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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art83 Abs2 / Ablehnung der SachentscheidungLeitsatz
Zulässigkeit einer (Administrativ-)Beschwerde gegen einen Beschluß der OBDK, keinen Grund für eine Disziplinarbehandlung zu sehen; formale Bezeichnung der Erledigung als Zurückweisung bloßes Vergreifen im Ausdruck; inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen in der Bescheidbegründung; keine gesetzwidrige Verweigerung einer Sachentscheidung; gesetzmäßige Zusammensetzung der OBDK; kein Entzug des gesetzlichen RichtersSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Wien, Niederösterreich und Burgenland faßte auf Grund einer Anzeige des Mag. F G am 18. November 1987 zur Zahl D 112/87 gemäß §29 Abs6 Disziplinarstatut, RGBl. 40/1872, (DSt) den Beschluß, es sei kein Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts Dr. E M vorhanden, wenn ihm vorgeworfen werde,
"er habe als bestellter Verfahrenshelfer des Mag. F G als Beschwerdeführer im Verwaltungsgerichtshofverfahren Zahl 86/12/0135, 0140, 0141-4 ihm erteilte Aufträge, und zwar eine vom Beschwerdeführer selbst verfertigte Beschwerde zu unterfertigen und abzufertigen, sowie eine ebenfalls vom Beschwerdeführer selbst verfertigte Eingabe, die dem Beschuldigten am 9. Juni 1987 übergeben wurde, zu unterschreiben und noch am selben Tag abzufertigen, nicht erfüllt."
1.1.2. Dagegen ergriff Mag. F G das Rechtsmittel der Beschwerde. Er stützte sich dabei als Anzeiger ersichtlich auf die (Sonder-)Vorschrift des §53 Z3 (iVm §47 Abs1 Z3) DSt, die demjenigen, "der durch ein Disziplinarvergehen in seinen Rechten beeinträchtigt erscheint", jedoch nur gegen den Ablassungs- und Rücklegungsbeschluß (und nur innerhalb gewisser Grenzen), ausdrücklich das Recht zur Erhebung einer Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) einräumt.
1.1.3. Die OBDK wies diese Beschwerde mit Beschluß vom 16. Juni 1988, Zahl Bkd 25/88, zurück.
Ihr Beschluß wurde ua. wie folgt begründet:
"Vor Eingehen auf die Beschwerde ist zu überprüfen, ob die Legitimation für diese gegeben erscheint. Gemäß §53 DSt steht das Rechtsmittel der Beschwerde dem Beschuldigten, den im §47 Abs1 Z. 2 und 3 bezeichneten Personen innerhalb der dort bestimmten Grenzen zu und demjenigen, der durch ein Disziplinarvergehen in seinen Rechten beeinträchtigt erscheint, jedoch nur gegen den Ablassungs- und Rücklegungsbeschluß und nur innerhalb der im §47 Abs1 Z. 3 bestimmten Grenzen.
Vorerst ist daher zu prüfen, ob der Anzeiger die Verletzung eines subjektiven Rechts zur Darstellung gebracht hat und ob er in einem solchen Recht verletzt worden ist. Dazu hat die OBDK erwogen:
Wie bereits mehrfach ausgesprochen . . . , bedeutet nicht jede Unterlassung, die allenfalls einem Rechtsanwalt anzulasten ist, womit ein Disziplinarvergehen begründet würde, schon die Verletzung eines subjektiven Rechts.
Ausgehend von diesen Erwägungen ist zunächst zu überprüfen, ob dem Anzeiger ein subjektives Recht zustand, von seinem ihm als Verfahrenshelfer beigegebenen Rechtsanwalt zu verlangen, daß er unbesehen und unkorrigiert die von ihm selbst verfaßte Verwaltungsgerichtshofbeschwerde überreicht, ihn informiert, ob er der Beschwerde eine Rubrik beilegt oder nicht, und (er) insgesamt berechtigt ist, in die Vertretungstätigkeit seiner eigenen Sache insofern einzugreifen, daß er als berechtigt angesehen werden könnte, den genauen Inhalt und ja sogar noch die genauen Formulierungen, die in der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gebraucht werden, zu bestimmen. Der Sinn der Unterfertigung einer Eingabe durch den Rechtsanwalt kann letzten Endes nur darin erblickt werden, daß in Vertretungsfällen vor dem Höchstgericht deshalb die Beschwerde von einem Rechtsanwalt zu unterfertigen ist, damit sie den Anforderungen dieses Gerichtshofs entspricht. Keineswegs kann aber von einem gewissenhaften Anwalt verantwortet werden, unbesehen Beschwerden zu überreichen und dem Höchstgericht vorzulegen. Wenn aber ein Recht des Mandanten zu verneinen ist, seinen Rechtsanwalt - gleichviel ob dieser Verfahrenshelfer ist oder nicht - dahingehend zu bestimmen, daß dieser etwa genötigt wäre, sklavisch jeder einzelnen Anordnung zu folgen - wenn nur im übrigen das Mandat ordnungsgemäß ausgeübt wird - , dann fehlt es am subjektiven Recht des Beschwerdeführers, dem durch das Verhalten des Beschuldigten kein wie immer gearteter Schaden entstanden ist. Es ist daher durch die vom Anzeiger zur Darstellung gebrachte Vorgangsweise des Disziplinarbeschuldigten kein subjektives Recht des Anzeigers verletzt worden. Ist dies aber der Fall, ist er nicht zur Beschwerdeführung legitimiert, weshalb die Beschwerde zurückzuweisen war."
1.2.1. Gegen diesen Bescheid der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 (Abs1) B-VG gestützte Beschwerde des Mag. F G an den Verfassungsgerichtshof; darin wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, so in den Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG), geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheids begehrt.
1.2.2. Die OBDK als belangte Behörde erstattete unter Vorlage der Verwaltungsakten eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragte.
2. Über die - zulässige - Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1.1. Der Beschwerdeführer erblickt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zunächst darin, daß die OBDK bei Fällung ihrer Entscheidung nicht gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen sei, weil der erkennende Senat nicht - wie in §55 d DSt vorgeschrieben - aus zwei Richtern und zwei Anwaltsrichtern, sondern lediglich aus einem (vorsitzführenden) Richter und zwei Anwaltsrichtern bestanden habe.
2.1.1.2. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach herrschender Rechtsprechung insbesondere dann verletzt, wenn eine zwar an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschied (zB VfSlg. 8731/1980, 10.022/1984).
2.1.1.3. Die OBDK wendete in ihrer Gegenschrift ein, es sei der im Administrativverfahren erkennende Senat zwar laut Sitzungsprotokoll vom 16. Juni 1988 iSd §55 d DSt aus je zwei Anwaltsrichtern und Richtern (Dr. F und Dr. R) gebildet, also gesetzmäßig zusammengesetzt gewesen, die Anführung des Richters Dr. R in der dem Beschwerdeführer zugestellten Bescheidausfertigung jedoch versehentlich unterblieben.
2.1.1.4. Die Richtigkeit des Vorbringens der OBDK ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten, insbesondere (auch) aus dem bezogenen Sitzungsprotokoll. Danach steht fest, daß die belangte Behörde im Zeitpunkt der Fällung ihrer Entscheidung in der vom Gesetz geforderten Art zusammengesetzt war; eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter fand darum - unter dem hier erörterten Aspekt - nicht statt (die fehlerhaften, mit der Urschrift nicht übereinstimmenden Ausfertigungen des Bescheides der OBDK vom 16. Juni 1988 wurden inzwischen (mit Beschluß dieser Behörde vom 24. Februar 1989) entsprechend berichtigt).
2.1.2.1. Des weiteren behauptet der Beschwerdeführer, daß ihn die belangte Behörde durch Verweigerung einer Sachentscheidung im verfassungsgesetzlich verbürgten Recht nach Art83 Abs2 B-VG verletzt habe.
2.1.2.2. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofs verletzt ein Bescheid das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ua. auch dann, wenn die bescheiderlassende Verwaltungsbehörde ihre Zuständigkeit in gesetzwidriger Weise ablehnt, etwa indem sie eine Sachentscheidung zu Unrecht verweigert (VfGH 25.2.1988 B1022/87 uva.).
Dies trifft hier gleichfalls nicht zu.
