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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
ArbIG 1974 §9 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Juli 1991, Zl. MA 63 - V 16/90/Str, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes (mitbeteiligte Partei: V in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 10. Juli 1990 wurde der Mitbeteiligte wegen Verwaltungsübertretungen nach § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1, § 9 und § 11 Abs. 1, jeweils in Verbindung mit § 28 Abs. 1 AZG bestraft, weil er es als zur Vertretung nach außen berufenes und somit gemäß § 9 Abs. 1 VStG 1950 verwaltungsstrafrechtliches Organ der L.-Ges.m.b.H. mit dem Sitz in W zu verantworten habe, daß diese Gesellschaft in einer örtlich näher umschriebenen Filiale in G namentlich benannte Arbeitnehmer zu bestimmten Zeiten länger als zehn Stunden täglich bzw. unter Überschreitung der zulässigen Wochenarbeitszeit von vierzig Stunden um jeweils mehr als zehn Stunden bzw. bei einer Tagesarbeitszeit von mehr als sechs Stunden ohne Gewährung einer Pause von mindestens dreißig Minuten Länge beschäftigt habe.
Dieses Straferkenntnis wurde aufgrund der vom Mitbeteiligten dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. Juli 1991 aufgehoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. c VStG 1950 eingestellt. Nach der Begründung sei der Mitbeteiligte als handelsrechtlicher Geschäftsführer der L-Gesellschaft m.b.H. zur Verantwortung gezogen worden, weil die im Spruch (des erstinstanzlichen Straferkenntnisses) genannten Arbeitnehmer in der genannten "weiteren" Betriebsstätte in G entgegen den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes beschäftigt worden seien. Aufgrund der Aktenlage stehe fest, daß der Sitz der genannten Gesellschaft m.b.H. in W, X-Straße, gelegen sei. Entgegen der Meinung der Erstinstanz seien die angelasteten Übertretungen nicht dort begangen worden, wo die Arbeitnehmer beschäftigt worden seien, sondern am Sitz der Unternehmung in W, X-Straße, weil der Mitbeteiligte von diesem Ort aus hätte handeln sollen. Dieser Tatort sei ein wesentliches Sachverhaltselement der Übertretung(en) und hätte daher dem Mitbeteiligten innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 31 Abs. 2 AVG (gemeint: VStG) 1950 angelastet werden müssen. Die Erstinstanz habe innerhalb dieser Frist die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 28. Juni 1990 erlassen, in deren Tatumschreibung jedoch der Tatort nicht ausreichend konkretisiert worden sei, da lediglich die Ortsbezeichnung "W" angeführt worden sei. Es liege somit eine taugliche Verfolgungshandlung nicht vor. Da außerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist wesentliche Sachverhaltselemente nicht hinzugefügt oder ausgetauscht werden dürften, habe das Straferkenntnis erster Instanz behoben und die Einstellung des Verfahrens verfügt werden müssen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 gestützte Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift.
Auch der Mitbeteiligte brachte eine Gegenschrift ein.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Entgegen der Ansicht des Mitbeteiligten erweist sich die vorliegende Beschwerde als rechtzeitig eingebracht:
Gemäß dem in Ausführung des Art. 131 Abs. 2 B-VG ergangenen § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 ist der Bundesminister für soziale Verwaltung (nunmehr: Bundesminister für Arbeit und Soziales) berechtigt, (in Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit) gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden, die in letzter Instanz ergangen sind, wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Nach § 26 Abs. 1 erster Satz VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG sechs Wochen. Diese Frist beginnt zufolge § 26 Abs. 1 Z. 4 leg. cit. in den Fällen des Art. 131 Abs. 2 B-VG dann, wenn der Bescheid aufgrund der Verwaltungsvorschriften dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, zu dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.
Nach den einschlägigen Angaben in der Beschwerde wurde der bekämpfte Bescheid dem Beschwerdeführer nicht zugestellt (was der Rechtslage entspricht, da weder im ArbIG 1974 noch in den den Arbeitnehmerschutz regelnden Vorschriften eine Zustellung von in diesen Angelegenheiten ergangenen letztinstanzlichen Bescheiden an den Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgesehen ist); er wurde ihm vielmehr vom Arbeitsinspektorat zur Kenntnis gebracht, und zwar am 14. Oktober 1991. Die Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG hat demnach im Grunde der Z. 4 dieser Gesetzesstelle mit 25. November 1991 geendet. Die am 13. November 1991 unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde ist somit rechtzeitig erhoben worden.
Die soeben angeführte Rechtslage wurde in einem analogen Fall im hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1991, Zl. 91/19/0037, dargelegt. Die Ausführungen des Mitbeteiligten bieten keinen Anlaß, davon abzugehen:
Was die vom Mitbeteiligten vorgetragenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der im § 24 Abs. 1 Z. 4 VwGG enthaltenen Worte "sonst mit dem Zeitpunkt, zu dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat", betrifft, so vermag sie der Verwaltungsgerichtshof nicht zu teilen; er sieht sich daher auch nicht veranlaßt, einen diesbezüglichen Antrag gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Zunächst sei darauf verwiesen, daß keine bundesverfassungsgesetzliche Regelung besteht, wonach die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, insbesondere eine solche nach Art. 131 Abs. 2 B-VG, mit der Zustellung des Bescheides zu laufen beginnen muß. Soweit der Mitbeteiligte darauf verweist, daß es "mangels gesetzlicher Frist im Ermessen des Arbeitsinspektorates und der Weisung des Bundesministers für Arbeit und Soziales liegt", wann die Berufungsentscheidung nicht mehr der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof unterliege, so ist ihm entgegenzuhalten, daß dem Bundesminister für Arbeit und Soziales unterstellt werden muß, solche organisatorische Maßnahmen getroffen zu haben, die vorhersehbarerweise die Zurkenntnisbringung derjenigen Bescheide, gegen welche ihm ein Beschwerderecht an den Verwaltungsgerichtshof zusteht, in einem der Rechtsstaatlichkeit nicht abträglichen Zeitraum sicherstellen.
Der Hinweis des Mitbeteiligten auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 1960, Slg. Nr. 3816/1960, geht - weil mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar - fehl, zur analogen Anwendung anderer Rechtsvorschriften besteht kein Anlaß. Daß die erwähnten Worte im § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG verfassungswidrig bzw. die im zitierten hg. Erkenntnis vom 23. Mai 1991, Zl. 91/19/0037, ausgeführte Rechtsanschauung nicht im Einklang mit der Rechtslage stehen sollten, vermag der Mitbeteiligte auch mit seiner Ansicht, die Verfahrenshandlungen des Arbeitsinspektorates bzw. des Bundesministers für Arbeit und Soziales seien Akte der Privatwirtschaftsverwaltung - ungeachtet der Frage, ob dies zutrifft -, nicht darzutun. Schließlich sei vermerkt, daß für die offenbare Ansicht des Mitbeteiligten, die Frist zur Erhebung der Beschwerde durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales an den Verwaltungsgerichtshof beginne mit der Zustellung des Bescheides an das zuständige Arbeitsinspektorat, im Hinblick auf den Wortlaut des § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 und des § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG kein Raum bleibt. Insbesondere ist in der letztzitierten Vorschrift ausdrücklich davon die Rede, daß das betreffende "Organ" vom Bescheid Kenntnis zu erlangen hat, um die Beschwerdefrist für dieses in Lauf zu setzen.
In der Sache selbst genügt es, auf das dieselben Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens betreffende hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 1991, Zl. 91/19/0289, zu verweisen. Aus denselben Gründen war auch der hier angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Schlagworte
Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991190321.X00Im RIS seit
23.03.2001Zuletzt aktualisiert am
28.04.2011