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41/02 Staatsbürgerschaft;Norm
StbG 1985 §34 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Dorner, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des S M, vertreten durch den Abwesenheitskurator Dr. P, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 18. Juli 1991, Zl. MA 61/IV - M 494/87, betreffend Entziehung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Niederösterreichische Landesregierung hatte dem Beschwerdeführer, einem polnischen Staatsangehörigen, der bereits im Juli 1985 eine Bestätigung der Botschaft der Volksrepublik Polen über die Beantragung seines Ausscheidens aus dem polnischen Staatsverband beigebracht hatte, auf dessen Ansuchen mit Bescheid vom 10. September 1985 gemäß § 11 a des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), mit Wirkung vom 25. September 1985 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Am 11. Oktober 1985 leistete der Beschwerdeführer das Gelöbnis gemäß § 21 StbG und nahm einer mit ihm hierüber bei der Bezirkshauptmannschaft Mödling aufgenommenen Niederschrift zufolge zur Kenntnis, daß er bei sonstigem Entzug der eben verliehenen österreichischen Staatsbürgerschaft (§ 34 StbG) binnen zweier Jahre sein Ausscheiden aus dem polnischen Staatsverband nachzuweisen habe.
In der Folge richtete die belangte Behörde an den mittlerweile nach Polen zurückgekehrten Beschwerdeführer mit Schreiben vom 19. Februar 1990 die Aufforderung, den Nachweis über sein Ausscheiden aus dem polnischen Staatsverband beizubringen, widrigenfalls ihm die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen würde. Diese Aufforderung konnte trotz Einschaltung der österreichischen Botschaft in Polen dem Beschwerdeführer, dessen Aufenthalt sich als unbekannt herausstellte, nicht zugestellt werden. Über Antrag der belangten Behörde bestellte das Bezirksgericht Mödling mit Beschluß vom 29. Mai 1991 für den Beschwerdeführer in der gegenständlichen Angelegenheit den ihn nunmehr vertretenden Abwesenheitskurator. Dieser erstattete nach Einsichtnahme in die Verwaltungsakten am 4. Juli 1991 eine Stellungnahme, in der er geltend machte, ihm sei bisher keine Belehrung über die beabsichtigte Entziehung der österreichischen Staatsbürgerschaft seines Kuranden (des Beschwerdeführers) zugestellt worden. Da diese Belehrung gemäß § 34 Abs. 2 StbG mindestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung zu erfolgen habe, die Entziehung selbst aber zufolge Abs. 3 dieses Paragraphen nach Ablauf von sechs Jahren nach der Verleihung - im Falle des Beschwerdeführers liege dieser Zeitpunkt im September 1991 - nicht mehr zulässig sei, sei eine fristgerechte Belehrung nicht erfolgt, sodaß eine Voraussetzung für die Entziehung fehle.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid entzog die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei nicht nur anläßlich der Aushändigung des Bescheides über die Verleihung der Staatsbürgerschaft, sondern auch durch das Schreiben der belangten Behörde vom 19. Februar 1990, dessen Zustellung gemäß § 8 Zustellgesetz als bewirkt anzusehen sei, über die Bestimmung des § 34 Abs. 1 StbG belehrt worden. Abgesehen davon könne dem Wortlaut des Abs. 2 dieses Paragraphen nicht entnommen werden, ob die darin vorgesehene Belehrung als Voraussetzung für die Entziehung anzusehen sei oder ob es sich hiebei um eine bloße Formvorschrift handle. Da der Beschwerdeführer aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen eine fremde Staatsangehörigkeit beibehalten habe, habe ihm auf Grund der zwingenden Bestimmung des § 34 StbG die Staatsbürgerschaft entzogen werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht, "entgegen der Bestimmung des § 34 Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft nicht zu entziehen", verletzt. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Gründe für die Beibehaltung der fremden Staatsangehörigkeit tatsächlich selbst zu vertreten habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 34 Abs. 1 StbG ist einem Staatsbürger die Staatsbürgerschaft zu entziehen, wenn
1.
