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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelbLeitsatz
Abnahme einer Zeitschrift durch ein Zollorgan im Zuge einer Grenzkontrolle; der örtlich zuständigen Sicherheitsbehörde zuzurechnen; als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren; Verletzung des Eigentumsrechtes und des Rechtes auf Informationsfreiheit nach Art10 MRK wegen fehlender gesetzlicher GrundlageSpruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihm am 15. August 1987 am Grenzübergang Achleiten ein Organ des Zollamtes Achleiten ein Exemplar der Zeitschrift "Demokratischer Informationsdienst" abnahm, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Informationsfreiheit verletzt worden.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit S 11.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.a) In der auf Art144 Abs1 (zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, der Beschwerdeführer sei am 15. August 1987 gegen 13 Uhr 30 am Grenzübergang Achleiten in einem Autobus nach Österreich eingereist. Ein Zollwachebeamter habe bei der im Autobus vorgenommenen Durchsuchung des Handgepäcks des Beschwerdeführers ein darin befindliches Exemplar der Zeitschrift "Demokratischer Informationsdienst", herausgegeben vom Anti-Strauß Komitee im Juli 1987, Nr. 65, Preis DM 2.-, ohne irgendeine Erklärung und ohne Ausstellung einer Bestätigung zusammen mit dem Reisepaß des Beschwerdeführers an sich genommen und sich damit in das Amtsgebäude des Zollamtes begeben. Nach einer Wartezeit von mehr als 30 Minuten habe ein anderer Zollwachebeamter dem Beschwerdeführer zwar den Reisepaß, nicht aber das Exemplar der Zeitschrift ausgefolgt und sich, ohne dem Beschwerdeführer auf dessen Frage nach der Zeitschrift eine Antwort zu geben, wieder entfernt.
Der Beschwerdeführer behauptet, durch die Abnahme des Zeitschriftenexemplars in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums und auf Informationsfreiheit verletzt worden zu sein und beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.
b) Die Bezirkshauptmannschaft Schärding als belangte Behörde (siehe dazu unter II.1.) hat in einer Äußerung vorgebracht, daß das Zeitschriftenexemplar vermutlich im Zuge des Einsammelns der Reisepässe der Autobusinsassen irrtümlich mitgenommen worden sei und daß nach Mitteilung des Amtsleiters des Zollamtes Achleiten ein Grund für eine Beschlagnahme nicht bestanden habe.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach §8 Abs1 des Grenzkontrollgesetzes 1969, BGBl. 423 idF des Bundesgesetzes BGBl. 527/1974, ist die Grenzkontrolle von der sachlich zuständigen Behörde I. Instanz durchzuführen, in deren örtlichem Wirkungsbereich der Grenzkontrollbereich liegt.
Gemäß §2 Abs1 des Bundesgesetzes betreffend die Übertragung der durch Sicherheitsorgane zu versehenden Grenzüberwachung und Grenzkontrolle auf Zollorgane, BGBl. 220/1967 idF der Bundesgesetze BGBl. 527/1974 und 76/1980 (im folgenden: Übertragungsgesetz), kann der Bundesminister für Inneres im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen durch Verordnung die Grenzkontrolle an bestimmten Grenzübergängen an Zollorgane übertragen.
Eine solche - sich auf auf alle Grenzübergänge beziehende - Übertragung ist zuletzt mit der Verordnung des Bundesministers für Inneres vom 21. September 1981, BGBl. 447, vorgenommen worden.
Schreiten Zollorgane auf Grund des Übertragungsgesetzes in Vollziehung übertragener Aufgaben ein, so handeln sie insofern, wie sich aus §6 Abs1 dieses Gesetzes ergibt, als Hilfsorgane der zuständigen Sicherheitsbehörden. Bei der aus Anlaß der Einreise des Beschwerdeführers in das Bundesgebiet vorgenommenen Paßkontrolle handelte es sich um eine solche Aufgabe. Sie ist demnach der Bezirkshauptmannschaft Schärding als sachlich und örtlich zuständiger Sicherheitsbehörde zuzurechnen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa VfSlg. 8879/1980).
Die mit der vorliegenden Beschwerde bekämpfte Maßnahme (siehe dazu des näheren unter II.2.) erfolgte aus Anlaß und in zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit einer im Zuge der Grenzkontrolle getroffenen Maßnahme. Sie ist daher gleichfalls der Bezirkshauptmannschaft Schärding zuzurechnen. Dieser kommt mithin hinsichtlich des Beschwerdegegenstandes die Stellung als belangte Behörde zu.
2. Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß die in Beschwerde gezogene Abnahme des in Rede stehenden Zeitschriftenexemplars durch ein Zollorgan tatsächlich erfolgt ist. Er stützt sich dabei nicht nur auf das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde, sondern auch auf die in einer schriftlichen Stellungnahme enthaltene Angabe des Bez.Insp. K F, daß er die Zeitschrift auf einem Schreibtisch im Amtsgebäude des Zollamtes gesehen habe. Angesichts dessen vermag die in einer schriftlichen Stellungnahme enthaltene Angabe des mit dem Einsammeln der Reisepässe im Autobus befaßt gewesenen Insp. H, sich nicht daran erinnern zu können, ob er zusammen mit den eingesammelten Reisepässen der Autobusinsassen auch das fragliche Zeitschriftenexemplar in das Amtsgebäude mitgenommen habe, keinen Zweifel daran zu begründen, daß dieses dem Beschwerdeführer tatsächlich abgenommen wurde, zumal das Verfahren keinen Anhaltspunkt dafür ergeben hat, daß es auf andere Weise dorthin gelangt sein könnte.
