TE Vfgh Beschluss 2006/12/4 V91/05

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.12.2006
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
EMRK Art8
StV Wien 1955 Art7 Z3
StVO 1960 §53 Abs1 Z17a, Z17b
Verordnung der BH Völkermarkt vom 12.05.97 betr Verkehrsmaßnahmen für die Loibacher Landesstraße

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags auf Aufhebung einer Verordnung betreffend Verkehrsmaßnahmen für die Loibacher Landesstraße mangels eines - aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne der EMRK ableitbaren - subjektiven Rechtes der antragstellenden Minderheitenangehörigen auf zweisprachige Ortstafeln

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1.1. Mit dem vorliegenden Individualantrag nach Art139 Abs1 B-VG begehren die Einschreiter, d.s. 47 Angehörige der slowenischen Volksgruppe in Kärnten, die - nach eigenen Angaben - mehr als 10% der Loibacher Bevölkerung repräsentieren,

"die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 12.5.1997, Zahl: 629/1/97, insoweit, als darin die Ortsbezeichnung 'Loibach' enthalten ist, als gesetzes- bzw. verfassungswidrig aufzuheben."

1.2. Ein Großteil der Antragsteller (und zwar 35 der nunmehr 47 Einschreiter) brachte - zusammen mit 9 weiteren Personen sowie dem Rat der Kärntner Slowenen und dem Zentralverband slowenischer Organisationen - bereits mit Eingabe vom 1. Dezember 2003 einen Antrag auf Prüfung der Gesetzwidrigkeit dieser Verordnungsbestimmung wegen Verstoßes gegen Art7 Z3 zweiter Satz Staatsvertrag von Wien (im Folgenden: StV Wien) ein (vgl. das hg. zu V131/03 protokollierte Verfahren). Zur Zulässigkeit ihres Antrages brachten die Antragsteller damals vor, aus der genannten Bestimmung des StV Wien lasse sich ableiten, dass in den danach in Frage kommenden Gebieten ein Recht der slowenischen Minderheit auf zweisprachige topographische Aufschriften bestehe und dieses Recht verletzt werde, wenn bloß einsprachige Aufschriften verordnet bzw. angebracht werden. Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien begründe zwar kein individuelles Recht der einzelnen Volksgruppenangehörigen, sehr wohl aber habe die slowenische Minderheit (als Gruppe) eine derartige Rechtssphäre. Subsidiär und zur Unterstützung hätten sich dem Antrag auch der Rat der Kärntner Slowenen und der Zentralverband slowenischer Organisationen - als die sowohl von der Volksgruppe selbst als auch von der Bundesregierung und der Kärntner Landesregierung anerkannten Vertretungsorganisationen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten - angeschlossen.

Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 14. Dezember 2004, V131/03-16 (VfSlg. 17.416/2004), als unzulässig zurückgewiesen. In seiner Begründung führte der Gerichtshof (unter Verweis auf die Vorjudikatur) aus, Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien bedeute - wie schon der Wortlaut dieser Bestimmung nahe lege - allein eine völkerrechtliche Verpflichtung der Republik Österreich bzw. einen an ihre Organe gerichteten "Auftrag", topographische Aufschriften und Bezeichnungen in der solcherart gebotenen Weise, also zweisprachig, "zu verfassen". Dagegen lasse sich aus dieser Bestimmung - mangels eines hinlänglich individualisierten Parteiinteresses an der Einhaltung dieser objektiven Verfassungsnorm - kein subjektives Recht des einzelnen Minderheitenangehörigen darauf ableiten, dass topographische Aufschriften und Bezeichnungen sowohl in Deutsch als auch in der Sprache der Minderheit verfasst werden. Ebenso wenig lasse sich aber aus Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien ableiten, dass ein derartiges subjektives Recht einer - aus (damals: 44) natürlichen Personen bestehenden - "Gruppe" von Minderheitenangehörigen oder einer als juristische Person zu qualifizierenden - vereinsmäßigen - "Volksgruppenorganisation" eingeräumt wäre.

2. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt vom 12. Mai 1997, Zl. 629/1/97, betreffend Verkehrsmaßnahmen für die Loibacher Landesstraße hat folgenden Wortlaut (die bekämpfte Ortsbezeichnung ist hervorgehoben):

"Die Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt verordnet gemäß §§43 Abs1 und 44 Abs1, in Verbindung mit §94 b der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl. Nr. 159, in der derzeit geltenden Fassung, nachstehende Verkehrsbeschränkungen für die Loibacher Landesstraße:

§1

Bei Straßenkilometer 3,692 und Straßenkilometer 4,198 sind die Hinweiszeichen 'Ortstafel' gemäß §53 Z17 a leg.cit. und 'Ortsende' gemäß §53 Z17 b leg.cit. mit der Ortsbezeichnung 'Loibach' anzubringen.

§2

Bei Straßenkilometer 3,692 und Straßenkilometer 2,854 sind die Verkehrszeichen 'Geschwindigkeitsbeschränkung 70' gemäß §52 Z10 a leg.cit. und 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung' gemäß §52 Z10 b leg.cit. anzubringen.

§3

Diese Verordnung tritt mit der Anbringung der verfügten Verkehrszeichen in Kraft.

§4

Übertretungen dieser Verordnung werden als Verwaltungsübertretungen in Entsprechung des §99 der StVO 1960, in der derzeit geltenden Fassung, bestraft."

Die verfügten Verkehrszeichen wurden von der Straßenmeisterei Lavamünd am 9. September 1997 aufgestellt, sodass die Verordnung gemäß ihrem §3 mit diesem Datum in Kraft getreten ist.

3. Zur Begründung ihrer Antragslegitimation bringen die Antragsteller Folgendes vor:

"Das Konventionsrecht des Art8 EMRK verbürgt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs und richtet sich an Gesetzgebung wie Vollziehung.

...

Im Rahmen des Rechts auf freie Lebensgestaltung des Art8 EMRK wird in der Konventionsrechtsprechung auch der Schutz des besonderen Lebensstils von Minderheiten gewährleistet (siehe Grabenwarter [Fn 5], 208 f mN; Hillgruber/Jestaedt, Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz nationaler Minderheiten, 1993, 42 ff.; sowie Council of Europe (ed), The Council of Europe and Minorities, 1994, pp 22).

Bisher wurde in diesem Zusammenhang darunter subsumiert:

-

das Recht, eine Minderheitensprache zu sprechen (EGMR Urteil im 'Belgischen Sprachenfall', 23.7.1968),

-

das Recht, in einem Wohnwagen zu leben und umherzuziehen (als besondere Lebensform von Roma/Sinti) (EGMR Urteile Buckley gegen England, 26.8.1996, sowie Chapman u.a. gegen England, 18.1.2001),

-

das Recht, mit Rentieren umherzuziehen (als besondere Lebensform von Lappen) (EGMR, G. und E. gegen Norwegen, 3.10.1983, Beschwerden Nr 9278/81 und 9415/81).

Zu prüfen ist nunmehr, inwieweit auf Grundlage und in Weiterentwicklung der bisherigen Judikatur, aber auch unter Berücksichtigung von Erkenntnissen der juristischen 'Nachbarwissenschaften', insbesondere der Sprachwissenschaften, aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art8 EMRK ein Anspruch auf Anbringung zweisprachiger Ortstafeln abgeleitet werden kann.

[D]ieses Konventionsrecht [schützt] auch bestimmte Merkmale der ethnischen und damit auch sozialen Identität eines Menschen. Denn Identität konstituiert sich in sozialer Interaktion (siehe dazu Tri?nd?fyllidou/ Wodak, Conceptual and methodological questions in the study of collective identities; Chryssochoou, Studying identity in social ?sychology: Some thoughts on the definition of identity and its relation to action; und Collins, Storying Self and Others: The construction of narrative identity; alle in: Journal of Language and Politics 2003 [Vol 2], No 2, pp 205, pp 225, pp 243). Insoweit hat Identität als ein Prozess ständiger Erneuerung, Bestätigung oder Transformation auf individueller oder kollektiver Ebene verstanden zu werden (Triandafyllidou/ W?dak [Fn 17], 210). Der Ausdruck 'soziale Identität' bezieht sich auf die Merkmale, die Individuen und Kollektive von anderen unterscheiden. Es ist die systematische Begründung und Bedeutung von Ähnlichkeit und Differenz in den Beziehungen zwischen Individuen und Kollektiven (also auch Angehörigen von Mehrheit und Minderheit) ..., der sich aus dem kulturellen, sozialen Diskurs ergibt (vgl dazu Hall, The Question of Cultural Identity, in: Hall/Held/Hubert/Thompson (?ds.), Modernity:

An Introduction to Modern Societies, 1996, pp 595 (613).

