TE Vwgh Erkenntnis 1992/2/20 90/19/0478

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 20.02.1992
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §56;
B-VG Art130 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs1;
PaßG 1969 §25 Abs2;
PaßG 1969 §25 Abs3 litd;
PaßG 1969 §25 Abs3 lite;
PaßG 1969 §25 Abs3;
PaßG 1969 §26 Abs2;
StGB §165;
VwGG §42 Abs2;
VwGG §63 Abs1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der G in W, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 1. August 1990, Zl. I-546.273/FrB/90, betreffend Versagung eines Sichtvermerkes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.630,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren an Stempelgebührenersatz wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 1. August 1990 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer polnischen Staatsangehörigen, vom 19. April 1990 auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 25 Abs. 1 und 3 lit. d und e Paßgesetz 1969 abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin habe die von ihr bereits im Jahre 1989 geäußerte Absicht, ihren Lebensgefährten zu ehelichen, nicht verwirklicht. Sie sei nach wie vor mit einem im Ausland lebenden Mann verheiratet, mit dem sie ein Kind habe, das ebenfalls im Ausland lebe. Die Beschwerdeführerin sei vom Bezirksgericht Hernals im April 1990 rechtskräftig wegen des Vergehens nach § 165 StGB zu einer Geldstrafe von S 1.800,-- verurteilt worden. Da die Beschwerdeführerin in Ansehung ihres Unterhaltes sich nur auf eine Verpflichtungserklärung ihres Lebensgefährten berufen habe und eine solche Erklärung jederzeit zurückgenommen werden könne, sei die Annahme, daß der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könne, gerechtfertigt. Die Beschwerdeführerin habe sich auf dem legalen Arbeitsmarkt nicht integrieren können und ein Verhalten gesetzt, das zu einer gerichtlichen Verurteilung geführt habe, weshalb die Annahme gerechtfertigt sei, daß ihr weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Gemäß § 25 Abs. 1 Paßgesetz 1969 kann einem Fremden ein Sichtvermerk erteilt werden, sofern kein Versagungsgrund gemäß Abs. 3 vorliegt.

Nach § 25 Abs. 3 lit. d leg. cit. ist die Erteilung eines Sichtvermerkes zu versagen, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde. Ein weiterer Versagungsgrund ist gemäß § 25 Abs. 3 lit. e leg. cit. gegeben, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, daß ein Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers im Bundesgebiet zu einer finanziellen Belastung der Republik Österreich führen könnte.

2.1. Die belangte Behörde hat das Vorliegen von Versagungsgründen nach § 25 Abs. 3 lit. d und e Paßgesetz 1969 angenommen und hat es deshalb nicht für erforderlich erachtet, unter Bindung an die im § 25 Abs. 2 leg. cit. vorgezeichneten Richtlinien im Rahmen des freien Ermessens über den Antrag der Beschwerdeführerin abzusprechen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0138). Es ist daher zu prüfen, ob die belangte Behörde zu Recht das Vorliegen von Versagungsgründen angenommen hat.

2.2. Bei der gerichtlich strafbaren Handlung, derentwegen die Beschwerdeführerin verurteilt wurde, handelt es sich um das Vergehen des fahrlässigen Ansichbringens, Verheimlichens oder Verhandelns von Sachen. Nach dem Akteninhalt hat die Beschwerdeführerin Warengutscheine im Wert von S 2.530,--, die bei einem Einbruchsdiebstahl in ein Geschäft erbeutet worden waren, einzulösen versucht. Das Gewicht dieser Straftat ist, insbesondere im Hinblick auf die Schuldform der Fahrlässigkeit, mit der die Straftat begangen wurde, zu gering, um damit die Annahme rechtfertigen zu können, der Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet könne die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden.

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, daß die Erteilung eines zumindest - den Umständen angepaßten - befristeten Sichtvermerkes nicht unter Berufung auf § 25 Abs. 3 lit. e Paßgesetz 1969 versagt werden darf, wenn sich ein naher Angehöriger verpflichtet hat, für den Unterhalt des Sichtvermerkswerbers zu sorgen, sofern dieser Angehörige auf Grund seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch tatsächlich zur Bestreitung der dem Sichtvermerkswerber unter gewöhnlichen Verhältnissen entstehenden Unterhaltskosten in der Lage ist (siehe auch dazu das oben zitierte Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 90/19/0138, sowie das Erkenntnis vom 28. Oktober 1991, Zl. 91/19/0255, jeweils mit weiterem Judikaturhinweis). Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei nicht auf das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht des sich verpflichtenden Angehörigen gegenüber dem Sichtvermerkswerber abgestellt, sondern nur verlangt, daß es sich bei dem Erklärenden um einen nahen Angehörigen des Sichtvermerkswerbers handelt. In den den beiden oben zitierten Erkenntnissen zugrundegelegenen Beschwerdefällen hat es sich um die Schwester bzw. den Schwager des Sichtvermerkswerbers gehandelt. Ein zumindest gleichwertiges Naheverhältnis muß auch im Fall einer Lebensgemeinschaft angenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 1989, Zl. 88/01/0234). Die belangte Behörde hat die finanzielle Leistungsfähigkeit des Lebensgefährten der Beschwerdeführerin nicht in Zweifel gezogen. Ihr Argument, daß die Verpflichtungserklärung jederzeit widerrufen werden könne, ist keine taugliche Begründung für die Abweisung des Sichtvermerksantrages. In der Zukunft liegenden allfälligen Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse kann nämlich die Behörde durch Anwendung des im § 26 Abs. 2 Paßgesetz 1969 eingeräumten Ermessens in bezug auf eine Befristung der Gültigkeitsdauer des Sichtvermerkes entsprechend Rechnung tragen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1991, Zl. 91/19/0255).

3. Da die belangte Behörde, wie unter den Punkten II.2.2. und II.2.3. dargelegt wurde, in Ansehung des Vorliegens von Versagungsgründen die Rechtslage verkannt hat, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, wobei jedoch klarzustellen ist, daß mit dieser Entscheidung keine Aussage über das Ergebnis der von der belangten Behörde im fortzusetzenden Verfahren vorzunehmenden Ermessensübung gemäß § 25 Abs. 2 Paßgesetz 1969 verbunden ist, in deren Rahmen die belangte Behörde auf alle bis zum Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung gegebenen Umstände Bedacht zu nehmen haben wird.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. An Stempelgebührenersatz konnten der Beschwerdeführerin nicht wie begehrt S 1.200,--, sondern nur S 510,-- zuerkannt werden (S 360,-- Eingabengebühr für die Beschwerde, S 120,-- für die Vollmacht und S 30,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides).

Schlagworte

Ermessen Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990190478.X00

Im RIS seit

06.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten