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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl und Dr. Fürnsinn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Weich, über die Beschwerde des A in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Schiedskommision beim Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 9. Juli 1991, Zl. OB. 117-290373-004, betreffend Beschädigtenrente nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- zu ersetzen.
Begründung
Zur Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles kann zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bekannten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Juni 1988, Zl. 87/09/0265, und vom 18. Oktober 1989, Zl. 89/09/0068, verwiesen werden. Mit dem zuletzt genannten Erkenntnis wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 6. April 1989 als unbegründet abgewiesen, mit welchem die dem Beschwerdeführer zustehende Beschädigtenrente gemäß den §§ 7 und 8 KOVG 1957 entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 % bemessen worden war. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, daß über die Anerkennung weiterer, vom Beschwerdeführer erstmals im Berufungsverfahren behaupteter Dienstbeschädigungen (Herz-, Kreislauf- und Atembeschwerden sowie Schädigung des Nervensystems) in einem fortzusetzenden Verfahren vorerst gemäß § 78 KOVG 1957 vom Landesinvalidenamt (LIA) in erster Instanz zu entscheiden sein werde.
In diesem fortgesetzten Verfahren holte das LIA ein weiteres ärztliches Gutachten des Sachverständigen Dr. H sowie ein ergänzendes berufskundliches Gutachten ein. Unter Bezugnahme auf diese Ermittlungsergebnisse erließ das LIA seinen Bescheid vom 26. November 1990, mit welchem
1. die vom Beschwerdeführer geltend gemachten "Herz- und Kreislaufbeschwerden, Atembeschwerden, Nervenschädigung" nicht als Dienstbeschädigungen gemäß § 4 KOVG 1957 anerkannt wurden;
2. die anerkannten Dienstbeschädigungen neu bezeichnet wurden und
3. die dem Beschwerdeführer gewährte Grundrente unter Zugrundelegung einer MdE von 40 % ab 1. Oktober 1989 erhöht wurde.
Zu Punkt 1. führte das LIA begründend aus, die Herz-, Kreislauf- und Atembeschwerden seien als glaubhafte Folgen der akausalen Hypertonie anzusehen, stünden jedoch in keinem Zusammenhang mit der Dienstbeschädigung. Bei der im Antrag geltend gemachten Nervenschädigung handle es sich um eine alters- und anlagebedingte und daher rein akausale neurotische Depression.
Auf Grund der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung, in der die Verneinung der Kausalität bekämpft wurde, holte die belangte Behörde weitere Gutachten des chirurgischen Sachverständigen Dr. K, des nervenärztlichen Sachverständigen Dr. F und der internistischen Sachverständigen Dr. S ein und gewährte dazu dem Beschwerdeführer das Parteiengehör. Der Beschwerdeführer widersprach in seiner Äußerung vom 3. Juni 1991 neuerlich dem Verfahrensergebnis, wonach die von ihm behauptete Kausalität nicht vorliege, und verwies u.a. auch auf seine Einschätzung im Zuge eines Behinderteneinstellungsverfahrens.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 9. Juli 1991 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. Die anerkannten Dienstbeschädigungen wurden wie folgt beschrieben:
"1. Ausgedehntere flächenhafte Narben nach Verbrennungen an beiden Beinen;
2. Varizen beiderseits mit beginnender chronisch venöser Insuffizienz rechts."
Begründend faßte die belangte Behörde die eingeholten Gutachten zusammen. Chirurgisch habe sich gegenüber dem Vergleichsgutachten insofern eine Änderung ergeben, als die Krampfadern an Ausdehnung zugenommen hätten, sodaß sie nunmehr gesondert bewertet würden. Nervenärztlich sei davon auszugehen, daß der Beschwerdeführer seine Verbrennungen im Alter von fünf Jahren erlitten habe. Über seine Beschwerden lägen keine Unterlagen vor; nach seinen eigenen Angaben stehe er erst seit einem Jahr in nervenfachärztlicher Behandlung. Ein einmaliges Erlebnis wie das des Beschwerdeführers sei nicht in der Lage, im späteren Leben eine psychogene Beeinträchtigung hervorzurufen; dazu seien langdauernde, meist lebensbedrohende Erlebnisse erforderlich wie z.B. Aufenthalte in Konzentrationslagern. Ferner bestünde zwischen dem Ereignis und den erstmalig in der Lehrzeit des Beschwerdeführers aufgetretenen Beschwerden ein jahrelanges Intervall. Objektive Unterlagen über diese Beschwerden gebe es nicht. Ein psychologischer Test habe beim Beschwerdeführer eine Zykloidie, d. h. eine (angeborene) Neigung zu Stimmungsschwankungen (meist in Form einer depressiven Symptomatik) ergeben. Vom behandelnden Nervenarzt sei die Diagnose einer larvierten endogenen Depression gestellt worden, d.h. einer anlagebedingten Depression, die sich hinter diversen körperlichen Beschwerden verberge. In Richtung einer Neurose fänden sich nur ganz geringe Hinweise. Zusammenfassend könne daher gesagt werden, daß zwischen dem Ereignis und der behaupteten psychischen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers kein kausaler Zusammenhang bestehe. Internerseits hätten beim Beschwerdeführer dienstbeschädigungsbedingte Herz-, Kreislauf- und Atembeschwerden sowie Nervenschädigungen nicht eruiert werden können. An akausalen Leiden lägen "hyperergisch hypertones Herzsyndrom, Fettleber und neurasthenisches Syndrom" vor.
Ausgehend von den demnach wie oben festzustellenden Dienstbeschädigungen und ihrer Richtsatzeinschätzung unter Anwendung des § 3 der Richtsatzverordnung, BGBl. Nr. 150/1965, ergebe sich daher beim Beschwerdeführer eine Einschätzung der Gesamt-MdE aus medizinischer Sicht mit 30 %. Die Gutachten seien als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt worden. Gegen die im Verfahren vor dem LIA erhobene berufskundliche Beurteilung seien keine Einwendungen erhoben worden; die MdE nach § 8 KOVG 1957 sei daher mit 40 % festgestellt worden. Infolge der Änderung gegenüber dem Vergleichsbefund sei die Voraussetzung für eine Neubemessung der Grundrente des Beschwerdeführers gemäß § 52 KOVG 1957 gegeben.
Auf Grund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse in medizinischer Sicht sei die belangte Behörde jedoch in freier Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt, daß die "Herz- und Kreislaufbeschwerden, Atembeschwerden, Nervenschädigung" keine Dienstbeschädigungen darstellen. Die vom Beschwerdeführer dazu vorgebrachten Einwendungen seien nicht geeignet gewesen, die Beweiskraft der ärztlichen Sachverständigengutachten zu mindern, weil es sich um Behauptungen handle, welche die auf ärztliches Fachwissen gegründeten Gutachten nicht zu entkräften vermöchten. Infolge der Übereinstimmung der in beiden Instanzen eingeholten Gutachten habe auch keine Veranlassung bestanden, ein weiteres Gutachten einzuholen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf richtige Feststellung seiner MdE sowie auf Anleitung durch die Behörde gemäß § 13 a AVG verletzt. Die belangte Behörde habe insbesondere ihre Bindung an einen rechtskräftigen Bescheid mißachtet, mit welchem die MdE des Beschwerdeführers gemäß den Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes mit 60 % eingeschätzt worden sei.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 1 KOVG 1957 ist eine Gesundheitsschädigung als Dienstbeschädigung anzuerkennen, wenn und insoweit die festgestellte Gesundheitsschädigung zumindest mit Wahrscheinlichkeit auf das schädigende Ereignis oder die der Dienstleistung eigentümlichen Verhältnisse ursächlich zurückzuführen ist.
Nach § 52 Abs. 2 KOVG 1957 ist die Rente neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe der Leistung maßgebende Veränderung eintritt.
Die rechtliche Beurteilung des ursächlichen Zusammenhanges im Sinne des § 4 Abs. 1 KOVG 1957 setzt voraus, daß der Kausalzusammenhang im medizinisch-naturwissenschaftlichen Sinn in dem durch § 90 KOVG 1957 geregelten Verfahren geklärt wird, und allenfalls strittige Tatsachen im Zusammenhang mit der Wehrdienstleistung bzw. dem schädigenden Ereignis und der Krankheitsgeschichte von der Behörde ermittelt und festgestellt werden.
Im Beschwerdefall hat dieses Ermittlungsverfahren in der strittigen Frage der Anerkennung weiterer vom Beschwerdeführer geltend gemachter Dienstbeschädigungen nach den in beiden Instanzen eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten übereinstimmend zu dem Ergebnis geführt, daß ein ursächlicher Zusammenhang der Herz-, Kreislauf- und Atembeschwerden sowie der behaupteten Nervenschädigung des Beschwerdeführers mit dem von ihm als Kind miterlebten Bombenangriff nicht hergestellt werden kann. In gleicher Weise haben die eingeholten Gutachten übereinstimmend zu dem Ergebnis geführt, daß die Gesamt-MdE des Beschwerdeführers aus medizinischer Sicht mit 30 %, unter Bedachtnahme auf § 8 KOVG 1957 mit 40 % einzuschätzen ist. Der Beschwerdeführer ist diesen Ermittlungsergebnissen nur mit seinen eigenen, medizinisch nicht fundierten Behauptungen, nicht aber auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Der Verwaltungsgerichtshof sieht auch auf Grund des Beschwerdevorbringens keinen Anlaß zu Bedenken dagegen, daß die belangte Behörde im Wege freier Beweiswürdigung zu den dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Feststellungen gelangt ist.
Der Beschwerdeführer verkennt die Rechtslage, wenn er meint, die Kriegsopferversorgungsbehörden wären an eine rechtskräftige Einschätzung der MdE des Beschwerdeführers nach dem Behinderteneinstellungsgesetz gebunden. Eine derartige Bindung ist schon deshalb nicht gegeben, weil es für die Einschätzung der MdE nach dem KOVG 1957 nicht auf den Gesamtleidenszustand des Beschwerdeführers ankommt, sondern dafür nur jene Gesundheitsschädigungen heranzuziehen sind, die nachweislich ursächlich auf ein schädigendes Ereignis im Sinne des KOVG 1957 zurückgehen. Die belangte Behörde hat nicht das Vorliegen einer Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers im Sinne der von ihm zusätzlich geltend gemachten Leiden verneint, sondern nur den Nachweis eines ursächlichen Zusammenhanges dieser Leiden mit dem Ereignis (Bombenangriff) als nicht erbracht angesehen.
Es geht daher auch der Vorwurf des Beschwerdeführers ins Leere, die belangte Behörde hätte ihn im Rahmen der Manuduktionspflicht darauf hinweisen müssen, die Ergebnisse des anderen Verfahrens zum Gegenstand des Verfahrens nach dem KOVG 1957 zu machen, ganz abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer nicht daran gehindert war, von sich aus auf die Einschätzung seiner MdE nach dem Behinderteneinstellungsgesetz aufmerksam zu machen.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher weder das durchgeführte Verfahren als mangelhaft noch die Begründung des angefochtenen Bescheides als verfehlt zu erkennen.
Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG iVm Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Begründungspflicht Manuduktionspflicht Mitwirkungspflicht Gutachten Parteiengehör Parteieneinwendungen Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Ursächlicher Zusammenhang und Wahrscheinlichkeit Allgemein Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991090154.X00Im RIS seit
27.03.2001