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L10018 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht Gemeindehaushalt Vorarlberg;Norm
BauRallg;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Würth, Dr. Giendl, Dr. Müller und Dr. Kratschmer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Unterer, über die Beschwerde der N-GmbH & Co KG in X, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in F, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom 30. September 1991, Zl. II-121/91, betreffend Zurückweisung einer Vorstellung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde X, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Vorarlberg hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von S 11.690,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 24. Jänner 1990 wurde der Beschwerdeführerin betreffend die Errichtung eines Flugdaches am Haus S-Straße 7 auf
GstNr. 784/1, KG X, die beantragte Ausnahmegenehmigung vom gesetzlichen Bauabstand gemäß § 6 Baugesetz, LGBl. Nr. 39/1972 idgF nicht erteilt, ferner gemäß § 31 Abs. 5 und § 41 Baugesetz die Baubewilligung für das Flugdach versagt und die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes binnen einer Frist von drei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides verfügt.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit dem aufgrund des Beschlusses der Berufungskommission der mitbeteiligten Gemeinde vom 16. Juli 1991 vom Vizebürgermeister ausgefertigten Berufungsbescheid vom 17. Juli 1991 wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben. Der Berufungsbescheid wurde (zusammengefaßt) damit begründet, daß das von der Beschwerdeführerin ohne Baubewilligung und in einem zu geringen Seitenabstand zur Grundgrenze errichtete Flugdach angesichts der (im Bescheid näher beschriebenen) Gestaltung des Grundstückes auch unter Einhaltung der Mindestabstandsfläche von 2 m in einer zweckmäßigen und ausreichenden Tiefe von 5 m errichtet werden könne, weshalb die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung im Sinne des § 6 Abs. 9 Baugesetz nicht vorlägen. Ein Bebauungsplan, mit dem andere als im § 6 Baugesetz vorgeschriebene Abstandsflächen bzw. Abstände festgelegt wären, sei nicht vorhanden. Auf die Frage, ob eine zivilrechtliche Verpflichtung der Nachbarn, dieser Bauführung zuzustimmen, vorliege, sei nicht einzugehen, da die Prüfung, ob ein bestimmtes Bauvorhaben nach öffentlich-rechtlichen Bestimmungen zulässig sei, von einer zivilrechtlichen Zustimmung zu trennen sei.
Dieser Bescheid wurde nach einem erfolglosen Zustellversuch am 22. Juli 1991 beim Postamt 6890 hinterlegt (als Beginn der Abholfrist wurde der 22. Juli 1991 angegeben). In einem am 13. August 1991 im Gemeindeamt der mitbeteiligten Partei eingelangten Schreiben der Beschwerdeführerin vom gleichen Tag heißt es:
"Wir beziehen uns auf Ihren Bescheid ... vom 17.7.1991 und erlauben uns hiemit, Berufung einzulegen. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung, aber wir haben ihn erst in unserem Betriebsurlaub (19.7.1991 bis 12.8.1991) erhalten. Daher ist uns erst jetzt möglich, auf Ihr Schreiben zu reagieren."
In einem (nach einem darauf befindlichen Vermerk) am 19. August 1991 im Gemeindeamt der mitbeteiligten Partei eingelangten Schreiben der Beschwerdeführerin vom 16. August 1991 wurde ferner folgendes vorgebracht:
"Betreff: Ihr Bescheid vom 17.7.1991 ... Errichtung eines Flugdaches
Sehr geehrter Herr Vizebürgermeister ...Ü
Wir beziehen uns auf Ihren Bescheid vom 17.7.1991 bezüglich der Errichtung eines Flugdaches und erlauben uns hiermit, Ihnen mitzuteilen, daß wir uns mit dieser Entscheidung nicht zufriedengeben können, da uns eine mündliche Zusage vor Baubeginn durch unsere Nachbarn gemacht wurde. Richtig ist, daß das Flugdach laut Besprechung 25 cm kürzer und 30 cm niedriger ausfallen sollte. Wie aber bereits schon mehrmals erwähnt, wurden diese Maße aus bautechnischen Gründen überschritten, da ein gewisses Dachgefälle erreicht werden mußte.
