TE Vwgh Erkenntnis 1992/1/21 91/11/0051

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Veröffentlicht am 21.01.1992
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Index

90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

KDV 1967 §30 Abs1 Z1;
KDV 1967 §30 Abs2;
KDV 1967 §31;
KFG 1967 §64 Abs2;
KFG 1967 §73 Abs1;
KFG 1967 §73 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der I D in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 11. Dezember 1990, Zl. 9/01-33.368/6-1990, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 11. Dezember 1990 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die ihr erteilte Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, F und G entzogen und zugleich gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, "daß für die Dauer Ihres amtsärztlich festgestellten Gebrechens keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, daß sie - im Sinne der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - an einer paranoiden Psychose leidet, bekämpft aber die Annahme der belangten Behörde, daß diese psychische Erkrankung gemäß den §§ 30 Abs. 1 Z. 1, 31 KDV 1967 eine Beeinträchtigung ihres Fahrverhaltens erwarten lasse. Daß dies der Fall sei, hat die belangte Behörde damit begründet, daß auf Grund des Befundes des Institutes für forensische Psychiatrie der Universität Salzburg vom 23. April 1990 angenommen werden müsse, "daß durch die Wahnideen eine kognitive Beeinträchtigung beim Lenken des Kraftfahrzeuges im Sinne der Unaufmerksamkeit gegeben ist". Im genannten Befund, der einen integrierenden Bestandteil des amtsärztlichen Gutachtens vom 5. Juli 1990 bildet und der vom amtsärztlichen Sachverständigen auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 1990 vollinhaltlich übernommen wurde, wird - auf Grund eines mit der Beschwerdeführerin geführten Untersuchungsgespräches und entgegen dem von ihr vorgelegten Privatgutachten des Univ.Prof. Dr. W, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 12. Jänner 1990, wonach die paranoiden Vorstellungen der Beschwerdeführerin "auf den häuslichen Bereich und einen Mitbewohner beschränkt" seien - davon ausgegangen, "daß sich ihr wahnhaftes Wirklichkeitserleben bei weitem nicht nur auf die Situation in ihrem Haus bezieht, sondern daß auch diverse Alltagssituationen bzw. Personen in das Wahnsystem miteinbezogen sind" und "dies vor allem auch den Straßenverkehr betrifft". In dem für die belangte Behörde entscheidenden Teil heißt es dann, "daß sich der Wahnkranke, so auch Frau D, ständig mit ihren Verfolgern beschäftigt, obwohl sie gleichzeitig noch fähig ist, im Alltagsleben ein normales Gespräch zu führen. Ist sie aber allein und dies ist sehr häufig der Fall, so wird sie völlig von den Wahngedanken beherrscht. Wenn sie nun beispielsweise allein große Strecken mit dem Auto fährt, dann ist es durchaus denkbar, daß ihre Wahnideen - auch ohne ein unmittelbares Verfolgungserlebnis im Straßenverkehr - verstärkt zum Tragen kommen. Allein dadurch ist aus nervenärztlicher Sicht eine kognitive Beeinträchtigung beim Lenken des Kraftfahrzeuges im Sinne der Unaufmerksamkeit gegeben."

    Daraus ergibt sich aber, daß die von der belangten Behörde

gezogene Schlußfolgerung, es lasse die psychische Erkrankung

der Beschwerdeführerin im Sinne des § 31 KDV 1967 eine

Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten, im amtsärztlichen

Gutachten keine hinreichende Deckung findet. Nach dem Inhalt

dieser Bestimmung ist eine Prognose dahingehend erforderlich,

daß eine derartige Beeinträchtigung voraussichtlich eintreten

wird, also demnach die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes einer

derartigen Beeinträchtigung gegeben ist, weshalb es hiefür

nicht genügt, daß eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens

nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. das Erkenntnis des

Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1989,

Zl. 88/11/0238). Durch die in der Ergänzung des amtsärztlichen

Gutachtens vom 20. November 1990 verwendeten Worte "daß

Wahnideen ... verstärkt zum Tragen kommen können" (was der im

neuropsychiatrischen Befund gebrauchten Formulierung "... ist

es durchaus denkbar, daß Wahnideen ... verstärkt zum Tragen

kommen" entspricht) wurde zum Ausdruck gebracht, daß es sich

hiebei bloß um eine (denkbare und daher nicht auszuschließende)

Möglichkeit handelt. Eine solche Möglichkeit, die sich dahin

auswirken kann, daß das Fahrverhalten wegen fehlender oder

zumindest eingeschränkter Fähigkeit zum sicheren Beherrschen

der Kraftfahrzeuge und zum Einhalten der für ihr Lenken

geltenden Vorschriften beeinträchtigt und damit eine Gefährdung

der Verkehrssicherheit verbunden ist (vgl. das Erkenntnis des

Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0087),

besteht generell, kann sie doch bei jedem Menschen aus den

verschiedensten Gründen (unabhängig von einer psychischen

Erkrankung, wie etwa auf Grund privater oder beruflicher

Sorgen) "im Sinne der Unaufmerksamkeit" zum Tragen kommen. Eine

begründete Feststellung darüber, daß - im Vergleich dazu - bei

der Beschwerdeführerin auf Grund ihrer psychischen Erkrankung

mit einer derartigen Beeinträchtigung gerechnet werden muß,

fehlt aber. Dabei käme es auch auf den zu erwartenden Grad der

Unaufmerksamkeit und im Zusammenhang damit darauf an, ob die

Beschwerdeführerin gemäß § 30 Abs. 2 KDV 1967 während der der

Feststellung der Erkrankung unmittelbar vorangehenden zwei

Jahre Kraftfahrzeuge (der in Betracht kommenden Gruppen)

tatsächlich gelenkt hat und die Annahme gerechtfertigt ist, daß

ein Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit

eingetreten ist. Auch damit hat sich die belangte Behörde nicht

auseinandergesetzt, wobei im übrigen in die gemäß § 31 zweiter

Satz KDV 1967 erforderliche Untersuchung durch einen

entsprechenden Facharzt weiters eine Prüfung der

kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten der

Beschwerdeführerin einzubeziehen gewesen wäre.

Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch näher auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem mit S 11.120,-- pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991110051.X00

Im RIS seit

12.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

16.11.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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