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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art144 Abs1 / VollstreckungshandlungLeitsatz
Rückkehr nach Österreich trotz aufrechtem Aufenthaltsverbot; Unterlassen der Anmeldung nach dem Meldegesetz; Festnahme durch §35 litb VStG 1950 gedeckt; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; Anhaltung des Beschwerdeführers zur Vollstreckung eines - ihm persönlich - wirksam zugestellten Schubhaftbescheides; keine Ausübung unmittelbarer Befehls- und ZwangsgewaltSpruch
1. Der Beschwerdeführer ist durch die am 25. Feber 1989 gegen 08,30 Uhr von Gendarmeriebeamten in seiner Wohnung in Meiningen/Bezirk Feldkirch, Oberdorf 3, erfolgte Festnahme und durch die anschließende Anhaltung bis 10,00 Uhr desselben Tages, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. In diesem Umfang wird die Beschwerde abgewiesen.
2. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn verhängte mit rechtskräftigem Bescheid vom 16. Feber 1987 über den Beschwerdeführer (einen türkischen Staatsangehörigen) ein bis 16. Feber 1995 befristetes Aufenthaltsverbot. Er verließ daraufhin das Bundesgebiet, kehrte jedoch (ohne daß das Aufenthaltsverbot nach §8 Fremdenpolizeigesetz - FrPG aufgehoben oder ihm eine Bewilligung zum Wiederbetreten des Bundesgebietes nach §6 Abs1 FrPG erteilt worden wäre) am 18. Feber 1989 nach Österreich zurück und hielt sich bis 25. Feber 1989 in Meiningen/Bezirk Feldkirch, Oberdorf 3, auf; eine polizeiliche Anmeldung unterließ er.
Hievon erhielt der Gendarmerieposten Rankweil Kenntnis. Am 25. Feber 1989 gegen 08,30 Uhr nahmen ihn Beamte dieser Dienststelle in seiner Wohnung unter Bezugnahme auf §35 litb VStG 1950 fest und überstellten ihn der Bezirkshauptmannschaft (BH) Feldkirch.
Dort wurde mit ihm im Zuge des gegen ihn wegen Verdachtes der Übertretung des FrPG und des Meldegesetzes eingeleiteten Verwaltungsstrafverfahrens eine Niederschrift aufgenommen, in deren Verlauf er erklärte:
"...... Den Inhalt der Niederschrift habe ich verstanden, ich verstehe die deutsche Sprache. Ich bevollmächtige hiemit den RA. Dr. W W L in Bregenz mich in diesem Verfahren zu vertreten. Ein Straferkenntnis kann daher dem Rechtsanwalt zugestellt werden."
Mit Bescheid vom selben Tag ordnete die BH Feldkirch gegen den Beschwerdeführer gemäß §5 Abs1 FrPG iVm §57 AVG 1950 mit sofortiger Wirkung die vorläufige Verwahrung (Schubhaft) an. Der Beschwerdeführer erhielt diesen Bescheid persönlich im Amt um 10,00 Uhr ausgefolgt. In der Folge wurde er im Landesarrest in Bludenz in Schubhaft gehalten und am 1. März 1989 in die Türkei abgeschoben.
2. Die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen die am 25. Feber 1989 erfolgte Festnahme des Beschwerdeführers und seine darauffolgende, bis 1. März 1989 währende Anhaltung. Es wird beantragt, kostenpflichtig festzustellen, daß der Beschwerdeführer durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.
3. Die BH Feldkirch als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift. Sie begehrt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.a) Die Festnahme und die darauffolgende Anhaltung, soweit sie auf §35 litb VStG 1950 gestützt wird, sind Maßnahmen, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergingen; sie sind nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar (vgl. zB VfSlg. 9916/1984, 11171/1986).
Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde in diesem Umfang zulässig.
b) Sie ist aber nicht berechtigt:
Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK (s. VfSlg. 7608/1975, 8815/1980) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 3315/1958 ua.):
Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, legt in seinem §4 fest, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.
