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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KDV 1967 §30 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Vesely, über die Beschwerde der I D in S, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 11. Dezember 1990, Zl. 9/01-33.368/6-1990, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug gemäß § 66 Abs. 4 AVG ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 11. Dezember 1990 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 die ihr erteilte Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen B, C, F und G entzogen und zugleich gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. ausgesprochen, "daß für die Dauer Ihres amtsärztlich festgestellten Gebrechens keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, daß sie - im Sinne der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens - an einer paranoiden Psychose leidet, bekämpft aber die Annahme der belangten Behörde, daß diese psychische Erkrankung gemäß den §§ 30 Abs. 1 Z. 1, 31 KDV 1967 eine Beeinträchtigung ihres Fahrverhaltens erwarten lasse. Daß dies der Fall sei, hat die belangte Behörde damit begründet, daß auf Grund des Befundes des Institutes für forensische Psychiatrie der Universität Salzburg vom 23. April 1990 angenommen werden müsse, "daß durch die Wahnideen eine kognitive Beeinträchtigung beim Lenken des Kraftfahrzeuges im Sinne der Unaufmerksamkeit gegeben ist". Im genannten Befund, der einen integrierenden Bestandteil des amtsärztlichen Gutachtens vom 5. Juli 1990 bildet und der vom amtsärztlichen Sachverständigen auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. November 1990 vollinhaltlich übernommen wurde, wird - auf Grund eines mit der Beschwerdeführerin geführten Untersuchungsgespräches und entgegen dem von ihr vorgelegten Privatgutachten des Univ.Prof. Dr. W, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 12. Jänner 1990, wonach die paranoiden Vorstellungen der Beschwerdeführerin "auf den häuslichen Bereich und einen Mitbewohner beschränkt" seien - davon ausgegangen, "daß sich ihr wahnhaftes Wirklichkeitserleben bei weitem nicht nur auf die Situation in ihrem Haus bezieht, sondern daß auch diverse Alltagssituationen bzw. Personen in das Wahnsystem miteinbezogen sind" und "dies vor allem auch den Straßenverkehr betrifft". In dem für die belangte Behörde entscheidenden Teil heißt es dann, "daß sich der Wahnkranke, so auch Frau D, ständig mit ihren Verfolgern beschäftigt, obwohl sie gleichzeitig noch fähig ist, im Alltagsleben ein normales Gespräch zu führen. Ist sie aber allein und dies ist sehr häufig der Fall, so wird sie völlig von den Wahngedanken beherrscht. Wenn sie nun beispielsweise allein große Strecken mit dem Auto fährt, dann ist es durchaus denkbar, daß ihre Wahnideen - auch ohne ein unmittelbares Verfolgungserlebnis im Straßenverkehr - verstärkt zum Tragen kommen. Allein dadurch ist aus nervenärztlicher Sicht eine kognitive Beeinträchtigung beim Lenken des Kraftfahrzeuges im Sinne der Unaufmerksamkeit gegeben."
Daraus ergibt sich aber, daß die von der belangten Behörde
gezogene Schlußfolgerung, es lasse die psychische Erkrankung
der Beschwerdeführerin im Sinne des § 31 KDV 1967 eine
Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten, im amtsärztlichen
Gutachten keine hinreichende Deckung findet. Nach dem Inhalt
dieser Bestimmung ist eine Prognose dahingehend erforderlich,
daß eine derartige Beeinträchtigung voraussichtlich eintreten
wird, also demnach die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes einer
derartigen Beeinträchtigung gegeben ist, weshalb es hiefür
nicht genügt, daß eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens
nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. das Erkenntnis des
Verwaltungsgerichtshofes vom 21. November 1989,
Zl. 88/11/0238). Durch die in der Ergänzung des amtsärztlichen
Gutachtens vom 20. November 1990 verwendeten Worte "daß
Wahnideen ... verstärkt zum Tragen kommen können" (was der im
neuropsychiatrischen Befund gebrauchten Formulierung "... ist
es durchaus denkbar, daß Wahnideen ... verstärkt zum Tragen
kommen" entspricht) wurde zum Ausdruck gebracht, daß es sich
hiebei bloß um eine (denkbare und daher nicht auszuschließende)
Möglichkeit handelt. Eine solche Möglichkeit, die sich dahin
auswirken kann, daß das Fahrverhalten wegen fehlender oder
zumindest eingeschränkter Fähigkeit zum sicheren Beherrschen
der Kraftfahrzeuge und zum Einhalten der für ihr Lenken
geltenden Vorschriften beeinträchtigt und damit eine Gefährdung
der Verkehrssicherheit verbunden ist (vgl. das Erkenntnis des
Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0087),
besteht generell, kann sie doch bei jedem Menschen aus den
verschiedensten Gründen (unabhängig von einer psychischen
Erkrankung, wie etwa auf Grund privater oder beruflicher
Sorgen) "im Sinne der Unaufmerksamkeit" zum Tragen kommen. Eine
begründete Feststellung darüber, daß - im Vergleich dazu - bei
der Beschwerdeführerin auf Grund ihrer psychischen Erkrankung
mit einer derartigen Beeinträchtigung gerechnet werden muß,
fehlt aber. Dabei käme es auch auf den zu erwartenden Grad der
Unaufmerksamkeit und im Zusammenhang damit darauf an, ob die
Beschwerdeführerin gemäß § 30 Abs. 2 KDV 1967 während der der
Feststellung der Erkrankung unmittelbar vorangehenden zwei
Jahre Kraftfahrzeuge (der in Betracht kommenden Gruppen)
tatsächlich gelenkt hat und die Annahme gerechtfertigt ist, daß
ein Ausgleich des bestehenden Mangels durch erlangte Geübtheit
eingetreten ist. Auch damit hat sich die belangte Behörde nicht
auseinandergesetzt, wobei im übrigen in die gemäß § 31 zweiter
Satz KDV 1967 erforderliche Untersuchung durch einen
entsprechenden Facharzt weiters eine Prüfung der
kraftfahrspezifischen Leistungsfähigkeiten der
Beschwerdeführerin einzubeziehen gewesen wäre.
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, ohne daß noch näher auf das Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil in dem mit S 11.120,-- pauschalierten Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991110051.X00Im RIS seit
12.06.2001Zuletzt aktualisiert am
16.11.2010