er sie vor mehr als zwei Jahren durch Verleihung oder durch Erstreckung der Verleihung nach diesem Bundesgesetz erworben hat,
2.
hiebei weder § 10 Abs. 4 noch die §§ 16 Abs. 2 oder 17 Abs. 4 angewendet worden sind,
3.
er am Tag der Verleihung (Erstreckung der Verleihung) kein Flüchtling gewesen ist und
4.
er trotz des Erwerbes der Staatsbürgerschaft seither aus Gründen, die er zu vertreten hat, eine fremde Staatsangehörigkeit beibehalten hat.
Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ist der betroffene Staatsbürger mindestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung der Staatsbürgerschaft über die Bestimmung des Abs. 1 zu belehren.
Gemäß Abs. 3 dieses Paragraphen ist die Entziehung nach Ablauf der im Abs. 1 Z. 1 genannten Frist ohne unnötigen Aufschub schriftlich zu verfügen. Nach Ablauf von sechs Jahren nach der Verleihung (Erstreckung der Verleihung) ist die Entziehung nicht mehr zulässig.
Gemäß § 36 StbG ist, wenn sich derjenige, dem die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll, im Ausland aufhält und eine Zustellung bereits erfolglos versucht wurde, § 11 AVG 1950, BGBl. 172 auch dann anzuwenden, wenn sein Aufenthalt bekannt ist.
Die belangte Behörde hat hinsichtlich der Frage der in § 34 Abs. 2 StbG normierten Belehrung des Beschwerdeführers über die beabsichtigte Entziehung seiner österreichischen Staatsbürgerschaft die Auffassung vertreten, diesem gesetzlichen Erfordernis sei bereits dadurch Rechnung getragen worden, daß der Beschwerdeführer anläßlich der Aushändigung des Bescheides, mit dem ihm die Staatsbürgerschaft verliehen worden war, über die Bestimmung des § 34 Abs. 1 leg. cit. belehrt worden sei. Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten enthält die über die Aushändigung des Verleihungsgescheides an den Beschwerdeführer aufgenommene Niederschrift vom 11. Oktober 1985 nachstehende Erklärung des Beschwerdeführers:
"Ich bestätige hiemit die Übernahme des Verleihungsbescheides. Weiters nehme ich zur Kenntnis, daß ich binnen zwei Jahren den Nachweis über das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband zu erbringen habe, ansonsten ein Verfahren gemäß § 34 StbG eingeleitet werden muß."
Dem Wortlaut dieser Erklärung ist zu entnehmen, daß dem Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt zwar die Bestimmung des § 34 Abs. 1 StbG zur Kenntnis gebracht worden ist, doch kann im Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft naturgemäß nicht von einer (gleichzeitig) beabsichtigten Entziehung derselben ausgegangen werden. So ist in dieser formularmäßig vorbereiteten Erklärung lediglich von der künftig möglichen Einleitung eines Entziehungsverfahrens, nicht aber von einer beabsichtigten Entziehung die Rede. Demgemäß konnte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dem im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Entziehung in § 34 Abs. 2 leg. cit. enthaltenen Erfordernis der Belehrung über Abs. 1 diesen Paragraphen sei bereits durch diese anläßlich der Verleihung erfolgte Belehrung entsprochen worden.