Zwar hätte die belangte Behörde den Antrag nicht spruchmäßig "zurückweisen", d.h. als prozessual unzulässig behandeln dürfen. Denn nach §53 Z3 DSt steht - in Beziehung auf Ablassungs- und Rücklegungsbeschlüsse - demjenigen die Beschwerde zu, "der durch ein (die Berufspflichten verletzendes (§47 Abs1 Z3 DSt)) Disziplinarvergehen in seinen Rechten beeinträchtigt erscheint."
Die Beschwerdelegitimation hängt darum nicht vom Nachweis der Berufspflichtenverletzung und der Rechtsbeeinträchtigung iSd §53 Z3 DSt ab - die Lösung dieser Fragen bleibt der Entscheidung in der Sache selbst vorbehalten - ; sie ist vielmehr schon dann gegeben (arg.: "erscheint"), wenn die Verletzung in Rechten des Antragstellers behauptet wird und zumindest im Bereich der Möglichkeit liegt. Da dies hier - wie schon aus der (wenngleich fehlerhaft in erster Linie der Frage der Antragslegitimation gewidmeten) Begründung des Bescheides der belangten Behörde erhellt - nicht mit Grund bestreitbar ist, war die Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zulässig (vgl. zB Dolp-Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Aufl., Wien 1987, S 44, FN 4 (zu §34 Abs1 VwGG iVm Art131 Abs1 Z1 B-VG);
VfSlg. 5038/1965, 6716/1972 (zu Art144 Abs1 B-VG);
VfGH 27.2.1989 B1414/88 (zu §27 Abs1 RFG)). Dafür, ob die Behörde mit ihrer Erledigung einen Antrag (als unzulässig) zurückwies, ist freilich nicht allein die sprachliche Fassung des Spruchs maßgebend. Ob die formale Bezeichnung einer Erledigung als "Zurückweisung" zutrifft, ist nämlich der (Entscheidungs-)Begründung zu entnehmen; wurde nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe (über den - formal zurückgewiesenen - Antrag) in Wahrheit meritorisch abgesprochen, dann hatte sich die Behörde nach herrschender Rechtsprechung lediglich im Ausdruck vergriffen, ohne daß ihr eine Grundrechtsverletzung zur Last fiele (VfSlg. 11017/1986 und dort zitierte Vorjudikatur): Vorliegend wies die OBDK nun zwar die Beschwerde des Mag. F G gegen den erstinstanzlichen Ablassungsbeschluß spruchmäßig zurück; sie setzte sich jedoch in der Begründung ihres Bescheides mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich hinlänglich auseinander und gelangte dabei - im Ergebnis - zur Auffassung, daß das Rechtsmittel meritorisch unbegründet sei, traf damit also in Wahrheit eine negative Sachentscheidung (s. auch VfSlg. 8981/1980, 11059/1986;
VfGH 28.9.1987 B45/87).
2.1.3. Daher ergibt sich zusammenfassend, daß dem Beschwerdeführer - ungeachtet des formal verfehlten Spruchs des bekämpften Bescheides - eine Sachentscheidung gar nicht verweigert wurde, sodaß auch in dieser Beziehung von einer Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter keine Rede sein kann.
2.2.1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Gesetzesbestimmungen wurden - unter dem Blickwinkel des auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebots - nicht geltend gemacht und kamen aus der Sicht dieses Beschwerdefalls auch sonst nicht hervor.
2.2.2. Da es zudem an jeglichen Anhaltspunkten dafür fehlt, daß die belangte Behörde dem Gesetz fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellte, könnte das - vom Beschwerdeführer ebenfalls relevierte - Gleichheitsrecht nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (zB VfSlg. 7466/1974, 10324/1985) nur dann verletzt sein, wenn der angefochtene Bescheid ein Willkürakt wäre.
2.2.3. Es finden sich jedoch keine wie immer gearteten Hinweise dafür, daß die belangte Behörde bei ihrer Entscheidung von subjektiven, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Momenten bestimmt oder von anderen unsachlichen Erwägungen geleitet worden sei.
2.2.4. Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht nicht verletzt wurde.
2.3. Angesichts des Umstands, daß weder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung rechtswidriger genereller Normen (s. dazu schon Punkt 2.2.1.) noch - wie beizufügen bleibt - die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.
2.4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 idF BGBl. 297/1984 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Auslegung eines Bescheides, Kollegialbehörde Zusammensetzung, gesetzlicher RichterEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1865.1988Dokumentnummer
JFT_10109388_88B01865_00