bundesbahnen in verwaltungsbehördlichen Verfahren unter ihrer "Firma" in den durch das Bundesbahngesetz gezogenen Grenzen (grundsätzlich) parteifähig - und auch beschwerdelegitimiert - sind.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG aufzuheben. Solcherart war es auch entbehrlich, auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Handlungsfähigkeit Prozeßfähigkeit juristische Person Personengesellschaft des Handelsrechts Zivilrecht Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Grundsätzliches zur Parteistellung vor dem VwGH Allgemein Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Mangel der Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit sowie der Ermächtigung des Einschreiters Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen Rechtspersönlichkeit Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit Gebilde ohne Rechtsfähigkeit Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit juristische Person Personengesellschaft des Handelsrechts Rechtsfähigkeit Parteifähigkeit juristische Person Personengesellschaft des Handelsrechts Zivilrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991040092.X00

Im RIS seit

10.12.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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