§35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz (VfSlg. 7252/1974), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat begehen und bei Begehung dieser Tat betreten werden, wobei die erste dieser beiden Bedingungen schon dann vorliegt, wenn das Organ die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 9913/1984, 10480/1985).
Gemäß §35 litb VStG 1950 ist eine Festnahme unter den schon umschriebenen Bedingungen zum Zweck der Vorführung vor der Behörde nur dann statthaft, wenn begründeter Verdacht besteht, daß sich der Betretene der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde.
Anders als etwa in den Fällen VfSlg. 9916/1984 und 11171/1986 sowie VfGH 25.9.1987 B276/87 lagen hier konkrete Anhaltspunkte dafür vor, daß sich der Beschwerdeführer der Strafverfolgung zu entziehen suchen werde, hatte er es doch offenkundig absichtlich unterlassen, sich polizeilich anzumelden, um der Fremdenpolizeibehörde seinen (illegalen) Aufenthalt in Österreich verborgen zu halten; es war daher zu erwarten, daß er, wenn er nicht festgenommen würde, für die Behörde nicht mehr erreichbar sein werde.
Die erwähnten Verwaltungsakte waren also durch §35 litb VStG 1950 gedeckt; der Beschwerdeführer ist durch sie nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden. Es wurde auch keine andere vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmende Rechtsverletzung festgestellt. Die Beschwerde war mithin in diesem Umfang abzuweisen.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
2. Soweit die Beschwerde die Anhaltung nach der am 25. Feber 1989 um 10,00 Uhr erfolgten Übergabe des Schubhaftbescheides an den Beschwerdeführer bekämpft, ist sie unzulässig:
Die Ausfolgung des Schubhaftbescheides an den Beschwerdeführer stellte eine wirksame Zustellung dar. Der Beschwerdeführer bestreitet dies zwar mit der Begründung, daß ein Vertretungsverhältnis bestanden habe (§9 Abs1 Zustellgesetz).
Dieser Einwand ist aber unzutreffend: Wohl gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, daß er für das Verwaltungsstrafverfahren einem bestimmten Rechtsanwalt Vollmacht erteile (s.o. I.1.). Für das Wirksamwerden eines Vollmachtsverhältnisses ist nun aber wesentlich, daß die Bevollmächtigung angenommen wird. Das war hier nicht der Fall. Es braucht daher die Frage nicht erörtert zu werden, ob die Vollmacht nach dem Willen des Beschwerdeführers ausschließlich für das Verwaltungsstrafverfahren, also nicht etwa auch für das fremdenpolizeiliche Verwaltungsverfahren, erteilt werden sollte.
Die ab 25. Feber 1989 10,00 Uhr bis 1. März 1989 währende Anhaltung des Beschwerdeführers erfolgte sohin zur Vollstreckung eines dem Beschwerdeführer wirksam zugestellten, vollstreckbaren Schubhaftbescheides gemäß §5 Abs1 FrPG. Diese Anhaltung erging nicht in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt; sie ist nicht nach Art144 Abs1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar (vgl. zB VfSlg. 10467/1985 und die darin zitierte weitere Vorjudikatur; vgl. auch VfGH 3.10.1988 B1276/87).
Der Verfassungsgerichtshof ist daher zur Entscheidung über die Beschwerde, sofern sie sich gegen die nach erfolgter Zustellung der Schubhaftbescheide erfolgte Anhaltung (also gegen die Anhaltung nach dem 25. Feber 1989, 10,00 Uhr) richtet, nicht zuständig. Die Beschwerde war daher insoweit wegen (offenkundiger) Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG (ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung) zurückzuweisen.
3. Der obsiegenden belangten Behörde werden die begehrten Kosten nicht zugesprochen, weil nach §88 VerfGG ersatzfähige Kosten (etwa Reisekosten) nicht angefallen sind.
Schlagworte
Zustellung, Bevollmächtigung, Vollstreckungshandlung, Fremdenpolizei, Schubhaft, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Polizeirecht, VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B461.1989Dokumentnummer
JFT_10109379_89B00461_00