TE Vwgh Erkenntnis 1991/12/18 91/01/0161

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Veröffentlicht am 18.12.1991
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Hoffmann, Dr. Dorner, Dr. Kremla und Dr. Steiner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde des H S in A, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. April 1991, Zl. 4.290.136/2-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste am 28. Oktober 1989 in das Bundesgebiet ein und stellte am 13. November 1989 einen Antrag auf Asylgewährung. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch die Sicherheitsbehörde am 30. Dezember 1989 gab der Beschwerdeführer an, er sei als moslemischer Angehöriger der kurdischen Volksgruppe in seiner Heimat Mitglied der sozialdemokratischen Partei gewesen. Er selbst habe sich nicht politisch betätigt, doch sei er, weil seine Verwandten Sympathisanten der Kurdenpartei seien, mehrmals durch die Gendarmerie über Aktivitäten der Kurden verhört worden. Als der Beschwerdeführer im Jahre 1989 an der 1.-Mai-Kundgebung teilgenommen habe, sei er festgenommen und ohne Durchführung einer Gerichtsverhandlung für etwa ein Monat eingesperrt worden. Über den Gefängnisaufenthalt habe er keine Bestätigung erhalten. Der Beschwerdeführer fühle sich in seiner Heimat allgemein als Kurde unterdrückt und habe deshalb die Türkei verlassen. Trotz mehrmaliger Ansuchen sei ihm ein Reisepaß nicht ausgestellt worden. Er habe erst nach Bezahlung von DM 1.000,-- einen auf einen falschen Namen lautenden Reisepaß erhalten. In einer über Anregung des UN-Hochkommissars für die Flüchtlinge am 27. März 1990 durchgeführten ergänzenden Befragung führte der Beschwerdeführer aus, er sei insgesamt dreimal von den türkischen Polizeibehörden verhört und hiebei geohrfeigt worden. Von seinen Verwandten sei ihm nur bekannt, daß diese die Kurdenpartei unterstützten, nicht aber in welcher Weise. Auch über die Kurdenpartei, von der er nur wisse, daß sie verboten sei und sich für die Meinungs- und Religionsfreiheit der Kurden einsetze, könne er keine näheren Angaben machen. Die Haft, in deren Verlauf er des öfteren von Polizeibeamten geschlagen worden sei und während der er nur eine Mahlzeit pro Tag erhalten habe, habe er im Polizeigefangenenhaus in Instanbul verbracht. Der Beschwerdeführer sei dadurch unterdrückt worden, daß die freie Meinungsäußerung, die Religionsausübung und der Gebrauch der Sprache von zivilen Sicherheitsbeamten überwacht worden seien. In einem an die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gerichteten Schreiben vom 2. Mai 1990 vertrat der UN-Hochkommissär für die Flüchtlinge die Auffassung, der Beschwerdeführer sei im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention verfolgt worden, weshalb seine Anerkennung als Flüchtling befürwortet werde.

Mit Bescheid vom 3. Mai 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling sei.

In der gegen dieses Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer über seine bisherigen Angaben hinaus ergänzend vor, er habe verbotenerweise in der Öffentlichkeit kurdisch gesprochen. Die Kurden würden in der Türkei unterdrückt und als

"2. Klasse Personen" behandelt. Am 1. Mai 1989 seien tausende Menschen festgenommen worden und es habe hunderte Verletzte gegeben. Wenn der Beschwerdeführer in sein Heimatland zurückgeschickt würde, hätte er mit Festnahme und Folterung zu rechnen. Der Beschwerdeführer habe seinen Militärdienst nicht abgeleistet, weil er als Kurde nicht gegen seine "Brüder" kämpfen wolle.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. In der Begründung wurde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens ausgeführt, die belangte Behörde sei nach Prüfung der Angaben des Beschwerdeführers zu der Auffassung gelangt, daß die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beim Beschwerdeführer nicht vorlägen. Allein aus der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer Minderheit könne ein Grund für seine Anerkennung als Flüchtling nicht abgeleitet werden. Die Verhöre, denen der Beschwerdeführer wegen seiner mit der Kurdenpartei sympathisierenden Verwandten unterzogen worden sei, könnten seine Furcht vor Verfolgung nicht rechtfertigen. Seine Verhaftung wegen Teilnahme an einer verbotenen bzw. nicht angemeldeten Demonstration könne nicht als Verfolgungsmaßnahme qualifiziert werden und stünde in keinem direkten zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise des Beschwerdeführers. Wohl sei die kurdische Sprache offiziell verboten, doch würde gegen eine Verwendung dieser Sprache durch Kurden untereinander nichts eingewendet, sodaß eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus diesem Grund nicht glaubhaft sei. Eine wegen der Nichtableistung des Militärdienstes dem Beschwerdeführer drohende Bestrafung könne nicht als Verfolgung gewertet werden, weil Pflichtwehrdienst in vielen Staaten eingeführt und die Verweigerung der Ableistung strafbar sei. Der UN-Hochkommissär für die Flüchtlinge habe der in Aussicht genommenen Abweisung des Asylansuchens "- so wie in I. Instanz - zugestimmt".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft und auf ein gesetzmäßiges Asylverfahren verletzt. Insbesondere seien der belangten Behörde Aktenwidrigkeiten unterlaufen und habe sie es unterlassen, sich mit seinem Berufungsvorbringen ausreichend auseinanderzusetzen. Abgesehen von der zumindest in den kurdischen Gebieten im Osten der Türkei stattfindenden Gruppenverfolgung der Kurden habe der Beschwerdeführer durch sein Vorbringen hinreichend begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 des Bundesgesetzes vom 7. März 1968, BGBl. Nr. 126, über die Aufenthaltsberechtigung von Flüchtlingen im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Asylgesetz), in der Fassung BGBl. Nr. 796/1974, ist ein Fremder Flüchtling im Sinne dieses Bundesgesetzes, wenn nach dessen Bestimmungen festgestellt wird, daß er die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, unter Bedachtnahme auf das Protokoll, BGBl. Nr. 78/1974, erfüllt und daß bei ihm kein Ausschließungsgrund nach Art. 1 Abschnitt C oder F dieser Konvention vorliegt. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Konvention bestimmt, daß als Flüchtling im Sinne dieses Abkommens anzusehen ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides davon aus, die Demonstration, bei der der Beschwerdeführer verhaftet wurde, sei nicht angemeldet bzw. verboten gewesen. Demgegenüber kann - wie dies in der Beschwerde aufgezeigt wird - dem gesamten Vorbringen des Beschwerdeführers kein Hinweis entnommen werden, der auf eine Vorschriftswidrigkeit der Demonstration hinweisen würde. Für die Beurteilung, ob der Beschwerdeführer aus in der Genfer Konvention angeführten Gründen verfolgt wurde, kommt im Zusammenhang mit seiner aus Anlaß dieser Demonstration erfolgten Verhaftung der Klärung der Frage, ob es sich um eine bewilligte oder um eine verbotene Demonstration handelte, maßgebliche Bedeutung zu. Diese Klärung hat die belangte Behörde aber nicht herbeigeführt.

Soweit die belangte Behörde die Auffassung vertritt, die Ausreise des Beschwerdeführers könne infolge der zeitlichen Distanz zu seiner Verhaftung nicht damit im Zusammenhang gesehen werden, übersieht sie, daß auf Grund der einmonatigen, somit Anfang Juni 1989 beendeten Haftdauer und der vom Beschwerdeführer angegebenen mehrmaligen erfolglosen Versuche, auf legalem Weg einen Reisepaß ausgestellt zu erhalten, die am 28. Oktober 1989 erfolgte Ausreise des Beschwerdeführers noch als im Zusammenhang mit dieser Verhaftung stehend angesehen werden kann.

Die belangte Behörde ist - was die Intensität der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verfolgungsgründe anlangt - auch nicht auf die Dauer der Haft und deren nähere Umstände eingegangen. Feststellungen darüber wären aber erforderlich gewesen, weil bei einer - im Anschluß an eine aus Anlaß einer (angemeldeten bzw. nicht verbotenen) Demonstration erfolgte Festnahme - ein Monat andauernden Anhaltung in einem Polizeigefangenenhaus unter den vom Beschwerdeführer dargestellten Bedingungen, verbunden mit Mißhandlungen durch Polizeibeamte, auch im Hinblick auf die kurdische Nationalität des Beschwerdeführers nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, daß diese gegen ihn gerichteten behördlichen Maßnahmen aus in der Flüchtlingskonvention angeführten Gründen gesetzt wurden.

Da der Sachverhalt sohin in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und somit auch Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, mußte der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1991:1991010161.X00

Im RIS seit

18.12.1991
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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