Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des M in I, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 25. Februar 1991, Zl. 3-4466-Frepol/6, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I
1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Landeck (BH) vom 10. Februar 1984 war gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 3 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954, (FrPolG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieses war damit begründet worden, daß der Beschwerdeführer, der sich seit 1974 in L aufhalte, dringend verdächtig sei, am 28. Juli 1983 in der Türkei seine Schwägerin ermordet zu haben; weiters sei er verdächtig, mit Suchtgift gehandelt zu haben. Dieser Bescheid ist nach der Aktenlage in Rechtskraft erwachsen.
Am 3. März 1984 war der Beschwerdeführer an die Türkei ausgeliefert worden.
2. Mit an die BH gerichteter Eingabe vom 3. Juli 1990 stellte der Beschwerdeführer den Antrag, das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot aufzuheben. Der Beschwerdeführer führte dazu aus, daß die Tat - Tötung seiner Schwägerin -, derentwegen er verurteilt worden sei, in der Türkei, sohin in einem anderen Kulturkreis, begangen worden sei, das Motiv der Tat "zumindest in gewisser Hinsicht berücksichtigungswürdig" sei, und die Gründe für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit, nunmehr weggefallen seien. Weiters sei zu berücksichtigen, daß der Beschwerdeführer im Fall der Verweigerung der Aufhebung des Aufenthaltsverbotes in der Türkei - er sei im Dezember 1989 aus der Haft entlassen worden - der Hilflosigkeit ausgesetzt wäre. Seine Frau und sein Kind lebten in L; er bedürfe dringend deren Unterstützung, um - von den Jahren der Haft gezeichnet - ein geordnetes Leben weiterführen zu können.
Über Aufforderung der BH legte der Beschwerdeführer eine eidesstattliche Erklärung seiner Frau und ein polizeiliches Führungszeugnis ("Strafregistervermerk") vor. In der mit 28. August 1990 datierten Erklärung wies die Frau des Beschwerdeführers darauf hin, daß seine Familie (Frau und vier Kinder) in L wohne und diese ausdrücklich die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Österreich wünsche. Aus dem Strafregistervermerk (vom 3. September 1990, ausgestellt von der Staatsanwaltschaft C) geht hervor, daß der Beschwerdeführer wegen "Vergehens des vorsätzlichen Mordes durch das Urteil des Kriminalgerichtes (Gericht für schwere Straftaten) in K vom 9/7/1985, Urteil Nr. 1985/68, Leitzahl 1984/99, zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, am 7/3/1984 inhaftiert und am 22/12/1989 aus der Agrarstrafanstalt in E bedingt entlassen worden ist, und daß seitdem bis heute 31/8/1990 keine öffentliche Klage gegen ihn eingebracht wurde".
3. Mit Bescheid vom 25. Februar 1991 wies die BH (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbotes gemäß § 8 FrPolG ab. Die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes seien noch keineswegs weggefallen. Der Beschwerdeführer sei erst am 22. Dezember 1989 aus der Haft entlassen worden, die Strafe noch nicht getilgt und die Zeit seines Wohlverhaltens in Freiheit noch viel zu kurz, um davon sprechen zu können, daß der Beschwerdeführer keine Gefahr mehr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle.
4. Die dagegen zunächst an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde wurde von diesem mit Beschluß vom 10. Juni 1991, B 315/91, nach Ablehnung von deren Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten. Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend und begehrt dessen kostenpflichtige Aufhebung.
5. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 8 FrPolG ist das Aufenthaltsverbot von der Behörde, die es erlassen hat, auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe für seine Erlassung weggefallen sind.
2.1. Die Beschwerde bringt zunächst vor, das Argument der belangten Behörde, die Strafe des Beschwerdeführers sei noch keineswegs getilgt, sei nicht nachvollziehbar; weder Urkunden noch sonstige Beweise stützten diese Begründung. Damit zieht der Beschwerdeführer erkennbar die Annahme der belangten Behörde in Zweifel, es seien die Gründe für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes aus dem Blickwinkel des öffentlichen Interesses noch nicht weggefallen.
2.2. Es kann dahinstehen, ob die über den Beschwerdeführer verhängte Freiheitsstrafe bereits getilgt ist oder nicht. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 FrPolG idF BGBl. Nr. 575/1987 zulässig; vielmehr reicht es unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung der vom § 3 Abs. 1 leg. cit. umfaßten öffentlichen Interessen aus, daß die der gerichtlichen Verurteilung zugrunde liegende Tat die in der zuletzt zitierten Gesetzesstelle umschriebene Annahme rechtfertigt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/19/0170). Von daher gesehen bestehen keine Bedenken, die Tat, derentwegen der Beschwerdeführer verurteilt wurde - laut dem von ihm vorgelegten Strafregistervermerk: "Vergehen des vorsätzlichen Mordes" -, als "bestimmte Tatsache" i.S. des § 3 Abs. 1 FrPolG idF BGBl. Nr. 575/1987 und damit als eine solche zu werten, welche die Annahme rechtfertigt, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde. Da somit auch im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides - vorbehaltlich einer zuungunsten des Beschwerdeführers ausgehenden Interessenabwägung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. - die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer dem Gesetz entspräche, haben sich die zur Beurteilung der öffentlichen Interessen maßgeblichen Umstände seit der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Jahr 1984 nicht zugunsten des Beschwerdeführers geändert.
3. Ungeachtet dessen ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Sie weist nämlich zu Recht darauf hin, daß es die belangte Behörde insofern unterlassen habe, der durch die Novelle BGBl. Nr. 575/1987 bewirkten Änderung der Rechtslage Rechnung zu tragen, als sie keine - im Grunde des § 3 Abs. 3 FrPolG idF der genannten Novelle gebotene - Interessenabwägung vorgenommen habe. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0222, ausgesprochen hat, obliegt es der Behörde dann, wenn im Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes - was vorliegend zutrifft - aufgrund der seinerzeitigen Rechtslage eine Interessenabwägung nicht stattgefunden hat, anläßlich der Entscheidung über einen Antrag auf Aufhebung dieses Aufenthaltsverbotes die Frage zu prüfen, ob auf dem Boden des Ergebnisses der nunmehr gemäß § 3 Abs. 3 leg. cit. vorzunehmenden Interessenabwägung das Weiterbestehen des Aufenthaltsverbotes gerechtfertigt ist.
4. Da die belangte Behörde diese Rechtslage verkannt hat (vgl. dazu auch noch ihre Gegenschrift) - wobei mit dieser Beurteilung KEINE Aussage über das Ergebnis der im forgesetzten Verfahren vorzunehmenden Interessenabwägung verbunden ist -, haftet dem angefochtenen Bescheid inhaltliche Rechtswidrigkeit an. Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren lediglich in der Höhe von S 390,-- (S 360,-- Eingabengebühr, S 30,-- Beilagengebühr) zu entrichten waren.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991190234.X00Im RIS seit
11.07.2001