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60/03 Kollektives Arbeitsrecht;Norm
ASVG §49 Abs3 Z1 idF 1973/031 vor Aufhebung durch das E VfGH 28.6.1984, G 36,37/82;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der E-AG in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 21. November 1990, Zl. Vd-3056/25, betreffend Beitragsnachrechnung für Entfernungszulagen (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, Klara-Pölt-Weg 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid der belangten Behörde vom 21. November 1990 wird insoweit, als mit ihm festgestellt wurde, es seien die Entfernungszulagen für den jeweils zweiten und dritten Heimfahrtstag als beitragspflichtig zu bewerten und es betrage die Beitragsnachrechnung demnach noch S 17.552,52, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenbegehren auf Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.
Begründung
Hinsichtlich der Vorgeschichte des Beschwerdefalles wird auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 14. April 1988, Zl. 84/08/0141 und Zl. 84/08/0146, verwiesen.
Mit Bescheid vom 21. November 1990 hat die belangte Behörde neuerlich dem Einspruch der Beschwerdeführerin (nur) teilweise Folge gegeben und festgestellt, daß die Nächtigungsgelder an allen Heimfahrtstagen zwischen den Arbeitsdekaden und die Entfernungszulagen für den jeweils ersten und vierten Heimfahrtstag als beitragsfrei zu bewerten seien, während die Entfernungszulagen für den jeweils zweiten und dritten Heimfahrtstag als beitragspflichtig zu bewerten seien, sodaß sich die Beitragsnachrechnung um S 9.552,74 vermindere und somit noch S 17.552,52 betrage.
In der Bescheidbegründung verwies die belangte Behörde zur Auffassung der Beschwerdeführerin, die Entfernungszulage gebühre von der erstmaligen Entsendung des (jeweiligen) Dienstnehmers bis zu seiner Rückkehr an den ständigen Betriebsort, zunächst darauf, daß der Verwaltungsgerichtshof der Beschwerdeführerin (im Erkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 84/08/0146) zugestanden habe, daß diese Auslegung mit den von ihr wiedergegebenen Bestimmungen des Kollektivvertrages (für die eisen- und metallerzeugende und verarbeitende Industrie) in Einklang gebracht werden könnten. Für die zur abschließenden Beurteilung dieser Frage erforderliche Auslegung des Kollektivvertrages seien aber auch die übrigen die Zulagen der außerhalb des ständigen Betriebes beschäftigten Dienstnehmer betreffenden Bestimmungen des Kollektivvertrages zu berücksichtigen. In Entsprechung dieser Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes stellte die belangte Behörde danach fest, es seien die Ansprüche der Arbeitnehmer bei Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes in Art. VIII des Kollektivvertrages festgelegt. Nach Punkt 1 des Art. VIII habe der Arbeitnehmer bei Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes (Betriebsstätte, Werkgelände, Lager usw.), einschließlich Reisen, nach Maßgabe der Punkte 2 bis 4 Anspruch auf eine Entfernungszulage. Dies gälte nicht für Arbeitnehmer, mit denen eine kurzfristige Beschäftigung für Fertigungsarbeiten in einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens vereinbart worden sei. Entfernungszulagen im Sinne nachstehender Bestimmungen gälten jeweils - mit Ausnahme des Punkt 4, zweiter Satz - für 24 Stunden in der Zeit von 0 bis 24 Uhr. Nach Punkt 2 des Art. VIII gebühre eine
Entfernungszulage in der Höhe von ... bei einer
ununterbrochenen Abwesenheit von mehr als sechs Stunden oder wenn sich die Abwesenheit über die Zeit von 11 bis 14 Uhr erstrecke und der Arbeitnehmer keine Möglichkeit habe, am ständigen Arbeitsort das Essen einzunehmen. Bei einer Abwesenheit von mehr als 11 Stunden - einschließlich Wegzeit, ausschließlich Mittagspause - gebühre nach Punkt 3 eine
