TE Vfgh Beschluss 1989/6/12 G187/88

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Veröffentlicht am 12.06.1989
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
EO §301
EO §302

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrages auf Aufhebung des §302 EO; Eingriff in die Rechtssphäre des Gläubigers erst durch die Entscheidung des Gerichts über den Auftrag zur Drittschuldneräußerung; Zumutbarkeit des gerichtlichen Rechtsweges; fehlende Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit dem auf Art140 B-VG gestützten Antrag begehrt die Firma R & Co OHG, §302 der Exekutionsordnung, RGBl. 79/1896 (EO), zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Antragstellerin führt hiezu aus, sie habe auf Grund eines rechtskräftigen Zahlungsbefehls zur Hereinbringung einer Forderung von S 4.000,-- gegen einen ihrer Kunden, der beim ORF beschäftigt war, am 14. August 1987 eine Gehaltspfändung beantragt. Da der ORF jedoch auf Grund der Vorschrift des §302 EO nicht gehalten sei, eine Drittschuldnerauskunft zu erteilen, sei ihr bis heute Näheres über die gepfändete Forderung unbekannt. §302 EO erlege der Antragstellerin wohl keine Rechtspflicht auf, aber es würden ihr die Rechte des §301 EO genommen, weshalb ein unmittelbarer Eingriff durch das Gesetz vorliege. Die Antragstellerin habe auch sonst keine Möglichkeit, den ORF als Drittschuldner zur Abgabe der erwünschten Auskunft zu veranlassen. §302 EO schneide dem Gläubiger jeden Weg ab, von den in dieser Norm genannten Drittschuldnern eine Auskunft in der Art des §301 EO zu erwirken. Der gerichtliche Auftrag zur Drittschuldneräußerung sei nämlich nicht nur einerseits unanfechtbar, sondern könne auch andererseits nicht eingeklagt und nicht vollstreckt werden. Da im "vorliegenden Fall ... sogar die (genaugenommen gesetzwidrige) Aufforderung des Gerichts an den ORF zur Drittschuldneräußerung" ergangen sei und "von diesem am 24.8.1987 übernommen" worden sei, hätte die Antragstellerin nicht einmal die Möglichkeit gehabt, einen abweisenden Beschluß des Gerichtes zu bekämpfen und beim Gericht zweiter Instanz einen Antrag zu stellen, ein Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten. Auch eine Antragstellung an den ORF sei "nicht möglich, da dieser keine Befugnis (habe), in bescheidmäßiger Form über ein etwaiges Auskunftsrecht der Antragstellerin abzusprechen".

Die Antragstellerin meint, damit hinreichend dargetan zu haben, daß die Voraussetzungen zur Erhebung eines Antrages gemäß Art140 B-VG vorliegen.

Die Antragstellerin legt des weiteren ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die bekämpfte Gesetzesstelle im einzelnen dar und bestreitet, daß sich eine sachliche Begründung für die Ungleichbehandlung von Gläubigern, denen Forderungen gegen das Ärar oder einen unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds einerseits und gegen andere Drittschuldner andererseits zustehen, finde, sodaß §302 EO gegen das Gleichheitsgebot verstoße und daher verfassungswidrig sei.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet, aber auch der Behauptung der Gleichheitswidrigkeit des §302 EO entgegentritt. Zur Unzulässigkeit des Antrages verweist sie darauf, daß sich die Antragstellerin durch die Vorenthaltung eines Rechtes für beschwert erachte, das ihr nach ihren eigenen Angaben ohnedies gewährt wurde. Der Antrag wäre aber auch unzulässig, wenn ein Auftrag zur Drittschuldneräußerung an den ORF nicht ergangen wäre, da in die Rechtssphäre einer Person nicht schon dadurch eingegriffen werde, daß ihr die Rechtsordnung ein bestimmtes Recht nicht gewähre, welches anderen Personen unter anderen Voraussetzungen zur Verfügung stehe. Der Antragstellerin stünde aber schließlich auch die Möglichkeit zu, eine Drittschuldnerklage einzubringen und in einem folgenden Schadenersatzverfahren sämtliche gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung sprechenden Argumente darzulegen und die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages durch das Berufungsgericht anzuregen.

Keinesfalls sei die Antragstellerin durch die gesamte Regelung des §302 EO in ihren Rechten betroffen, sondern nur durch die Worte "oder einem unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds", sodaß der darüber hinausgehende Antrag in jedem Falle zurückzuweisen sei.

Die Bundesregierung trägt weiters mit näherer Begründung vor, warum nach ihrer Auffassung die Regelung des §302 EO sachlich gerechtfertigt und dem Antrag nicht Folge zu geben sei.

3. Diesen Ausführungen ist die Antragstellerin in mehreren Stellungnahmen entgegengetreten.

4. Der Antrag ist tatsächlich unzulässig:

4.1. Gemäß §301 EO hat das Exekutionsgericht einem Drittschuldner auf Antrag des betreibenden Gläubigers aufzutragen, sich binnen 14 Tagen über eine gepfändete Forderung detailliert zu äußern.

Der als verfassungswidrig bekämpfte §302 EO lautet:

"Die Bestimmungen des §301 finden bei Exekutionsführungen auf Forderungen, welche dem Verpflichteten gegen das Ärar oder einen unter öffentlicher Verwaltung stehenden Fonds zustehen, keine Anwendung."

4.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist zur Stellung eines Individualantrages gemäß Art140 Abs1 B-VG insbesondere nur eine Person legitimiert, in deren Rechtssphäre das von ihr bekämpfte Gesetz unmittelbar und aktuell - also nicht bloß potentiell - eingreift, und der kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht, die Verfassungswidrigkeit des von ihr bekämpften Gesetzes geltend zu machen (vgl. VfSlg. 10353/1985, 10511/1985).

4.2.1. Zunächst ist festzuhalten, daß im Ausgangsfall - möglicherweise zu Unrecht - eine Aufforderung zur Drittschuldneräußerung vom Gericht an den ORF ergangen ist, sodaß insoferne von einer "Eingriffs-Betroffenheit" der Antragstellerin nicht gesprochen werden kann.

4.2.2. Unabhängig davon fehlt es aber auch an sich an der für einen Individualantrag zwingend geforderten Voraussetzung eines unmittelbaren und aktuellen Eingriffes in die Rechtssphäre durch das bekämpfte Gesetz. Da nämlich §302 EO lediglich die Aussage enthält, daß die Bestimmungen des §301 bei Exekutionsführungen in bestimmten Fällen keine Anwendung finden, §301 EO aber nur über Antrag eines betreibenden Gläubigers einen gerichtlichen Auftrag an Drittschuldner vorsieht, findet der vermeintliche Eingriff in die Rechtssphäre der Antragstellerin erst dann statt, wenn das Gericht einen vom Gläubiger gestellten Antrag, dem Drittschuldner einer verpflichteten Partei eine Äußerung aufzutragen, unter Berufung auf §302 EO abweist. Der Eingriff in die Rechtssphäre hat also die Erlassung einer gerichtlichen Entscheidung zur Voraussetzung. Bis dahin kann der von der Antragstellerin behauptete Eingriff nur ein potentieller sein.

4.2.3. Hinzu kommt:

Da die Exekutionsordnung gegen einen abweisenden Beschluß die Möglichkeit eines Rekurses vorsieht, steht den durch §302 EO betroffenen betreibenden Gläubigern zusätzlich auch ein zumutbarer Weg zur Verfügung, die vermeintliche Verfassungswidrigkeit der bekämpften Regelung an ein Gericht zweiter Instanz heranzutragen und auf diesem Wege - dann, wenn sich das Gericht den Bedenken anschließt - ein Gesetzesprüfungsverfahren auszulösen. Auch dies steht der Zulässigkeit des Individualantrages entgegen.

5. Der Antrag war daher zur Gänze zurückzuweisen. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Exekutionsrecht, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1989:G187.1988

Dokumentnummer

JFT_10109388_88G00187_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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