Außerdem erlauben wir uns nochmals darauf hinzuweisen, daß uns ein Dach, wie von Ihrem Herrn Ingenieur vorgeschlagen, von keinem Nutzen ist, da es sich bei uns nicht um permanente Lagerhaltung handelt. Unsere Ware wird nur kurzfristig deponiert, um dann sofort wieder bereit für die Auslieferung zu sein.
Wir möchten auch noch darauf hinweisen, daß wir uns gerne bereit erklärt haben, das Dach komplett zu begrünen, was bereits durch unsere Hecke geschehen ist, die für unsere Nachbarn eine schöne Aussicht gewährleistet. Darum sind für uns die unlogischen Gründe der Bewohner von W total unverständlich, da, wie schon oben erwähnt, das mündliche Einverständnis für diese bauliche Maßnahme uns bereits erteilt wurde. Dieses bereits fertiggestellte Flugdach ist für uns existenznotwendig, da wir gezwungen wären, unseren Betrieb einzustellen, falls wir das oben erwähnte Objekt abbrechen müßten.
Die einzige Möglichkeit ist dann, daß die Gemeinde unser Haus übernimmt und als Kulturzentrum benützt und wir in das Industriegebiet übersiedeln.
Und dies alles wegen eines KLEINEN BANALEN FLUGDACHESÜ
Wir würden Sie recht herzlich bitten, die ganze Angelegenheit nochmals zu überprüfen und hoffen auf einen positiven Bescheid."
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30. September 1991 wurde dieses als Vorstellung gewertete Schreiben der Beschwerdeführerin als unzulässig zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin verkenne mit ihrem Vorbringen "den Zweck und die Möglichkeiten der Vorstellung als aufsichtsbehördliches Verfahren". Die Vollziehung des Baurechtes als Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde erfolge durch die Gemeindeorgane in eigener Verantwortung frei von Weisungen und unter Ausschluß eines ordentlichen Rechtsmittelzuges an Verwaltungsorgane außerhalb der Gemeinde. Bescheide von Gemeindeorganen könnten somit nach Erschöpfung des innergemeindlichen Instanzenzuges von der Aufsichtsbehörde nicht abgeändert, sondern lediglich aufgehoben werden, falls die aufsichtsbehördliche Prüfung des Vorstellungsvorbringens ergebe, daß durch den angefochtenen Bescheid Rechte des Einschreiters verletzt worden seien. Das Vorstellungsvorbringen sei nicht geeignet, in irgendeiner nachvollziehbaren Weise die Verletzung eines Rechtes durch den angefochtenen Bescheid aufzuzeigen. Mangels jeglicher Behauptung im Sinne des § 83 Abs. 1 des Gemeindegesetzes, durch den angefochtenen Bescheid eines Gemeindeorganes in seinen Rechtenen verletzt zu sein, sowie mangels einer jeglichen Begründung dahingehend, in welcher Richtung der bekämpfte Bescheid aufsichtsbehördlich überprüft werden solle, erweise sich somit die eingebrachte Vorstellung als unzulässig.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Sache nach Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht wird.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 83 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Organisation der Gemeindeverwaltung (Gemeindegesetz - GG.), Vorarlberger LGBl. Nr. 40/1985, lautet:
"§ 83
Vorstellung
(1) Wer durch den Bescheid eines Gemeindeorganes in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen dagegen Vorstellung an die Aufsichtsbehörde erheben. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Falle bloß mündlicher Verkündigung mit dieser. Jeder Bescheid eines Gemeindeorganes, gegen den eine Vorstellung zulässig ist, hat eine Vorstellungsbelehrung zu enthalten.
(2) Die Vorstellung ist schriftlich oder telegrafisch beim Gemeindeamt oder bei der Aufsichtsbehörde einzubringen. Sie hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Antrag zu enthalten. Wird die Vorstellung beim Gemeindeamt eingebracht, so ist sie unnötigen Aufschub, spätestens jedoch einen Monat nach ihrem Einlangen, unter Anschluß der Verwaltungsakten der Aufsichtsbehörde mit einer Gegenäußerung vorzulegen."
Aus dem genannten Regelungszusammenhang ist zunächst abzuleiten, daß durch die Wendung des ersten Satzes des § 83 Abs. 1 GG ("wer durch den Bescheid ... in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet") keine ZUSÄTZLICHE Anforderung an den INHALT der Vorstellung gestellt, sondern lediglich verdeutlicht werden soll, daß die Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte der Partei durch den bekämpften Berufungsbescheid Grundvoraussetzung für die Berechtigung zur Erhebung einer Vorstellung ist. Rückschlüsse auf den Mindestinhalt der Vorstellungsschrift selbst lassen sich aus dieser Bestimmung nicht entnehmen, wie die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift offenbar selbst erkennt.
Zutreffend weist die belangte Behörde darauf hin, daß dem Erfordernis des § 83 Abs. 2 Satz 2 GG ("begründeter Antrag") nur dann entsprochen ist, wenn dem Vorstellungsschriftsatz zumindestens entnommen werden kann, welchen Erfolg der Einschreiter anstrebt und womit er seinen Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. die auch hier anzuwendende, zur - im wesentlichen - gleichlautenden Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG ergangene Rechtsprechung bei HAUER-LEUKAUF, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 491 f). Ob die im Vorstellungsschriftsatz angegebenen Gründe auch stichhaltig sind, ist in formeller Hinsicht ohne Bedeutung (vgl. die bei HAUER-LEUKAUF, aaO, unter Nr. 4 zitierten, aber auch die zur Salzburger Gemeindeordnung ergangenen Erkenntnisse vom 15. Oktober 1987, Zl. 86/06/0276, BauSlg. Nr. 981, und Zl. 86/06/0278, BauSlg. Nr. 982). Wendet man dies Grundsätze auf die - oben wiedergegebene - Vorstellung der Beschwerdeführerin an, so zeigt sich, daß - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - die Beschwerdeführerin nicht nur "eine Kritik an den Nachbarn" übt, sondern offenkundig die Auffassung vertritt, daß die nach ihren Behauptungen vor Baubeginn erteilte mündliche Zusage der Nachbarn sowie der weitere Umstand, daß das Flugdach aus bautechnischen und wirtschaftlichen Gründen in jener Form, in der es errichtet wurde, erforderlich sei, eine ihr günstigere Erledigung ihres Ansuchens zur Folge haben müßte. Ob diese Auffassung der Beschwerdeführerin stichhaltig ist oder nicht, ist - wie aus der zuletzt zitierten Rechtsprechung hervorgeht - für die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Bedeutung, sondern lediglich für die Frage seiner sachlichen Berechtigung. Der als "Bitte" formulierte Antrag, "die ganze Angelegenheit nochmals zu überprüfen" würde - legt man die Grundsätze des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Oktober 1987, Zl. 86/06/0278, BauSlg. Nr. 982, zugrunde - schon für sich allein genommen als Vorstellungsantrag ausreichen. Im Zusammenhang mit der weiteren Wendung "(wir) hoffen auf einen positiven Bescheid" kann aber das angestrebte Verfahrensziel der Beschwerdeführerin (nämlich eine positive Erledigung im Sinne ihres bei der Gemeinde gestellten Antrages) nicht zweifelhaft sein. Ob dieses Ziel - wie die Beschwerdeführer möglicherweise fälschlich vermuten - durch eine (der Aufsichtsbehörde verwehrte) Abänderung des Berufungsbescheides oder nur durch dessen Aufhebung unter gleichzeitiger Überbindung einer der Beschwerdeführerin günstigen Rechtsauffassung bewirkt werden kann, muß von einem (noch dazu unvertretenen) Vorstellungswerber in seinem Rechtsmittel nicht zum Ausdruck gebracht werden.
Es ist daher aus der Vorstellung der Beschwerdeführerin durchaus erkennbar, worin sie die Unrichtigkeit des bekämpften Bescheides erblickt und welches Verfahrensziel sie anstrebt, weshalb die belangte Behörde die Vorstellung der Beschwerdeführerin meritorisch hätte behandeln müssen.
Letzteres jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Vorstellung rechtzeitig erhoben wurde. Gemäß § 13 Abs. 3 Zustellgesetz war im vorliegenden Fall (da die Beschwerdeführerin keine natürliche Person ist) der Berufungsbescheid einem zur Empfangnahme befugten Vertreter zuzustellen. Gemäß § 17 Abs. 1 Zustellgesetz ist das Schriftstück zu hinterlegen, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann, der Zusteller jedoch Grund zur Annahme hat, daß sich (fallbezogen) ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.
Nähme man im Sinne der vorstehenden Bestimmungen an, daß die Hinterlegung des Berufungsbescheides am 22. Juli 1991 rechtswirksam gewesen ist, so wäre die Vorstellungsfrist des § 83 Abs. 1 GG am 5. August 1991 abgelaufen und die in zwei Schriftsätzen am 13. und 16. August 1991 erhobene Vorstellung verspätet. Nun hat die Beschwerdeführerin in ihrer Vorstellung allerdings vorgebracht, die Sendung erst "in unserem Betriebsurlaub (19.7.1991 bis 12.8.1991) "erhalten zu haben. Dieses Vorbringen könnte darauf hindeuten, daß sich im Zeitpunkt der Hinterlegung ein Vertreter der Beschwerdeführerin im Sinne des § 13 Abs. 3 Zustellgesetz nicht nur vorübergehend NICHT AN DER ABGABESTELLE AUFGEHALTEN hat, sodaß die Hinterlegung wegen Ortsabwesenheit des Empfängers nicht hätte erfolgen dürfen; die Zustellung wäre jedoch gemäß § 17 Abs. 3 dritter Satz Zustellgesetz an dem der Rückkehr des Vertreters an die Abgabestelle folgenden Tag INNERHALB DER ABHOLFRIST wirksam geworden, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden konnte. Sollte der Vertreter der Beschwerdeführerin erst nach dem im § 17 Abs. 3 dritter Satz ZustellG bezeichneten Zeitpunkt an die Abgabestelle zurückgekehrt sein, so wäre hingegen die Zustellung erst mit dem tatsächlichen Zugang des Schriftstückes gemäß § 7 Zustellgesetz geheilt. Für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Vorstellung der Beschwerdeführerin ist es daher unerläßlich festzustellen, ob und bejahendenfalls bis wann der (oder die) im Sinne des § 10 Abs. 3 ZustellG in Betracht kommenden Vertreter der Beschwerdeführerin ortsabwesend waren und mit welchem Tag die Zustellung jedenfalls als bewirkt anzusehen ist. Nur in diesem Fall würde der Tag des tatsächlichen Zuganges den Lauf der Vorstellungsfrist ausgelöst haben.
Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren zunächst von Amts wegen die für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Vorstellung der Beschwerdeführerin maßgebenden Umstände zu ermitteln haben.
Der angefochtene Bescheid war aus den zuvor angegebenen Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren auf Ersatz von 20 % Umsatzsteuer aus dem in der genannten Verordnung festgelegten Betrag von S 11.120,-- mußte abgewiesen werden, da in den durch diese Verordnung festgelegten Pauschalbeträgen Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Schlagworte
Zulässigkeit der Vorstellung Parteistellung und Rechtsansprüche der Parteien (außer der Gemeinde) im VorstellungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991060212.X00Im RIS seit
11.07.2001