Nach Ansicht der belangten Behörde sei eine rechtsgültige Belehrung des Beschwerdeführers auch dadurch erfolgt, daß die Zustellung des an ihn gerichteten, eine solche Belehrung enthaltenden Schreibens vom 19. Februar 1990 gemäß § 8 Zustellgesetz als bewirkt anzusehen sei. Gemäß Abs. 1 dieses Paragraphen hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen ist, wenn diese Mitteilung unterlassen wird und soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeit festgestellt werden kann. Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, daß das mit 19. Februar 1990 datierte Schreiben an den Beschwerdeführer unter einer von der belangten Behörde ermittelten Anschrift in Polen mit internationalem Rückschein abgefertigt und mit dem Vermerk "RETOUR PARTI" der belangten Behörde zurückgestellt worden ist. Aus diesem Sachverhalt folgt, daß das angeführte Schreiben seit der Aushändigung des Verleihungsbescheides die erste an den Beschwerdeführer gerichtete Erledigung der belangten Behörde darstellte. Da die anläßlich der Aushändigung der Verleihungsurkunde erteilte Belehrung ausdrücklich lediglich von der (allfälligen künftigen) Einleitung eines Entziehungsverfahrens sprach, die tatsächliche Einleitung dieses Verfahrens dem Beschwerdeführer aber nicht mitgeteilt worden war, konnte die belangte Behörde aber nicht davon ausgehen, daß dieser von dem gegen ihn anhängigen Einziehungsverfahren Kenntnis hatte. Schon deshalb erweist sich die Annahme der belangten Behörde, die Zustellung des besagten Schriftstückes könne gemäß § 8 Zustellgesetz als bewirkt gelten als nicht dem Gesetz entsprechend.
Die belangte Behörde hat es ausgehend von ihrer - wie dargelegt - unzutreffenden Ansicht, der Beschwerdeführer sei unter Einhaltung der in § 34 Abs. 2 StbG normierten Frist gesetzmäßig belehrt worden, dahingestellt gelassen, ob die fristgerechte Belehrung im Sinne dieser Gesetzesstelle eine Voraussetzung für die Entziehung der Staatsbürgerschaft darstelle oder nur als Formvorschrift anzusehen sei. Dieser Frage kommt aber bei der dargestellten Sach- und Rechtslage des Beschwerdefalles Bedeutung zu. Im Hinblick auf die mit der Entziehung der Staatsbürgerschaft verbundenen gravierenden Rechtsfolgen (Verlust z.B. der Aufenthalts- und Arbeitsberechtigung) stellt die spätestens sechs Monate vor der beabsichtigten Entziehung vorzunehmende Belehrung über die Regelung des § 34 Abs. 1 leg. cit. eine letzte, eben mit einem zeitlichen Spielraum von mindestens sechs Monaten versehene Möglichkeit für den von der Entziehung Bedrohten dar, noch das Ausscheiden aus dem fremden Staatsverband zu erwirken. Die Erteilung dieser Belehrung unter Einhaltung dieser Frist erweist sich schon im Hinblick auf die im Interesse des Betroffenen und auch im öffentlichen Interesse gelegene Vermeidung des Eintritts seiner Staatenlosigkeit als erforderlich. Dies deshalb, weil der Betroffene im Fall seines Ausscheidens aus dem fremden Staatsverband in einem Zeitpunkt, in dem ihm bereits die österreichische Staatsbürgerschaft entzogen wurde (diese Vorgänge können sich zeitlich durchaus überlappen), staatenlos würde. Nur wenn dem Betroffenen - so wie dies in § 34 Abs. 2 leg. cit. vorgesehen ist - ein Mindestzeitraum ab der ihm mitgeteilten Belehrung für die Setzung oder Betreibung der für sein Ausscheiden aus dem fremden Staatsverband erforderlichen Schritte zur Verfügung steht, ist es ihm für den Fall von Verzögerungen bei der Erlangung der Bewilligung zum Ausscheiden aus der fremden Staatsangehörigkeit möglich, der Gefahr des Verlustes beider Staatsbürgerschaften durch rechtzeitige Zurücknahme seines Antrages wirksam zu begegnen. Aus diesen Überlegungen folgt, daß der besagten fristgerechten Belehrung maßgebliche Bedeutung für die Rechtsmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Staatsbürgerschaft entzogen wird, zukommt.
Da die belangte Behörde sohin in Verkennung der Rechtslage trotz Fehlens einer - wie dargestellt - wesentlichen Voraussetzung, nämlich der Einhaltung der Frist des § 34 Abs. 2 StbG, den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mußte dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. l VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1991:1991010138.X00Im RIS seit
18.12.1991