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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §58 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 26. März 1990, GZ GA 5 - 2079/88, betreffend Lohnsteuer im Wege des Jahresausgleiches für 1986, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin erhob als Erbin nach Friedrich Sch. gegen einen Bescheid über die Nachforderung von Lohnsteuer im Wege des Jahresausgleiches für 1986 das Rechtsmittel der Berufung. Im Berufungsverfahren wurde eine Bestätigung vorgelegt, wonach für Friedrich Sch. im Jahre 1986 für die Zeit vom 25. April bis 17. November 1986 (207 Tage) Pflegeentgelte im Betrag von S 76.850,-- bezahlt worden seien.
Das Finanzamt erließ hierauf eine Berufungsvorentscheidung und berücksichtigte bei der Ermittlung der Lohnsteuerbemessungsgrundlage unter anderem eine außergewöhnliche Belastung im Betrag von S 21.401,--.
Nach einem Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz erließ die belangte Behörde den in Beschwerde gezogenen Bescheid, mit dem die Lohnsteuernachforderung in gleicher Höhe wie in der Berufungsvorentscheidung festgesetzt wurde. In der Begründung wurde darauf hingewiesen, daß die Pflegegebühren als Aufwendungen, die durch die Körperbehinderung des Arbeitnehmers entstanden seien, anzuerkennen waren. Von den Pflegegebühren seien der Hilflosenzuschuß und eine Haushaltsersparnis für die Verpflegungskosten in Abzug zu bringen. Die Höhe der vom Finanzamt mit S 100,-- pro Tag angesetzten Haushaltsersparnis erscheine auf Grund des Einkommens als angemessen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Soweit die Beschwerdeführerin zunächst unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides rügt, die belangte Behörde habe nicht erkennen lassen, welche Fassung des Einkommensteuergesetzes 1972 sie angewendet habe, so ist dieser Vorwurf schon deswegen unbegründet, weil aus dem gesamten Inhalt des angefochtenen Bescheides ersichtlich ist, daß die belangte Behörde die für das Streitjahr maßgebende Fassung des Einkommensteuergesetzes 1972 angewendet hat. Im übrigen wäre eine diesbezügliche Begründungslücke - und zwar unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - nur dann wesentlich, wenn sie zur Folge hätte, daß der Beschwerdeführer über die von der Behörde getroffenen Erwägungen nicht ausreichend unterrichtet und die Überprüfung des angefochtenen Bescheides auf die Rechtmäßigkeit seines Inhaltes gehindert wird (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 601, und die dort zitierte Rechtsprechung). Dies trifft aber im Beschwerdefall nicht zu.
Die Beschwerdeführerin wendet sich inhaltlich gegen die Verminderung der grundsätzlich als außergewöhnliche Belastung anerkannten Aufwendungen für die Pflege des Steuerpflichtigen in einer Krankenanstalt um eine - von der Behörde im Schätzungswege ermittelte - sogenannte Haushaltsersparnis in Höhe von S 100,-- pro Tag. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde bei der Festsetzung einer derartigen Haushaltsersparnis nicht ein ihr eingeräumtes freies Ermessen (vgl. Art. 130 Abs. 2 B-VG) ausgeübt; vielmehr betrifft die genannte Frage die auf einer ganz anderen Verfahrensstufe liegende Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts, sodaß davon, daß die belangte Behörde eine Ermessensentscheidung getroffen hat, keine Rede sein kann.
In diesem Bereich der Ermittlung des Sachverhalts ist aber den Parteien gemäß § 115 Abs. 2 BAO Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Das in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Recht auf Parteiengehör besteht unter anderem darin, daß dem Abgabepflichtigen Gelegenheit gegeben wird, sich zu Sachverhaltsannahmen der Behörde zu äußern. Dies gilt auch bei Schätzungen (vgl. Stoll, BAO-Handbuch, S. 272 und die dort zitierte Rechtsprechung).
Die im Beschwerdefall von der Abgabenbehörde erster Instanz erlassene Berufungsvorentscheidung (mit der - ohne daß dies für die Beschwerdeführerin erkennbar zum Ausdruck gekommen wäre - erstmals im Abgabenverfahren eine "Haushaltsersparnis" geschätzt wurde) enthielt entgegen den Bestimmungen des § 93 Abs. 3 lit. a BAO keine Begründung. Dadurch, daß die belangte Behörde die als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen in gleicher Weise wie die Abgabenbehörde erster Instanz ermittelte, ohne der Beschwerdeführerin Gelegenheit zu geben, zur Frage der Haushaltsersparnis dem Grund und der Höhe nach Stellung zu nehmen, hat sie den Grundsatz des Parteiengehörs verletzt. Die belangte Behörde hat damit den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Ermessen Spruch und BegründungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990130120.X00Im RIS seit
22.01.1992