Die Abnahme der Zeitschrift stellte sich dem Beschwerdeführer gegenüber als ein ohne vorausgegangenes Verwaltungsverfahren ergangener Akt dar, der rechtlich als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu qualifizieren und demnach gemäß Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbar ist.
Die Angabe von Insp. H, die (ihm nicht mehr erinnerliche) Abnahme des Zeitschriftenexemplars könne nur versehentlich geschehen sein, vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern.
3. Die Abnahme der Zeitschrift greift in das Eigentum des Beschwerdeführers ein. Dieser Eingriff ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 8776/1980, 9490/1982) unter anderem dann verfassungswidrig, wenn er ohne jede Rechtsgrundlage erfolgt ist.
Dies ist hier tatsächlich der Fall. Selbst nach den Ausführungen der belangten Behörde fehlte für die Abnahme des Zeitschriftenexemplars eine gesetzliche Grundlage. Auch der Verfassungsgerichtshof vermag eine Rechtsgrundlage hiefür nicht zu erkennen.
Der Beschwerdeführer wurde mithin durch die Abnahme des Zeitschriftenexemplars im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt.
4.a) Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngeren Rechtsprechung (siehe VfSlg. 10.393/1985, 10.948/1986, 11.297/1987 klargestellt, daß der Schutzumfang des Art10 MRK weiter als der des Art13 StGG ist, weil der Anspruch auf freie Meinungsäußerung nach Art10 Abs1 MRK ausdrücklich auch die Freiheit zur Mitteilung von Nachrichten (to receive and impart information, de recevoir ou de communiquer des informations) ohne Eingriff öffentlicher Behörden und ohne Rücksichtnahme auf Landesgrenzen einschließt (zu Art13 StGG grundlegend VfSlg. 2362/1952; siehe auch VfSlg. 10.948/1985).
b) Im Erkenntnis VfSlg. 11.297/1987 hat der Verfassungsgerichtshof in Übereinstimmung mit der Literatur die Auffassung vertreten, daß nicht nur der - in Art10 MRK ausdrücklich genannte - Empfang von Nachrichten, sondern auch das Beschaffen von Information zum Zweck der Verbreitung von Art10 MRK erfaßt ist (s. Frowein-Peukert, EMRK-Kommentar, 1985, S 228 f., Rdz 11 zu Art10 und van Dijk/van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 1984, S 311).
Auch das schweizerische Bundesgericht hat dem Art10 MRK diesen weiteren Inhalt beigemessen und im Urteil vom 8. März 1978 (veröffentlicht in EuGRZ 1979, S 3 ff.) ausgeführt, der Schutzbereich der Informationsfreiheit sei nicht auf ein ausschließlich passives Verhalten einzuschränken; die aktive Erschließung von Informationsquellen könne vom Grundrechtsschutz nicht vollständig ausgenommen werden. In der österreichischen Literatur (Berka, Die Kommunikationsfreiheit in Österreich, EuGRZ 1982, S 413 ff., insbesondere S 418 f.) wird Art10 MRK so verstanden, daß aus dieser Bestimmung zwar keine "Freiheit der Recherche" und keine "aktive Informationsverschaffungsfreiheit" abzuleiten ist, daß die Informationsfreiheit aber jedenfalls die ungestörte Aufnahme von der Öffentlichkeit prinzipiell zugänglichen Informationen gewährleiste.
c) Der Verfassungsgerichtshof vertritt - in Übereinstimmung mit dem oben unter II.4.b wiedergegebenen Grundgedanken - die Auffassung, daß aus Art10 MRK zwar keine Verpflichtung des Staates resultiert, den Zugang zu Informationen zu gewährleisten oder selbst Informationen bereitzustellen, daß aber eine Behinderung der Beschaffung und Ermittlung öffentlich zugänglicher Informationen durch (aktives) Eingreifen von Staatsorganen ausschließlich unter den Voraussetzungen des Abs2 des Art10 MRK zulässig ist, weil nur eine solche Interpretation es gewährleistet, das Recht der Meinungsäußerung auf Grund eines umfassenden Informationsstandes wirklich auszuüben (VfSlg. 11.297/1987).
d) Im vorliegenden Fall wurde durch die Abnahme der Zeitschrift in die von Art10 MRK geschützten Rechte des Beschwerdeführers eingegriffen, da der Beschwerdeführer durch den Entzug des Informationsträgers an der Aufnahme öffentlich zugänglicher Informationen gehindert war. Ein solcher Eingriff ist gemäß Art10 Abs2 MRK ua. nur dann zulässig, wenn er gesetzlich vorgesehen ist. Da er im vorliegenden Fall nach dem unter II.3. Dargelegten ohne jede gesetzliche Grundlage erfolgte, ist auszusprechen, daß der Beschwerdeführer durch die in Beschwerde gezogene behördliche Vorgangsweise im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Informationsfreiheit verletzt worden ist.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 1.000,-- enthalten.
6. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG abgesehen.
Schlagworte
Beschlagnahme, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Informationsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit, Eigentumseingriff, GrenzkontrolleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1989:B990.1987Dokumentnummer
JFT_10109377_87B00990_00