Entfernungszulage in der Höhe von ... . Nach Punkt 4 gebühre
täglich eine Entfernungszulage in der Höhe von ... bei einer
Abwesenheit von mehr als 11 Stunden und wenn die Beschäftigung außerhalb des ständigen Betriebes eine Nächtigung außer Haus erfordere oder eine solche angeordnet werde. Zwar sei der Beschwerdeführerin Recht zu geben, wenn sie beispielsweise in der mündlichen Verhandlung vom 11. Jänner 1989 vorgebracht habe, daß in einer Reihe von Fällen, deren Ausmaß kaum noch zu erheben sein werde, die Arbeitnehmer nicht nach Hause gefahren seien, sodaß die Entfernungszulage für die gesamten vier Tage zwischen den Arbeitsdekaden beitragsfrei zu lassen gewesen wäre. Es sei jedoch auch darauf zu verweisen, daß die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bereits von sich aus jeweils für einen Hin- und einen Rückreisetag die Entfernungszulage beitragsfrei gelassen habe, obwohl sicher in einer Reihe von Fällen, deren Ausmaß sich ebensowenig werde erheben lassen, die Reisebewegung bereits am letzten Arbeitstag bzw. am ersten Arbeitstag nach der Heimfahrt durchgeführt worden sei, sodaß die Entfernungszulage für diese beiden Tage jedenfalls beitragspflichtig gewesen wäre. Nach Ansicht der belangten Behörde habe die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dadurch, daß sie jeweils für einen Hin- und einen Rückreisetag die Entfernungszulage beitragsfrei gelassen habe, von sich aus einen den tatsächlichen Verhältnissen weitgehend entsprechenden Ausgleich zwischen den beiden oben aufgezeigten Extrempositionen vorgenommen. Zudem müsse wohl darauf verwiesen werden, daß es Sache des meldepflichtigen Dienstgebers gewesen wäre, durch die Führung entsprechender Aufzeichnungen zumindest glaubhaft zu machen, daß bzw. wann die von ihm gewährten Entfernungszulagen tatsächlich deshalb gezahlt worden seien, weil die Beschäftigung des Dienstnehmers einen durch die Entfernungszulage abzugeltenden Mehraufwand des Dienstnehmers erforderlich gemacht habe. Der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse sei nämlich auch darin Recht zu geben, daß die Entfernungszulagen jedenfalls Aufwandsentschädigungen darstellten, die nur dann gebührten, wenn der Dienstnehmer wegen seiner Abwesenheit von zu Hause einen erhöhten Aufwand habe. Ausdrücklich sei im § 49 Abs. 3 Z. 1 ASVG in der Fassung der 29. Novelle festgelegt, daß nur solche Vergütungen des Dienstgebers an den Dienstnehmer nicht als Entgelt im Sinne der Abs. 1 und 2 gelten, durch welche die durch dienstliche Verrichtungen für den Dienstgeber veranlaßten Aufwendungen des Dienstnehmers abgegolten würden (Auslagenersatz). Ausdrücklich sei gefordert, daß Tages- und Nächtigungsgelder, um nicht zum Entgelt zu zählen und daher beitragsfrei zu sein, einerseits von Kollektivverträgen vorgesehen sein müßten und andererseits die tatsächlichen Aufwendungen nicht übersteigen dürften. Damit sei aber klargestellt, daß Entfernungszulagen, selbst wenn sie im Kollektivvertrag vorgesehen seien und daher dem Arbeitnehmer aus arbeitsrechtlicher Sicht zustünden, nicht in allen Fällen als beitragsfrei betrachtet werden könnten, nämlich dann nicht, wenn der Dienstnehmer auf Grund seines Aufenthaltes an seinem ständigen Wohnsitz keine erhöhten Aufwendungen durch seine Abwesenheit vom ständigen Betriebsort habe. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse sei daher sicher berechtigt, ja sogar verpflichtet gewesen, die Entfernungszulagen in dem von ihr errechneten Umfang beitragspflichtig zu stellen und die entsprechenden Beiträge nachzuverrechnen.
Mit der vorliegenden Beschwerde bekämpft die Beschwerdeführerin diesen Bescheid insofern, als ihrem Einspruch keine Folge gegeben und festgestellt worden sei, daß die Entfernungszulagen für den jeweils "2. und 3.
Heimfahrtstag" als beitragspflichtig zu bewerten seien, sodaß sich die Beitragsnachrechnung lediglich um S 9.552,74 vermindere und S 17.552,52 betrage.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Gerichtshof hat, worauf auch die belangte Behörde in der Begründung des (zum Teil) angefochtenen Bescheides verweist, im obzitierten Vorerkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 84/08/0146, dargelegt, es könne die (für die Beitragsfreiheit der gewährten Entfernungszulagen am jeweils 2. und 3. Heimfahrtstag entscheidende) Auslegung der Beschwerdeführerin, die Entfernungszulage gebühre von der erstmaligen Entsendung des Dienstnehmers bis zu seiner Rückkehr an den ständigen Betriebsort, mit den von ihr wiedergegeben Bestimmungen des Kollektivvertrages (es handelte sich um die Ziffern 1, 4, 10 und 11 des Art. VIII) in Einklang gebracht werden. Daß im Falle einer bezahlten Heimfahrt zum ständigen Betrieb (nach Art. VIII Z. 10) die entsprechende Entfernungszulage zu vergüten sei, laufe dieser Auslegung nicht zuwider, da dabei nach der Regelung des Kollektivvertrages eine Rückkehr an den ständigen Betriebsort erfolge. Die von den Dienstnehmern selbst bezahlte Heimkehr an den Wohnort zwischen den einzelnen Arbeitsdekaden scheine dagegen - nach den vorliegenden Bestimmungen des Kollektivvertrages - nicht als Rückkehr zum ständigen Betrieb betrachtet zu werden. Für die zur abschließenden Beurteilung dieser Frage erforderliche Auslegung des Kollektivvertrages genügten jedoch die festgestellten Bestimmungen des Kollektivvertrages nicht.
Entgegen der Auffassung der belangten Behörde und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse rechtfertigen die nunmehr festgestellten, oben wiedergegebenen Bestimmungen des Kollektivvertrages (genauer der für die maßgeblichen Zeiträume vom 1. Juni 1980 bis 31. März 1982 geltenden Kollektivverträge) in Verbindung mit den sonstigen Bestimmungen des Art. VIII der (im Akt erliegenden) Kollektivverträge keine von der genannten Auffassung der Beschwerdeführerin abweichende Auslegung. Den in der festgestellten Weise betriebsentsandten Dienstnehmern standen die Entfernungszulagen daher von ihrer Entsendung bis zu ihrer Rückkehr an den ständigen Betriebsort zu. Die von ihnen selbst bezahlte Heimkehr an ihren Wohnort zwischen den einzelnen Arbeitsdekaden kann nach diesen Bestimmungen nicht als Rückkehr zum ständigen Betrieb und damit als Beendigung der Entsendung betrachtet werden.
Standen den betroffenen Dienstnehmern aber nach den anzuwendenden Kollektivverträge die Ansprüche auf Entfernungszulagen nach Art. VIII Z. 4 für die Dauer ihrer Entsendung zu, so waren sie - unabhängig davon, ob und inwieweit sie dem tatsächlichen Aufwand entsprachen - nach dem zweiten Satz des § 49 Abs. 3 Z. 1 ASVG in der anzuwendenden Fassung der 29. Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, beitragsfrei. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. außer dem von den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zitierten Erkenntnis vom 14. April 1988, Zl. 84/08/0141, und dem darin genannten Erkenntnis vom 1. Oktober 1958, Slg. Nr. 4.762/A, vor allem das ausführlich begründete Erkenntnis vom 7. Dezember 1989, Zl. 87/08/0081) steht bei Gewährung von im § 49 Abs. 3 Z. 1 zweiter Satz ASVG in der Fassung der 29. Novelle, BGBl. Nr. 31/1973, angeführten Vergütungen im Rahmen der kollektivvertraglichen Sätze dem Versicherungsträger und der Verwaltungsbehörde keine Prüfung zu, ob und inwieweit sie dem tatsächlichen Aufwand entsprachen. Eine solche Prüfung kann - nicht im Einzelfall, sondern generell - nur durch den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger auf Grund der ihm durch § 49 Abs. 4 ASVG erteilten Ermächtigung erfolgen. Die Rechtsauffassung der belangten Behörde, daß Entfernungszulagen, selbst wenn sie im Kollektivvertrag vorgesehen seien und daher dem Arbeitnehmer aus arbeitsrechtlicher Sicht zustünden, nicht in allen Fällen als beitragsfrei betrachtet werden könnten, nämlich dann nicht, wenn der Dienstnehmer auf Grund seines Aufenthaltes an seinem ständigen Wohnsitz keine erhöhten Aufwendungen durch seine Abwesenheit vom ständigen Betriebsort habe, ist daher rechtsirrig.
Der Bescheid der belangten Behörde vom 21. November 1990 war daher im angefochtenen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991. Das Begehren auf Stempelgebührenersatz war im Hinblick auf die bestehende sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991080001.X00Im RIS seit
17.12.1991Zuletzt aktualisiert am
02.09.2010