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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Seiler und die Hofräte Dr. Bernard und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, über die Beschwerde des Mag. P in W, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. August 1991, Zl. MA 70-11/813/91/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Mai 1990, Zl. 90/18/0006, und vom 28. Juni 1991, Zl. 91/18/0081, hingewiesen. Mit den zu den genannten Zahlen angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde vom 24. November 1989 und vom 23. Februar 1991 war der Beschwerdeführer jeweils u.a. für schuldig erkannt worden, sich am 8. Mai 1988 um 6.40 Uhr in Wien I, Tiefer Graben 20, geweigert zu haben, seine Atemluft von einem besonders geschulten Organ der Straßenaufsicht auf ihren Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl habe vermutet werden können, daß er vorher in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt habe. Dadurch habe er nach dem Bescheid vom 23. Februar 1991 eine Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen.
Mit den zitierten Erkenntnissen wurden u.a. die Bestrafungen des Beschwerdeführers wegen der am 8. Mai 1988 begangenen Verweigerung der Atemluftprobe wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.
Der Grund für die Aufhebung des Bescheides vom 23. Februar 1991 mit dem Erkenntnis vom 28. Juni 1991 war, daß der Beschwerdeführer nach der Aktenlage die in Rede stehende Übertretung erst um 7.00 Uhr im Wachzimmer des Bezirkspolizeikommissariates Innere Stadt begangen habe. Dort sei er neuerlich zur Vornahme einer Atemluftprobe aufgefordert worden; durch diese neuerliche Aufforderung sei die betreffende Amtshandlung fortgesetzt worden, sodaß die um 6.40 Uhr ausgesprochene Verweigerung der Atemluftprobe nicht strafbar gewesen sei; erst nach dem Abschluß der Amtshandlung im Wachzimmer sei die Tat als begangen anzusehen.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde gegen den Bescheid vom 19. August 1991 macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Gerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die belangte Behörde hinsichtlich der Tatzeit 7.00 Uhr und des Tatortes im Wachzimmer keine Feststellungen getroffen und dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. "Es existiert einfach kein Sachverhalt über den Alkotest im Polizeiwachzimmer." "Alles, was die Behörde im Bescheid anführt - sowohl was das Vorbringen und die Argumente des BF, als auch die Überlegungen der Behörde anlangt, diesen Argumenten nicht zu folgen - bezieht sich ausschließlich auf den Alkotest um 6.40 Uhr am Tiefen Graben."
Zunächst ist davon auszugehen, daß das Verwaltungsstrafverfahren auf Grund einer Anzeige eines Sicherheitswachebeamten der Bundespolizeidirektion Wien eingeleitet worden ist. Darin ist - was die Übertretung nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960 anlangt - davon die Rede, daß der Beschwerdeführer im Wachzimmer nach der Abnahme von Handfesseln um 7.00 Uhr die Atemluftprobe verweigert habe. Am selben Tag um 13.45 Uhr wurde er zunächst mit dem Gegenstand der Einvernahme - zu dem auch die "Verweigerung des Alkotests § 5 StVO (Alkomat)" zählte - vertraut gemacht. Bei seiner Vernehmung machte er lediglich Angaben zu den anderen ihm zur Last gelegten Übertretungen und zu seiner Behandlung durch Sicherheitswachebeamte; weitere Angaben machte er nicht; dazu werde er erst durch seinen Rechtsanwalt Stellung nehmen. Die Anzeige und der Inhalt der weiteren Ermittlungsergebnisse wurden am 11. Mai 1988 dem Vetreter des Beschwerdeführers zur Kenntnis gebracht. Es wurde damit rechtzeitig in Ansehung der Tatzeit 7.00 Uhr und des Tatortes Wachzimmer eine Verfolgungshandlung gesetzt.
In der Folge bezog sich der Beschwerdeführer in seiner Verantwortung auf die Aufforderung zur Vornahme der Atemluftprobe um 6.40 Uhr am Tiefen Graben. Zwei Sicherheitswachebeamten hingegen sprachen in ihren Zeugenaussagen von der Verweigerung der Atemluftprobe durch den Beschwerdeführer um 7.00 Uhr im Wachzimmer. Diese Aussagen wurden dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht. Dazu hat er sich nicht geäußert.
Im Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt, vom 20. April 1989 wurden als Tatzeit 6.40 Uhr und als Tatort der Tiefe Graben Nr. 20 genannt. Diese Tatzeit und dieser Tatort scheinen sodann in den beiden vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen Berufungsbescheiden der belangten Behörde auf. Erstmals im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Juni 1991 ist davon die Rede, daß Tatzeit und Tatort damit unrichtig seien.
Aus dem geschilderten Verwaltungsgeschehen ergibt sich, daß die belangte Behörde ihre Entscheidungsbefugnis als Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG insofern überschritten hat, als sie die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat gegenüber dem erstinstanzlichen Straferkenntnis ausgewechselt hat. Sie hätte - um dem Verwaltungsgerichtshofserkenntnis vom 28. Juni 1991 im Sinne des § 63 Abs. 1 VwGG Rechnung zu tragen - das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 20. April 1989 aufheben müssen, um die Bestrafung wegen der um 7.00 Uhr im Wachzimmer begangenen Verwaltungsübertretung zu ermöglichen.
Bemerkt wird, daß das Beschwerdevorbringen betreffend Verjährung im Hinblick auf die nach dem letzten Satz des § 31 Abs. 3 VStG nicht einzurechnenden Zeiten der Anhängigkeit der Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof unbegründet ist.
Der angefochtene Bescheid ist inhaltlich rechtswidrig. Er war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da der angefochtene Bescheid lediglich in einfacher Ausfertigung vorzulegen war und die für die überflüssige Bescheidausfertigung entrichteten Stempelgebühren nicht ersetzt werden konnten.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme VerwaltungsstrafrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992020042.X00Im RIS seit
12.06.2001