Jeder Diskurs bedient sich nun als Medium vor allem der Sprache. Sprache, insbesondere die Muttersprache, die den kulturellen und sozialen Diskurs trägt, ist wiederum ein wesentlicher Bestandteil persönlicher Identität. Die Bedeutung der Sprache als Mittel der Kommunikation für die Durchdringung des Phänomens 'Privatheit' und zur Entfaltung der Persönlichkeit hat aus grundrechtsdogmatischer Sicht schon 1976 Rüpke umfassend aufgearbeitet (Rüpke, Der verfassungsrechtliche Schutz der Privatheit, 1976). Hinsichtlich ethnischer Minderheiten/Volksgruppen wird dies durch das ausdrücklich verbriefte Recht ihrer Angehörigen auf den Gebrauch und das Erlernen von Minderheitensprachen in zahlreichen internationalen und europäischen Übereinkommen deutlich (siehe den Überblick dazu die Synopse bei Tretter, Der Schutz ethnischer Minderheiten durch die Vereinten Nationen, den Europarat, die OSZE und die Europäische Union, in: Österreichisches Volksgruppenzentrum (hg), Internationales und Europäisches Volksgruppenrecht, Österreichische Volksgruppenhandbücher Band 8, 1995, 159 f).

Allein der kulturelle, soziale Diskurs darf nicht isoliert betrachtet werden. Er findet in einem konkreten politisch, rechtlich und gesellschaftlich näher determinierten Umfeld statt, das - in der Perspektive des vorliegenden Zusammenhangs - nicht nur von Minderheits- und Mehrheitsbevölkerung, sondern auch vom Staat - nicht nur, aber insbesondere in rechtlicher Ausgestaltung - geführt und bestimmt wird. Identitäten werden daher auch durch hierarchische und institutionelle Macht zugeschrieben und zugewiesen (so Wodak/Puntscher-Riekmann, 'Europe für All' - diskursive Konstruktionen europäischer Konflikte, Konstruktionen, 2003, 283 ff (287). Die Frage ist dabei nicht so sehr, ob die Identität einer Minderheit/Volksgruppe in einer bestimmten Art und Weise beschrieben, sondern dass und wie diese Identität relevant gemacht und der Minderheit/Volksgruppe zugeschrieben wird (vgl in diesem Zusammenhang die Ausführungen bei Widdicombe, Identity als an Analysts ´and a Participants´ Resource, in: Antakti/Widdicombe (eds), Identities in Talk, 1998, pp 191). Bei Beantwortung dieser Frage spielen Formen der diskursiven Wahrnehmung und Anerkennung der Minderheit und ihrer spezifischen Identität durch die Mehrheitsbevölkerung und den Staat, auch symbolhafter Natur, eine zentrale Rolle. Dabei wird das Symbol zum Träger standardisierter Bedeutung und weist damit eine Ähnlichkeit mit der bloßen Trägerschaft von Informationsgehalten auf (Rüpke [Fn 21], 181).

Topographische Aufschriften, insbesondere Ortstafeln, deren Aufstellung durch Verwaltungsakt verfügt bzw kundgemacht wird, markieren nun nicht nur die Grenzen eines Gemeindegebietes mit allen sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen, sondern sie demonstrieren auch durch die Sprache(n), in der sie verfasst sind, und die verwendeten Ortsnamen, welche Sprache(n) seine Einwohner sprechen und welcher (welchen) Ethnie(n), welchem(n) Kulturkreis(en) sie angehören. Insofern verfügen sie über einen hohen symbolisch-diskursiven Wert. Sie kennzeichnen den Raum, in dem Angehörige ethnischer Minderheiten/Volksgruppen leben, treten optisch in Erscheinung und können daher von allen Menschen, die in diesem Ort leben oder diesen besuchen, wahrgenommen werden.

So anerkennt der VfGH im 'Ortstafel-Erkenntnis' 2001 denn auch, dass es in Art7 Z3 StV Wien nicht nur darum geht, 'einzelnen Minderheitsangehörigen Erleichterungen zu bringen, sondern - in Bezug auf den zweiten Satz - der Allgemeinheit Kenntnis zu geben, dass hier eine größere Zahl von Minderheitsangehörigen lebt'. Wenngleich sich in dieser Aussage noch nicht der kommunikative Prozess widerspiegelt, in den zweisprachige Ortstafeln eingebunden sind, so weist der Ansatz in die richtige Richtung. Zweisprachige Ortstafeln versinnbildlichen der Mehrheitsbevölkerung und den Angehörigen ethnischer Minderheiten/Volksgruppen, dass sich der Staat öffentlich und für alle wahrnehmbar zu ihnen und ihrer Existenz im jeweiligen Ort bekennt. Es sind symbolhafte Signale eines permanenten Kommunikationsprozesses, der sowohl zur Konstitution einer multikulturellen Gemeinschaft als auch zur Identitätsbildung der ethnischen Minderheiten/Volksgruppen mit beiträgt. Nicht von ungefähr zählen zweisprachige topographische Aufschriften zum europäischen Standard des Minderheitenschutzes.

Verweigert nun ein Staat die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln in einem gemischtsprachigen Gebiet, so verweigert er die symbolische Kommunikation mit und die nach außen zu Tage tretende Anerkennung der ethnischen Minderheit/Volksgruppe und ihren Angehörigen, mithin deren symbolische Integration. Er unterlässt es, eine Maßnahme zu setzen, die auch der Mehrheitsbevölkerung gegenüber die Anerkennung der lokalen Existenz der Minderheit signalisiert, wodurch der Diskurs von Mehrheits- und Minderheitsangehörigen symbolisch mit bestimmt wird. Es erfolgt Exklusion statt Inklusion, die zu einer Durchbrechung der Interaktion führt (vgl. dazu Wodak/Puntscher-Riekmann [Fn 23], 287). Einer Interaktion, in der Identitäten kontextabhängig ausgehandelt werden und Dichotomien vermieden oder zumindest verringert werden sollen. Die sich daraus ergebende Forderung entspricht auch dem Konzept von 'good governance', wie es der Europäischen Kommission vorzuschweben scheint, wenn sie von 'inclusive society' spricht (European Commission (ed), White Paper on European Governance, July 2001).

Umgelegt auf das individuelle Recht auf Achtung des Privatlebens iSd Art8 EMRK bedeuten diese Ausführungen:

Dieses Recht verlangt im Sinne einer positiven Gewährleistungspflicht vom Staat die Wahrnehmung und Anerkennung der individuellen ethnischen und sprachlichen Identität eines Menschen in Gestalt eines kommunikativen, symbolhaften Prozesses, zu dem die Anbringung zweisprachiger Ortstafeln zählt. Verweigert der Staat jedoch diesen Prozess symbolischer Integration (siehe dazu Rüpke (21), 37 ff und 76: 'Somit ist auch Privatheit aus der fortgesetzten Dialektik von sozialer Kommunikation und persönlicher Identität zu verstehen'), indem er die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln versagt, so stellt diese Unterlassung eine Nichterfüllung eines aus Art8 EMRK abgeleiteten Anspruchs, mithin einen Eingriff in dieses Recht, dar.

Nun erhebt sich die Frage, ob die Entscheidung der zuständigen Behörden, in Orten mit einer beträchtlichen Zahl an slowenischen Volksgruppenangehörigen keine zweisprachigen Ortstafeln anzubringen (der VfGH hat im oben zitierten 'Ortstafel-Erkenntnis' aus dem Jahr 2001 ca. 10% als Maßstab genannt), im Sinne der Eingriffstatbestände des Art8 Abs2 EMRK in einer abstrakten, aber am europäischen Standard gemessenen, demokratischen Gesellschaft zur Erreichung der im Konventionsrecht genannten legitimen Ziele unbedingt erforderlich ist, oder ob, mit anderen Worten, ein 'zwingendes soziales Bedürfnis' (Diktion des EGMR) an einer derartigen Entscheidung bestünde (zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit siehe für viele Grabenwarter [Fn 5], 124 ff). Nur unter diesen Voraussetzungen wäre die Nichtanbringung zweisprachiger Ortstafeln auch im Sinne der konventionsrechtlichen Dogmatik 'verhältnismäßig' und würde den konventionsrechtlichen Eingriff rechtfertigen.

