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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz / Verletzung keineLeitsatz
Regelung der Bekleidungshilfe nicht unsachlichSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Niederösterreichische Landesregierung lehnte mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 28. Juli 1988 den Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung eines Bekleidungsbeitrages gemäß §11 Abs1 iVm §12 des NÖ Sozialhilfegesetzes, LGBl. 9200-6, (NÖ SHG) ab.
2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und eines Rechtes wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
3. Die NÖ Landesregierung als belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift; darin wird die Abweisung der Beschwerde begehrt.
II. Der Beschwerdeführer begründet seine Beschwerdebehauptungen ausschließlich damit, daß die dem Bescheid zugrundeliegenden Verordnungen gesetzwidrig seien.
1.a) Gemäß §1 Abs1 NÖ SHG hat Sozialhilfe jenen Menschen die Führung eines menschenwürdigen Lebens zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.
Nach §1 Abs2 lita umfaßt die Sozialhilfe u.a. die Hilfe zum Lebensunterhalt.
§9 Abs4 leg.cit. bestimmt, daß Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende oder einmalige Geldleistungen oder durch Sachleistungen erfolgen kann.
Die §§11 und 12 NÖ SHG lauten:
"§11
Einsatz der eigenen Mittel
(1) Bevor Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt wird, hat der Hilfesuchende sein Einkommen und sein verwertbares Vermögen einzusetzen.
(2) Kleinere Einkommen und Vermögen, insbesondere solche, die wegen des besonderen Zustandes ihres Empfängers gewährt werden oder die der Berufsausbildung bzw. Erwerbsausübung dienen, sind jedenfalls nicht zu berücksichtigen.
(3) Als nicht verwertbares Vermögen sind ferner Vermögen und Vermögensteile anzusehen, deren Verwertung mit der Aufgabe der Sozialhilfe (§1) unvereinbar wäre oder eine besondere Härte für den Hilfesuchenden oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen bedeuten würde.
(4) Die Landesregierung hat durch Verordnung nähere Vorschriften darüber zu erlassen, inwieweit das Einkommen und Vermögen nicht zu berücksichtigen sind. Dabei ist darauf Bedacht zu nehmen, daß eine angemessene Alterssicherung nicht wesentlich erschwert wird.
§12
Richtsätze
(1) Die Landesregierung hat für die Bemessung des unter durchschnittlichen Lebensverhältnissen laufend erforderlichen notwendigen Lebensunterhaltes unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Lebenshaltungskosten nach Personengruppen abgestufte Durchschnittsbeträge (Richtsätze) durch Verordnung zu bestimmen.
(2) In der Verordnung nach Abs1 sind jedenfalls Richtsätze für die Personengruppen 'Alleinstehende', 'Haushaltsvorstände', 'Haushaltsangehörige' und 'Pflegekinder' festzusetzen.
(3) Die Richtsätze sind so zu bemessen, daß sie den notwendigen monatlichen Bedarf an Nahrung, Instandhaltung der Kleidung, Körperpflege, Beheizung und Beleuchtung der Unterkunft, Kleinhausrat sowie persönlichen Bedürfnissen zur angemessenen Bildung und Pflege der Beziehungen zur Umwelt decken.
(4) Der nicht durch den Richtsatz gedeckte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes, insbesondere Unterkunft, Kleidung und andere notwendige Bedürfnisse, ist durch zusätzliche Geld- oder Sachleistungen zu decken."
b) Die Verordnung der NÖ Landesregierung über Sozialhilfen in der hier maßgebenden (nämlich in der für das Jahr 1988 geltenden) Fassung, LGBl. 9200/1-16, (NÖ SHV 1988) legt im §1 Abs1 lita die monatlichen Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Richtsatz) für Alleinstehende mit 3.886 S fest.
Die §§2 und 3 der NÖ SHV 1988 lauten (auszugsweise):
"§2
Bekleidungsbeihilfe
(1) In den Monaten Mai und November jeden Jahres ist an Empfänger von monatlich wiederkehrenden Geldleistungen zur Deckung des Bedarfes an Kleidung je eine Beihilfe in der Höhe der in diesen Monaten zur Auszahlung gelangenden Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §1 zu gewähren.
(2) . . .
(3) Ist im Einzelfall durch die Bekleidungsbeihilfe der notwendige Bedarf an Kleidung nicht gedeckt, sind zusätzlich Geld- oder Sachleistungen im unbedingt erforderlichen Ausmaß zu gewähren.
§3
Mietbeihilfe
Alleinstehenden oder Haushaltsvorständen, welche Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §1 beziehen, ist eine Mietbeihilfe in der Höhe des tatsächlichen Aufwandes für eine Wohnung, die den notwendigen Wohnbedarf nicht übersteigt, zu gewähren."
c) Die Verordnung der NÖ Landesregierung über die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen bei Gewährung von Sozialhilfen, LGBl. 9200/2-2, (NÖ AnrechnungsV) legt im §1 Abs1 litf fest, daß vom Einkommen des Hilfesuchenden und seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen nicht anzurechnen sind:
"f) Familienbeihilfen, Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe und Geburtenbeihilfen nach den Bestimmungen des Familienlastenausgleichsgesetzes, BGBl. Nr. 376/1967, in der Fassung BGBl. Nr. 553/1984, mit Ausnahme der Beihilfen, die für den Hilfesuchenden gewährt werden."
2. Der angefochtene Berufungsbescheid (s.o. I.1.) geht davon aus, daß der Beschwerdeführer einen eigenen Haushalt führt, daß er alleinstehend ist, ferner daß er im maßgebenden Zeitraum von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter 14-mal jährlich eine Pension von 4.853 S sowie 12-mal jährlich eine an den Beschwerdeführer selbst ausbezahlte (erhöhte) Familienbeihilfe von
2.900 S, jedoch keine monatlich wiederkehrenden Geldleistungen aufgrund des NÖ SHG bezog. Dieser Sachverhalt blieb im Administrativverfahren und im verfassungsgerichtlichen Verfahren unbestritten.
Im bekämpften Bescheid wird daraus ein Einkommen des Beschwerdeführers von S 102.754,60 (richtig: S 102.742,--) jährlich oder von S 8.562,88 (richtig: S 8.561,80) monatlich errechnet. Dem wird im Bescheid der für Alleinstehende geltende richtsatzgemäße Betrag (14-mal jährlich) von monatlich 3.886 S (§1 Abs1 lita NÖ SHV 1988) und eine monatliche Mietbeihilfe von 1.700 S (§3 NÖ SHV 1988) - also umgerechnet S 6.233,67 monatlich - entgegengesetzt. Das tatsächliche Einkommen des Beschwerdeführers übersteige sohin das richtsatzgemäße.
3. Der Beschwerdeführer meint, die hier maßgebenden, auf Verordnungsstufe stehenden Rechtsvorschriften stünden in Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz und seien im Gesetz nicht gedeckt:
Dieser Vorwurf richtet sich zum einen gegen §1 Abs1 litf der NÖ AnrechnungsV: Auch Beihilfen, die für den Hilfesuchenden gewährt werden, hätten als "kleineres Einkommen" iS des §11 Abs2 NÖ SHG anrechnungsfrei gestellt werden müssen; jedenfalls gelte das für einen gewährten Erhöhungsbetrag.
Zum anderen wendet sich der Vorwurf gegen §2 Abs1 der NÖ SHV 1988; es sei nämlich sachlich nicht gerechtfertigt, Bekleidungsbeihilfe nur den Empfängern monatlich wiederkehrender Geldleistungen zu gewähren, nicht aber auch anderen, gleichermaßen hilfsbedürftigen Personen.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof teilt die vom Beschwerdeführer ob der Rechtmäßigkeit der erwähnten Verordnungsbestimmungen vorgebrachten Bedenken nicht:
a) Die NÖ Landesregierung führt in ihrer Gegenschrift zutreffend aus, daß Einkommen in der Höhe der Familienbeihilfe und der Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe in Relation zu den richtsatzmäßigen Leistungen der Sozialhilfe nicht mehr als klein zu bezeichnen seien. Derartige Beträge sind nach §1 Abs1 litf der NÖ AnrechnungsV dennoch grundsätzlich anrechnungsfreies Einkommen; dafür gebührten aber dem §1 Abs1 NÖ SHV 1988 zufolge im Jahre 1988 Haushaltsangehörigen mit Anspruch auf Familienbeihilfe monatliche Geldleistungen von bloß 1.229 S, jenen ohne solchen Anspruch jedoch 2.069 S.
Nach dem letzten Halbsatz des §1 Abs1 litf NÖ AnrechnungsV werden jedoch derartige Beihilfen ausnahmsweise dann angerechnet, wenn sie für den Hilfesuchenden selbst gewährt werden; dafür findet sich für alleinstehende Hilfesuchende mit eigenem Anspruch auf Familienbeihilfe in der NÖ SHV 1988 kein eigener Ansatz.
Daraus folgt, daß das niederösterreichische Sozialhilferecht auf Verordnungsstufe ein in sich ausgewogenes System der Berücksichtigung der Familienbeihilfe entwickelt hat. Es besteht auch nicht das Bedenken, daß die Verordnungen dem ihnen zugrundeliegenden Gesetz (dem NÖ SHG) widersprächen.
b) §2 Abs1 NÖ SHV 1988 erkennt tatsächlich - wie der Beschwerdeführer meint - nur den Empfängern von monatlich wiederkehrenden Geldleistungen eine (zweimal jährlich auszuzahlende) Bekleidungsbeihilfe in bestimmter Höhe zu. Dies ist nicht unsachlich, da die Hilfsbedürftigkeit einer solchen Person und damit auch das Bedürfnis nach Bekleidungsbeihilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes (§9 Abs2 NÖ SHG) feststeht, ohne daß dies im Einzelfall weiterer Erhebungen bedürfte. Anders verhält es sich jedoch mit Personen, die keine derartigen laufenden Geldleistungen nach dem NÖ SHG beziehen. Ihnen gebührt die Bekleidungsbeihilfe nicht pauschaliert; die Behörde ist vielmehr verpflichtet, im Einzelfall festzustellen, ob ihnen Hilfe zum Lebensunterhalt, etwa in Form einer einmaligen Geldleistung zwecks Anschaffung von Kleidung, gebührt (vgl. VfGH 25.9.1987 B1211/86, S 6). Gegen eine solche Regelung besteht nicht das Bedenken, daß sie unsachlich ist.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat auch sonst gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Bemerkt sei, daß die Wendung "und seine mit ihm in Familiengemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen" im §9 Abs1 NÖ SHG (gleichartige Bestimmungen in anderen Landesgesetzen wurden mit hg. Erkenntnissen vom 15.3.1988 G158/87 und vom 2.3.1989 G219/88 aufgehoben) hier nicht präjudiziell ist.
In die Verfassungssphäre reichende Vollzugsfehler wurden nicht festgestellt.
Der Beschwerdeführer wurde mithin durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
Die Beschwerde war daher abzuweisen, jedoch antragsgemäß nach Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
SozialhilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B1547.1988Dokumentnummer
JFT_10109387_88B01547_00