TE Vfgh Beschluss 2006/12/1 B1611/06

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Veröffentlicht am 01.12.2006
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

VfGG §34
ZPO §530 Abs1 Z7
StV Wien 1955 Art7 Z3

Leitsatz

Abweisung des Wiederaufnahmeantrags eines mit Ablehnung abgeschlossenen Beschwerdeverfahrens mangels Darlegung eines Wiederaufnahmegrundes

Spruch

Der Antrag auf Bewilligung der Wiederaufnahme des mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 2006, B3522/05-13, abgeschlossenen Verfahrens wird abgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.1. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten (im Folgenden: UVS) vom 16. November 2005 wurde die Berufung des nunmehrigen Antragstellers gegen ein Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Klagenfurt wegen Verwaltungsübertretung nach der Straßenverkehrsordnung (Überschreitung der für das Ortsgebiet von St. Kanzian zulässigen Höchstgeschwindigkeit) als unbegründet abgewiesen.

1.2. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller eine auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof, in welcher er, neben der Verletzung näher genannter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, vor allem die Gesetzwidrigkeit von Verordnungsbestimmungen betreffend die (allein in Deutsch verfasste) Bezeichnung des Ortsgebietes von St. Kanzian geltend machte. Mit Beschluss vom 26. Juni 2006, B3522/05-13, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung dieser Beschwerde ab. Begründend wurde dazu vor allem ausgeführt, dass die Beschwerde im Hinblick auf das zu V20-22/06, V32/06 ergangene Erkenntnis vom selben Tage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. In diesem Erkenntnis, das in einem auf Antrag der Volksanwaltschaft eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren erging, gelangte der Verfassungsgerichtshof im hier maßgeblichen Zusammenhang zu folgender Auffassung:

"Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlass, von seiner - mit dem Erkenntnis VfSlg. 11.585/1987 beginnenden - ständigen Rechtsprechung abzugehen, der zu Folge bei der Feststellung, was ein Gebiet mit gemischter Bevölkerung ist, von einer vergröberten statistischen Erfassung ausgegangen werden kann und - mangels anderer zuverlässiger Daten - muss und dabei va. auf die einschlägigen statistischen Erhebungen abzustellen ist, wie sie sich im Rahmen der Volkszählungen ergeben (insb. auch VfSlg. 12.836/1991, 15.970/2000, 16.404/2001 und jüngst VfGH 12.12.2005, V64/05).

...

Für die Ortschaft St. Kanzian weisen die nunmehr vorliegenden, im Verfahren V20-22/06 über Anforderung des Verfassungsgerichtshofes seitens der Statistik Austria übermittelten, endgültigen Ergebnisse der Volkszählung 2001 einen Anteil von 8,7% österreichischer Staatsbürger mit slowenischer Umgangssprache aus; bei den vorhergehenden Volkszählungen hat dieser Anteil bzw. der Anteil slowenisch Sprechender an der Wohnbevölkerung insgesamt, soweit dem Verfassungsgerichtshof ortschaftsweise Auswertungen vorliegen, 14,1% (1961), 23,8% (1971 [insoweit das Erkenntnis VfSlg. 16.404/2001 diesbezüglich einen Prozentsatz von 14,9 nennt, ergab sich dieser aus einer dem Verfassungsgerichtshof in jenem Verfahren vorgelegten Unterlage des Amtes der Kärntner Landesregierung; dieser Prozentsatz wurde im damaligen Verordnungsprüfungsverfahren von keiner der Verfahrensparteien bestritten]), 31,2% (1981) und 9,9% (1991) betragen.

Im Erkenntnis VfSlg. 16.404/2001 vertrat der Verfassungsgerichtshof für die Ortschaft St. Kanzian die Auffassung, dass 'auch noch eine Ortschaft, die ... über einen längeren Zeitraum betrachtet, einen Minderheitenprozentsatz von mehr als 10% aufweist, als Verwaltungsbezirk mit gemischter Bevölkerung iSd. Art7 Z3 zweiter Satz des Staatsvertrages von Wien zu qualifizieren' ist.

Aufgrund des nunmehr vorliegenden, in die verfassungsgerichtliche Beurteilung einzubeziehenden Ergebnisses der Volkszählung 2001, das im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses VfSlg. 16.404/2001 noch nicht vorlag, ergibt sich, dass für diese Ortschaft der maßgebliche Minderheitenprozentsatz bei den beiden letzten Volkszählungen weniger als 10 betragen hat und die Tendenz seiner Entwicklung fallend ist. Im Hinblick darauf ist die Ortschaft St. Kanzian, auch über einen längeren Zeitraum betrachtet, nun nicht mehr als 'Verwaltungsbezirk mit gemischter Bevölkerung' im oben genannten Sinne zu qualifizieren, für den eine verfassungsrechtliche Verpflichtung besteht, Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in Slowenisch als auch in Deutsch zu verfassen; daher war der diesbezügliche Antrag der Volksanwaltschaft abzuweisen."

2. Der oben genannte Beschluss des Verfassungsgerichtshofes wurde dem Antragsteller am 13. Juli 2006 zugestellt.

Mit am 5. September 2006 beim Verfassungsgerichtshof eingelangtem Schriftsatz begehrt der Antragsteller die Wiederaufnahme des mit diesem Beschluss beendeten Verfahrens. Er stützt sich dabei der Sache nach auf den Wiederaufnahmsgrund des §530 Abs1 Z7 ZPO.

Begründend bringt er iW vor:

"Der Beschwerdeführer beantragt ... ausdrücklich die Wiederaufnahme des Verfahrens, wobei der Beschwerdeführer nunmehr in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangte bzw. Beweismittel zu benützen in den Stand gesetzt wurde, deren Vorbringen und Benützung eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt hätte.

Dazu legt der Beschwerdeführer vor: 38 eidesstättige Erklärungen von Bürgern der Ortschaft St. Kanzian/Skocjan, in welchen erklärt wird, dass sie österreichische Staatsbürger und Angehörige der slowenischen Volksgruppe sind. Die 38 Bürger aus St. Kanzian/Skocjan, welche die eidesstättigen Erklärungen unterfertigt haben, repräsentieren mehr als 10% der Bevölkerung dieser Ortschaft.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird auch innerhalb der Notfrist von 4 Wochen eingebracht. Der Beschwerdeführer und seine Freunde haben ihnen bekannte Angehörige der slowenischen Volksgruppe in St. Kanzian/Skocjan um Unterfertigung der eidesstättigen Erklärungen ersucht, wobei erst mit Unterfertigung der letzten eidesstättigen Erklärungen es klar war, dass tatsächlich in St. Kanzian/Skocjan mehr als 10% der Bevölkerung der slowenischen Volksgruppe angehören und auch bereit sind, eine derartige Erklärung zu unterschreiben. Erst damit wurde der Beschwerdeführer in die Lage versetzt, dieses Beweismittel zu verwenden, wobei selbstverständlich keine entsprechende Liste oder Datei der Slowenen in St. Kanzian/ Skocjan existiert, so dass es mit erheblicher Mühe verbunden war festzustellen, dass tatsächlich der Anteil der slowenischen Bevölkerung in St. Kanzian/Skocjan mehr als 10% beträgt.

...

Es ergibt sich somit, dass entgegen der Annahme des Verfassungsgerichtshofes im Erkenntnis V20-22/06, V32/06 St. Kanzian/Skocjan nach wie vor über einen längeren Zeitraum betrachtet mehr als 10% slowenischer Bevölkerung aufweist, sodass aufgrund der nunmehr vorgelegten Beweismittel die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes anders ausfallen würde.

...

[N]ach Meinung des Beschwerdeführers [sind] angesichts der nunmehr vorgelegten eidesstättigen Erklärungen von mehr als 10% der Bevölkerung aus St. Kanzian/Skocjan sämtliche Bedingungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegeben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Gemäß §34 VfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof ua. in den Fällen des Art144 B-VG stattfinden. Da §34 VfGG eine nähere Regelung nicht enthält, gelten für die Wiederaufnahme gemäß §35 Abs1 VfGG sinngemäß die Bestimmungen der ZPO (VfSlg. 17.286/2004 mwN).

Gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO kann ein Verfahren, das "durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist", auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, "wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde".

1.2. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrages ist also zum einen der Abschluss des Verfahrens durch "eine die Sache erledigende Entscheidung". Eine solche liegt nicht nur dann vor, wenn der dem jeweiligen Verfahren zu Grunde liegende Rechtsschutzantrag meritorisch erledigt wird, sondern - ungeachtet ihrer Bezeichnung - immer schon dann, wenn durch sie das Verfahren beendet wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist (auch) ein Beschluss, mit dem die Behandlung einer Beschwerde gemäß Art144 Abs2 B-VG abgelehnt wird, als verfahrensbeendende Entscheidung im Sinne dieser Regelung zu qualifizieren (s. VfSlg. 16.511/2002 mwN).

Der Wiederaufnahmeantrag, der sich der Sache nach auf den gesetzlichen Wiederaufnahmsgrund des §530 Abs1 Z7 ZPO stützt und innerhalb der gesetzlichen Frist gestellt wurde, ist daher zulässig.

2. Der Antrag erweist sich jedoch als nicht begründet:

Neue Tatsachen und Beweismittel können nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 15.340/1998 mwN) nur dann einen Wiederaufnahmsgrund iSd. §530 Abs1 Z7 ZPO bilden, wenn sie solcher Art sind, dass ihre Berücksichtigung im Rahmen der dem Verfassungsgerichtshof zukommenden Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung möglich erscheinen lässt, wobei bei der Prüfung der Frage, ob die Möglichkeit eines günstigeren Ergebnisses besteht, von der Rechtsansicht auszugehen ist, die der die Sache erledigenden Entscheidung zu Grunde liegt; eine Wiederaufnahme aus rein rechtlichen Gründen ist nämlich nach der ZPO ausgeschlossen.

Dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 26. Juni 2006, B3522/05-13, liegt, wie sich aus dem begründenden Hinweis auf das Erkenntnis VfGH 26.6.2006 V20-22/06, V32/06, ergibt, die Rechtsansicht zu Grunde, dass für die Beurteilung der Frage, ob die Ortschaft St. Kanzian ein Gebiet mit "gemischter Bevölkerung" iSd. Art7 Z3 StV Wien ist, die Ergebnisse der Volkszählungen 1961 bis 2001 maßgeblich sind. Zu diesen aber bringt der Antragsteller nichts "Neues" vor.

Der Antrag auf Bewilligung der Wiederaufnahme war daher schon deshalb abzuweisen.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §34 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme, Volksgruppen, Minderheiten, Ortstafeln

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:B1611.2006

Dokumentnummer

JFT_09938799_06B01611_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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