Als legitime Ziele, die einen Eingriff in das Recht auf Privatleben rechtfertigen können, nennt Art8 Abs2:

-

die nationale oder öffentliche Sicherheit,

-

das wirtschaftliche Wohl des Landes,

-

die Aufrechterhaltung der Ordnung,

-

die Verhütung von Straftaten,

-

den Schutz der Gesundheit oder der Moral und

-

den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Keines dieser Ziele kommt für eine Rechtfertigung des Nichtanbringens zweisprachiger Ortstafeln in Betracht. Gelegentlich wird in der politischen Auseinandersetzung unter Verweis auf den 'Ortstafelsturm' 1972 argumentiert, dass das Aufstellen weiterer Ortstafeln zu Unruhe und Widerstand in der deutschsprachigen Bevölkerung Kärntens führen könnte, wodurch die 'öffentliche Sicherheit' oder die 'Aufrechterhaltung der Ordnung' gefährdet sei. Nun darf allein aus der Prognoseeinschätzung, dass es zu gewalttätigen Protesten und Demonstrationen und/oder der Demontage neu aufgestellter zweisprachiger Ortstafeln kommen könnte, nicht a priori die Konsequenz einer grundsätzlichen Versagung der Anbringung zweisprachiger Ortstafeln gezogen werden.

Geradezu das Gegenteil ist der Fall: Gemäß Art8 Abs2 B-VG bekennt sich die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Soll diese Bestimmung nicht ein inhaltsleeres Bekenntnis darstellen, muss zumindest die Umsetzung der entsprechenden Bestimmungen objektiven Rechts, welche zum Schutz der Volksgruppen erlassen wurden, gefordert werden. Derartige Normen objektiven Rechtes dienen gerade in Bezug auf Minderheitenrechte der näheren Ausgestaltung des kommunikativen Grundrechtes nach Art8 EMRK, die Unterlassung der Umsetzung dieser Ansprüche führt somit zu einem Eingriff in dieses Grundrecht.

Zusammenfassend ergibt sich somit, daß eine Verordnung, wie die ggst., auf de[r] die Aufstellung von (nicht zweisprachigen) Ortstafeln in gemischtsprachigen Orten beruh[t], unmittelbar - d.h. ohne Dazwischentreten eines weiteren individuellen Rechtsaktes (vor allem eines Bescheides) - in das durch Art8 EMRK geschützte Recht der Betroffenen auf Privatleben eingreif[t].

Es liegt somit ein durchsetzbares 'individualisiertes Parteieninteresse' vor, so daß die prozessualen Voraussetzungen für einen auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Individualantrag auf Aufhebung der Verordnung wegen Verletzung eines subjektiven Rechtes erfüllt sind, sofern die Verordnung gegen objektiv rechtliche Minderheitenschutzbestimmungen betreffend zweisprachige topographische Aufschriften verstößt.

Auf den ggst. Fall bezogen ergibt sich somit, daß durch Art8 EMRK iVm Art7 Z3 zweiter Satz des Staatsvertrages von Wien eine Rechtsposition der Antragsteller begründet wird, welche eine positive Gewährleistungspflicht des Staates zur Anerkennung der ethnischen und sprachlichen Identität der Antragsteller als Volksgruppenangehörige auch durch die Anbringung von zweisprachigen Ortstafeln erfordert. Dazu wird darauf hingewiesen, daß die Antragsteller eben Angehörige der slowenischen Minderheit in Kärnten sind, sie sind alle in Loibach/Libuce ansässig, wobei die Ortschaft Loibach/Libuce nach den Ergebnissen der jüngsten Volkszählung 2001 eine Bevölkerung von 426 Personen mit österr. Staatsbürgerschaft aufgewiesen hat, so daß bereits die Antragsteller mehr als 10% der Loibacher Bevölkerung repräsentieren. Durch die Unterlassung der Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln greift der Staat in diese geschützte Rechtssphäre der Antragsteller ein, da er in dieser Hinsicht die Minderheitenangehörigen in Loibach/Libuce schlicht und einfach negiert und sich nach außen hin so verhält, als ob es in Loibach/Libuce keine ausreichende Anzahl von Volksgruppenangehörigen gäbe, um die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln zu rechtfertigen. Der Eingriff in die Rechtssphäre der Antragsteller erfolgt auch unmittelbar, die angefochtene Norm enthält ausdrücklich die Bestimmung, daß für Loibach/Libuce auf den Ortstafeln die Ortsbezeichnung 'Loibach' anzubringen ist. Dies bewirkt, daß aufgrund der angefochtenen Verordnung eine zweisprachige topographische Beschriftung für Loibach/Libuce nicht in Frage kommt, weil sie nicht der angefochtenen Verordnung entsprechen würde. Einer näheren Konkretisierung der angefochtenen Verordnung bedarf es nicht. Unmittelbar aufgrund der Verordnung sind auch die Ortstafeln in Loibach/Libuce lediglich einsprachig an den in der Verordnung festgelegten Orten angebracht. Die Betroffenheit der Antragsteller ist auch aktuell, da [sie] durch die mangelhafte Beschriftung der Ortstafel von Loibach/Libuce tagtäglich in ihren Minderheitenrechten, welche im Lichte des Art8 EMRK als Kommunikationsrechte zu sehen sind, verletzt werden. Schließlich ist den Antragstellern auch kein anderer Weg zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle zumutbar. Der VfGH hat in seinem Beschluß V131/03 zwar ausgeführt, daß entgegen den in diesem Verfahren geäußerten Bedenken der Antragsteller Verordnungen, wie die hier bekämpfte, sehr wohl der Prüfung durch den VfGH im Verfahren gemäß Art139 B-VG unterliegen. Dies freilich nur insoweit, als es sich dabei etwa um eine präjudizielle Rechtsvorschrift in einem beim VfGH anhängigen Bescheidprüfungsverfahren gemäß Art144 B-VG handelt. Allerdings ist ein Bescheidprüfungsverfahren hinsichtlich einer Ortstafel nur denkbar, wenn zuvor ein Straferkenntnis etwa wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ergangen ist. Es entspricht aber der ständigen Judikatur des VfGH, daß die Provozierung eines Strafverfahrens durch ein rechtswidriges Verhalten nicht zumutbar ist.

Hinzuweisen ist darauf, daß sich der VfGH bei Individualanträgen gemäß Art139 B-VG an das Antragsvorbringen gebunden sieht. Im Verfahren V131/03 haben die Antragsteller lediglich Vorbringen zur Verletzung des Art7 Z3 zweiter Satz des Staatsvertrages von Wien erstattet, wobei der VfGH in dieser Norm kein subjektiv-öffentliches Recht begründet sah. Da nunmehr die Antragslegitimation der Beschwerdeführer ausdrücklich auf Art8 EMRK gestützt wird, ist nach Auffassung der Antragsteller nunmehr die Antragslegitimation gegeben und sind sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Individualantrages auf Überprüfung der angefochtenen Verordnung erfüllt."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Gemäß Art139 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 8594/1979, 10.353/1985, 11.730/1988).

2. Auf das Wesentliche zusammengefasst bringen die Antragsteller dazu vor: Es ergebe sich, dass eine Verordnung wie die hier angefochtene, auf der die Aufstellung von nicht zweisprachigen Ortstafeln in einem gemischtsprachigen Gebiet beruht, unmittelbar in das durch Art8 EMRK geschützte Recht der Betroffenen auf Privatleben eingreife. Es liege somit ein durchsetzbares individualisiertes Parteieninteresse vor, sodass die prozessualen Voraussetzungen für einen auf Art139 B-VG gestützten Individualantrag auf Aufhebung der Verordnung wegen Verletzung eines subjektiven Rechts erfüllt seien, sofern die Verordnung gegen objektivrechtliche Minderheitenschutzbestimmungen betreffend zweisprachige topographische Aufschriften verstößt. Durch Art8 EMRK iVm. Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien werde eine Rechtsposition der Antragsteller begründet, welche eine Pflicht des Staates zur Anbringung von zweisprachigen Ortstafeln "erfordert".

3. Diesem Vorbringen ist Folgendes zu entgegnen:

Art 8 EMRK - "Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens" - lautet:

"(1) Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."

Weder aus dem Wortlaut dieser Bestimmung noch aus der Rechtsprechung des EGMR dazu ergibt sich ein subjektives Recht des einzelnen Angehörigen der slowenischen Volksgruppe darauf, dass in den nach Art7 Z3 zweiter Satz StV Wien in Betracht kommenden Gebieten die Ortsbezeichnung auf Hinweiszeichen iSd. §53 Z17a und 17b StVO auch in slowenischer Sprache zu verfassen ist. Im Übrigen wird auf die Entscheidung VfSlg. 17.416/2004, S 1156ff., verwiesen. Die Behauptung der Antragsteller, Art8 EMRK räume ihnen ein subjektives Recht ein (welches durch die bekämpfte Verordnungsbestimmung verletzt werde), trifft somit nicht zu.

Der Antrag war daher schon deshalb als unzulässig zurückzuweisen.

4. Dies konnte in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Amtssprache, Minderheiten, Rechte subjektive öffentliche, Straßenpolizei, Straßenverkehrszeichen, VfGH / Individualantrag, Volksgruppen, Ortstafeln, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2006:V91.2005

Dokumentnummer

JFT_09938796_05V00091_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten